Alle im Umfeld Jesu wissen, dass eine Witwe, die ihren letzten Sohn verliert, gesellschaftlich wie wirtschaftlich erledigt ist. Da gib es keine Perspektive, nur: „Und raus bist du“.
Kolumbien, Bogota, Stadtzentrum, 27. Mai 2013.
Unmittelbar neben mir durchsucht ein sichtbar heruntergekommener junger Mann einen kaputten Müllsack, und steckt irgendetwas direkt aus dem Müllsack in seinen Mund.
„Und raus bist du“, dachte ich spontan, und mir ging durch den Sinn: „Junger Mann, dein Erleben, deine Gefühle, deine Situation, dies alles ist mir fremd.“
So ging es wohl auch den Jüngern Jesu. Sie hatten keine wirkliche Vorstellung von dem, was die Witwe innerlich durchmachen würde, da sie nun ohne ihren „Ernährer“, den Sohn, abstürzen wird. Auch meine Lebenssituation bisher gibt Vergleichbares nicht her, Gott sei Dank. Ich kenne diese existentiellen Abstürze nicht, aber neben mir geschehen sie! Auch Jesus sieht in seiner Umgebung solche Abstürze und handelt. Hier bezogen auf die Witwe, deren Sohn er einfach „auferweckt“, um so der Mutter ihre Existenzgrundlage zurück zu geben.
„Sorry, junger abgewrackter Mann: Ich bin nicht Jesus, auch kein Kolumbianer, ich bin Ausländer aus einem reichen Land. Ich sehe dich, und stehe mal wieder zwischen der Erkenntnis: Weltweite Armut ist grundlegend eine Frage der Güterverteilung. Und: Armut hat konkrete Gesichter. Junger Mann, Wunder gehen bei mir nicht. Aber: Was kann ich tun? Eine Antwort auf diese Frage bin ich dir schuldig, weil ich dich gesehen habe.“
Zum 10. Sonntag im Jahreskreis, Text: Lk 7,11-17