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Vorwort zur Ausstellung „Federstrich“

… des Domarchivs Aachen in der Aachener Domschatzkammer

Es gibt Sätze, deren Worten eine ewige Bedeutung inne zu wohnen scheint, fern ab von jedem Verfallsdatum. Zu diesen Worten, die sich bestätigt wissen im Lang- und Kurzzeitgedächtnis des lesenden und zuhörenden Menschen, gehört: „Papier ist geduldig“.

Auch wenn der Begriff Papier in diesem Sprichwort zum Beispiel um die zeitgemäßen Bezeichnungen Bits und Bytes ergänzt werden müßte, so reicht auch heute noch das Wort Papier aus, um assoziativ an den Kern dieser Redensart zu gelangen: „Die Worte des Menschen sind nicht immer verlässlich“.

Was Ihnen diese Ausstellung in der Domschatzkammer Aachen unter dem Titel „Federstrich“ präsentiert, kann sich dem kategorischen Vorwurf nicht entziehen möglicherweise auch nichts anders zu sein als ein nicht verlässliches, ein vergängliches Wort, das, auf Papier oder Pergament geschrieben, auch zu den Aussagen gehören könnte, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Oder sind etwa diese Worte über jeden Verdacht erhaben, da sie von solcher Bedeutung waren und auch noch sind, sogar in liturgischer Versammlung Widerhall zu finden?

Besonders in unserem Fall ist der Verdacht begründet! Denn bei vielen der hier ausgestellten Exponate handelt es sich um liturgische Texte, die in direktem und indirektem Zusammenhang stehen mit einem Mann, der, bei allem Respekt, nicht nur als Herrscher eines expandierten karolingischen Reiches im Zwielicht stand und steht, sondern nun auch als Heiliger nicht allezeit und überall ungeteilte Anerkennung erntete Kaiser Karl der Große.

Um nicht falsch verstanden zu werden, sei betont, dass kein geringerer als dieser Kaiser für die Kultur des Wortes und deren Schrift bis in unsere Zeit hinein spürbar Nachhaltiges geleistet hat, beziehungsweise dafür Sorge trug, dass große Wissenschaftler seines Reiches und darüber hinaus, in seinem Namen der Kultur und auch damit verbunden dem Ausdruck des Christlichen Glaubens eine faszinierende Zukunft eröffneten, auch oder gerade deswegen, da er selbst des Schreibens nicht mächtig war.

Um so mehr wurde im Nachhinein über ihn selbst geschrieben und von dem, was ihm, meist aus der Rückschau, als persönlich wichtig zugeschrieben wurde.

Aber genau dieses Phänomen, dass zeitgenössische Berichterstattung Gefahr läuft, „Schönschreibung“ zu sein, weil die Mächtigen in der Geschichte einen angesehenen Platz einnehmen wollen und oft auch sollen, beziehungsweise die Rückschau auf den großen und später auch „heilig“ genannten Kaiser, verbunden mit einer Portion Lokalpatriotismus, eher zur Glorifizierung zu neigen als zu nüchterner Analyse, legt in unserem Fall eben den Verdacht nahe, dass diese Worte unzuverlässig sein könnten, in jedem Fall aber vergänglich. Worte, die sich der Vergänglichkeit auch nicht entziehen können und schon heute ein wenig danach schmecken, finden wir z.B. in der 4. und 5. Strophe des Liedes “ Urbs Aquensis“ in seiner lateinischen Fassung aus dem 12. Jahrhundert und in der hier zitierten deutschen Fassung aus dem 19. Jahrhundert.

Wohl zog nie ein Landmann weiser
gute Frucht wie dieser Kaiser
aus dem Acker wüst und wild,
da er Heidenvolk bekehrte,
Heidentempel rings zerstörte
und zerbrach der Götzen Bild.

Stolze Fürstenwillkür zwingend
und für heil’ge Lehre ringend
hat er Christus Sieg verschafft.
Allzeit strengen Rechtes Pfleger
und Erbarmens milder Heger
übt er seines Amtes Kraft.

Dieses Lied, bis heute in der Liturgie zur Karlsverehrung gesungen, spiegelt dieses oben genannte Phänomen wider, das wir, um auch Kaiser Karl gerecht zu werden, so bezeichnen könnten: „Legen wir doch nicht jedes dieser Worte auf die Goldwaage“!

Da diese Liedstrophen, wie andere Texte dieser Ausstellung auch, nicht nur auf Kaiser Karl in einem profanen Sinn abzielen, sondern liturgische Texte sind, bezieht sich die kategorische Anfrage an das Wort „aus Menschen Mund“ eben auch auf Texte des Gottesdienstes und hier verschärft auch auf die Texte, die der liturgischen Heiligenverehrung Karls Ausdruck verleihen.

Auf der Suche nach einer gerechten Zuordnung von Karlsverehrung und Liturgie darf eines nicht vergessen werden: Sinnspitze, auch der Gebete und Hymnen, die auf Karl den Großen ausgerichtet sind, ist und bleibt im christlichen Verständnis immer Gott, der im alten Testament von sich selbst sagt:“ Ich bin, ich bin da“, und der sich uns Menschen geoffenbart hat durch die Menschwerdung seines Sohnes Jesus Christus in der Kraft des Heiligen Geistes.

Alles, was wir von diesem Gott des Lebens wissen, ist uns geoffenbart in der gläubigen Annahme dessen, was uns Christus „mit – geteilt“ hat. Das, was Christus als die Botschaft von Gott dieser Welt geoffenbart hat, ist immer vermitteltes und vermittelndes Wort: Gottes Wort in Menschen Wort, Gottes Wort in der Verkündigung anderer Menschen, ob diese nun im Glauben der christlichen Gemeinschaft heiligmäßig, also mit besonderem Vorbildcharakter gelebt haben, oder einfach nur von der Geschichte nicht wahrgenommen als Mutter und Vater ihrer Kinder. Der Apostel Paulus bringt diese Tatsache auf den Punkt, indem er sagte:“ Der Glaube kommt vom Hören“. Diesen Glauben an Gott feiern Christen in der Liturgie des Gottesdienstes. Liturgie ist „zweckfreies Spiel“, in dem es nicht um gewinnen oder verlieren geht, sondern um das Spiel selbst, in dem es nur Beschenkte gibt. Zentrum dieses heiligen Spieles ist es, den göttlichen Mittelpunkt zu berühren, ohne ihn nur für sich selbst in Anspruch zu nehmen. Menschen, die diesem „Spiel“ trauen, öffnen sich der Berührung mit dem Göttlichen in der Alltäglichkeit des eigenen Lebens dadurch, dass sie sich der Grundregel dieses Spiels unterordnen und in einer Abfolge definierter Grundhaltungen Dem Raum geben, der über die gläubig feiernden Menschen selbst hinaus geht, dem gefeierten Gott selbst.

Ihm begegnen wir so auch als bittende, lobende, dankende und sich erinnernde Menschen, wozu auch die dankbare Erinnerung an einen gläubigen, heilig genannten Kaiser gehört. Damit aber ist nicht der Anspruch erhoben, nur im Rahmen dieser „Regeln“ Begegnung mit dem Göttlichen in Jesus Christus haben zu können. „Zugang“ zu Gott ist immer vermittelter, mittelbarer „Zugang“ und erschöpft sich nicht in der Erkenntnis Gott zu haben, sondern äußert sich immer „nur“ in der Annäherung!

Was diese Ausstellung aufzeigt, ist die Annäherung des Menschen vergangener Jahrhunderte an Gott in der Feier der Liturgie, die auch Danksagung für Kaiser Karl den Großen war! Was Sie hier auf oftmals kostbarem Pergament, aber immer wertvollem Papier geschrieben sehen, ist „das Papier wert, auf dem es steht“. Mit viel Mühe, Sachverstand und Liebe, aber oft auch als nicht immer leichter und gerechter Broterwerb floss aus der Feder dieser Künstler die bittende Frage der gläubigen Menschen damals nach dem Gott Jesu Christi, dem Gott der Liebe.

Die Sehnsucht dieser alten Frage ist auch heute bei vielen Menschen lebendig und das nicht zuletzt dadurch, dass diese Dokumente nichts anderes sind als die fixierte Erzählung von Gott, welche einen Teil der geschichtlichen Grundlagen des Glaubens derer bilden, die dem Wort Gottes auch heute noch etwas zutrauen, auch wenn es nur in Menschenwort zu haben ist, das sich nach dem Federstrich sehnt, dem geschriebenen Wort, um nicht ganz verloren zu gehen.

Aus „Federstrich – Liturgische Handschriften der ehemaligen Stiftsbibliothek“, Katalog der Ausstellung vom 3.12.2000 – 25.2.2001, hrsg. von dem Domkapitel Aachen.
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