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Der unsichtbare Türsteher

Türsteher sind schon in der Antike bekannt. Ihre Aufgabe: Schützend den Eingangsbereich eines Hauses im Blick zu behalten.

Die frühen christlichen Gemeinden kannten auch Türsteher, die ihrerseits die Aufgabe hatten, die Katechumenen, also diejenigen, die sich um eine Gemeindezugehörigkeit bewarben und sich in der Vorbereitung auf die Taufe befanden, nach dem Wortgottesdienst vor Beginn der Eucharistiefeier zurück in den Eingangsbereich des Hauses zu führen, da sie die Vollmitgliedschaft in der Gemeinde ja noch nicht innehatten, sondern erst anstrebten.

Der Stil dieser Türsteher zeichnete sich aus durch Wertschätzung der Interessenten an Gottesdienst und Gemeinschaft der frühen Gemeinden.

Türsteher gibt es auch heute z.B. an den Eingängen zu Diskotheken oder Warenhäusern. Ihre Aufgabe: Ungebetene oder unpassende Personen vom Betreten der Orte des gehobenen Konsums abzuhalten.

Es gibt aber auch noch ganz andere „Türsteher“, die unsichtbaren. Diese verhindern nicht den Einlass von ungebetenen Menschen, sondern den Einlass von gefürchteten Gedanken in denkende Köpfe.

Diese „Türsteher“ werden oft positioniert vor politischen Systemen, gesellschaftlichen und auch kirchlichen Strukturen, in sich geschlossenen Gruppen, aber auch vor Familien, in Wohnzimmern oder in Partnerschaften aller Art.

Unsichtbare „Türsteher“ regeln unterschiedlich und verschieden stark durch Verbote, Repressalien, Ausgrenzung, Verschweigen, Beleidigt sein, Marginalisierung oder ähnliche Machtinstrumente, ob bestimmte Ideen, Informationen, Annahmen, Erkenntnisse oder Bekenntnisse einen öffentlichen „Denkraum“ erreichen dürfen oder nicht.

Der Nährboden dieser unsichtbaren „Türsteher“ sind Furcht vor Kontrollverlust, aber auch Kleingeistigkeit, Machterhalt und Vorteilsnahme.

Und sie werden Tag für Tag von fast „unsichtbarer Hand“ an die Schwellen der Lebensräume anderer Menschen gestellt.

Aber diese „Türsteher“ instruieren nicht nur die „Anderen“, von denen wir (die sogenannten Kleinen) oft sagen, sie seien die Mächtigen. Nicht immer so, sie gibt es auch noch in „Taschenformat“.

Wenn vorhanden, versucht das „Taschenformat“ im Alltag „von dir und mir“ zu bestimmen, was ausgesprochen werden darf oder nicht. Seine Instrumente sind verbales dem Anderen über den Mund zu fahren, mal eben dem Gegenüber die Kompetenz abzusprechen, die Macht der längeren Erfahrung zum Todschlagargument zu schmieden, den Informationsvorsprung zur Falle werden zu lassen, oder ganz einfach das Gegenüber irgendwie bloßzustellen.

Auch bei den „kleinen“ Kommunikationsformen „unter uns“ dürfen die Türsteher in Taschenformat nicht unterschätzt werden. Sie verhindern Klarheit, Offenheit und Ehrlichkeit. Oft aber haben wir sie selber in der Hand!

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 6/2018 „Wortgewand“ 
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Gut schräg drauf

Diese Begegnung hatte sie sehr fasziniert, und das spürten jene, die ihr zuhörten. „Es ist schon etwas her“, begann sie, „als ich in der Münchner Innenstadt unterwegs war. Ich stieg die Stufen neben der Rolltreppe hoch, und während ich – etwas außer Atem – das Ende der Treppe erreichte, spürte ich eine Person nah hinter mir. Gerade die U-Bahnstation verlassen, überholte mich diese Person, blieb stehen, lächelte mich an und sagte: „Wir beide sind schon schräg drauf.“

 

Weiter erzählte sie: „Ich musterte diese Frau“, ihr dunkles Haar mit rosa Strähnen, ihre Piercings in Nase, Mund und überall im Gesicht, die mit schwarzer Schminke überbetonten Augen und der dunklen Kleidung aus Stoff, Leder und Latex.“

 

„Diese Frau in ausgeflipptem Outfit behauptete doch tatsächlich, dass ich schräg drauf sei. Ich – und schräg drauf, mit meinem benediktinischen Habit, Skapulier und dem weißen Schleier. Plötzlich war sie weg.“ Und die Ordensfrau schloss ihren Bericht: „Ich werde den Gedanken nicht los, schräg drauf zu sein!“

 

Die Auffälligkeit dieser beiden Frauen bezog sich auf ihr äußeres Erscheinungsbild. Die eine Frau, nennen wir sie eine „Punkerin“, bezeichnet sich und die Nonne aufgrund ihrer Kleidung als „schräg drauf“. Hier meint „schräg drauf“ nicht „durchschnittlich“ gekleidet zu sein. In der Tat ist es schon eine Leistung bei der Vielfalt der heue üblichen Moden mit irgendeiner Kleidung noch aufzufallen. Religiöse Kleidung in der Öffentlichkeit getragen wie der Habit eines Ordensangehörigen, die Soutane eines Priesters oder die Kopfbedeckung orthodoxer Juden fällt schon noch auf. Unklar allerdings für viele „Fernstehende“ ist die Botschaft religiöser Kleidung.

 

Dabei ist eigentlich dieses äußere kleidungsbezogene „Schräg-drauf“ zu sein der Ausweis eines inneren “Schräg-drauf seins“. Wer z.B. heute nach einer Ordensregel lebt, ist – von der „normalen“ Gesellschaft aus betrachtet – „schräg drauf“; da gibt es kein Vertun.

 

Aber würden Sie auch sagen: Christen als solche und jene, die als hauptamtlich oder ehrenamtlich unterwegs sind, im Besonderen seien schräg drauf? Also, schräg drauf von innen nach außen, passt das auch zu Ihnen? Das würde ja bedeuten, erkannt zu werden an dem, was bei Ihnen im Vergleich mit Mehrheiten nicht gerade, passförmig, auf Linie getrimmt oder konform ist.

 

Schräg drauf sein hätte auch mit anecken zu tun, bis hinein ein „Fallholz zu sein“, ein Skandalon. Sie – und schräg drauf? Ich glaube, die Ordensfrau empfand es als ein Kompliment – natürlich ohne Eitelkeit – schräg drauf zu sein. Ich glaube auch, dass es unsere Stärke ist, als Christen schräg drauf zu sein.

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 5/2018 „Wortgewand“ 
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Vom Bitten und Gebetenwerden

Das könnte Ihnen passieren: Da kommt eine Person auf Sie zu, vielleicht stehen Sie gerade an der Bushaltestelle oder in der Warteschlange vor der Supermarktkasse, fällt vor Ihnen auf die Knie und fleht Sie an: „Bitte, bitte, Sie müssen mir helfen!“

Es bedarf keiner ausgefeilten Phantasie, um sich auszumalen, wie das Umfeld reagieren würde: leicht verunsichert vielleicht und den Vorfall ignorierend, oder bestimmt die Stimme erhebend: „Verschwinden Sie und belästigen Sie die Leute hier nicht!“

Also: Jemand fällt vor Ihnen auf die Knie und bittet Sie in aller Öffentlichkeit um Hilfe. Die Umstehenden vermuten, Sie wären dieser Person etwas schuldig oder hätten ihr gar etwas vorenthalten, mit der Folge, dass vage Spekulation an Ihnen kleben bleibt.

Es ist klar: Wer so bedrängend bitten muss, hat schlechte Karten. Wer aber so auffallend gebeten wird, ist auch in keiner entspannten Situation. Was lässt die Bitte für alle Beteiligten oft unpässlich sein?

Mir scheint, dass die öffentliche Bitte eines Menschen in unserer Gesellschaft kein gerngesehenes Element einer positiven Kommunikationskultur ist. Menschen, die um Hilfe bitten, verbreiten eine Aura des Versagens, der Unfähigkeit und der Erfolglosigkeit. Das bedient nicht die ach so gepflegte Illusion einer Gesellschaft, immer weiter eine Erfolgsgeschichte nach der anderen schreiben zu müssen.

Dabei ist das Bitten nicht zu verwechseln mit der Kommunikationsform des Bettelns. Der Bettler sitzt meist schweigend vor einem Pappbecher, in der Hoffnung, dass ihm Vorbeigehende eine „milde“ Gabe – wofür auch immer – überlassen. Bitten dagegen ist der Versuch, andere in das eigene Schicksal des Zerbrechens aktiv zu integrieren, in der Hoffnung, meist selbstdefinierte Hilfe zu erfahren.

Aber mir scheint es sogar so, dass eine Bitte an sich heranzulassen, mit ihr umzugehen, sich öffentlich als Gebetener zu akzeptieren, manchmal schwerer fallen kann, als selbst zu bitten, auf einen vielleicht auch fremden Menschen zuzugehen und ihn mit einer klaren Bitte zu konfrontieren. An diesem Punkt nun angekommen, bietet sich diese persönliche Frage an: Bitten Sie andere Menschen um wesentliche „Dinge“ oder Hilfestellungen, die sie sich selber nicht geben können? Könnten Sie sich, vielleicht auch in einer gewissen Öffentlichkeit, die Blöße geben, „Bittsteller“ zu sein, und so auch zu signalisieren: „Ich kann mein Leben nicht ganz ohne Hilfe in den Griff bekommen“?

Zu bitten aber ist keine Schande. Bitten erwächst aus der Erkenntnis, zerbrechlich zu sein. Ein Mensch versucht, mit Hilfe eines Anderen der eigenen Zerbrechlichkeit etwas von ihrem erbarmungslosen Tempo zu nehmen. Bitten macht stark.

Erschienen  in: Katholische SonntagsZeitung für Deutschland, 30. Juni/01. Juli 2018 / Nr. 26
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Suche Frieden

Zum Leitwort des 101. Deutschen Katholikentag vorgelegt

Frieden erst einmal so ganz ohne Emotionen! Wie das Leitwort „Suche Frieden“ des kommenden Katholikentages in Münster entstanden ist, berichtet sachlich und nüchtern die Presseabteilung des Katholikentages: „So hat es der Hauptausschuss des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in seiner Sitzung am 9. September (2016) einstimmig beschlossen. Er ist damit einem Vorschlag gefolgt, für den sich die Leitung des Katholikentags nach eingehender und konstruktiver Beratung einstimmig ausgesprochen hatte. In beiden Gremien hat gerade die Mehrdeutigkeit dieser kurzen Formulierung überzeugt: „Suche Frieden“ erlaubt eine thematische Fokussierung und eröffnet zugleich die für einen Katholikentag notwendigen, unterschiedlichen Perspektiven.“[1]

Doch ist der hier beschriebene Findungsprozess des Leitwortes selbst schon eine Botschaft zum Thema des Leitwortes. Die Suche nach Frieden bedarf der Nüchternheit, der Klarheit und einer Stringenz, so wie der beschreibende Text über die Findung des Leitwortes selbst.
Frieden ist keine Angelegenheit von Träumern, Visionären oder Fantasten, allerdings ohne diese blieb eine Suche nach Frieden erfolglos.

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Fehler sind!

Eine Handreichung zum Bewerbungsgespräch empfiehlt: „Gut wäre – neben der Aufzählung spezifischer Kompetenzen -, auch kleinere Fehler zu erwähnen.“ Nachfragen allerdings, so die Empfehlung weiter, sollten mit dem Hinweis vermieden werden: „Das sei privat.“ Sorry, aber diese Empfehlung ist dumm.

Es bedarf doch nicht einmal einer Statistik, um als Normalsterblicher zu wissen, dass jeder Mensch Fehler macht. Darüber hinaus zeichnet den Menschen doch aus, über Fehler und deren Wurzeln nachdenken und sprechen zu können. Warum also nur auf Fehlerchen hinweisen und sie womöglich auch noch zu verniedlichen – so die Empfehlung -, obwohl Fehler den Menschen in seinem Wesen doch auch ausmachen.

Die Qualität von Fehlern, deren Grund – bewusst oder unbewusst – und deren Reichweite sind von Mensch zu Mensch verschieden. Es gibt wohl auch nicht den Geburtsfehler Fehler zu machen. Wie Menschen mit Fehlern anderer umgehen, ist auch eine Frage der Erfahrung und der eigenen Reflexions- und Abstraktionsfähigkeit. Der Umgang einer ganzen Gesellschaft mit dem Phänomen der Fehler, wie sie die Fehler ihrer Mitglieder in den Blick nimmt und beurteilt, ist eines ihrer Kulturmerkmale.

Sind Fehler eigentlich eine Privatangelegenheit? Zu differenzieren ist hier u.a., welche Qualität und Auswirkung ein Fehler hat und welcher Quelle er entsprungen ist. Insofern aber ein Fehler mehr als nur den Verursacher selbst betrifft, ist er in jedem Fall keine private Angelegenheit mehr. Trotzdem werden unter dem Mäntelchen des Privaten gerne Fehler verborgen gehalten, weil das die Öffentlichkeit nicht zu interessieren hat.

Der Öffentlichkeit wird auch unterstellt – ob zu Recht oder zu Unrecht bleibt dahingestellt -, nicht wirklich an Fehlern und deren Ursachen interessiert zu sein, sondern mit Lust an deren angeblich unumgänglichen und vernichtenden Konsequenzen. So gibt es in der Politik ja auch keine Fehler mehr wirklich, sondern nur noch Skandale.

Die christliche Kernkompetenz besteht in der Wahrnehmung der eigener Fehler einerseits, sowie der Bewertung der Fehler anderer andererseits. Fehler sind Leben, mit ihnen umzugehen ist Lebensqualität. So zeichnet ein gut angelegtes Bewerbungsgespräch den Umgang mit gemachten Fehlern aus.

Was für ein Betriebs- oder genauer Kirchenklima mag dort herrschen, wo nicht erwünscht ist, Fehler gemacht zu haben und ein Darüber-sprechen noch weniger? Eine Bewerbung auf eine Position an einem solch klimatisch lebensfeindlichen Ort, wäre sicher ein Fehler!

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 2018 „Wortgewand“
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Apostolat in Sorge um das Kind

85 Jahre PIJ in Indonesien[1]

von Michael Lejeune und Christoph Stender

1. War‘s das?

An Geburtstagen, in Verbindung mit Schicksalsschlägen, in Krisen oder auch einfach mal „nur so“, schleicht sich immer wieder die Frage an: Soll dein Leben so weiterlaufen, oder ist noch eine Wendung, eine Veränderung gewollt bzw. überhaupt noch möglich? Kurz gesagt: „War‘s das, oder kommt da noch was?“ Vor diese Frage sahen und sehen sich Menschen in allen Epochen und Regionen oft auch immer wieder neu gestellt.

2. Ihre Idee in die „neue“ Welt wagen

Am 6. Mai 1932 war für sechs junge Frauen die Antwort auf die Frage klar, ob da noch etwas Neues kommt. Denn für sie begann eine Lebenswende, die ihren Ausdruck fand mit dem ersten Schritt auf einen Ozeandampfer. Ziel ihrer Passage: Indonesien. In Gedanken malten sich die Schwestern das noch Fremde ihres Zieles gerade mal aus, als sich auf dem Schiff für sie bereits schon Fremdartiges ereignete. In ihrem ersten Brief an die Daheimgebliebenen berichten sie:

Man scheint die kommende Wärme zu erwarten, denn schon heute Morgen erschien ein großer Teil der Damen in ganz freier Toilette, ohne Ärmel und mit tief ausgeschnittenem Hals. Wir haben so alle den Eindruck, dass das Leben auf einem großen Schiff mit dem modernsten Leben der Großstadt gleichsteht. Da passt eine Schwester vom armen Kinde Jesus nun einmal nicht hinein. Wir halten uns denn auch so viel wie möglich für uns allein …[2]

Mit dem Verlassen des Ozeandampfers standen diese „auffallend gekleideten“ Ordensfrauen in ihrer neuen Welt, waren endlich angekommen und wollten loslegen, etwas nervös noch und in freudiger Erwartung auf die Menschen und besonders die Kinder, die ihnen begegnen würden.

3. Kinderarmut, Armut der Gesellschaft

Kleidung, zu allen Zeiten, kann ein starker Ausdruck eines Lebensentwurfes sein. Die Schwestern, damals in ihrem Habit mit schwarzem knöchellangem Kleid, weißer Haube und schwarzem Schleier standen für einen existentiell mit Gott verbunden Lebensentwurf. Diese Lebensbindung war für Clara Fey aus Aachen, die Gründerin der Genossenschaft der Schwestern vom armen Kinde Jesus (PIJ Congregatio Pauperis Infantis Jesus), das Fundament ihrer Gemeinschaft. In dieses Fundament eingebettet ist bis heute die Sorge um das arme, vernachlässigte und schutzlose Kind. Kinderarmut ist Clara Fey, selber noch ein Kind, an jeder Ecke in ihren Kindertagen begegnet. Während der Epoche der Industrialisierung in ihrer Heimatstadt Aachen sowie der Region und der damit verbundenen gnadenlosen Unterordnung der Arbeiterschaft unter den Fortschritt, „blühte“ die Kinderarbeit – darunter auch Kinder im Alter von sechs Jahren – in den „Geldbörsen vieler Industrieller“.

4. Ein Traum macht stark

13 Jahre nach dem Tode Clara Feys, leitet ein Biograph Claras den einen entscheidenden Traum der jungen Clara, der ihr Handeln geleitet hat, wie folgt ein: „Aus diesen frühen Jahren hat eine Erinnerung sich erhalten, merkwürdig in Anbetracht des Einflusses, den sie im späteren Leben der Ordensstifterin noch ausüben sollte.“[3] Das vom Biograph benutzte Wort „merkwürdig“ meint hier nicht komisch oder eigenartig, sondern bedenkenswert wie nachhaltig. Er schreibt weiter:

Um die Zeit, da Clara etwa 11 Jahre alt war, hatte sie einmal einen wunderschönen Traum, der sie tief bewegte. Sie meinte, sie gehe auf der Jakobstraße in Aachen; da begegnete ihr ein allerliebstes Knäblein, das aber sehr arm und dürftig gekleidet war. Es sah sie wehmütig an, als wolle es um eine Gabe bitten. Clara verstand den Blick und schickte sich an, dem Kinde ein Almosen zu geben. Das darbende Knäblein aber sagte zu ihr: ,Ich habe noch mehr arme Brüderchen.‘ Da fragte Clara: ,Wo wohnst du?‘ Der Knabe deutete mit dem Finger nach oben und lächelte freundlich das fragende Mädchen ,Wie heißt du denn?‘ fragte Clara weiter. Das Kind sprach: ,ich bin das arme Kind Jesus‘. Damit verschwand das Kind und Clara erwachte[4]

Gegen diese Armut gründete Clara Fey mit drei Freundinnen 1844 ihren Orden PIJ mit dem Ziel, Bildung, Kleidung, Nahrung und Gottvertrauen perspektivlosen Kindern zu ermöglichen. Diese segensreiche Tätigkeit der Schwestern sprach sich in der Region um Aachen schnell herum und motivierte immer mehr junge Frauen, sich dieser Gemeinschaft anzuschließen. Aber auch über die Region hinaus fand das Engagement der stetig wachsenden Schwesterngemeinschaft hohe Anerkennung. Damit verbunden meldeten auch andere Städte in der weiteren Umgebung den Wunsch an, von solchen Schwestern in der Armutsbekämpfung besonders unter Kindern profitieren zu wollen.

5. Dieser Traum geht über Wasser

Durch die späteren Niederlassungen der Schwestern in den Niederlanden erfuhr auch der Bischof von Malang in Indonesien – damals niederländische Kolonie – von der Arbeit der Schwestern und bat sie, auch für „seine“ armen Kinder in Pasuruan da zu sein. So begannen sie, ihre erste indonesische Niederlassung ins Leben zu rufen. Von diesen ersten Tagen berichtet eine der Schwestern: „Ich brauch nicht zu verhehlen, dass unser Leben hier ein reiches Opferleben ist, wenn ich nur an all das Ungemach des Klimas, der Hitze und der Tiere denke (…).[5] Doch die Schwestern ließen sich von diesem Ungemach nicht unterkriegen.

6. In der Spur der ersten Schwestern

85 Jahre später besuchten wir einen Teil der Einrichtungen der Schwestern vom armen Kinde Jesus in Indonesien, um zu dokumentieren, was weiter entstanden ist aus der „Holländisch – Chinesische(n) Schule mit 40 Kindern in Kindergarten, Vorschule und 1. Klasse Grundschule“[6], die die Schwestern nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft vor 85 Jahren bereits aufgebaut hatten. Was damals erstaunlich aber klein begann, ist bis heute zu einem großen Werk gewachsen mit ca. 80 einzelnen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Internaten. In 28 Konventen (Lebensgemeinschaften) wirken 150 Schwestern zusammen mit vielen anderen, auch muslimischen Lehrkräften für eine perspektivenreiche Lebensgrundlage der ihnen anvertrauten Kinder.

Der größere Teil der dort unterrichteten Schüler(innen) sind Muslime, die auch die Ganzheitlichkeit der Pädagogik schätzen, die auf Wissensvermittlung gründet, aber auch musische und sportliche Qualifikation, fairen Wettbewerb und soziale Kompetenz besonders fördert. Damals wie heute steht die Begegnung vorrangig mit dem „armen“ Kind als Individuum im Mittelpunkt ihrer Pädagogik. Da, wo nötig, besonders bei Kindern mit Einschränkungen, gibt es eine Eins-zu-Eins- Betreuung, um jedes Kind seinen Bedürfnissen entsprechend fördern zu können.

7. Ein Produkt der Wirtschaft heute: Armut

Indonesien besteht aus ca. 17.500 Inseln, hat 249,9 Millionen Bewohner mit 2500 Volksgruppen. Mit 200 Millionen meist der sunnitischen Richtung des Islam zugehörigen Muslimen, hat Indonesien den weltweit größten muslimischen Bevölkerungsanteil. Von den 9% Christen im Lande sind 3% römisch-katholisch. Armut bestimmt das Leben vieler Familien, besonders auch auf dem Land. Dort ändern sich weite Teile der Landschaft mit dem für das Klima so wichtigen Regenwald merklich zu einem Schlachtfeld, auf dem kilometerweit am Stück Wald gerodet und Palmen „aufgestellt“ sind, wie ein Heer von Soldaten. Ihre Gegner: die Kleinbauern.

Indonesien ist ein Vielvölkerstaat, und so sind auch die Probleme von Niederlassung zu Niederlassung unterschiedlich. Die Schwestern verfolgen auf die ganze Region gesehen eine wirtschaftliche Strategie, die – vereinfacht gesagt – die Schulbeiträge der Kinder in den Städten dazu nutzt, die pädagogische Arbeit in den ländlichen Regionen zu finanzieren. So finden sich in den Großstädten wie Jakarta und Yogyakarta Schulen der Schwestern, deren Niveau weit über dem des Durchschnitts liegt und die deshalb gut angesehen sind. Das wird in großen Glasvitrinen in den Schulen mit gewonnenen Pokalen dokumentiert, die in Wettbewerben zusammengetragen wurden. In Indonesien ist es üblich, dass in fast jedem Schulfach Wettbewerbe veranstaltet werden, mal innerhalb einer, mal zwischen mehreren Schulen bis hinauf auf die nationale Ebene. Das gute Abschneiden der Schüler(innen) bei solchen Wettbewerben gilt als verlässlicher Garant für die Qualität der Bildung.

Auf dem Land finden sich neben den Bildungseinrichtungen der Schwestern ihnen angegliederte Internate. Durch die teils noch unerschlossene Infrastruktur dieser Gebiete sind viele Kinder darauf angewiesen, in einem Internat zu wohnen, da der Weg zur nächsten Schule ein, täglich nicht überwindbares, Problem darstellt.

8. Zwischen Naturreligion und Islam
     Zeugnis geben

Die christliche Missionierung im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert sowie die muslimische Missionierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert haben auf dem Inselstaat dennoch nicht dazu geführt, dass die Verbundenheit zu den Naturreligionen ausgelöscht wurde. Die gesetzliche Verpflichtung, einer Religion anzugehören, hat viele Indonesier dazu gebracht, offiziell zwar einer der großen Glaubensrichtungen anzugehören, diesen Glauben jedoch nicht zwangsläufig in „Reinkultur“ auszuüben. So ist die Angst vor Geistern und Flüchen verbreitet, sodass viele Familien auch aus Angst vor eben solchen ihre Kinder in ein Internat geben wollen. Verbreitet sind die Fälle, in denen ortsfremde Männer junge Frauen begatten, welche dann als verflucht gelten und soziale Exklusion erfahren.

Die Schwestern wollen deswegen soziale Bezüge stärken, die eine Wertschätzung aller Religionen des Landes beinhaltet. Mission bedeutet für sie, den eigenen Glauben als Zeugnis und Angebot öffentlich konkret zu leben. Gleichzeitig arbeiten in ihren Einrichtungen auch Muslime in der Verwaltung oder als Pädagog(innen), ein Miteinander in Verschiedenheit, das allen dient. Dennoch bedeutet dieses Engagement auch, sich an manchen Orten aus der Öffentlichkeit mit religiösen Ritualen weitestgehend zurückzuziehen, um fundamentalistischere Bevölkerungsgruppen nicht zu provozieren.

9. Pädagogik in Wandmalereien und „Graffitis“

In den Räumen der pädagogischen Einrichtungen der Schwestern, vom Kindergarten bis zur Oberschule über Internat und Vorkindergarten, ziehen unterschiedliche Bilder die Blicke der Schüler(innen) und auch die unsrigen als Besucher an. Neben den Bildern des Präsidenten (vorgeschrieben) und von Clara Fey geben vor allem die freien Bilderzyklen den Räumen innen wie außen eine gewisse Leichtigkeit und kindliche Verspieltheit.

Diese Bilderzyklen handeln fast alle von Clara Fey und ihrer Beziehung zu dem Kind, beziehungsweise von den Schwestern und ihrer Bezogenheit auf das Kind hin, genauer auf das Kindergartenkind, das Kind in der Schule und den jungen erwachsenen Menschen in den Internaten, allgemein auf die Kinder in der Obhut der Schwestern. Theologisch lässt sich die Thematik dieser Bildzyklen zusammenfassen in der Grundintention von Clara: „Die Kinder zu Jesus führen“. Als Wandmalerei halten sie diese Kernbotschaft, das Apostolat der Schwestern präsent, innerhalb des Schulbetriebes und darüber hinaus erzählen diese, oft auch wie Graffi tis wirkenden Wandbemalungen, von der Geschichte der Ordensgemeinschaft PIJ.

Allen Schulen zu eigen ist neben der gesetzlich vorgeschriebenen morgendlich gesungenen Nationalhymne zur Stärkung des Nationalbewusstseins als pädagogische Maßnahme in einem Vielvölkerstaat, das Vorsingen der Schulhymne, in der auch Clara vorkommt. Ebenso ist das Lehrmaterial vor allem in den unteren Klassen auch auf Clara Fey, ihre Sorge um das Kind und die Geschichte der Kongregation ausgelegt. Diese Auseinandersetzung reicht vom Ausmalen bis zur Klassenarbeit und garantiert, dass die Kinder – auch glaubensübergreifend – wichtige Punkte der Spiritualität der Schwestern nähergebracht bekommen.

In Gesprächen beineindruckte uns der Wunsch der Kinder, später eine Vielzahl von Berufen (Ingenieur, Arzt, Lehrer) anzustreben, alle jedoch mit dem Ziel, dadurch etwas zu bewirken, um die Lebensumstände der Familien zu verbessern.

10. „Ansteckungsgefahr“ zum Wohl der Kinder

Aber auch einige der jungen Frauen, die heute einen ersten Schritt in die Ordensgemeinschaft hineinmachen (Postulantinnen /Novizinnen), besuchten selber eine Ordensschule und wurden angesteckt von der Lebensfreude, dem Gottvertrauen und dem kompetenten Engagement der Schwestern, die so zum Vorbild für diese jungen Frauen geworden sind.

Einige dieser jungen Frauen stammen auch aus muslimischen Familien und mussten Ihre Entscheidung erst gegen Widerstand der Familie durchsetzen. Über 30 junge Frauen erproben aktuell ihre persönliche Wende, ob ihre Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft der Schwestern eine dauerhafte Lebensperspektive für sie bedeuten kann, in der sie ihre Beziehung zu Gott und damit besonders zu den Kindern weiter entfalten können.

11. Begeisterung organisiert Ordnung

Knapp 20 Postulantinnen und Novizen sitzen mit uns im Kreis. Jede der Schwestern, inklusive der Leitung, hat einen kleinen Tisch vor sich mit einer, auf allen Tischen gleichen, Tischdecke, die bedruckt ist mit indonesischer Ornamentik. Auf jedem Tisch liegen ein Gebetbuch, ein Schreibblock und ein Stift.

Dieses Arrangement signalisiert Ordnung, und die herrscht hier auch. Doch diese Ordnung, die an vielen „Orten“ im Haus zu spüren und zu sehen ist, beherrscht nicht im Sinne von Machtausübung, sondern herrscht in dem Sinn, dass sie dient. Die Ordnung dient der persönlichen und der gemeinschaftlichen Weiterentwicklung der jungen Frauen, die im Postulat oder im Noviziat ihren Weg zu gestalten suchen. Die Postulantinnen tragen eine Art Overall in weiß noch ohne Schleier und Plakette, und die Novizinnen trage ein beiges Ordenskleid (wie die Schwestern mit ewiger Profess auch), noch mit weißem Schleier und der Plakette (Manete in me), an einem weißen Band um den Hals gelegt. Diese Frauen, bei aller Ordnung, sind keine Trauerklöße, nein, ihre Haltung ist wach, ihre Augen hell und ihre Energie füllt den Raum.

Diesen Eindruck, dass hier das Leben pulsiert, spürt man im ganzen Gebäudekomplex, der unter einem Dach, Postulat, Noviziat, Exerzitienhaus und die Provinzleitung der Schwestern vereint. Die Ordnung dient auch diesem Miteinander der unterschiedlichen Einrichtungen, die hier nebeneinander, aber auch miteinander funktionieren.

Auf die Frage, wie die einzelnen Lebenswege in jungen Jahren zu den Schwestern führten, gab es sehr verschiedene Antworten, angefangen vom Interesse an der Bedeutung des „Sang Timur“ – „des armen Kindes Jesus“, vom reinen Interesse an der Ordenstracht über das Aufwachsen bei den Schwestern bis hin zu dem immer schon präsenten Wunsch, auch Schwester werden zu wollen. Allesamt aber offenbaren sie, dass der Weg, dem Orden beitreten zu wollen, nirgends fest vorgegeben ist, meist Umwege beinhaltet und auch für manche nicht als der einzige Weg in Frage kommt.

12. Eucharistie ist Krippe

Eucharistiefeier und eucharistische Anbetung sind im Alltag der Schwestern in Indonesien fest verankert. Der Traum von Clara Fey in jungen Jahren weitet den Blick der „Träumenden“, und lässt sie das Christkind Jesus (in der Krippe) in dem armen Kind von der Straße sehen. Vor dem Hintergrund dieses Traumes sieht Clara in den eucharistischen Gaben von Brot und Wein, also der realen Gegenwart Jesu Christi, von Jesus Christus aus auf das arme Kind und vom armen Kind aus auf die Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie. Bereits früh im Morgen gegen 5 Uhr gilt die immer gut besuchte Morgenmesse (auch von Externen) in der Schule oder am Land, als Start in den Tag. Ob die Messdiener nun barfuß im gefliesten Altarraum ihren Dienst verrichten oder der Dorfpfarrer sitzend die Messe feiert, immer wieder fällt der Blick in die Umgebung, den Kirchenraum, manchmal sogar darüber hinaus in die pure Natur, die die Feiernden umgibt.

13. Kommunion bedeutet auch „Hand anlegen“

Die Schwestern, die meist Berufen nachgehen, ob nun als Lehrerin in ihren Einrichtungen, aber auch im Bistum, in der Pfarre oder der Verwaltung, erhalten auch manchmal eine großzügige Spende von Bewohnern in den Städten für die Schulen auf dem Land. Die biblische Abgabe, der „Zehnte“, ist für manche Christen in Indonesien noch eine Verbindlichkeit aus dem Glauben.

Auch die Pfarreien, selbst an entlegeneren Orten, sind so autonom, dass in der Sonntagsmesse die Bevölkerung dazu aufgerufen wird, am Nachmittag beim Bau der neuen Kirche zu helfen. Diese aus Platznot geplante, sich im Aufbau befindliche neue Kirche beeindruckt nicht nur durch die Architektur, sondern vor allem durch die Bauweise, durch abertausende Bambusstäbe, die das statische Grundgerüst bis zur Vollendung des Baus bilden. Und auch der Kanarienvogel im Käfig, der künftigen Sakristei Leben einhauchend, wie auch die rings um die Kirche angezündeten Feuer dürfen nicht fehlen, gewähren sie doch den Bauarbeitern während der Bauzeit die Abwesenheit von bösen Geistern.

14. Neue Welt wagen, damit Kinder träumen können

Auch in Indonesien stehen die Schwestern vor immer neuen Herausforderungen, denn die gesellschaftlichen Entwicklungen bergen Risiken. Da Indonesien über ein ausgezeichnetes Mobilfunknetz, auch auf dem Land, verfügt und mobiles Internet dutzendfach billiger ist als hierzulande, wachsen viele Kinder mit dem Smartphone und mit ihm mit dem Abbild der westlichen Gesellschaft auf, präsentiert von YouTube, Facebook und weltweiten Meldungen anderer Anbieter. Dies führt jedoch dazu, dass der westliche Lebensstil zum Sinnbild für Erfolg stilisiert wird, die Kurzsichtigkeit dieser Lebensweise, genau wie hierzulande auch, verkennend. Jugendliche, die an selbstgebrautem Alkohol sterben, da sie auf dem Land keine andere Form der Unterhaltung vorfi nden, gehören ebenso zu den negativen Auswirkungen wie die Straßenkinder, geboren in wirtschaftlicher Ausbeutung, die zwar über ein Smartphone, aber kein Zuhause verfügen.

Die gesellschaftlichen Herausforderungen stellen die Schwestern vor Ort immer wieder auf die Probe und vor eine Zukunft, in der, wie Jahrhunderte zuvor, „Klöster“ immer wieder neue Antworten in Anbetracht gesellschaftlicher Probleme formulierten und lebten. Es bedarf der Menschen, die in ihrer Berufung und in ihrem Alter einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen und sich sicher sind, die Arbeit an diesen Knotenpunkten fortsetzen zu wollen: um den Traum einer jungen Frau, der soviel bewegt hat, in die Zukunft zu träumen als Antwort auf das gesellschaftliche „War’s das?“.

Anmerkungen:

  1. Für alle Bilder dieses Artikels liegt das Copyright bei Michael Lejeune, der eigene Photos zur Verfügung gestellt hat.
  2. Erste Berichte unserer lieben Javamissionarin-nen, Bericht vom 8. Mai 32. Archiv PIJ Generalat Aachen Jakobstrasse (Diese Briefe liegen in einer maschinengeschriebenen Abschrift vor.).
  3. Pfülf, Otto. M. Clara Fey vom armen Kinde Jesus und ihre Stiftung. Freiburg im Breisgau, herdersche Verlagshandlung, 1907, S. 9.
  4. A.a.O. S. 9.
  5. Nachrichten aus der Genossenschaft der Schwestern vom armen Kinde Jesus. September 1932, S. 19. Archiv PIJ Burtscheid
  6. Bericht für das Generalkapitel 1996, S.5. Archiv PIJ Burtscheid, Einordnung 5360,9.
Erschienen in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück. J.P. Bachem Verlag GmbH. März 3/2018
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Wegducken gilt nicht

 

Die katholische Kirche, also auch wir, vermittelt ihre Kernbotschaften in Verkündigung und Zeugnis. Das ist ein Teil ihrer Profession. Eine zentrale Kernbotschaft sind die Worte Jesu: „Glaubt an mich“, und mehr noch: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh 14,9f).

Wenn wir mit dieser Botschaft an die Öffentlichkeit gehen und ernst genommen werden wollen, dann können wir die Botschaft nicht nur als Wort Jesu zitieren und uns dann einfach wegducken! Der Verkünder solcher Kernbotschaft ist gefordert, für die Botschaft „den Kopf hinzuhalten“, also persönlich Stellung zu nehmen zu der Botschaft und besonders auch zu dem, der sie vermittelt, Jesus Christus.

Es ist doch ok Sie zu fragen, was Sie ganz persönlich oder auch im Kontext von Seelsorge oder einem Engagement in der Pfarrgemeinde von jemandem halten, der so etwas sagt? Wir fragen andererseits und werden ja auch befragt, was wir von anderen Menschen halten, z.B. vom Bankberater, dem Pfarrer, dem Hausmeister, der Nachbarin, dem Briefboten, der Polizistin.

Und mit der Einschätzung einer Person – ob subjektiv oder objektiv angehaucht – geht ja auch einher, wie wir uns zu ihr verhalten. Einem geliebten Menschen verzeiht man öfters als einem Fremden. Wer betrogen hat, dem traut man das eher auch nochmals zu, und einem der Vertrauliches ausplaudert, dem vertraut man eben nichts mehr an. Also, was halten sie von Jesus? Haben sie eine Beziehung zu ihm?

Ist er für Sie eine körperlose Erscheinung, oder würden Sie ihn gerne mal umarmen? Ist Ihre Beziehung zu Jesus ein handfester Kontakt zu Gott? Lassen Sie ihn sich in Ihre Entscheidungen einmischen? Wie weit geht ihr Vertrauen zu dem, den Sie als Christus bekennen, oder ist er doch nur ein toller Jesus? Ist er für Sie eher so ein „fremder Nachbar-Typ“, oder mehr ein vertrauter „Ich-mag-dich-Typ“?

Auch hier gilt: Alle auf Dauer angelegten Beziehungen bedürfen der erneuerten Klärung, da der Mensch im Älterwerden sich wandelt, egal ob ab 10 oder ab 60 Jahren aufwärts. Es ist eben alles eine Sache der Beziehung, auch zwischen Himmel und Erde, zwischen Ihnen und Gott. Diesen Satz, den Jesus uns hinterlässt, sollten Christen gewollt öfters in den Mund nehmen.

Gelegenheit dazu gäbe es in Gesprächen, in denen über Menschen, Vorbilder oder Stars gesprochen wird. Da kann man sich einmischen: „Ich finde den Musiker auch toll, ebenso diese Sportlerin, und mir bedeutet Jesus viel, weil er mir den Blick zu Gott öffnet. Da könnte dann ein spannendes und nicht ganz einfaches Gespräch entstehen. Und wer wollte sich da schon wegducken? Oder finden Sie das zu naiv?

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 2018 „Wortgewand“
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Wie sind Sie so eingerichtet?

Johannes hat mit seinem Hinweis auf das „Lamm Gottes“ die Aufmerksamkeit der Umstehenden geweckt. Quasi im Vorbeigehen fragen sie Jesus: „Meister, wo wohnst du?“ Wodurch diese Frage genau motiviert war, kann man nur vermuten. Ging es darum, mit Jesus verbindlicher umgehen können? Dazu bedurfte es einer Kontaktmöglichkeit, die auch anders hätte erfragt werden können: „Jesus, wo finden wir dich wieder?“ Die Frage nach der Wohnung ist auch über diese Bemühung hinaus, Kontakt herstellen zu wollen, interessant, da schon zur Zeit Jesu die Wohnungen etwas über den Lebensstil ihrer Bewohner aussagten – wie sie lebten, arbeiteten, sozial orientiert waren und wer alles zur Familie gehörte.

Die Frage nach der Adresse als Kontaktmöglichkeit war damals nicht unhöflich direkt, da die Wohnung zur Zeit Jesu nicht so kleinfamiliär-privat eingestuft wurde wie heute. Der Kommunikationsbereich der Menschen vor 2000 Jahren war viel offener angelegt. Vieles spielte sich vor dem Haus ab, und Gastfreundschaft war Regelverhalten. Die Wohnungen in Mitteleuropa unterscheiden sich wesentlich von denen zur Zeit des Nazoräers wie auch von deren Nachfolgebauten in heutiger Zeit.

Überall in der Welt haben sich die Wohnungen den kulturellen Gepflogenheiten, den natürlichen Bedingungen und den städtebaulichen Vorgegebenheiten entsprechend verändert. Sie sind meist sehr viel individueller eingerichtet. Einzelteile und Objekte überfluten oft die Wohnmöbel. Neben dem praktischen Aspekt spielt der Geschmack eine große Rolle, auch können Sammlereigenschaften, Tierliebe oder bestimmte Hobbys eine Wohnung prägen. Wohnungen stehen weitestgehend für das „Wir“ einer Familie oder Wohngemeinschaft, eines Pärchens, oder für das „Ich“ eines Singles. Jede Wohnung ist auch eine Botschaft, ob gewollt oder nicht.

Ein katholischer Geistlicher beeindruckte mich in meiner Jugendzeit Seine ganzen Bücher aus der Studienzeit und was sich später noch so an Literatur angesammelt hatte, waren ins Schlafzimmer verbannt. In den Räumen, in denen er mit den Gemeindemitgliedern sprach, sollte nicht der Eindruck entstehen, mit vielen Büchern sei man überlegen. Leider kann man im Umkehrschluss nicht unbedingt annehmen, dass viel Porzellan in der Vitrine bedeutet, man speise gerne und oft mit anderen. Oder dass viele Sitzmöbel verkünden, hier seien Gäste willkommen. Auch eine große Kühltruhe im Keller belegt nicht, dass für die Tafel der Caritas gesammelt wird.

Ganz nebenbei: Wie kann man eigentlich an einer Wohnung feststellen, dass dort ein Christ mit Jesus lebt?

 

Erschienen  in: Katholische SonntagsZeitung für Deutschland, 13./14. Januar 2018 / Nr. 2
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Handwerk ist gefragt

Ein Witz erzählt über einen vor einigen Monaten verstorbenen prominenten Politiker, der seine Kritiker, die ihm fast jede Kompetenz abgesprochen hatten, an einen See einlud, um ihnen sein Können eindrücklich zu demonstrieren. Am Ufer versammelt, sahen die geladenen Kritiker nun, wie der Promi über das Wasser ging. Gelangweilt steckten sie die Köpfe zusammen und raunten einander zu: „Nicht einmal schwimmen kann er.“

Jemandem nie etwas recht machen zu können, egal was man kann und wie man sich auch anstrengt, ist Alltag für so manchen Menschen. Diesbezüglich erzählte mir eine sich selbst als ungläubig bezeichnende Person, dass ihre Schwiegermutter ihr vorwarf, sich zu wenig Mühe zu geben, schließlich wären auch andere mit etwas Anstrengung und Disziplin zum Glauben gekommen, das könne doch eigentlich jeder.

Hat Glaube etwas mit Können zu tun, mit einer bestimmten Fertigkeit oder einer Methode, konkret vielleicht mit einem bestimmten Handwerk? Sicherlich kann man sich den Glauben nicht aneignen wie ein gekonntes Handwerk, so gefordert von der oben zitierten Person.  Aber auf die ersten Christen geschaut, lautet die Antwort: Ja! Glauben hat auch etwas mit „Handwerk“, mit Hand anlegen zu tun, denn der Glaubende ist aufgrund seines Glaubens herausgefordert, das handfertige Können Jesu zu „kopieren“.

Eine dieser Handfertigkeiten Jesu war es, Menschen einzuladen, sie zusammen zu führen, Gastfreundschaft zu üben. Gastgeber zu sein, ist eine zentrale Handfertigkeit in der Nachfolge Jesu. Als Gastgeber hinzuführen an einen Tisch des gemeinsamen Essens, Denkens, des Teilens von Erinnerungen und des Träumens. Wir geben uns zu erkennen als auf Christus Bezogene in dem Grad, wie wir Gastfreundschaft „können“. Diese Gastfreundschaft aber kennt keine Bedingungen, kommt selbstlos daher und liebt das noch Fremde.

Gastfreundschaft kann aber auch eine Provokation sein, ist sogar mit Angst behaftet für jene, die sich rundum eingerichtet haben mit dem Gewohnten, Überkommenen, Vertrauten, Schnuckligen, immer so Gewesenen und Liebgewonnenen. Doch Gastfreundschaft geht nicht anders als mit offenen Armen und den Worten: „Sei willkommen, wie du bist.“Gerade dieses „wie du bist“ fällt vielen Menschen schwer, weil das Fremde nicht berechenbar ist bzw. noch nicht von einem selbst „berechnet“, ausgelotet wurde.

Gastfreundschaft ist Dynamik, die ihren Ausgangspunkt nimmt in dem „Ich stelle mich auf dich ein!“ Das zu können ist Profil. Dafür muss man auch nicht über das Wasser hinweg gehen können, wohl aber über ein kleingeistiges Sicherheitsstreben.

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 2018 „Wortgewand“
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Gott kann Himmel

Wie gehen wir mit Menschen um, für die die Auferstehung des Lebens nach dem Tod Quatsch ist? Diese Frage könnte man aber auch umkehren und fragen: Wie gehen die Menschen, für die die Auferstehung Quatsch ist, mit uns um, die wir als Christen an die Auferstehung glauben? Oder anders formuliert: Was macht das mit mir, wenn mir gesagt wird: Dein Auferstehungsglaube ist Quatsch?

Die an die Auferstehung Glaubenden können sich der Tatsache nicht einfach entledigen, dass die Menschheit immer schon Mythen des Überlebens produziert hat. Sterben, klar, das kann man ja nicht übersehen, aber bitte ohne den endgültigen Tod. Diese Sehnsucht ist der Schwung der Traumtänzer vom ewigen Leben, mit dem sie der Realität vortanzen: Die Auferstehung bewegt das Leben hier, und deshalb existiert sie auch jenseits. Kann sich der, dem Auferstehungsglaube als Quatsch angetragen wird, ganz freimachen von der Möglichkeit, doch nur ein Traumtänzer vom Ewigen zu sein?

So ganz locker zu vermitteln ist es ja auch nicht, dass die noch „begrenzt“ Lebenden Hierarchien für die schon jetzt angeblich ewig Lebenden annehmen und so Heilige und Selige vor sich her sammeln in der Hoffnung, mindestens als Rattenschwanz selbst in den Himmel zu kommen.

Was antworten die, die mit der Annahme des Himmels Lebenden, denen, die Himmel für Quatsch halten und uns wie folgt zitieren: „Also ihr meint, im Himmel gibt es wie beim Wettlauf die Gewinner eins bis drei: 1. Platz, heilig, 2. selig, 3. verehrungswürdig, und dann kommt irgendwie der Rest ins Ziel.“

Gutmeinende Zweifler halten uns Christen zugute: Das Christentum ist in Sachen Auferstehung ja sowieso ideal positioniert. Denn wenn das mit der Auferstehung stimmt, egal auf welchem Platz, dann werdet ihr es ja auch erleben. Wenn es nicht stimmt, dann merkt ihr es ja erst gar nicht, denn ihr wäret dann ja nur tot.

Selber unseren Glauben in den Blick genommen, gilt es konkret festzustellen: Unser Glaube ist – neben allen Deutungsversuchen der Realität – existentiell zu reduzieren auf seinen Kern des Nicht-Wissens. Und der christliche Glaube kennt in seinem Kern letztlich keine Gesetzmäßigkeit, die den Himmel garantiert. Die an Christus Glaubenden verbindet, wenn es um das Letzte geht, die je persönliche Antwort auf die Frage Jesu: „Was willst du, das ich dir tun soll?“ (Lk 18,41).

Da ich ganz persönlich davon überzeugt bin, dass Gott Himmel kann, lautet meine Antwort: „Ich möchte heil sein im Himmel wie auf Erden, gerne dann auch selig oder heilig.“

Allerdings, wenn Gott “Himmel“ kann, dann muss der Mensch “Glauben“ können.

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 1/2018.
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