Umgewidmete Kirchen als Orte christlicher Identitätsbildung?
Der erste Ortsverlust der Menschheit „Dumm gelaufen“ hätte man ihnen spöttisch hinterherrufen können. Gemeint sind Adam und Eva, als sie fast beiläufig, bedingt durch einen aus ihrer Perspektive „klein“ wirkenden Regelverstoß, die existentielle Erfahrung machen mussten, ihren Ort des Lebens verloren zu haben, den Garten Eden, das Paradies. Doch erst durch den Verlust des „Ortes“ haben Adam und Eva überhaupt erkennen können, einen „Ort“ gehabt zu haben, und ihn, allerdings erst im Verlust, wohl wertgeschätzt. Die Vertreibung aus dem Paradies, reduziert nur auf den Weg aus dem Paradies, kann so auf den Punkt gebracht werden: Im Verlust des „ersten Ortes der Menschheit“ hat der Mensch Ortskenntnis erlangt. Tja, „dumm gelaufen“, hätte ihnen nachgerufen werden können, wenn es da jemanden gegeben hätte, der hätte rufen können, außer Gott, aber solch ein Rufer hätte ja schon im Paradies die Erkenntnis besessen, vor Ort zu sein.
Die Geschichte des Menschen beginnt also in seiner biblischen Verdichtung der Genesis mit dem Verlust des Ortes und der Erkenntnis, dass es ihn gibt. Seitdem lebt der Mensch mit seiner Vergänglichkeit in „Raum und Zeit“, wissend um sein Ortsgebundensein, alltäglich von Ort zu Ort. So spannt sich das Leben eines Menschen ortsbezogen aus zwischen seinem individuellen Da-sein und seinem nicht mehr Dasein.
Die biblische Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies bezeichnet damit einen realen Ort, einen, der mit allen Sinnen des Menschen erlebbar war. Damit ist aber die Deutung dieser Erzählung längst nicht erschöpft, worauf ich aber hier nicht weiter eingehen werde, da es hier um das Thema Ort und dessen Verlust im besonderen gehen wird.
Leben ist ortsgebunden
Physische Orte sind „begehbare Ereignisse“ die den Menschen u.a. hören, schmecken und riechen lassen, an denen er den Wind spürt, sich den Knöchel verstauchen kann und vielleicht geküsst wird, so richtig …. Orte sind Voraussetzung für die alltäglich aktuellen Lebensvollzüge, aber auch die Verortung vergangener Ereignisse. Unser Leben und damit verbunden auch unsere Erinnerungen sind an Orte gebunden. Wir brauchen physische Orte (Gedenkstätten, Wallfahrtsorte oder Denkmahle) der Erinnerung z.B. an unsere Vorfahren um aus unsere Geschichte Gegenwart und Zukunft klarer deuten zu können, Orte also der Fassbarkeit, der „Anfassbarkeit“ vergangener Menschen, bzw. dessen, was ihnen widerfahren ist und mit ihnen einer Gesellschaft oder Gruppen.
Herkunft des Begriffes Ort
Der Begriff Ort ist abzugrenzen von dem Wort Stelle, das sich vom Verb stellen herleitet; vom Wort Platz, das mittelalterlich geprägt für freien Raum steht; und von dem Wort Fleck, das Stücke aus einem Material bezeichnet. Umgangssprachlich werden die Worte Ort, Stelle, Platz und Flecken oft bedeutungsnah verwandt. [1] Diese Bezeichnungen allerdings werden der Bedeutung des Begriffes Ort nicht gerecht.
Der belegte literarische Erstgebrauch des Begriffes Ort findet sich in dem Hildebrandslied [2] in althochdeutscher Sprache [3]: Hildebrand und Hadubrand standen sich gegenüber: „Ort widar orte“, das bedeutet „Speerspitze gegen Speerspitze“. Umgangssprachlich ist dieser Ursprung noch in Redewendungen erhalten, so arbeitet z. B. der Bergmann an der Spitze eines Stollen unter Tage „vor Ort“. [4]
Geburt- und Sterbeort, Zuspitzungen des Lebens
Zwei Orte gehören zu jeder menschlichen Existenz, an denen sich das Leben zuspitzt. Einmal die Zuspitzung des Lebens aus dem Mutterleib heraus in der Geburt und dann die Zuspitzung des Lebens aus dem Leben hinaus in den Tod. Die Bedeutung des jeweiligen Ortes für den dort geborenen Menschen bewegt sich zwischen identitätsstiftend und belanglos. Auch ist der Ort des Gestorbenseins in der Wahrnehmung der Hinterbliebenen von unterschiedlicher Bedeutung zwischen identitätsstiftend und belanglos. Zwischen diesen beiden allgemeinen Orten menschlichen Daseins, dem Geburtsort und dem Sterbeort, verortet sich das Leben des Menschen.
Kategorie: Erinnerungsorte
Eine Kategorie von Orten zeichnet den Menschen gegenüber anderen Lebewesen besonders aus, die Orte persönlichen bzw. kollektiven sich Erinnerns. Nicht rein persönlich geprägte Erinnerungsorte dienen als „langlebige, Generationen überdauernde Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung und Identität“ [5] dem Menschen.
Viele Konzepte des „organisierten“ sich Erinnerns betonen die Verortung von Erinnerungen im Raum. Pierre Nora hebt hervor, dass sich kollektive Erinnerungen in irgendetwas, sei es in einem Ort, einer Persönlichkeit, einer mythischen Gestalt, einem Ritual, einem Brauch oder einem Symbol manifestieren. [6] Besonders die gemeinschaftliche Erinnerung bedarf immer eines Ortes, der als solcher das vergegenwärtigt dessen es sich zu erinnern gilt, oder aber eines beliebigen Ortes, an dem durch Personen, Rituale etc. Erinnerung geschieht. Orte bringen die Erinnerung auf den Punkt, der Ort spitzt das Gedenken zu.
Ort christlicher Erinnerung
In sakralen bzw. liturgischen Räumen, von denen viele in unseren Innenstädten befinden, spitzt sich besonders christliche Erinnerung zu. Die „Erinnerung“, die in ihrer einmaligen Verdichtung in der Liturgie zur Vergegenwärtigung wird, ist die Eucharistiefeier. Diese gemeinschaftlich kollektive Erinnerung ist einerseits konstitutiver Bestandteil der christlichen Identität („…tut
dies zu meinem Gedächtnis…“ [7]). Gleichzeitig aber ist dieses Konstitutivum Tag für Tag davon bedroht, immer mehr aus der Präsenz in die Nur-Erinnerung hinein zu schrumpfen mit der Gefahr, dem zunehmenden Vergessen einer Gesellschaft anheimgestellt zu sein.
Beides, die konstitutive Erinnerung als die Verlebendigung des „vergangenem Jesusereignises“ wie auch ein gegenwärtiges Schrumpfen in die Nur-Erinnerung von immer mehr Menschen und der Gefahr ihres realen Verlustes, haben mit Orten zu tun.
Fassaden christlicher Identität
Die abnehmende Zahl der Christen in unseren Breiten sowie das zurückgehende Bedürfnis der Christen, Eucharistie feiern zu müssen, machen deren lokale Verortungen, Speerspitzen der christlichen Identität, zunehmend überflüssig. So werden in erster Linie Kirchen (nicht Kapellen) in den urbanen Ballungsgebieten ihrer ursprünglichen Zweckbindung beraubt und umgewidmet [8] bzw. umgestaltet und so neuen Nutzungen zugeführt.
Trotz innerer Umnutzung bleibt die Außenansicht der Kirchen, primär Dank des Denkmalschutzes, öffentlich erhalten. Diese Räume, ehemals Orte christlicher Kultur, stehen in unseren Städten oft sehr zentral und sie verorten eine Botschaft. Diese Botschaft wird aber zunehmend zu einer verschlüsselten Botschaft, da im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Nutzung das Äußere des Gebäudes nicht unbedingt Rückschlüsse zulässt auf ihre aktuelle innere Nutzung. Kehrseite dieses Faktums ist, das durch die innere Umnutzung von Kirchen ihre ursprüngliche Funktion in Vergessenheit gerät, und somit die äußere Ansicht, von der ursprünglichen christlichen Kommunikation, die im Inneren des Raumes stattgefunden hat, nichts mehr wissen lässt. So ist zu bezweifeln, dass die Erinnerung zukünftiger Generationen an den früheren „inneren“ Gebrauch dieser Orte lebendig gegenwärtig bleiben wird. Anzunehmen ist eher, dass dieses Wissen an sich zukünftig nicht mehr dem Menschen aktiv zur Verfügung stehen wird (aktives Wissen), und somit zunehmend dem nachzuschlagenden
Geschichtswissen angehören wird (passives Wissen). Hier ein belegendes aktuelles Beispiel dieser Vermutung, jenseits einer möglichen Utopie die Kirchenräume betreffend: Der Generation, die den zweiten Weltkrieg primär oder auch sekundär „erlebt“ hat, braucht die Bedeutung eines Bunkers in mitten einer Stadt nicht vermittelt werden. Fragt man allerdings heute Jugendliche
auf der Straße, was es mit dem Gebäude (Bunker) auf sich hatte, deren Mauern sie gerade als „Torwand“ benutzen, dann suchen sie zunehmend oft eine Antwort im Reich der Spekulation. Der Verlust der Erinnerung an die Bedeutung von Räumen ist keine Utopie. Was Orte aus dem zweiten Weltkrieg ereilen kann, ein zunehmendes Vergessen ihrer Funktion, kann auch andre
Orte, beispielhaft hier der des umbauten Raumes vergangener Glaubenspraxis, ereilen.
„Alte“ Fassade – „neue“ Verortung
Diese Erkenntnis könnte folgenlos bleiben, sollte es aber nicht. Denn die Fassaden ehemaliger als Gottesdienstort genutzter „Kirchen“ [9] sind eine neue Möglichkeit, die zukünftige Innenstadtpastorat (Citypastoral) erweitert in unseren Städten zu positionieren. Damit fordert „altes Gemäuer“ verfasste Kirche und mit ihr Gesellschaft heraus, diese Fassaden über ihr „ich war
einmal eine Kirche“ hinaus zum Sprechen zu bringen. Hier böten sich Möglichkeiten, diese Orte von außen betrachtet zu neuen Orten der Vermittlung der christlichen Botschaft werden zu lassen, zumindest aber über diese Fassaden die biblische Botschaft ins Spiel der Vielfalt einer Stadt zu bringen. Dies wäre auch eine Herausforderung an die Pastoraltheologie und die Religionspädagogik. Ihre Aufgabe wäre, diese Präsenz der Kirchenfassaden pastoraltheologisch und religionspädagogisch in den Blick zu nehmen und sie zu neuen Ausgangsorten christlicher Kommunikation werden zu lassen.
„Altes“ Gemäuer – Teil im Netzwerk
Ausgangspunkt: Der Mensch braucht Orte, Orte der Erinnerung um auch aus ihr heraus Zukunft zu deuten und zu gestalten.
Die neue Frage lautet: Wie können Kirchenfassaden zu neuen Ausgangsorten christlicher „Bewegung“ werden. Konkreter gefragt: Wie können Menschen, die Kirche sind, an altem Gemäuer etwas „Neues“ in Bewegung bringen? Mit dieser „neuen“ Frage muss aber auch in den Blick genommen werden, dass diese nicht nur als Einzelfrage behandelt werden sollte, sondern immer als Frage in einem Netzwerk von Fragen nach anderen Orten christlicher Kommunikation. Dazu gehören vorhandene Orte ebenso wie jene Orte, die aus der Erinnerung heraus wieder aktiviert werden könnten. Mit der Frage nach der „Verkündigungspotenz“ alter Kirchenfassaden muss die Frage verbunden werden wie wir vorhandene Orte pflegen, neue Orte schaffen, aber auch aus der Tradition vergessene Orte neu beleben.
Ich möchte hier vorwiegend ein wenig „spinnen“, oder, passender formuliert, bestimmte Gruppen einladen, mit zu „spinnen“, wie „altes“ Gemäuer pastoral neu in den Blick genommen werden kann. Darüber hinaus sollen auch „vergessene“ Orte aus der Tradition, mitunter auch in neuer „Kombination“, ins Gespräch gebracht werden.
„Altes“ Gemäuer – wovon erzählst du morgen?
Die ehemals als Kirchen genutzten Objekte sind oft in andere Besitzerhände überführt worden, um ehemals kirchliche Besitzer finanziell zu entlasten. Damit gehören viele dieser ehemals als Kirchen genutzten Immobilien nicht mehr der Kirche. Wir gehen also der Frage nach, wie ein umgenutzter Kirchenraum nur aufgrund seiner allen zugänglichen optischen Präsenz in der Glaubensverkündigung genutzt werden kann.
Betrachten wir das „alte“ Gemäuer einmal nur als einen Ort der Erinnerung. Wofür werden die Fassaden ehemaliger Kirchen zukünftig stehen, von was werden sie erzählen bzw. was werden sie in Erinnerung rufen? Werden diese Mauern für eine Kirche stehen, die für die Botschaft eines Mannes Namens Jesu von Nazareth eintritt und die Anfang eines neuen Jahrtausend über Missbrauchsskandale in ihren eigenen Reihen Tausende ihrer Mitglieder durch Kirchenaustritt verloren hat? Werden diese Mauern für eine Kirche stehen, die in Konfessionen gespalten ist oder war, für eine, die hierarchisch geordnet den Laien kaum Mitsprache einräumt, für eine, die im Mittelalter Kreuzzüge organisiert hat, für eine, die reich an Kunstschätzen, Immobilien und Wertpapieren ist, für eine, die Stars hervorbrachte wie den Heiligen Papst Johannes Paul II., und den reformfreudigen Papst Franziskus, für eine, die zu den größten Arbeitgebern in der BRD zählt, für eine, die schon fast vergessen ist?
Wie lange wird es noch Menschen geben die Angesichts dieses „alten“ Gemäuers erzählen, dass sie noch jemanden kennen, der da früher getauft wurde, zur Kommunion gegangen ist oder dort geheiratet hat, Menschen die berichten, wie sie in der Kirche Messdiener waren, Weihnachten die Krippe aufgebaut haben oder Sonntags dort zum Gottesdienst gegangen sind? Wie lange werden in den Köpfen von Menschen noch Melodien rumgeistern, die ursprünglich ein Kirchenlied waren, Nasen „wissen“, wie Weihrauch in Verbindung mit Kerzenwachs riecht oder Augen Bilder eingefangen haben von einem festlichen Hochamt? Diese Kette der Fragen, an was man sich vielleicht auch bald nicht mehr erinnern wird, könnte noch weitergeführt werden, weil diese umgenutzten Orte eigentlich unendlich viel erleben ließen. Und wenn es noch Leute gibt, die davon erzählen, werden sie überhaupt noch verstanden werden; sprechen sie dann aus ihrer Erinnerung in einer Sprache, deren Vokabeln noch zum aktiven Wortschatz von Teilen der Gesellschaft gehören wird, oder wird ihre Erzählung wie in einer fremden Sprache klingen?
Die pastoralen Gestalter der Innenstädte (PGI)
Die zukünftigen pastoralen Gestalter der Innenstädte (PGI) werden sich überraschen dem „alten“ Gemäuer haften werden. Diese Tatsache entpflichtet uns aber nicht von der Beantwortung der Frage, insofern wir zu den zukünftigen pastoralen Gestaltern der Innenstädte gehören (wollen), was wir gerne hätten, das mit diesen Mauern zukünftig verbunden werden sollte. Die Beantwortung dieser Frage eröffnet weitergehende Fragestellungen, die als Netzwerk angesehen werden müssen und in Vernetzung auch Beantwortung finden sollten.
Erinnerung zur Bewegung
Zu diesen weitergehenden Fragen gehört, ob diese „alten“ Gemäuer zu Orten werden können, von denen eine Bewegungausgeht. Das wird nur realistisch als eine eventuelle Möglichkeit pastoralen Handels denkbar sein, wenn die Brücken der Erinnerung in die Gegenwart hinein ragen bzw. wenn die PGI neue Brücken zwischen vermittelter Geschichte und Gegenwart errichten können.
Was bewegen solche Erinnerungsorte? Welche Bewegung könnte von diesen Orten ausgehen? Vielleicht diese: Gewesenes nicht zu wiederholen, Verlorengegangenes neu aufzuheben, an Traditionen wieder anzuknöpfen, neugierig zu suchen was Kirche wieder neu sein könnte, Gleichgesinnten zu begegnen und mit ihnen weiter zu gehen, den Geist Gottes wirken zu lassen, durch Erzählerinnen und Erzähler Begeisterung zu wecken, die Korrektur allgemeiner Annahmen über die Kirche zu beleben, eine neu Sicht auf den Mitmenschen zu ermöglichen… Vielleicht aber fällt an diesen Orten einfach das Wort Gottes auf den Boden und Menschen heben davon etwas auf und etwas Ungeahntes kommt in Bewegung. Das hier Ausgeführte kann nur ein Anstoß sein, schon heute Ideen weiter zu denken, zu „spinnen“, wie zukünftig die PGI das umgewidmete Erbe unserer Gesellschaft ungewöhnlich, neu, auch provokant und in Korrespondenz mit anderen auch vorhandenen Orten des Glaubens, in den Blick nehmen könnten.
Welche Rolle in diesem Zusammenhang das WWW spielen wird, und es wird mit ihren sozialen Netzwerken eine Rolle spielen müssen, sollte bei der Ortsbestimmung von Glaubenssuche und Glaubenspraxis essentiell mit bedacht werden, was aber einer ergänzenden Betrachtung bedarf.
Stichproben zu Ort und Vollzug
Ein Ort erwächst aus dem gemeinsamen Vollzug, dem das Bedürfnis voraus geht gemeinsam Glauben vollziehen zu wollen, und dem voraus geht das Wissen um den anderen, der dieses Bedürfnis ebenfalls teilen will. Dem voraus geht der Glaube selbst oder das Glauben-Wollen, in dem die physische Zusammenkunft der Glaubenden begründet liegt.
Entscheidend für die Zukunft wird auch sein, mehrere Orte der Glaubenspraxis mit unterschiedlichen Bezügen aufeinander hin zu entfalten, zu denen dann auch die „umgewidmeten Kirchenfassaden“ gehören werden. Klassisch dienten und dienen Orte des Glaubens der Unterbrechung des Alltags oder deren Entschleunigung. Orte des Glaubens dienen aber auch der gemeinschaftlichen „Heiligung“ vor Gottes Angesicht in der Kommunikation mit ihm.
Stichproben um an vorhandenen Orten aktuell den christlichen Glauben neu zuzuspitzen:
- Zum Beispiel könnte das bedeuten, den früheren kleinen Ort des Weihwasserbeckens neben der Wohnungstüre wieder neu beleben. Dieser Ort ist mit der Erinnerung an die eigene Taufe verbunden, mit der Handlung des Sich-Bekreuzigens und dem Ausblick, gesegnet zu sein, und somit eine Zuspitzung.
- Alt und trotzdem fast neu wäre dieser religiöse Ort, die Feier des eigenen Namenstages. Den Namenstag besonders zu gestalten als Zuspitzung des eigenen Glaubens, gefeiert und so verortet in den eigenen vier Wänden. Natürlich würde auch dazu gehören sich mit dem betreffenden Heiligen oder Seligen auseinander zu setzen.
- Ein eher verrückter Ort des Glaubens wäre die eigene Wohnung, in der ein Sakralgerät als befristete Leihgabe den Glauben zuspitzen könnte: „Kelche oder Ziborien können in der Kommunionvorbereitung wie auch in der Vorbereitung auf die Firmung in die Familien der Aspiranten befristet für z.B. eine Woche „ausgeliehen“ werden. Ein Sakralgegenstand in den „eigenen vier Wänden“ ist nicht nur ein Eyecatcher, sondern er ermöglicht weitergehende Auseinandersetzungen.“ [10]
- In der Vorbereitung auf die Trauung spreche ich mit den Paaren über einen religiösen Ort in den eigenen vier Wänden, der der Kommunikation des Paares dient, wenn Funkstille angesagt ist. Einen zentralen Ort in der Wohnung schlage ich den Paaren vor, an dem die Traukerze stehen könnte, ein Kreuz hängen würde und Platz ist für kleine Zettel wie einem, auf dem stehen könnte: „Schatz, unser Streit ärgert mich, aber ich komme momentan nicht aus meiner Haut raus, bekomme den Mund selber nicht auf, bau mir bitte eine Brücke.“
- In einem Trauergespräch erzählte eine Freundin der Witwe, sie und ihr Mann hätten kürzlich unabhängig voneinander in einem Aachener Devotionaliengeschäft am Dom eine sehr minimalistische Darstellung eines Engels gesehen. Heute stehen die zwei die 40 cm hohen Figuren in ihrer Wohnung an einem bestimmten Platz. „Damit verorten wir unseren Glauben auch als Kraftquelle“, lautet ihre übereinstimmende „Ortsbestimmung“.
Die zukünftigen Orte einer gemeindlichen Innenstadtpastoral werden auch durch die PGI sich finden lassen, zwischen „altem Gemäuer“ und „traditionellem“ neu bewegt.
Anmerkungen:
- Siehe: Bollnow, Otto Friedrich. Mensch und Raum. Stuttgart, 10. Aufl age 2004, S. 38ff.
- Das „Hildebrandslied“ (auch: „Hildebrandlied“) erzählt die Begegnung zweier Helden. Sie stehen sich als Feinde gegenüber. Durch Befragung des Jüngeren erkennt der Ältere, dass sein Sohn vor ihm steht. Doch diese Erkenntnis kann den Kampf nicht verhindern. Mitten in dem Zweikampf bricht das Manuskript ab: Der folgende Text ist in Althochdeutsch geschrieben. Ihm schließt sich eine neuhochdeutsche Übersetzung an. Quelle: https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/hildebrandslied (29.02.2017)
- „Huneo truhtin: Dat ih dir it nu bi huldi gibu. Hadubrant gimahalta, Hiltibrantes sunu: Mit geru scal man geba infahan, ort widar orte. Du bist dir alter Hun, ummet spaher, Übersetzung: „(…)der
Herrscher der Hunnen. Das gebe ich dir nun aus Freundschaft! Hadubrand, Hildebrands Sohn, sagte: „Mit dem Speer soll der Held Geschenke annehmen, Spitze gegen Spitze! Du glaubst dich, alter Hunne, unmäßig schlau.“ Quelle: s. Anm. 2. - Bollnow, S. 38.
- Nach Etienne François und Hagen Schulze. Quelle: https://www.uni-oldenburg.de/geschichte/studium-und-lehre/lehre/projektlehre/regionale-erinnerungsorte/was-ist-ein-erinnerungsort/
- Vgl.: https://www.uni-oldenburg.de/geschichte/studium-und-lehre/lehre/projektlehre/regionale-erinnerungsorte/was-ist-ein-erinnerungsort/
- Siehe Lk 22.19, 1 Kor 11,24.
- Für Kirchengebäude die nicht unter Denkmalschutz stehen, das sind meist Kirchen die ab 1970 entstanden sind, wird auch der Abriss erwogen. Die folgenden Ausführungen dieses Artikels bieten
auch eine Argumentationshilfe, einen Abriss solcher Sakralbauten zu verhindern. - Trifft die Bezeichnung Kirche auf dauerhaft als solche nicht mehr benutzen Räume weiterhin zu, wenn in „Kirche“ nicht mehr drinnen ist was aber auf dem Etikett Fassade noch entzifferbar ist?
- Vgl.: Christoph Stender in: Pastoralblatt 5/2015, „Altes“ Sakralgerät neu zugemutet, S. 145ff.