Hätten Sie geschwiegen, wenn Ihnen so etwas Unvorstellbares passiert wäre? Rückblick: Jesus hatte Mitleid mit dem Aussätzigen; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: „Ich will es – werde rein!“ Sogleich verschwand der Aussatz, doch Jesus verbot ihm, darüber zu sprechen.
Wer zur Zeit Jesu unheilbar krank war, deshalb von der Gesellschaft ausgeschlossen wurde und dann auch noch mit der Vorstellung lebte, dass die Krankheit eine Strafe Gottes sein könnte, der war gesellschaftlich abgemeldet.
Konnte Jesus nicht abschätzen, was eine Heilung für diesen Menschen bedeutet, weshalb er verbot, von dem Ereignis der Heilung zuerzählen oder sie gar hinauszuposaunen? Hatte Jesus Angst, dass sich herumspricht, wozu er in der Lage ist? Hatte er die Sorge, so reduziert zu werden und lediglich als ein oberfächlicher Heiler, ein Medicus für alle Fälle angesehen zu werden? Oder aber geht es hier um eine Heilung, die eine neue Gesellschaftsfähigkeit in der alten Gesellschaft zur Folge hat?
Eine Redensart, die mir immer wieder mit Blick auf unsere Gesellschaft nachgeht, lautet: „Gesund sein bedeutet, die Krankheiten der Nachbarn zu haben.“ Anders formuliert: Wer nicht im Takt ist mit der Selbstdarstellung „seiner“ Gesellschaft, und so ihrer Vorstellung von Gesundheit nicht entspricht, der läuft Gefahr, als krank abgestempelt, in Quarantäne abgeschoben zu werden.
Heilt Jesus den Aussätzigen „nur“, um ihn wieder gesellschaftsfähig zu machen – mit den Worten der Redensart gesagt, dass er wieder die „Krankheiten der Nachbarn“ hat? Wird der Geheilte dann wieder gedankenlos seinem früheren Alltag nachgehen? Oder lässt ihn die Frage nicht los, wie stark die heilende Kraft Jesu ist?
Um dem auf den Grund zu gehen: Ist der Geheilte vielleicht Jesus nachgegangen, wurde zu einem seiner Zuhörer, dem die Worte Jesu tief unter die Haut gingen, was ihn in seiner Gesellschaft hat unruhig werden lassen? Könnte doch sein! Was der Geheilte allerdings nach seiner Begegnung mit Jesus gemacht hat, ist nicht belegt. Aber trotzdem steht mit der Heilung in die vertraute Gesellschaft hinein die Frage da: Wer sind eigentlich die Gesunden und wer die Kranken?
Eine Gesellschaft, die ihre Mitmenschen ausgrenzt, krankschreibt und diskreditiert, entspricht nicht dem Miteinander, wie Jesus es vorlebt. Er entlarvt die Argumente der Menschen als krank, die Mitmenschen als nicht gesellschaftsfähig aussortieren. Er heilt Ausgesetzte, um in der Gesellschaft die Krankheitsherde zu lokalisieren, die das Recht beanspruchen, andere in Lieblosigkeit, Gottlosigkeit und Würdelosigkeit auszugrenzen. Die Heilung damals richtet unseren Blick auf die Entwicklung unserer Gesellschaft heute.