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Warum der andere Ort?

Der Abendmahlschrein aus Mönchengladbach, darin das "Tischtuch vom Letzten Abendmahl" als Mitte der dortigen Heiligtumsfahrt. Fotos: Klaus Herzog

24 Stunden lang, jeden Tag neu, alles hat seinen Ort. Leben ist oft nicht anders zu haben als in einem ununterbrochenen Ortswechsel. Trotzdem hegen wir darüber hinaus immer wieder ein großes Interesse an solchen Orten, die jenseits unserer „normalen“ Lebensorte liegen. Mit diesen Orten verbinden wir oft ein „das habe ich noch nicht“, ein „da geht es mir besser“ oder ein „wenn ich dort bin, dann bin ich weiter“.

Oft sind es Orte anderer Lebenswelten, Lichtjahre entfernt und manchmal nebenan, umwittert von so mancher Ahnung und nicht selten zauberhaft belegt. Ein solcher „anderer Ort“ fand Eingang in die große Literatur und wurde zur Weltbühne, auf der eine einfache Schlange unvergessenen Ruhm erwarb. Sie erinnern sich: „Nimm den Apfel von dem verbotenen Baum“, so die Versuchung, „und du wirst wie Gott sein, allmächtig!“, sprach die Schlange und verschwand, und der Mensch fiel darauf rein, eitel, wie er bis heute ist, und nahm den Apfel.

Baumhaus, ein anderer Lebensort.

An diesem „Anders-Ort“ trat der Mensch die Würde Gottes mit Füßen, und so brach ein Ortswechsel über ihn herein, an dessen Beginn seine Nacktheit stand. Des Menschen Machtrausch führte zum Sturz in auch heute noch unbekannte Abgründe; das Paradies, der eine Ort aufs Spiel gesetzt, ging verloren, die Weite des irdischen Himmelsgartens wandelte sich in einen engen Ort; nun Ort der verzweifelten Angst des Menschen um sich selbst.

Mit dieser Angst bleibt die Grundfrage des Menschen bis heute allmächtig: Wo ist mein Ort, wo werde ich sein? Damit aber begann auch die von der Sehnsucht getriebene Suche über unsere alltäglichen Orte hinaus, an anderem Ort, ob diffus oder definiert, „mehr“ ich und da sein zu können.

Das macht auch heute noch den „anderen“ Ort so begehrenswert, mag er vielleicht besser die eigene Nacktheit bedecken.

Der andere Ort kann manchmal aber auch ein Ort des Ausschauhaltens sein, um aus der Distanz unsere angestammten Orte orientierend, vergewissernd, reflektierend und klärend neu in den Blick zu nehmen. Aber auch schon der Weg zu einem Aussichtsort kann das Präludium eines potenziellen Ortswechsels sein.

PILGERGEBET
Du und ich da
Rüber schauen
ahnen anderen Ort
nicht mehr hier
noch nicht da
ob überhaupt?
Wie wäre es da zu sein
wägt Welt ab
und denke ich auch.
Gott
werde ich da sein mit dir
und mir
an anderem Ort
bei dir
und hier?

Wer über andere Orte nachdenkt, der denkt auch über Zufriedenheit nach, und wer in Gedanken schon aufgebrochen ist, hat auch schon begonnen sich nachzugehen.

Orte werden zu Orten der Wallfahrt, weil, ihnen entgegengeschaut, entfernt die Silhouette eines Sehnsuchtortes erkennbar ist. Wallfahrtsorte sind keine Orte, die ein Mehr oder Weniger an Leben zu bieten haben. Wallfahrtsorte sind zwischen allen anderen Orten Orte der Sehnsucht und der Vergewisserung. Zu ihnen pilgert man nicht, um dort zu bleiben, Urlaub zu machen, sondern um, von ihnen weg gehend, anders an die eigenen vertrauten Orte zurückzukehren, neu sie verortend mit der Konsequenz, auch einen Ortswechsel im Alltäglichen vorzunehmen.

Die Einladung zu den drei Heiligtumsfahrten in unserem Bistum sind im Kern eine minimale Provokation: „Komm und sieh“, mit der Intention: „Komm und schau von hier auf dich.“

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 22. April 2007, S. 13

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