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Weihnachten: Ansichtssache oder Fest der Ansicht?

Predigtentwurf für die Christmette in der Erlöserkirche in Aachen-Brand zu Heilig Abend. Gehalten am 24. Dezember 2009 um 18.00 Uhr.

Das Weihnachtsfest treibt die Bilder vor sich her, die wir uns von diesem Fest gemacht haben und machen. Sie kennen diese Bilder: Mal unspezifische Idyllen, oder konkretere Vorstellungen von der Geburt Jesu in Krippen aus Holz, in Keramik, als Designer Version oder Scherenschnitt.

Aber auch solche Bilder von Weihnachten sind bekannt: Familienidylle um jeden Preis, Kompromissveranstaltung zwischen Eltern und Kindern, Fluchtversuche in die Emotionslosigkeit oder Horrorszenarium in ungerechter Gesellschaft. Es gibt aber auch jene Bilder von der einfach schönen Weihnacht, romantisch und harmonisch im Kreise der Lieben.

(Auch die vier Evangelien der Heiligen Schrift bieten uns verschiedene, einander ergänzende Bilder von der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus an. Hätten wir nicht eben im Evangelium eher mit dem Bild der Hirten und Engel an der Krippe gerechnet und drumherum Maria und Josef, wie der Evangelist Lukas es zu Beginn seines Evangeliums aufgezeichnet hat, und es so schön zu der Heiligen Nacht passt? Statt dessen sprach das Evangelium der heutigen Heiligen Nacht von dem problematischen jungen Jesus im Tempel, einem anderen Bild der Präsenz Gott, menschgeworden in unserer Geschichte.)

Unsere Bilder vom Fest allerding machen Weihnachten zur Ansichtssache! Ansichtssachen sind beliebig, deine Ansicht, meine Ansicht und entsprechend wird gefeiert, wie auch immer, oder auch nicht, wie auch immer.

Das Weihnachtsfest selbst aber ist wesentlich von einem Bild getrieben, das allen Ansichten vorausgeht, ein Bild aus der Bildlosigkeit. Aus der Bildlosigkeit Gottes erreicht den Menschen ein dem Menschen vertrautes „Bild“, dessen Gott sich existentiell bedient, in das er einsteigt. Gott kommt im „Bild“, der Ikone der Menschwerdung, Gott wird Mensch in einem Kind. Er entfaltet sich in seiner Menschwerdung ganz „eigen Artig“ und trotzdem so wie Sie und ich und die Anderen Mensch. Er wird also wie sein eigenes Abbild, schuf doch Gott uns Menschen nach seinem Bilde, Mensch!

Gott wird Kind, er lässt sich zur Welt bringen, so wie der Mensch es kennt und verstehen kann, in der quälenden und beglückenden Geburt der Kinder dieser Welt. Die Wehen einer Frau namens Maria spülen Gott ins Leben, als Mensch unter Menschen.

Und da liegt es nun, dieses Kind in der Geschichte der Menschheit, ungeachtet unserer Ansichten vom Dasein und Wert des Menschen an sich. Und ob nun dieses Kind willkommen ist oder nicht, Gott richtet sich nicht nach unserer Ansicht, es ist da, weil er da sein will! Über Gott kann man nun „real“ stolpern, historisch belegt und literarisch nicht abtreibbar.

Gott liegt der Weltgeschichte in einem Kind vor! Und nun sucht die Geschichte zwischen historischer Aufarbeitung und poetischer Deutung der Menschwerdung Gottes gerecht zu werden, sie so auch zu interpretieren. In der Sprache der Theologie, also der „Fachleute“ in Sachen Gott, könnte das so lauten:

„Gott ist der Ansicht gewesen auffallen zu wollen unter Menschen, und wurde Mensch!“

Gott teilt dem Menschen seine Ansicht mit, wie er ansichtig, ansehnlich für den Menschen da sein will. Seiner Ansicht nach gelingt das am Besten in einem Kind und seiner Geschichte, die Leben, Sterben und Auferstehung Jesu Christi genannt wird. Maria und Josef sind die ersten die Gottes Ansicht mitgeteilt bekamen. Ihnen folgten Engel, Hirten, Könige, und bis heute Menschen, die angesichts der Menschwerdung Gottes sich eine Ansicht bilden wollen.

Gott ist in Jesus Christus der Ansicht, sich sehen lassen zu wollen! Das entscheidende und faszinierende der Geburt Gottes in diesem Kind namens Jesus ist aber nicht die Tatsache, dass Menschen wie Maria und Josef, die Hirten weiter über die Könige bis heute wir in die Krippe hineinschauen, um das Kind zu sehen. Nein, das Entscheidende der Menschwerdung Gottes ist, dass Gott uns mit den Augen eines Kindes anschaut: Sein fragender Blick provoziert unsere Ansicht. Er nimmt uns, wie auch die Menschen da hinten, die weiter von uns weg da sind, in den Blick. So ist der Menschen an all den Orten an denen er vorkommt „Ansichtssache“ Gottes. Gottes Ansicht nach also gehört der Mensch angeschaut und Gott tut es selbst in seiner Menschwerdung: Gott schaut Menschen an: Ob nun im Heiligen Land, in der Kirche Europas, den Wüsten dieser Welt, ob in der Region der Großen Afrikanischen Seen, den Krisen- und Kriegsorten nah und fern, oder an jenen Orten, an denen in Mitten des Wohlstandes Menschen frieren.

Gott schaut den Menschen an, egal wo er lebt, und fragt nach unserer Ansicht. Er fragt nach unserer Ansicht von Verantwortung, Lebensstil und Gerechtigkeit, auch den anderen, den Mittmenschen betreffend. Und er fragt konkret uns, Sie und mich nach unserer Ansicht:

  • Darf die Produktion einer Tomate 184 Liter Wasser kosten. Was ist Ihre Ansicht?
  • In Afghanistan starben bisher mehr als 35 deutsche Soldaten und viele andere mehr. Deutschland befindet sich im Krieg. Was ist Ihre Ansicht?
  • Atomkraft wird in unserem Land als saubere Energie verkauft. Aber: Durch die bergmännische Gewinnung von Uran werden viele Tochterprodukte des Urans aus den Gesteinen frei gesetzt, wie z. B. Radium, Radongas oder Schwermetalle wir Arsen. Im unterirdischen Abbau sind die Bergleute deshalb erhöhter Belastung durch das Einatmen von Radon, aber auch radioaktive Gammastrahlung ausgesetzt. Menschen in z. B afrikanischen Abbauländern sind diesen Gefahren schutzlos ausgeliefert, weil die profitierende Industrie sie nicht schützt. Menschen sterben daran. Was ist Ihre Ansicht?
  • Am 4. September diesen Jahres befahl ein deutscher Oberst im afghanischen Kundus einen Bombenangriff auf „angeblich zwei Tanker“ bei dem Zivilisten ums Leben kamen. Die genaue Zahl der Toten ist nicht bekannt. Klar ist, dass der Angriff unverhältnismäßig und rechtswidrig war. Das deutsche Parlament und die Bevölkerung Deutschlands und der Welt ist bewusst falsch informiert worden. Was ist Ihre Ansicht?
  • Bananen um jeden Preis, Leben und Sterben auf der Plantage. Bananenbauern in Nicaragua werden impotent, trocknen innerlich aus, Organe verkümmern und Menschen sterben an inneren Blutungen oder unterschiedlichen Krebsarten. In Europa längst verbotene Pestizide sorgen bei uns für sorgenfreien Genuss aus den Obstkörben. Die, die sie anbauen und ernten sind oft lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt. Was ist Ihre Ansicht?

Die Ansicht Gottes:
In der Menschwerdung Gottes hat Gott seine Ansicht in Sachen Mensch und Schöpfung geoffenbart: Jeder ist es Wert angeschaut zu werden, und so das Gesamt seiner Schöpfung.

Wir Menschen, von Gott in den Blick genommen, sind aufgefordert, unsere Anschauung den Menschen betreffend an der Anschauung Gottes zu messen. Gott bezieht Position und ruft uns heraus, er provoziert uns mit seiner Menschwerdung, wie er, Position zu beziehen.

Position zu beziehen bedeutet sich eine Meinung zu bilden. Unsere Meinung ist heute dringender gefragt denn je. Wir müssen eine Ansicht einnehmen zu Umweltsünden, Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung, sowie der Verletzung demokratischer Regeln. Wer keine eigene Ansicht hat gibt sich der Beliebigkeit von irgendwelchen Ansichten preis. Diese Beliebigkeit bringt Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung, Umweltsünden sowie die Verletzung demokratischer Rechte hervor!

Verzichten wir auf unsere Ansicht, dann verlieren wir Identität und Würde. Stehen wir nicht öffentlich hinter unserer Ansicht, dann verliert unsere Gesellschaft an Profil und Glaubwürdigkeit, und versinkt so in der Beliebigkeit von Ansichtssachen eines jeden einzelnen und so in der Gottlosigkeit. Menschwerdung Gottes bedeutet: In der Ansicht Gottes mich sehen lassen zu dürfen. Sich sehen lassen zu können bedeutet Verantwortung zu übernehmen, also Position zu beziehen und dafür einzutreten, ob gelegen oder ungelegen.

(Aber wir dürfen uns auch nicht dadurch überfordern „an allen Fronten “ der Veränderung sich einzusetzen zu wollen, das schaffen wir nicht. Somit aber neigen wir dazu zu meinen, nichts bewegen zu können, was jedoch fatal ist. Nehmen wir uns eine Ansicht vor, stehen wir für eine Sache ein, protestieren wir beispielhaft für die Menschen die im Uranabbau Todesgefahren ausgesetzt sind oder eine andere Ungerechtigkeit. Und vertrauen wir darauf, dass andere für andere Krisenherde ihre Stimme erheben. In der Summe unseres Einsatzes sind wir stark.)

Machen Sie sich kundig was um Sie herum geschieht und wer wann und wo wie entscheidet. Bilden Sie sich ihre Meinung, und vertreten Sie diese als ihre Ansicht auch öffentlich, mitunter auch protestierend. Und da wo Menschen von Menschen dumm gehalten werden, da ist das keine Ansichtssache, sondern Grund genug dagegen aufzustehen.

Verschaffen wir uns eigenständig Ansicht, damit nicht andere uns vor sich hertreiben mit Bildern, die uns täuschen und in der falschen Gewissheit wiegen, sicher zu sein.

Denn verschaffen wir uns keine eigene, profilierte Ansicht und ergeben uns so beliebiger Meinungen, dann degradieren wir mit Weihnachten auch uns selbst zu einer Marionette im Bilderbuch einer angeblich friedvollen und geregelten Welt, ansichtslos!

Aber Weihnachten, die immer neue Feier der Menschwerdung Gottes, ist keine beliebige Ansichtssache von wem auch immer.

Weihnachten ist das Fest der Ansicht: Mensch!

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