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Werde und liebe, wer du bist!

Hirten, einfache Menschen, berichteten von dem, was ihnen über das Kind im Vorhinein mitgeteilt worden war. Und alle staunten über das, was sie nun über dieses Kind hörten und somit auch meinten zu wissen. Und als die Besucher von Bethlehem Krippe und Stall wieder verließen, da hatte jeder von ihnen ein konkretes Bild im Kopf von dem, was aus diesem Baby, dem Christuskind, einmal werden würde. Diese Bilder in ihren Köpfen trugen die Krippenbesucher weit in die Welt hinaus. Es sind Bilder, die bis heute noch bewegen.

Aber nicht nur an der Krippe damals spielten Bilder eine Rolle. Heute ist es ebenso: Informationen über andere Menschen oder Sachen lassen Bilder in den Köpfen der Hörenden entstehen. Wortabfolgen können im Gehirn des Menschen zu Bildern zusammengesetzt werden, im Speicher des Wissens und des Meinens.

Auch Maria und Josef hatten wohl ein Bild im Kopf von dem, was aus ihrem kleinen Jesus einmal werden sollte, zum Beispiel ein guter Handwerker, ein erfolgreicher Fischer mit kleinem Unternehmen, oder ein Prophet, wie andere auch, die noch im hohen Alter von ihrer Weisheit profitieren. Doch Jesus ist seinen Weg gegangen, unverwechselbar und einmalig. Seinen eigenen Weg ist er gegangen, der aber nicht den Bildvorstellungen seiner Eltern und wohl anfangs auch nicht seinen eigenen entsprach.

Wie Jesus trägt jeder Mensch mit der Geburt etwas Unverfügbares in die Realität, etwas einmaliges, dieses ich, das drängt, als Unikat entfaltet werden zu wollen. Sicherlich sind neben den genetischen Anlagen die Umgebung, Bildung, und soziale Vernetzungen bei der Entfaltung eines Kindes von Bedeutung. Auch der heranwachsende Jesus hatte mit all dem zu tun, was auch seine Altersgenossenbeschäftigte. Josef und Maria waren für ihr Kind da, haben ihn seine Realität wie die Pubertät erleben lassen, die nur schmerzlich und in Unfriede hätte abgewandt werden können.

Seine Eltern haben Jesus vorgelebt, den jüdischen Glauben als Mittel zum Leben zu erfahren, Ehrlichkeit als geschuldeten Umgang miteinander, Engagement als Gestaltungskraft, Verlässlichkeit als Anerkennung des Anderen und Barmherzigkeit als Kultur. In diesem Aufgehobensein ging Jesus seinen unverwechselbaren Weg, an allen Bildern der Vorstellung vorbei – auch an denen der  eigenen Eltern. Den Bildern von der Zukunft eines Menschen sollten wir nicht zu viel Macht geben. Hilfreicher wäre es, den Kindern „Pinsel, Farbe und Leinwand“ an die Hand zu geben, die Befähigung, den eigenen Weg zu finden, auch jenseits anderer Bilder. So ist für ein Kind zu hoffen, beziehungsweise für den Menschen jeden Alters, dass ein Mensch sorgend für ihn da ist mit diesem Bild im Kopf: „Lass doch wachsen, werde und liebe, wer du bist.“

Erschienen in: Katholische SonntagsZeitung für Deutschland, 25. Dezember 2016 /1. Januar 2017
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