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Nachtgedanken am Karfreitag

Ich liebe ihn nicht
Ich will ihn nicht
Ich hasse ihn
Tod

Ende meiner Sehnsucht
Ende meiner Liebe
Ende meiner Berührung
Tod

Wie nah bin ich dran
Wie stark bist du schon in mir
Wie viele Augenblicke gönnst du mir noch
Tod

Ich ziehe meine Decke über den Kopf
Ich kuschel mich zurecht
Ich bin bei dir, den ich liebe
Auferstehung

Ende meiner Sehnsucht – Ankommen
Ende meiner Liebe – Ankommen
Ende meiner Berührung – Ankommen
Auferstehung

Wie nah bin ich dran – Sehnsucht
Wie stark bist du schon in mir – Liebe
Wie viele Augenblicke gönnst du mir noch – Berührung
Auferstehung

Ich möchte meine Decke aufschlagen
Ich möchte auferstehen
Ich möchte dich mitnehmen

Auferstehung
Ende des Sterbens

Aus „Ich will mein Leben – Mit jungen Menschen auf dem Weg durch die Kar- und Ostertage“ erschienen beim Bergmoser + Höller Verlag, 1997.
In Aufsätze + Artikel, Kar- und Ostertage, Lyrik + mehr, Walheim 2003 veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Original oder Fälschung

Faxbox-Predigt zum Neujahr 1996

Manchen der über 100.000 bisherigen Pilgerinnen und Pilger mag dieser Gedanke durch den Kopf gegangen sein, als sie in der vergangenen Woche im Trierer Dom vor dem „heiligen Rock“ standen. Zum 3. Mal in diesem Jahrhundert wird den Augen der Öffentlichkeit dieser heilige Rock gezeigt, der nach der Überlieferung das Untergewand Jesu sein soll und von dem der Evangelist Johannes berichtet: die Soldaten haben nach der Kreuzigung Jesu über dieses Gewand die Würfel geworfen, weil es an einem Stück gewebt war und ihnen zu schade erschien, es in mehrere Stücke zu zerreißen, um es unter sich aufzuteilen. Bei einem solchen Jahrhundertereignis drängt sich auch uns die Frage auf: Ist es ein Original oder doch nur eine Fälschung.

Auch im heutigen Evangelium geht es um die Frage, wer ist das Original und wer ist die Fälschung? Der Evangelist Johannes berichtet in dem eben gehörten Evangelium von einer Verunsicherung, die die Gedanken der damaligen Zuhörer Jesu offenbar sehr stark zu beschäftigen schien. Es ging um die Frage, ist Jesus der originale Prophet oder ein falscher? Jesus war in seiner Zeit nicht der einzige Prophet. Einige Zeitgenossen Jesu gaben sich ebenfalls als Propheten aus und schmückten sich mit dem Titel Messias. Sie deuteten die Zeichen am Himmel und malten die Zukunft der Menschheit in meist sehr düsteren Farben aus. Ihre Predigt lautete: Wenn ihr dem Unheil dieser Welt entrinnen wollt, dann müsst ihr auf uns hören. Das Geschäft mit der Angst lief auch damals schon recht gut, so dass der Job eines Propheten, von eigener Gnade ernannt, eine recht lukrative Tätigkeit war. Mit Geld meinte man auch schon damals sich ein Plätzchen im Reich Gottes sichern zu können bzw. dem Unheil zu entgehen. Da war man gerne bereit, diesen selbsternannten Propheten ein Scherflein zu geben in dem Bewusstsein, dass sie einen besonderen Draht zu ihrem Gott hätten. Dankbar wurden solche Gaben und Zuwendungen von diesen Heilsverdrehern der damaligen Zeit angenommen, konnte doch letzten Endes keiner kontrollieren, was wirklich geschehen würde, ob sie recht behielten oder auch nicht. Jesus enttarnt diese falschen Propheten und macht in der Deutung seines Bildes vom Hirten und den Schafen klar, wer das Original, der richtige Prophet, der wirkliche Messias, der einzige Sohn Gottes ist. Seine Botschaft lautet, er allein ist die einzige Tür, die in die Rettung führt. Durch ihn finden die Menschen wirkliches Leben. Die Weide, auf die Jesus diejenigen begleitet, die seinem Wort wirklich trauen, heißt Leben in Fülle. Als Fälschung identifiziert Jesus diese selbsternannten Propheten und Heilsverdreher, die sich beschenken lassen und so zu Dieben werden; diese Heilsverkäufer, die mit der Angst der anderen Menschen ihre Geschäfte machten und nicht davor zurückschreckten, jeden bis aufs Blut auszusaugen, zu schlachten und so der Vernichtung zu überlassen. Doch reicht diese Vorgehensweise Jesu?

Reicht es, dass Jesus diese Betrüger, Diebe und Räuber, die sich selbst zu Propheten erheben, als solche benennt, um von sich selbst zu behaupten, die Wahrheit zu sein, der wirkliche, das Original aller wirklichen Propheten? Ist Jesus überzeugend, wenn er behauptet, diese Wahrheit selbst zu sein, der die Türe zu unserer Rettung ist, der der Weg zu einem vollen, erfüllten, satten Leben ist, der die Befreiung ist von unserer Angst um uns selbst und das schon jetzt, hier und heute? Das sind doch auch nur Worte!

Gehen wir noch einmal zurück in unseren Gedanken nach Trier zum heiligen Rock. Was erzählt uns dieses Leibtuch Jesu? Ist es das Original oder ist es eine Fälschung? Es ist ein Original, wenn es uns Menschen Jesus näher bringt, der keine frommen Sprüche geklopft hat, sondern hinter jedem einzelnen seiner Worte mit Haut und Haaren selber steht. Dieses Untergewand Jesu erzählt uns Menschen von Gott, der in Jesus Christus die Botschaft der Befreiung auch gelebt hat, der berührbar wurde und auch auf Tuchfühlung zu uns Menschen ging. Dieser heilige Rock vergegenwärtigt diesen Jesus, der in einem einfachen Gewand über die Felder zog und die friedfertigen Menschen selig pries. Der am Ufer des Sees Gennesaret Männer und Frauen in seine Nachfolge rief, der in Emmaus den Jüngern das Brot brach und der immer wieder auf der Seite der Kleinen und Unterdrückten stand und sie Vergebung, Freiheit und Würde spüren ließ.

Doch dieser heilige Rock ist auch in Gefahr eine Fälschung zu sein, nämlich dann, wenn Menschen ihn für ihre eigenen Ziele benutzen, die nicht mit der Botschaft Jesu übereinstimmen. Er ist eine Fälschung, wenn er als Abziehbildchen auf Gläsern und Tassen vermarktet wird, wenn ihm magische Kräfte angedichtet werden oder wenn durch ihn der Ablasshandel des Mittelalters zu neuem Leben erwacht.

Nun bleibt aber noch die Frage am Schluss, sind die Fasern dieses Rockes wirklich fast 2000 Jahre alt? Eine klare Antwort wird es darauf nie geben. Eines jedoch ist definitiv, das Gewand Jesu bekleidet ganz aktuell Menschen, die als evangelische und katholische Christen noch näher zusammenrücken. Es bekleidet Menschen, die sich gegenseitig in ihren unterschiedlichen Religionen wertschätzen und respektieren. Es bekleidet Menschen, die füreinander einstehen, miteinander Probleme anpacken und sich voneinander begeistern lassen. Jesus selbst ist das Original Gottes, die einzigartige Botschaft von Gott, in der Wort und Tat identisch sind.

Der heilige Rock von Trier ist ein Original, wenn wir und mit ihm bekleiden als Frauen und Männer, die die Einzigartigkeit Jesu annehmen und immer neu versuchen, sein Wort und das eigene Leben miteinander in Einklang zu bringen. So ist jeder von uns ein Original, in dem Gott auf Tuchfühlung zu den Menschen geht.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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Vaterlandsverräter

Faxbox-Predigt vom 15.9.1996

Diese Beschimpfung wurde unserem Bundespräsidenten Roman Herzog am vergangenen Sonntag ins Gesicht geschleudert. So wie die Medien berichten, sprach der Bundespräsident am „Tag der Heimat“ vor den Mitgliedern des Bundes der Vertriebenen (BDV) und unterstrich deutlich die Haltung der Bundesrepublik, zu ihren heutigen Grenzen als vereintes Deutschland zu stehen. Für ihn ist, so sagte er in seiner Ansprache, der gemeinsame Weg der Völker in die Zukunft das fruchtbare Miteinander und nicht das Aufrechnen von Taten der Gewalt und Gegengewalt aus der Vergangenheit. Vaterlandsverräter! Gott sei Dank war es nur eine einzige Stimme, die den Bundespräsidenten verunglimpfte und mit ihm das Land, das Roman Herzog als Bundespräsident repräsentiert, die Bundesrepublik Deutschland.

Dass ein solcher Zwischenfall Empörung hervorruft und die Empörung auch in der Presse zum Ausdruck kommt, ist selbstverständlich und richtig. Nur wäre es ein Verlust, wenn in der Öffentlichkeit dieser Skandal mehr in dem Bewusstsein der Bewohnerinnen und Bewohner unseres Landes haften bliebe, als das, was Herzog in seiner Ansprache in unaufdringlichen und klaren Worten bekannte: „Fruchtbar wird unsere Zukunft nicht sein, wenn sie Taten der Gewalt und Gegengewalt aufrechnet!“ Hier geht es nicht darum, die Taten der Gewalt und der Gegengewalt schön zu färben, zu leugnen oder zu vergessen. Es geht auch nicht darum, ihre Verursacher und Verursacherinnen und die Strukturen ihrer Verursachung tot zu schweigen. Sondern hier geht es darum, eine traurige Erkenntnis anzunehmen, dass Gewalt gegen ganze Völker oder gegen einzelne Menschen immer verabscheuungswürdig ist, sie aber trotzdem immer auch Veränderung hinterlässt. Gewalt verändert Menschen, die Geschichte von Nationen, die Grenzen eines Landes, die Biographien von Familien, die Poesie der Dichterinnen und Dichter, die eigenen Träume in der Nacht. Diese und alle anderen Veränderungen, die Gewalt hinterlässt, gehen einher mit Schmerzen, Trauer und Wut.

Doch die Antwort auf Gewalt und die ihr folgenden Veränderungen ist nicht neue Gewalt. Die existentiellste und lebensbejahendste Antwort lautet: „Ich vergebe Dir, weil Du mich darum bittest!“

Im heutigen Evangelium fragt Petrus: „Herr, wie oft muss ich dem vergeben, der sich gegen mich versündigt?“
Jesus antwortet auf diese Frage: „Nicht sieben Mal sollst Du vergeben, also nicht ein paar Mal, sondern 77 Mal sollst Du vergeben, also immer wieder!“

Das, was Jesus hier fordert, sprengt die Grenzen des menschlich Möglichen. Das ist eine Überforderung, immer neu dem zu verzeihen, der gegen mich sündigt, der mein Leben selbstsüchtig einengt, der mir ungerechtfertigt weh tut, der meine Existenz bedroht, der meine Liebe zerstört, der mein Leben misshandelt, der durch Rufmord über mich triumphiert, der mir nimmt, was mein Leben lebendig macht …

Diese klare Aufforderung, immer wieder zu verzeihen, so wie Jesus es uns sagt, führt uns an unsere Grenzen und überfordert uns all zu oft. Diese Forderung aber, wie Jesus sie uns sagt, ist eine der größten Provokationen Gottes an uns Menschen schlechthin. Jesus ruft uns über unsere Grenzen hinaus.

Er fordert das fast Unmögliche. Eben den Weg, auf die anderen Menschen zuzugehen, die schuldig an uns geworden sind, genau so wie Gott seinen Weg auf jeden einzelnen von uns zugeht, wie er auf mich zugeht, mich bei meinem Namen nennt, obwohl er weiß, wie unfertig ich bin und fehlerhaft. Warum? Warum solch ein Weg? Warum diese Forderung, die so oft eine Überforderung ist? Gott fordert uns in seinem Sohn Jesus Christus auf, auf der Seite des Lebens zu stehen, so wie er. Das heißt, dem Menschen zu verzeihen, der an seinem eigenen Leben leidet, weil er spürt und einsieht, dass er mein Leben verletzt hat und in der Bitte um Vergebung und Entschuldigung mich um sein Leben bittet, darum, selber wieder lebendig sein zu können!

Nochmals diese Frage: Warum? Warum solch ein Weg? Warum diese Forderung, die für uns oft eine Überforderung ist?: Weil Gott, was das Leben angeht, keine Abstriche macht, so seine eindeutige Antwort. Diese Forderung kann nur der stellen, der das Leben über alles liebt, unser Gott des Lebens.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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Wach auf, du Mensch

(Nach der Melodie: „Macht hoch die Tür …“)

  1. Wach auf, du Mensch und öffne dich weit, Gott kommt im Glanz der Einfachheit. Kein König und kein Königreich so unser Freund und Heil zugleich. Der Lebensfreude mit sich bringt, mit ihm das neue Lied erklingt: Ich lobe meinen Gott, den Schöpfer voller Tat.
  2. Er ist gerecht und liebt noch mehr, fern von Gewalt ist er mit dir. Sein treues Wort ist Sicherheit, sein Handeln spricht von Gütigkeit. Mit unsrer Not nun er auch ringt, mit ihm das neue Lied erklingt: Ich lobe meinen Gott, den Schöpfer voller Tat.
  3. Freude dem Land, Freude jeder Stadt, die Liebe Gottes in euch nun wacht. In jedem Herzen möchte sie sein, die größte Sehnsucht nicht mehr allein. Sie ist uns allen Lebensgrund, von ihr wird singen jeder Mund: Ich lobe meinen Gott, den Schöpfer voller Tat.
  4. Wach auf, du Mensch und öffne dich weit, bei dir geborgen Göttliches sei. Als Mutter wird sie Leben dir sein, in ihr wird Zukunft dich erfreun, so sag zum Leben endlich ja, mit Lust und Würde fröhlich ja, dich lob ich, Mutter mein, aus dir ist alles Sein.
  5. Begreife Welt, steh auf jeder Mensch. Allem was lebt, ist Zukunft geschenkt; nehmt zärtlich ihre Nähe auf und lasst sie sein bei Euch zuhaus. Ihr Geist wird in uns Leben sein, sie führt uns nun zur Ewigkeit, dich lob ich, Mutter mein, aus dir ist alles Sein.
Aus „Mit beiden Beinen auf der Erde“, Bergmoser + Höller Verlag, 1996.
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Das Unkraut und der richtige Weg

Faxbox-Predigt 1996

Am vergangenen Wochenende war Berlins Straßenpflaster die größte Tanzfläche der Welt. 700.000 sogenannte Techno-Fans brachten Berlins Straßen zum beben. Hüpfend, tanzend und zuckend bewegte sich der Tanzmarathon zu ohrenbetäubender Musik durch die Straßen Berlins zum Brandenburger Tor. Stundenlang hielten die dröhnenden Bassrhythmen des Technofiebers die meist jugendlichen Besucher und Besucherinnen in Bewegung. Schrille, signalrote Kleidung, orangegefärbte Haare, Trillerpfeifen und kaum tragbare Plateauschuhe mit schwindelerregenden Absatzhöhen gehörten zu dem Outfit der meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Diese „Love Parade“ brach alle Rekorde und wurde zur größten Kundgebung von Jugendlichen in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihr Ziel: Eine Demonstration für den Frieden!

In einem Interview meinte eine alte Berlinerin entsetzt: Diese Veranstaltung sei der Untergang des Abendlandes. Ein junger Teilnehmer sah das ganz anders: „Wenn sich die Teilnehmerzahl der „Love-Parade“ weiter kontinuierlich verdoppelt haben wir im Jahr 2010 Weltfrieden“!

Bleibt dahingestellt, wer Recht behalten wird.

Ob 700.000 Teenis in Berlin, 90.000 Gottesdienstbesucher beim Papst in Paderborn oder hunderttausende Besucher auf Katholikentagen und Kirchentagen; sie alle gemeinsam ernten die selbe Kritik von Großveranstaltungsgegnern: Das ist doch nur Gefühlsduselei, Hysterie und Massenbetäubung! Dabei haben die Veranstaltungen ein sehr ähnliches Ziel: Den Frieden, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen!

Aber gerade die unterschiedlichen Wege treffen auch bei den Besuchern dieser unterschiedlichen Ereignisse auf krasses gegenseitiges Misstrauen. Die Besucher einer Papstmesse zeigen in der Regel kein Verständnis für eine schrille „Techno-Love-Parade“. Selbst die Jugendlichen Katholikentagsbesucher werden, ob nun Techno oder Papst, bei solchen Veranstaltungen auch Unbehagen spüren. Und trotzdem, sie alle feiern das selbe Ziel, sie feiern für den Frieden.

Der Friedensfürst schlechthin, Jesus Christus, sieht das ganze wohl wesentlich gelassener. Das lässt das heutige Evangelium jedenfalls vermuten.

Es berichtet von einem Acker, in dem der Besitzer guten Samen gesät hat, ein Gegner jedoch heimlich auch Unkraut darunter mischte. Nun ging beides auf, Weizen und Unkraut. Der eifrige Diener des Herrn wollte nun rasch das Unkraut ausreißen. Doch sein Herr mahnte ihn zur Gelassenheit: Lass‘ beides wachsen, und zur Ernte werden wir dann das Unkraut vernichten und den Weizen in die Vorratskammer tragen.

Auch hier geht es um die Frage des Weges. Jesus lässt das scheinbar unnütze Unkraut mit dem erfolgversprechenden Weizen gemeinsam wachsen, um das endgültig Wertvolle nicht zu gefährden. Er will keine voreilige Entscheidung, die nur einen Weg zum Ziel zulässt. Jesus lässt wachsen, um an der Frucht zu erkennen, welcher Weg richtig und welcher falsch war.

Welcher Weg zum Frieden ist der richtige? Die Papstmesse, der Katholikentag oder die Techno-Fête! Wäre es nicht auch möglich, dass alle Wege einen Beitrag zum Frieden sind, auch wenn nicht jeder jeden Weg gehen kann?

Oft streiten engagierte Gemeindemitglieder um den richtigen Weg. Was gehört zu einer lebendigen Gemeinde? Volle Gottesdienste, ein gut funktionierender Krankenhausbesuchsdienst, eine aktive Caritasgruppe, der Bibelkreis und ein lebendiger Weihnachtsbasar? Oder geht eine lebendige Gemeinde ehe in die Richtung: Ein volles, fetziges Jugendheim, ein provozierender Asylbewerberkreis, eine Gruppe alleinerziehender Väter und Mütter, ein Arbeitskreis „Theologie der Befreiung“ und eine Männergruppe? Auch hier gibt es nicht den Weg und keiner hat das Recht, zu entscheiden: Lebendige Gemeinde geht nur so und nicht anders!

Wenn Menschen mit ihren unterschiedlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten einen Beitrag zum Gemeindeleben leisten wollen, dann ist es tödlich für jede lebendig sein wollende Gemeinde, wenn irgend jemand, wer auch immer, sich das Recht nimmt auszusortieren, bevor überhaupt etwas wachsen kann!

Wenn Gemeinde Lebensraum für Menschen sein will, dann muss sie dem Leben Raum geben, welches in ihr wachsen möchte. Wachstum braucht Zeit, Gemeinde sollte sie ihm geben.

Ist das ein Freifahrschein für alle möglichen Aktivitäten in unseren Gemeinden? Ja, weil Menschen in ihnen Leben spüren! Lieber etwas scheinbar Erfolgloses wachsen lassen als eigenmächtig etwas zu verhindern, das das Leben der Gemeinde vielleicht doch bereichert hätte. Und mehr noch: Das scheinbar nutzlose wollen, es begießen und pflegen, damit es überhaupt eine Chance hat um es nicht durch Ignoranz auf kaltem Wege verdorren zu lassen.

Selbst wenn die Früchte zu sehen sind, wird der eine sagen, diese Früchte können wir brauchen, andere aber werden genau das Gegenteil behaupten. Auch hier sollten wir der Gelassenheit Jesu nicht vorgreifen, denn er entscheidet, was wirklich Leben in sich birgt oder was nur fruchtlose Hülle war.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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Zusammenspiel der Christen

Faxbox-Predigt vom 16.6.1996

Es wird das Spiel der Spiele genannt, dieser geschickte und kraftvolle Kampf um das kleine runde Leder, das nur ein wirkliches Ziel kennt: das Tor der Gegner.

Fußballspiele beeinflussen Terminkalender, haben die Macht Parlamentssitzungen zu verschieben, sind Thema in Büros und Kneipen, auf der Straße und an Haltestellen. Kein Ort ist vor dem Thema Fußball sicher!

In dieser Bundesliga-Saison besuchten über 9 Millionen Menschen die Stadien. In 150.000 Mann- und Frauschaften, spielen Kinder bis alte Herren, organisierten Fußball. Ein paar Quadratmeter reichen aus, um an jeder Ecke mit dem Ball zu kicken. Über 100 Millionen Menschen sitzen jährlich zwischen Gebäck und Bier vor dem Fernseher, eifern mit ihrer Mannschaft und freuen sich über jeden Ball im gegnerischen Tor.

Allein den Beginn der Eröffnungsfeier der diesjährigen Europameisterschaft haben 2.140.000 Haushalte gesehen. Dies ist ein Marktanteil von 21,3 %. Was macht diese Faszination Fußball aus? Sepp Herberger hat es so formuliert: „Die Leute gehen deshalb zum Fußball, weil niemand weiß wie es ausgeht“.

So zogen auch unsere Bundesdeutschen Kicker in die Europameisterschaft und keiner weiß heute schon, wie es aus geht. Auf jeden Fall, viele von uns sind stolz auf sie, diese Repräsentanten und Botschafter des fairen Spieles in Europa. Das erste Spiel ließ ja auch keinen Wunsch offen: 2:0, ein klarer Sieg! Wenige Minuten nach diesem Wettkampf um das Leder, waren Spieler und Begleitmannschaft dann auch voll des Lobes. Das Mannschaftsgefühl hat gestimmt. Harmonie im gemeinsamen Spiel macht eben Tore! Wer jedoch am Ende der Meister sein wird bleibt trotz allem noch offen!

Im Evangelium des heutigen Tages gibt es keinen Meister zu ermitteln. Der Meister steht schon fest, es ist Jesus selbst. Dieser Jesus sendet 12 namentlich bekannte Repräsentanten und Botschafter aus, die für Jesu Botschaft vom Bereich Gottes wetteifern sollen. Noch sind die Adressaten dieser Zusage Gottes, das Himmelreich ist nahe, recht klein gehalten, nämlich die noch suchenden Schafe Israels. Später wird der Auftrag lauten: „Geht in alle Welt“. Die Botschafter und Botschafterinnen Jesu haben vor fast 2000 Jahren den Grundstein gelegt zu dem was wir heute Kirche nennen. Sie sind losgegangen und standen ein für die befreiende Botschaft Jesu die nur ein Ziel hat, dass Leben der Menschen so wie der Mensch es in sich spürt, als von Gott gewolltes Leben. Das es heute noch Kirche gibt, haben wir Männern und Frauen zu verdanken, die überzeugend Kranken beistanden, Ausgesetzten ihren Platz in der Gesellschaft zurückeroberten, lebensfeindliche Kräfte enttarnten und entmachteten, sowie dem Tod die Botschaft des Überlebens in Gott entgegensetzten. Auch heute sind es Männer und Frauen die von der Botschaft Gottes begeistert sind und so Kirche lebendig sein lassen. Auch wenn in Deutschland die Gottesdienstbesuche rapide abnehmen, was nicht unbedingt heißt, daß die Menschen weniger der Botschaft Gottes vertrauen, brauchen wir uns als Kirche nicht zu verstecken. Weltweit nimmt die Zahl der Christinnen und Christen zu. Noch nie war das Engagement für die Kirche auf so viele Schultern verteilt wie heute. Doch besonders die Teilkirche Deutschland hat keinen Grund selbst zufrieden zu sein, denn die Zukunft ist offener denn je und niemand weiß genau, wie es weitergeht!

Nun eine gewagte Frage: Kann die Deutsche Teilkirche von einer Fußballmannschaft und Frauschaft etwas für die Zukunft lernen?

Mannschaftsgeist und Harmonie waren nach dem 2:0 Sieg Deutschlands über Tschechien oft benutzte Begriffe in der Sieganalyse. Was heißt das genauer. Ein Fußballspiel gelingt nur, wenn alle miteinander spielen, wenn jeder und jede seinen Talenten entsprechend seine Aufgabe im Zusammenspiel wahrnimmt. Hier tragen alle Verantwortung und können sich nur so aufeinander verlassen. Alleingänge und Selbstdarstellungen haben kaum Aussicht auf Erfolg. Sicherlich braucht jede Mannschaft auch einen Menschen der sie zusammen hält und obenan ein gemeinsames Ziel.

Das gemeinsame Ziel der Kirche muss die Verkündigung der Botschaft Jesu bleiben: Unser Gott ist ein Gott des Lebens. Zugleich aber ist die Kirche nur dann überzeugend, wenn sie alles dafür tut für das Leben einzutreten so wie es der Mensch es in sich spürt und als Geschenk Gottes annimmt. Das kann unsere Kirche aber nur schaffen, wenn allen erlaubt wird, Mitverantwortung zu tragen, wenn jeder und jede seine Talente für das gemeinsame Ziel einbringen darf. Wir sind als Kirche eine hoffnungsvolle Frauschaft und Mannschaft wenn wir miteinander und nicht gegeneinander „spielen“. Das bedeutet auch, bestehende Konflikte offen und ehrlich auszutragen aber nicht über Machtstrukturen ungeklärte Fragen abzuwürgen.

Gerade da, wo viele Aufgaben und Talente zusammenspielen, bedarf es Menschen die diese Kirche zusammenhalten. Zusammenhalt, Einheit bedeutet aber die vielen Fähigkeiten der Menschen in der Kirche zu ermöglichen und zu erhalten, vielfältige Lebensformen zu schützen und in jedem“ so sein des Menschen“ den Schöpferwillen Gottes zu entdecken. In diese Richtung muß unsere Kirche weitergehen, weil sie kein Spielfeld ist und wir auch in Zukunft wissen, wer der Meister ist und bleibt: die Botschaft Gottes vom Leben in Jesus Christus.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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Ein umgemünztes Gebet

Bettlerin,
du bittest mich nur um Geld!
Bist du denn reicher als ich?

Bettlerin,
du bittest mich sonst um nichts!
Bin ich so arm für dich?

Aus „Mit beiden Beinen auf der Erde“, Bergmoser + Höller Verlag, 1996.
In Lyrik + mehr, Salzburg 2001 veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Jeder Tropfen zählt

Faxbox-Predigt zum 3. Fastensonntag 1996

Ein kleiner Junge trägt eine Schale in seinen Händen, vorsichtig, ja fast andächtig, als berge diese Schale den kostbarsten Schatz den dieser Junge besitzt.

Dieser Junge und sein Schatz sind der Blickfang des diesjährigen Misereor-Plakates zur Fastenaktion: „Jeder Tropfen zählt“.

Die Kostbarkeit, die das Gefäß umschließt, ist einfach nur Wasser, der Schatz des Jungen ist Wasser für den einen Tag. Für uns Europäer ist es nichts neues zu wissen, dass das Wasser für Menschen in wasserarmen Regionen unserer Erde einen besonders hohen Wert hat.

Wir wissen, dass z. B. in vielen Ländern Afrikas Wasser nicht nur knapp ist, sondern das ganze Landstriche dieses Kontinentes im wahrsten Sinne des Wortes ausgetrocknet sind. Als informierte Bürgerinnen und Bürger ist es uns bekannt, dass andere Erdenbewohner oft kilometerweit gehen müssen, um eine Wasserstelle zu finden, und beschämt müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass immer noch Menschen in dieser Welt verdursten und verhungern. Eine beachtliche Zahl von Menschen auch aus Deutschland haben in der Vergangenheit auf diese Not unserer Mitmenschen reagiert durch Geldspenden und andere Menschen motiviert zur Mithilfe. Möge dieses Engagement nicht nachlassen!

Doch lassen uns in den vergangenen Tagen wieder Berichte aufhorchen, die fast beiläufig, neben den großen oft verheerenden Tagesschlagzeilen, der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Kopfgeldjäger wieder aktiv!
Mit der Wiederaufnahme der Kopfgeldjagt will ein Stamm im Norden der Philippinen auf den Bau eines Staudamms in seinem Territorium reagieren. Denn durch den Bau des Staudammes müssten mehrere Tausend des siebentausend Menschen zählenden Stammes ihr Land verlassen.

Zwei südindische Bundesstaaten im Streit um das Wasser.
Nur nach massivem Druck der indischen Bundesregierung in Neu Delhi öffnete der Bundesstaat Kornataka die Schleusen seiner Stauseen um Wasser für die verdorrten Erntefelder des Nachbarstaates freizugeben. Der Mangel an Wasser und die Besitzergreifung von Wasserresourcen durch einzelne Staaten oder Interessen einzelner Gruppen werden weltweit immer häufiger zum Grund von Protesten und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Wasser wird zunehmend zum umkämpften Schatz. Der Kampf um das Wasser ist für viele Menschen der Kampf ums Überleben.

Hilft hier das Wort Jesu aus dem heutigen Evangelium weiter, der am Jakobsbrunnen fast lapidar über dieses lebensnotwendige Brunnenwasser sagt: „Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen!“

Welchem der verdurstenden Menschen unserer Tage hilft das weiterführende Wort Jesu: „Das Wasser das ich gebe, ist das Wasser ewigen Lebens“.

Klingt das nicht nach einem oberflächlichen und somit schwachen Trost, der auf das jenseitige Heil verweist und die konkrete Not der Menschen damals wie heute zu missachten scheint? Doch wenn wir in diesen Worten Jesu eine schnelle Antwort suchen auf die Wasserknappheit in anderen Ländern und die damit verbundene Überlebensnot vieler Menschen werden wir dieser Botschaft Jesu nicht gerecht.

Schauen wir genauer auf die Szene am Jakobsbrunnen:
Jesus selbst bittet die fremde Frau am Jakobsbrunnen, die ein Schöpfgefäß in ihren Händen hält, um Hilfe: Gib du mir bitte zu trinken, spricht er die fremde Frau an. Jesus war den ganzen Tag mit seinen Jüngern unterwegs. Jetzt sitzt er erschöpft am Brunnen während seine Jünger etwas zum Essen besorgen. Jesus hat einfach Durst aber er bittet diese Frau nicht um das Recht Wasser nehmen zu dürfen, sondern er bittet um Unterstützung damit er an das Brunnenwasser, das allen gehört, überhaupt dran kommt. Jesus braucht das alltägliche Trinkwasser wie jeder andere Mensch damals wie heute auch.

Diese ganz persönliche Bitte Jesu wird heute da zu einer universalen Aufforderung, wo Menschen Durst erleiden. Die Bitte des durstigen Jesu ist heute der Hilfeschrei durstender Menschen an die, die die Macht haben, Wasser zu verteilen, Brunnen zu bauen, Schleusen zu öffnen. Es ist der Hilfeschrei der durstigen Menschen an die Industrienationen, das Weltklima nicht zu verschmutzen und so zu verändern, dass Niederschläge sich verringern und die wasserlosen Regionen sich deswegen ausweiten.

Es ist der Hilfeschrei der durstigen Menschen an die westliche Welt, menschliche und technische Hilfe ausreichend zur Verfügung zu stellen, um Wasserresourcen zu gewinnen und zu sichern. Es ist die Bitte der durstigen Menschen, an die Menschen, die keinen Durst mehr kennen, im Wasser den Schatz menschlichen Überlebens zu erkennen.

Doch dieser bittende Jesus, der die Hände nach dem ausstreckt, was allen Menschen gemeinsam gehört und was nie in Privatbesitz sein darf, nämlich Wasser, ist gleichzeitig der schenkende Christus! Christus schenkt denen, die ihn bitten etwas, was nicht zu den natürlichen Resourcen dieser Welt gehört, ein Leben das keinen Durst mehr kennt. Christus ist die Quelle der Zukunft, in der der immer neue Durst nach Leben endgültig gestillt ist. Christus ist die Quelle ewigen Lebens, ein Angebot, dessen Tragweite nur der im Glauben bittende Mensch erahnen kann.

Der Jakobsbrunnen birgt wie jeder andere Brunnen dieser Welt quellendes Wasser, das wir Menschen zum Leben brauchen. Jesus Christus ist die einmalige Quelle, die wir Menschen brauchen, um dieses Leben zu überleben. Der konkrete Aufruf Jesu Christi an uns Christinnen und Christen lautet: Gebt den Menschen, die Durst haben, das alltägliche Wasser, damit sie leben können und gebt den Menschen, die getrunken haben, mein Wort, damit sie in der Annahme meines Wortes, das Geschenk des Überlebens erleben.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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Heiligabend hinter erleuchteten Kneipenfenstern

Heiligabend durch die Straßen einer Stadt zu schlendern, hat etwas Eigenes. Auf Menschen treffe ich kaum, nur vereinzelt huschen sie durch die sich zur Nacht wandelnde Dämmerung, in Festtagskleidung und mit verpackten Präsenten in der Hand. Die Ampeln spielen ihr Farbenspiel allein, zu regeln gibt es um diese Zeit nichts. Auffallend wenige Fenster sind erleuchtet, pro Wohnung vielleicht so ein bis zwei, wenn überhaupt. Bunte Lichterketten und erleuchtete Sterne schmücken sie. Auf den Fensterbänken fast obligatorisch: der Weihnachtsstern und das Gesteck. Nur gedämpftes Flackern, hier und da gemischt mit dem kalten blauen Licht der Fernsehröhren, keine Stimmen, keine Musik dringen nach draußen. Aus den großen, bunten Kirchenfenstern flutet feierlich anmutende Atmosphäre in die leblosen Straßen.

Einige Meter vor mir geht langsam eine Tür auf, eine ältere Dame betritt zügig den Fußweg, ihr intensiv schnuppernder Hund marschiert zielstrebig zum nächsten Baum und: Beinchen hoch! So schnell, wie sie die Kneipe verließen, sind sie auch wieder in ihr verschwunden. Für Sekunden drängen Wortfetzen und leise Musik durch die sich schließende Tür auf die Straße, dann wieder Stille. Auf der Höhe der Kneipe zügele ich meinen Gang. Durch die leicht grün und gelb eingefärbten Butzenscheiben erkenne ich einige Frauen und Männer am Tresen und den Wirt, der, auf die Zapfsäule gestützt, mit einem seiner Gäste mit Händen und Füßen spricht. Im Weitergehen stelle ich mir die Frage: Warum haben ausgerechnet am Heiligen Abend diese Menschen eine Kneipe angesteuert? Wollen sie mit Weihnachten nichts am Hut haben? Gab es da niemanden, mit dem sie am heimischen Tannenbaum feiern könnten? Hatten sie Angst vor zuviel Gefühl und Stimmung, flüchteten sie vor der Erinnerung, oder war es die Angst vor der allmächtigen Einsamkeit, die kaum so entlarvend ist wie am Heiligen Abend?

Einmal um den Block gegangen, werden meine Schritte vor dem Kneipenfenster wieder langsamer. Meinem verstohlenen Blick in die Kneipe bietet sich dasselbe Bild wie eben, nur der Wirt ist jetzt in Funktion und zapft Bier. Noch langsamer gehen, hieße stehen bleiben. Soll ich reingehen? Mir fehlt noch der Mut. Diese Menschen könnten ja denken, ich hätte niemanden, der mit mir feiern wollte, könnte meine Einsamkeit nicht ertragen oder würde weglaufen vor zuviel Gefühlen. Noch einmal um den Block. Dann, mit einem kräftigen Ruck, öffne ich die Kneipentür, weniger hätte es auch getan, und gehe hinein, direkt an den Tresen. Die Köpfe der wenigen Kneipenbesucher drehen sich für einen Moment zu mir, um sich dann wieder einander zuzuwenden. Nur die weihnachtliche Musik im Hintergrund verhindert Sekunden absoluter Stille. Freundlich fragt mich der Wirt, was ich denn trinken wolle, und nach fünf Minuten lächelt mich ein Pils an. Etwas unsicher wandert mein Bild durch den Gastraum. Keiner der Tische ist besetzt, der hintere Teil des Raumes ist abgedunkelt, und ein richtiger Tannenbaum mit elektrischen Kerzen versucht sein bestes, um weihnachtliche Stimmung zu verbreiten. Neben der Toilettentüre trägt ein monströser Kleiderständer zum Ambiente des Raumes bei: Auf die Garderobe ist selbst zu achten. In dieser Kneipe würde es niemandem entgehen, wenn man auch nur einen der Mäntel länger als zwei Minuten angeschaut hätte. Ich konzentriere meinen Blick wieder auf die langsam einfallende Pilskrone vor meiner Nase.

„So Weihnachten mit richtig Schnee wäre ja auch wieder mal an der Zeit“, sagt der Wirt in meine Richtung. Ein anderer Gast hat schneller eine passende Frage zur Hand als ich: „Wann hatten wir eigentlich das letzte Mal weiße Weihnacht?“ Kaum am Gespräch beteiligt, bin ich auch schon wieder mit meinem Pils allein.

Keiner der Gäste schweigt. Eine Frau summt die Lieder von der CD mit, während der Mann neben ihr mit zwei anderen Gästen knobelt und sie einander die Augen der Würfel zurufen, mal mit einem Fluch versehen, mal mit einem siegessicheren Lachen. Andere unterhalten sich sehr intensiv, jedoch für mich kaum verständlich, da sie Platt sprechen. Eine Dame mir gegenüber liest ihrem Begleiter, der seine Hand auf ihre Schulter gelegt hat, aus dem Journal vor, das vor ihr liegt. Der Wirt hat über-haupt keine Mühe, sich neben dem Ausschank in jede Unterhaltung kompetent einzuklinken. Selbst mit dem Hund spricht er ab und zu, auch wenn er ihn nicht sehen kann, da dieser zu Füßen seines Frauchens schläft. Alles, was das Leben so hergibt, ist hier wohl Thema: der Krieg, die Kinder, die Steuerreform, die Baustelle gegenüber, die Weltranglistenerste der Tennisdamen, die neue Pommesbude um die Ecke, die eine oder andere Krankheit und Erinnerungen, wie alles und jedes irgendwann mal halt war, halt all das, was Leben so hergibt. Mir scheint, als fühlten sich diese Menschen hier wohl. Kaum etwas zu spüren von meiner vermuteten Einsamkeit dieser Menschen, der Verdrängung von Erinnerung oder sentimentaler Gefühle. Der einzige, der hier einsam ist, bin ich selbst, und ich werde das Gefühl nicht los, als stünde das mit großen Buchstaben auf meiner Stirn. Ich zücke meine Geldbörse, trinke den letzten Schluck, antworte auf die Frage des Wirts: „Nichts mehr?“ mit „Nein, danke“, zahle und verlasse diesen gastlichen Ort mit einem „Auf Wiedersehen“ auf den Lippen, worauf ich prompt vom Wirt und von einigen Gästen ein „Frohes Weihnachten“ ernte. Meinem letzten Blick durch das Fenster in die Kneipe bietet sich dasselbe Bild wie vor einer halben Stunde. Aus welchen Gründen sie gekommen sind, weiß ich auch jetzt nicht. Doch was sie hier tun, ist mir klar geworden, sie löschen ihren Durst nach Gemeinschaft.

Aus „Mit beiden Beinen auf der Erde“, Bergmoser + Höller Verlag, 1996.
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Alle Jahre wieder der gute Vorsatz

Faxbox-Predigt zum Neujahr 1996

Noch sind sie frisch, die gut gemeinten Wünsche zum neuen Jahr, die in unseren Ohren noch nachklingen: „Ein frohes Sechsundneunziger“, „Zum neuen Jahr alles Gute“, „Gottes Segen in 1996″…

Vom Bundeskanzler bis zum Präsidenten, vom Arbeitskollegen bis zur Marktfrau, vom Pfarrer bis zur Ärztin, vom Friseur bis zur Nachbarin, vom Vater bis zur Tochter, sie alle haben für uns, so auch wir für sie, eben einen guten Wunsch fürs neue Jahr. Doch was steckt eigentlich konkret hinter diesen Wünschen „Ein frohes neues Jahr“…. Meist bleibt keine Zeit dem nachzusinnen oder nachzufragen, denn kaum ist der Wunsch ausgesprochen, ist man meist schon außer Sichtweite.

Da hilft uns vielleicht eine Umfrage des Forsa-Institutes weiter, die nachgefragt hat, was sich die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger selbst für 1996 wünschen bzw. sich selbst vornehmen. Denn ein guter Vorsatz für sich selbst, also etwas, das man ganz bewusst in die eigene Hand nimmt, ist ja auch ein guter Wunsch für den Anderen, dass auch er in seinem Leben etwas ganz bewusst neu anpackt. Doch bei dieser Umfrage schauen wir erst einmal in die Röhre, denn 50% der Befragten haben keinen besonderen Vorsatz. Das lässt zu wünschen übrig. Jedoch 16% der Befragten hat zu mindest den Vorsatz gesund zu leben. Das wäre doch schon ein guter Wunsch auch für andere. Der Vorsatz, mehr Engagement im Beruf, den 14% beschlossen haben, ließe sich sicherlich auch so manchem wünschen. Die 7%, die mit dem Rauchen aufhören wollen, kann man nur mit einem kräftigen Wunsch unterstützen.

Im Vergleich zu Vorjahren ist es schon sehr auffällig, dass die Menschen, die in Deutschland leben, immer weniger Mut zu einem Vorsatz haben, sich selbst weniger wünschen, weniger bewusst anpacken wollen.
Was bedeutet das?

Sind wir schon so perfekt, dass wir den Wunsch zum guten Vorsatz nicht mehr nötig haben? Oder gehen die meisten auf Nummer Sicher nach dem Prinzip: Kein Vorsatz und, so bei nicht gelingen, auch kein Frust. Ist es vielleicht nur Gedankenlosigkeit? Oder ist es Fatalismus nach dem Motte „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“. Ein solcher Fatalismus mag bei manchen entstanden sein auf dem Hintergrund einer hier etwas scherzhaft formulierten Erfahrung: An einem ganz misslungenen Tag, sprach eine Stimme zu mir: „Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen“. Und ich lächelte, und ich war froh, und es kam schlimmer. Verbirgt sich etwa hinter dieser zunehmenden, uns selbst betreffenden, Vorsatzlosigkeit und Wunschlosigkeit die Hoffnung, möge das kommende Jahr soweit wir es selbst im Griff haben mehr oder minder so bleiben wie das vergangene Jahr?

Ein in diesem Sinne letztlich auf Nummer Sicher gehen wollen, heißt im gerade begonnenen Jahr bewusst und gewollt auf der Stelle zu treten.

Ein, aus eigener Kraft, nichts bewegen wollen. Wenn wir kaum noch wünschenswerte Vorsätze für uns mehr haben, dann lassen wir uns nur noch durch das Bewegen, was um uns herum geschieht, was von außen auf uns einwirkt. Kurz gesagt bedeutet dies: Den eigenen Status quo halten ansonsten Fremdbestimmung!

Einer solchen Haltung läuft Eindeutig das Evangelium des heutigen Tages entgegen. Würde die eben erwähnte Umfrage vor fast 2000 Jahren am Jordan gemacht worden sein, dann würde der Vorsatz eines Menschen alle anderen ins Staunen versetzen, der Vorsatz Jesu. Jesu Vorsatz ist es, den Menschen zu sagen, dass Gott ein unerschütterliches Interesse an jedem einzelnen Menschen hat und weiter sagt Jesus: Ich wünsche mir, dass Ihr durch mich spürt, wie verliebt Gott in Euer Leben ist. Diesen Vorsatz und Wunsch nimmt Jesus in die eigene Hand. Er tritt nach 30 Lebensjahren aus der Unbekanntheit heraus mitten in das Leben der Menschen. Jesus reiht sich ein in die religiöse Tradition seines Volkes und lässt sich von Johannes taufen. An dieser Stelle nun versucht der Evangelist Matthäus einen gigantischen Augenblick im Bild festzuhalten. Eine Stimme aus dem Himmel offenbart: „Das ist mein geliebter Sohn“. Das eigene Leben, das dieser geliebte Sohn Gottes, das Jesus selbst in die Hand nimmt, ist die Tuchfühlung Gottes mit den Menschen. Dieser neue Abschnitt im Leben Jesu ist die Liebeskundgabe Gottes bis ins Heute an Sie und an mich. Diese Wende in Jesu Leben wendet das Leben der Menschen durch die einmalige Zusage: Mensch, zum Heil bist Du bestimmt! Jesu nimmt sein Leben in die Hand, er richtet es ganz konkret auf sein Wünschen und seinen Vorsatz aus, Erzählung von Gott zu sein, und geht seinen Lebensweg konsequent als die Liebe Gottes. Da dürfen wir einfach dankbar sagen, wie gut, dass Jesus nicht auf der Stelle getreten ist und in der Verborgenheit blieb. Wie gut, dass Jesus nicht wartete bis man ihn rief, sondern selbst aktiv wurde und sich mitten in das Leben der Menschen stellte. Hätte er still gehalten, wäre es um uns still und hoffnungslos geblieben.

Zu Beginn diesen neues Jahre sei die Frage erlaubt: Was würde Jesus uns als Vorsatz mit auf den Weg geben, was würde er uns wünschen für das Jahr 1996?

Vielleicht klänge es so:

„Du Mensch, sag heute ein neues Ja zu Deinem eigenen Leben und in Deinem Leben ein neues Ja zu mir“.

„Du Mensch, und wenn Du merkst, dass durch Dein Ja zu mir in Deinem Leben Du eigentlich etwas mehr Zeit für das Leben Anderer haben müsstest, so nimm Dir diese Zeit“.

„Du Mensch, und wenn Du merkst, dass durch Dein Ja zu mir in Deinem Leben, Du eigentlich etwas vergebungsbereiter sein solltest, so sei es doch“.

„Du Mensch, und wenn Du merkst, dass durch Dein Ja zu mir in Deinem Leben Du eigentlich etwas geduldiger mit Dir und den anderen sein solltest, dann gönne Dir diese Geduld“.

„Du Mensch, und wenn Du merkst, dass durch Dein Ja zu mir in Deinem Leben Du nun eigentlich … dann …“

(Prediger bzw. Predigerin bleibt eine halbe Minute in Stille am Ambo stehen.)

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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