Der junge Mann beschrieb eine Bildsequenz, die er detailliert vor Augen hatte: Vor wenigen Tagen bin ich 17 geworden. Es ist ein sonniger Samstag an dem Vater und ich unterwegs sind, um die größeren Einkäufe zu erledigen und den Wagen vollzutanken. An der Tankstelle angekommen, ich sitze auf dem Beifahrersitz unseres hellblauen Fiat, steigt mein Vater aus, geht an die Zapfsäule, tankt, bezahlt, setzt sich wieder hinter das Lenkrad und greift nach dem Türgriff. Total unvermittelt stellt er mit dem Zuschlagen der Wagentür fest: „Ich hätte mich schon längst von deiner Mutter getrennt, wäre da nicht mein Beruf.“
Dann erläuterte der junge Mann: Sein Vater war in einer kirchlichen Beratungsstelle tätig. Aber nach diesem kurzen Monolog des Vaters im Auto haben sie nie weiter darüber gesprochen. Erst viel später hat er angefangen darüber nachzudenken, was er geantwortet hätte, wenn der Vater ihn damals nach seiner Meinung gefragt hätte.
Etwas versonnen bemerkte er weiter: „Die Ehe der Eltern ist nicht sehr harmonisch verlaufen und für uns Kinder ist das oft auch belastend gewesen“. Seine detaillierte Erinnerung mündete in die biographische Feststellung: Die Eltern haben sich nicht getrennt, beide sind fast 80 Jahre alt geworden und sind innerhalb von knapp drei Monaten, nacheinander, ohne diagnostizierte Krankheit, an Herzversagen gestorben. Dann schloss er sinnend: „Was kann aus Liebe werden?“
Diese Frage klingt für mich heute wie damals so, als würde sie mit diesem jungen Mann überhaupt das erste Mal gestellt. Gleichzeitig war mir bewusst, dass viele traurige Antworten an dieser Frage nach der Liebe kleben, seit Menschen sie erlebt haben. Was kann aus Liebe werden? Alles! Das weiß wohl jeder, den einmal die Liebe selbst berührt hat und der die Augen vor der Realität nicht verschließt.
Was aus Liebe nie werden sollte, schauen Betroffene zurück auf den Anfang ihrer Liebesbeziehungen, ist belegt in Scheidungsraten, Prozessen um das Sorgerecht der Kinder, Zugewinnberechnungen, Rosenkriegen, beziehungsbezogene Tötungsdelikten und Selbsttötungen.
Liebe ist tot zu kriegen, wie Statistiken über das Scheidungsaufkommen belegen. Aber trotzdem ist die Liebe, gegen jede Erfahrung nicht Tod zu kriegen! Aufkeimende Liebe bahnt sich ihren Weg in unterschiedlichen Beziehungen und Orientierungen der Geschlechter jeden Tag neu, und mündet oft in diese drei Worte „ich liebe dich“. So findet die Liebe auf ihrer Pilgerschaft zu den Menschen immer wieder eine Heimat, in der sie oft auch reifen kann. Liebende, deren Liebe alt werden durfte, erkennen sich selbst oft im Rückblick auf ihre ersten Begegnungen nicht wieder. Aber in allem was Liebe war und ist, sie bleibt eine Zumutung!