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Der Blick in den Kleiderschrank, ein Bußakt

Sich anziehen und ausziehen ist ein tägliches Ritual und ist verbunden mit der Frage: Wo komme ich her, wo gehe ich hin und was ziehe ich dazu an?

Mit dieser Grundfrage des Menschen bzw. der Menschheit, wo komme ich her und wo gehe ich hin, stehen wir täglich vor unserem oft reich bestückten Kleiderschrank und versuchen dort eine kleidergestützte Antwort auf diese Frage zu finden: Und was ziehe ich dazu an?

Es sind Situationen und Befindlichkeiten, die die Auswahl unserer Kleidung in der Regel lenken: Arbeitsbedingt sollte sie praktisch sein, zum Feiern festlich, in der Clique trendy, zum Trauern bedeckt, beim Sport locker oder im Gericht seriös.  

Kleidung kann aussagen: Ich bin wichtig, ich habe Macht, ich kann mir etwas leisten, ich schlüpfe in eine Rolle, ich bin verkleidet oder ich bekleide ein Amt. Ja, oft trifft noch zu, was Gottfried Keller in seiner gleichnamigen Novelle formulierte: „Kleider machen Leute“. Aber auch Ordnungen und Ränge schaffen Kleider, besonders in ausgeprägten Hierarchien wie im Militär, in der Polizei und auch in den großen christlichen Kirchen und ihren Zeremonien. Dabei kehrt ein Ritual verlässlich wieder, unabhängig welche Kleidung wir angelegt haben; das Ritual, sich zu entkleiden und wieder zu bekleiden. Sich immer wieder auszuziehen und in Folge auch immer wieder anzuziehen ist nicht nur eine fast „bewusstlose“ rituelle Prozedur, sondern auch Ausdruck der Eigenständigkeit innerhalb der Begrenztheit, sonst nackt zu bleiben. Sich selbst nicht mehr an- oder ausziehen zu können, das Ritual also nicht mehr eigenständig zu vollziehen, ist Verlust von Eigenständigkeit, die an der eigenen Würde kratzt.

Unser Be- und Entkleiden verdanken wir dem Biss in den Apfel, die verbotene Frucht vom Baum, der Erkenntnis von Gut und Böse. Diese „Tatsache“ ließ in Folge wissen, was es bedeutet, nackt zu sein und aufgrund dieses Nacktseins Scham zu empfinden.

Dem existentiellen Bedürfnis des Menschen damals, konkret Adam und Eva, die erkannte Nacktheit nun bedecken zu wollen, kam Gott mit dem „Geschenk“ des „Fellkleides“ (Gen 3,21) entgegen, und so nahm die Geschichte des sich An- und Ausziehens des sterblichen Menschen zwischen Geburt und Tod ihren Lauf.

Vor diesem Hintergrund ist heute jeder Blick in den Kleiderschrank ein Bußakt ob des verlorenen Paradieses. Mit der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies wurde die Beschreibung von Natur und Kultur erst relevant.

Die „Geburt“ der Unterscheidung von Natur und Kultur ist anzusiedeln um den Beginn des sich an- und ausziehenden Menschen, durch den Verlust der „selbstverständlichen“ Nacktheit.

In Folge dieses Verlustes sind der Akt der Barmherzigkeit Gottes (das Fellkleid) und der ihr innewohnenden bleibenden Menschenwürde zum verbrieften Menschenrecht gereift. Der Mensch hat das Recht bekleidet zu sein. Aus dem 7. Jh. vor Christus belegt eine beschriftete Tonscherbe das Anrecht eines Taglöhners, das einzige Gewand, welches er als Pfand ablegte und damit nackt war, zurückzufordern.

Auch wenn Bekleidung in einigen Kulturen unterschiedlich gewertet wird, so bleibt die Erkenntnis Erbe: „Nackt fühlen wir uns nicht mehr so richtig wohl, gerade wenn drumherum alle angezogen sind.“

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