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Ökumene – wer bist du?

Christliches Miteinander bei Kirchen- und Katholikentagen[1]

„Es wird eine ständige spirituelle Aufgabe in der Kirche sein, zwischen dem, was in der Kirche göttlich und unaufgebbar, und dem, was an ihr menschlich ist, was sie hinter sich lassen oder erneuern kann, zu unterscheiden und sich darin entsprechend den Idealen früherer Zeiten zu reformieren oder auf Erfordernisse neuer Zeiten zu antworten. Dabei bleibt der in der Zeit Mensch gewordene Gottessohn Jesus Christus das einzige Kriterium.“[2]

George Augustin

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Heilig, konkret und zukunftsfähig

Heiliges in der Vergangenheit

„Etwas“, das ehemals im Gespräch war, Bedeutung hatte, mit Hoffnungen und Sehnsüchten verbunden wurde, Anerkennung verschaffte, mit Magie behaftet war und oder schnellen Gewinn versprach, über das aber anhaltend nicht mehr gesprochen wird, also aus welchen Gründen auch immer der Aufmerksamkeit weiten Teilen einer Gesellschaft verlorengegangen scheint, ist out. Das bedeutet aber nicht, dass dieses „Etwas“, im Unterbewusstsein von Teilen einer Gesellschaft kein Präsenzpotential mehr hätte.

Denn in einer Gesellschaft, mindesten aber in einigen seiner Teilgesellschaften kann es so etwas wie ein „kollektives“ Unterbewusstsein geben, in das u. A. vergangener Status, religiöse Traditionen, Identitätssehnsucht, das Heilige oder auch Ausgrenzungsmechanismen hineinversickert sind, die – z. B. von äußeren Einfl üssen „gereizt“ – aus dem Raum des „Unterbewussten“ sich öffentlich wieder „zu Wort“ melden könnten.

Dieser Begriff „Etwas“ lässt sich exemplarisch füllen mit der Bedeutung der Worte selig bzw. heilig.

Eine verbindliche und eindeutige Definition für das Heilige, oder dessen, was einen Menschen zu einem Heiligen (Seligen) werden lässt (jenseits des Verfahrens zur Kanonisierung) gibt es nicht. Es gibt immer nur Annäherungen wie diese, die das Heilige als eine Chiffre für Transzendenz versteht, genauer „für die unbedingte, absolute (nicht relative) Transzendenz, das heißt für eine absolut andere, unergründliche Dimension und Wirklichkeit.“[1]

„Etwas“ vom Heiligen war, bzw. – weiter rückläufig – ist noch präsent im Religiösen, im Unantastbaren des Zwischenmenschlichen, in kulturellen Ritualen, wie in den
Träumen und Sehnsüchten der Menschen. Heiliges wurde in der Menschheitsgeschichte immer schon mit Orten verbunden, mit Handelnden und Handlungen. Das Heilige war „sichtbar“ unter Menschen und personalisiert in Menschen, gleichzeitig aber unsichtbar, jenseitig und unverfügbar.

Epochen der Menschheit verbanden mit dem Heiligen ihre Propheten, Helden, Vorbilder, Sieger und auch, aber nicht nur im christlichen Kontext, ihre heilig genannten (besonderen) Menschen.

Jeder der als heilig[2] (selig) verehrten Menschen in der Geschichte des Christentums, hat eine „nachlesbare“ Biographie, präsent zwischen Dreizeiler und Foliant, die ursprünglich erst einmal „nur“ mündlich weitergegeben wurde, und die sich mehr, aber oft auch weniger auf historisch verlässliche Daten stützte.

Doch mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts nahm in Mitteleuropa die öffentliche Bedeutung des Heiligen, besonders im Kontext des Religiösen, weiter ab. Die Präsenz des Heiligen im Christlichen, so in der Eucharistie, in der Verkündigung, oder „verkörpert“ in den Heiligen[3], verlor und verliert weiter an Interesse in der Gesellschaft und somit an lebenspraktischer Bedeutung.

Bedacht werden muss daneben aber auch die zunehmende Bedeutung der Engel für viele Menschen, individuelle Bindeglieder an das „Transzendente“, die in Bild und Skulptur aller Art, Größe und Ausfertigung neben einer Flut von Engelliteratur u. A. die Regale im Buchfachhandel füllen. Hier scheint sich quer an allen Religionen vorbei eine „Engelreligion“ zu etablieren, die keine Schriftbindung braucht und auch keine Vermittlung durch „Religionsdiener“. Eva-Maria Lerch zitiert in ihrem Artikel „Die Boten des verlorenen Himmels“ Thomas Ruster, Professor für systematische Theologie in Dortmund, der feststellt: „Der Boom der Engel revidiert die Abschaffung des Himmels.“[4] Hier lässt sich eine verbleibende, aus dem Unterschwelligen „geweckte“ Sehnsucht festmachen, die nach dem Himmel, dem Heiligen.

Das Heilige in seiner „herkömmlichen“ Art findet allgemeingesellschaftlich allerdings kaum noch seinen Bezug; Beachtung entgeht ihm. Medial ist das Heilige in christlicher Deutung sterbend.

Auch wenn es augenscheinlich so ist, so bedeutet das aber noch lange nicht, dass das Heilige unterschwellig kein Präsenzpotential mehr hätte, wie oben unspezifisch schon angedeutet.

Heilige am Anfang[5]

Zur Vergegenwärtigung: „Heilige“ werden im Neuen Testament ursprünglich alle Mitglieder der christlichen Gemeinde genannt: „Paulus, Apostel Christi Jesu (…), an die heiligen und gläubigen Brüder in Christus (…)“ (Kol 1,2f).

Allerdings verlor sich sehr schnell dieser allgemeine Status, vorhanden „nur“ durch die Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinde.

Das heilig „Sein“, aber besonders das heilig (gesprochen) „Werden“ wurde im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte zu einem „Leistungsprinzip“ weiterentwickelt und zeichnete fortan nur noch Menschen aus, von denen (bis heute meist in kostspieligen Verfahren) festgestellt wurde, besonders tugendhaft und glaubensstark gelebt zu haben, so wie es auch von den Aposteln und Evangelisten vermutet wurde. Schon diesen ersten Heiligen wurden besondere Wunderkräfte zugesprochen und eine privilegierte Vermittlungsfähigkeit „am Throne Gottes“ attestiert. Eine Bitte um eine solche Fürsprache ist in der Katakombe des Sebastian in Rom in einer „Kritzelei“ um das Jahr 250 belegt: „Paule ed Petre petite pro Victore“ (Paulus und Petrus, bittet für Viktor!).

Ist Heiligwerden schwer?

Hatten es eigentlich die Heiligen, die kein Martyrium erlitten haben, in ihrem Leben besonders schwer, schwerer als ihre Zeitgenossen?

Aktueller gefragt: Haben es Christinnen und Christen, die heute z.B. konkret in Gemeinschaften oder als einzelne in der Mitte oder an den Rändern der Gesellschaften dieser Welt ihren Glauben leben, aber noch gar nicht wissen können, dass sie nach ihrem Ableben von der Kirche einmal heiliggesprochen werden, es schwerer in ihrem Leben, als z. B. ich oder so mancher von Ihnen, liebe Leserschaft, die wir wohl persönlich eher nicht mit einer Kanonisierung rechnen können?

So zu fragen liegt deshalb nahe, da, um auch heute heiliggesprochen zu werden, eine heroische Tugendhaftigkeit zu belegen ist, ein exemplarisch vorgelebtes, asketisches Christuszeugnis, also die vorbildliche Nachfolge Christi in Glauben, Hoffnung und Liebe, sowie ein gerechter kommunikativer Umgang mit den Mitmenschen ihrer Zeit.

Das klingt nicht nach einem Leben auf dem Ponyhof. Da wird angemahnt: Ein Leben in angestrebter Perfektion, Disziplin, Kompromisslosigkeit gegen sich selbst, Entsagung, ggf. auch nach Leid und Lebensbedrohung, sowie Selbstbeherrschung, im Extrem bis hin zur Selbstaufgabe. „Leicht“ geht anders!

Heilige sterben aus?

So gesehen bedarf es kaum der Erwähnung, dass ein Lebensstil mit solch hohem Anforderungsprofil dem heute in unseren Breiten gängigen Lebensstil eher nicht entspricht.

Aber bedeutet dann ein persönliches nicht in Betracht Kommen eines solchen Lebensstils, auch unter Christen, dass unsere Zeit keine potentiell Heiligen für die Zukunft hervorbringen wird und uns deshalb in Zukunft die Menschen ausgehen, die heiliggesprochen werden könnten?

Dabei konnten die letzten Päpste, so der 264. 265. und 266. Bischof von Rom, noch auf über 1500 Persönlichkeiten zurückgreifen, um sie in das Martyrologium einzutragen. Allein im bisherigen Pontifikat von Papst Franziskus sind über 100 Persönlichkeiten „kanonisiert“, die im 20. und 21. Jh. gelebt haben.

Spuren alt verehrter Heiligen

Wer heute in Europa durch eher kleinere Ortschaften geht, der kann an so mancher Kirchen– und Hausfassade, auf Brücken oder in Denkmälern Heiligenfiguren entdecken, die in der Regel durch ihre Attribute über sich Auskunft geben können, bei entsprechender Dekodierungsfähigkeit der betrachtenden Menschen.

Natürlich bergen die von Touristen aller geistlichen und geistigen Bekenntnisse, aber auch denen ohne ein solches, besuchten „Großkirchen“ des Christentums, ob in Paris, Köln, Prag, Rom, Warschau, Mailand, Santiago oder Barcelona eine Fülle von Heiligendarstellungen, die oft einfach überfordern.

In der Sprache wird das Heilige eher im Fragment bemüht um zu deuten: nicht perfekt, also kein Heiliger; überheblich, also kein Heiligenschein.

Heilige „lassen gehen“

In den Medien fand z.B. der Gottesdienst auf dem Petersplatz anlässlich der Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II. (* 18.05.1920 / † 2.04.2005) am 27.04.2014[6] ein Echo weltweit, zu dem ca. 5 Millionen Menschen nach Rom aufgebrochen, teilweise auch gepilgert sind.

Auch die Heiligsprechungen des Erzbischofs von San Salvador, Óscar Arnulfo Romero Galdámez (* 15.081917 / † 24. März 1980) am 14.10.2018 fand mediale Beachtung, auch in seinem Heimatland El Salvador.

Wenn Heilige verstärkt „gehen lassen“, scheint das Interesse an ihnen wieder leicht zuzunehmen.

Das klassische Format des „Gehens“ ist die Prozession, Menschen gehen, schreiten, hüpfen (zwei vor, eins zurück) oder tanzen hintereinander her, in der besonders an den Gedenktagen der Heiligen ihre Bildnisse, aber auch Reliquien von ihnen mitgetragen werden.

Aber: In so mancher deutschen Stadt kann eine Prozession daherkommen wie ein Trauermarsch der letzten ewig Gestrigen, fast schleichend durch leere Gassen, und immer in der schützenden Sichtweite zur eigenen Kirche.

Aber: Andere Prozessionen werden von einer großen Anzahl von Motorradfahrern mit ihren Maschinen dominiert. Wieder andere Prozessionen zeichnen sich auch aus durch Trachtenträgerinnen und Trachtenträger, eine Vielzahl von Votivfahnen und manchenorts auch durch die Mitnahme von Pferden.

Die Prozessionskultur anderer europäischer Länder ist oft geprägt von starken Emotionen, aufwendigem Schmuck, und auch kommerziellen Aktivitäten.

Die Prozessionskultur des Christentums ist erlebbar auch in Prozession zu heiligen Pilgerorten wie Santiago de Compostela, Jerusalem, Rom, Lourdes oder Fátima.

Magie des Heiligen

In manchen Epochen stand die Verehrung der Heiligen in der Gefahr, mit Magie und Zauberei in Verbindung gebracht zu werden.

Schon Amos hält im Alten Testament dagegen und lässt prophetisch wissen: „Ich hasse, ich verwerfe eure Feste, und eure Festversammlungen kann ich nicht mehr riechen: Denn wenn ihr mir Brandopfer opfert, missfallen sie mir (…). Halte den Lärm deiner Lieder von mir fern! Und das Spiel deiner Harfen will ich nicht hören. Aber Recht ergieße sich wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein immer fließender Bach“ (Amos 5,21-24 Elberfelder Bibel).

Gegen eine von Aberglauben geprägte Heiligenverehrung, die den Heiligen magische Kräfte zusprachen und sie direkt anbetete, wandten sich schon vor der Reformation die Bogomilen, die sich im 11. Jh. nach Westeuropa ausbreiteten, und u. A. die Verehrung von Ikonen ablehnten.

Die Reformation lehnte den Kult um die Heiligen ab, da er sich nicht von der Bibel her begründen lässt. Das Konzil von Trient (1545 bis 1563) bestätigte dagegen, dass es gut und nützlich sei, die Heiligen anzurufen, um durch ihre Fürbitte Gottes Wohltaten zu erlangen.

Was ist am Heiligen dran?

Was waren die Beweggründe, weshalb in den unterschiedlichen Epochen der Kirchengeschichte das Heilige, die Heiligenverehrung immer wieder in das Zentrum persönlicher und auch gemeinschaftlicher Frömmigkeit gerückt wurde? War es für das gläubige Volk ausschließlich die fromme und selbstlose Verehrung der Heiligen aufgrund ihrer herausragend gelebten Gottesnähe, oder die „zweckfreie“ Verneigung vor der Spur des Göttlichen in irdischer Materie?

Allein schon die Tatsachen, dass Heiligen bestimmte „Zuständigkeiten“ zugeordnet wurden und werden, lässt Phantasien aufkommen. So bei der Heiligen Genoveva
(Gedenktag 3. Januar): Sie ist Patronin von Paris sowie der nach ihr benannten Orden und Vereine, der Frauen, Hirten, Hutmacher, Wachszieher, Weingärtner, auch gegen Krieg, Trockenheit, Pest, Fieber und Augenleiden. Da ist man doch geneigt, als Hutmacher in schlechten Zeiten an ihrem Bildnis eine Kerze mehr anzuzünden. Ähnliches empfiehlt das Brauchtum bei dem Heiligen Antonius von Padua (Gedenktag 13. Juni) in Sachen „verloren und wiedergefunden“; eine Münze in „seinen“ Opferstock geworfen, bewirkt „wundersames Auffinden“.

Jedoch das „Heilige“ als solches quillt aus dem, der einzig der Heilige in Fülle ist. Und weil Gott nicht käuflich ist, ist das Heilige im irdischen Gewande daherkommend auch nicht bestechlich.

Hier ist aber zu bedenken: Birgt das symbolische Zeichen des Loslassens, angedeutet in der angezündeten, und so zum Vergehen bestimmten Kerze, oder in der
„unwiederbringlich“ losgelassenen Münze, in Verbindung mit dem festen Glauben an den Gott des gelingenden Lebens, nicht etwas von dem Zauber des letztlich unfassbar Heiligen, in die von Menschen machbare Sichtbarkeit hinein? Keine Magie, keine faule Zauberei, aber Andeutung der Macht des Heiligen in irdischem Gefäß, gehalten in Menschenhand!

Dem Heiligen auf der Spur in die Zukunft

Auch wenn das Interesse an Heiligenverehrungen und der regelmäßigen Feier organisierter Rituale an „heiligen“ Orten wie Gottesdiensten aller Art abgenommen hat, so lässt sich trotzdem (z. B. in Deutschland) eine Sehnsucht nach dem „Zauber des Heiligen“ feststellen, dem Wunsch von Heiligem berührt zu werden. Das ist spürbar z. B. an steigenden Besucherzahlen von Weihnachtsgottesdiensten, an der Zunahme von entzündeten Kerzen in Kirchen sowie dem steigenden Interesse an Pilgerfahrten.

Um diesem Anliegen auf den Grund zu gehen, hilft es, einen Blick auf das Heilige zu werfen: bei dem Soziologen Prof. Hans Joas, dem Heiligen Ignatius von Loyola und Papst Franziskus.

Hans Joas

Der Ausgangspunkt der Religionstheorie von Hans Joas, wie er sie in seinem Buch „Die Macht des Heiligen“ entfaltet, sind menschliche Erfahrungen. Gemeint sind aber nicht die alltäglichen Erfahrungen, sondern außeralltägliche Erfahrungen, jene also, mit denen der Mensch an bestimmten Punkten seines Lebens, ob gewollt oder nicht, „über die Grenzen ihres Selbst hinausgerissen werden“.[7]

Diese führt Joas weiter aus am Beispiel des Verliebens

„Man begegnet einer Person und wusste das gar nicht vorher, dass einem das heute noch passieren wird, sozusagen, und diese Person lässt einen nicht mehr los. Und wenn sich das weiterentwickelt zwischen den beiden Personen, tritt tatsächlich eine Veränderung des eigenen Selbst ein, eine Verlagerung des Zentrums der eigenen Lebensführung.“[8] Weiter bemerkt er, dass dieser geliebte Mensch wichtiger als der Liebende selbst werden kann.

Das Heilige wird erlebbar da, wo sich in der Situation außeralltäglicher Erfahrung, also in dem „über sich hinausgerissen Werdens“ notwendig starke Emotionen aufladen. Und zu den „Nebensächlichkeiten“ solcher außeralltäglichen Erfahrung sagt Joas: „Selbst triviale Objekte, die in einer solchen Situation eine Rolle gespielt haben, bleiben nicht trivial. Der Ort bleibt in Form szenischer Erinnerung im Gedächtnis, es bleiben Gerüche vielleicht, Objekte, der erste Abend in einem Restaurant mit dem geliebten Menschen und man findet irgendwann noch die Rechnung von diesem Restaurantabend, einen höchst trivialen Gegenstand. Und man spürt, man kann ihn nicht wegwerfen, weil er aufgeladen ist mit dieser intensiven Erinnerung an dieses außeralltägliche Erlebnis.“[9]

Dieses Heilige bei Joas könnte trivial erscheinen, allein schon in seiner „Darreichungsform“ des „herausgerissen Werdens“, gemessen an dem Heiligen im christlichen Verständnis.

Aber beide „Wahrnehmungen“ sprechen von dem Heiligen aus der Unverfügbarkeit seines Selbst, inmitten einer Welt.

Heilige Ignatius von Loyola

Dem Heiligen weiter auf der Spur, ergänzt durch einen zentralen Gedanken des Hl. Ignatius von Loyola: „Gott in allen Dingen finden!“ Von Gott, von dem Ignatius spricht, bekennt das zweite Hochgebet: „Ja, du bist heilig, großer Gott, du bist der Quell aller Heiligkeit.“ Für Ignatius sind die Dinge in dieser Welt nur deswegen greifbar, um in ihnen den „durchschimmernden“ Gott zu erkennen. Ignatianische Spiritualität sucht Gottes Spuren, das Heilige in den alltäglichen Verrichtungen unseres Lebens, in unseren Biografien. In dem „Zwischen“ in unseren Leben und „unseren Dingen“ geschieht das Heilige, ist Gott zu „ent – decken“.

Papst Franziskus

Papst Franziskus betont am Anfang seines Apostolischen Schreiben „Gaudete et exsultate“: „Es soll hier nicht um eine Abhandlung über die Heiligkeit gehen, mit vielen Definitionen und Unterscheidungen, die dieses wichtige Thema bereichern könnten, oder mit Analysen, die über die Mittel der Heiligung anzustellen wären. Mein bescheidenes Ziel ist es, den Ruf zur Heiligkeit einmal mehr zum Klingen zu bringen (…).[11] Den Klangkörper, in der Heiligkeit klingen kann, deutet der Papst so an:

„Irgendwann werden wir uns mit der Wahrheit über uns selbst konfrontieren müssen, um sie vom Herrn durchdringen zu lassen, (…).[12] Diese Konfrontation beschreibt der Papst mit den Worten von Carlo Martini: „Wenn man (nicht) auf einmal an den Rand des Abgrunds, der schwersten Versuchung gerät, ausgesetzt auf den Klippen der Verlassenheit, ausgesetzt auf einem einsamen Gipfel, wo man den Eindruck hat, völlig im Stich gelassen zu sein“.[13]

Über das Heilige sinniert Franziskus weiter: Es „impliziert nicht einen apathischen, traurigen, säuerlichen, melancholischen Geist oder ein schwaches Profil ohne Kraft. Der Heilige ist fähig, mit Freude und Sinn für Humor zu leben.“[14]

Die neue Kraft des Heiligen

Die Kraft des Gedankens von Hans Joas, das Heilige ist spürbar in außeralltäglichen Erfahrungen, in dem „über sich hinausgerissen Werden“, zusammengelegt mit dem Weckruf des heiligen Ignatius Gott, den allein Heiligen, „in allen Dingen finden zu können“; beide Gedanken konkretisiert auf den Einzelnen hin mit dem Gedanken von Papst Franziskus, „den Ruf zur Heiligkeit einmal mehr zum Klingen zu bringen“:

Diesen, aus drei Quellen gespeisten Erkenntnispfad durch das eigene Leben weiter verdichtet und erlebnisoffen zu gehen, ermöglicht: Persönlich ungewohnte Selbsterkenntnis, unterschwelliges Präsenzpotential des Heiligen in der Gesellschaft zu wecken und eine „neue“ Sicht auf die traditionellen Heiligen und das Heilige!

Vielleicht leben wir jetzt in der Zeit, in der sich der Kairos anbahnt, das Gefühl für das Heilige, das in den letzten Generationen über deren Sprachlosigkeit in das Unterbewusste der Gesellschaft versickert ist, „gereizt“ durch die Sehnsucht nach dem Heiligen der Menschen heute, wieder in die Sprachfähigkeit zu führen, und so dem Erleben des Heiligen das Wort zurückzugeben.

Gerade auch die katholische Kirche kann der Ort wieder werden, an dem auch für „kirchenferne“ Menschen die Sprachfähigkeit im Erleben des Heiligen neu erlernt werden kann.

Das kann die katholische Kirche nur erlebbar machen in der reduzierten Form ihrer selbst, in der das Heilige ohne den ganzen „Ballast“ der Kirche erlebbar wird: z. B. im Weihnachtsgottesdienst, im sakralen Raum; im Licht der Kerze bei der Gottesmutter; im Gespräch, das über die Gesprächspartner hinaus reicht; in der Ruhe eines Kirchgartens; in der Taufspendung, die persönlich, individuell und in Wertschätzung geschieht.

In der reduzierten Form ihrer selbst, also ohne ihren ganzen „Ballast“ bedeutet: dem Heiligen Raum geben, ohne alles unterschreiben zu müssen, was Kirche ist oder
zu sein vorgibt; ohne den ganzen Apparat, Kirche zu wollen, den Kirche selbst wie den Panzer einer Schildkröte trägt. Gott lässt das Heilige „er – leben“, um den Menschen Freude zu bereiten: Gaudete et exsultate, freut euch und jubelt!

Zurück-gelassen für die Zukunft

Reliquien tragen der Zukunft hinterher
was gestern auf das Schöne, Gute, Gläubige
und Heilige reduziert
vorgestern ein Mensch war
der zurück ließ
was Menschen heute
als Schatz in ihren Herzen bergen
um sich so zu verneigen
vor Überresten
die all das nicht mehr sind
was sie zu sein auch nie vorgaben

Reliquien aber machen nicht traurig

Die Visionslosigkeit der Menschen heute
Reliquien nicht mehr nötig zu haben
macht traurig
weil der Mensch vergessen hat:

Verehrung deutet Leben
das in der Verneigung die Gegenwart überdauert
und so des Menschen Blick weitet:
Reliquie für die Zukunft zu sein

 

Anmerkungen:

  1. Hans Kessler, Was bleibt vom Heiligen. In: Stimmen der Zeit, Heft 1 Januar 2019, S. 55.
  2. Im weiteren Textverlauf ist mit dem Begriff „heilig“, sowie „heiliggesprochen“ und weiteren Wortabwandlungen auch (wenn nicht ausdrücklich anderes angegeben) dessen Vorstufe, „selig“ und deren Wortabwandlungen mitgemeint.
  3. Im Unterschied zur Heiligsprechung (Kanonisation), die die Verehrung des Heiligen in der Kirche weltweit vorsieht. ist nach einer Seligsprechung (Beatifi kation) die Verehrung der betroffenen Person von der Kirche nur in einer begrenzten Region vorgesehen.
  4. Thomas Ruster. In: Eva-Maria Lerch, Die Boten des verlorenen Himmels. Publik Forum, Nummer 24, 21. 12. 2018, S. 52.
  5. Vgl.: https://www.heiligenlexikon.de/Grundlagen/Heilige_Verehrung.html (26.12.2018).
  6. Mit Papst Johannes Paul II. wurde auch der Konzilspapst Johannes XXIII. heiliggesprochen.
  7. Interview mit Hans Joas, durch Andreas Main, zu Hans Joas‘ Buch „Die Macht des Heiligen“. Suhrkamp Verlag, 2017, Deutschlandfunk, 19.10.2017.
    https://www.deutschlandfunk.de/hans-joas-diemacht-des-heiligen.886.de.html?dram:article_id=398429.
  8. Ebd.
  9. Ebd.
  10. Messbuch, Die Feier der Heiligen Messe. Für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Herder Verlag, 1984, S. 484.
  11. Papst Franziskus. „Freut euch und jubelt“, Schreiben „Gaudete et Exsultate„ Über den Ruf der Heiligkeit in der Welt von heute. Patmos Verlag, 2018, S. 21.
  12. A. a. O. S. 36.
  13. A. a. O. S. 36.
  14. A. a. O. S. 85.
Erschienen in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück. J.P. Bachem Verlag GmbH. Mai 5/2019 150 ff.
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Gott bleibt dabei

Die Akteure der ersten Stunde, Maria, Josef, Hirten, Könige und Engel, sind zum hübschen, sinnfreien Ensemble geworden, das schmerzfrei bis zu 120 Tage vor Weihnachten immer wieder gerne im öffentlichen Raum und in Einkaufszentren für wahr genommen wird.

Oft wecken sie noch Emotionen, obwohl alles was von ihnen erzählt werden konnte, auserzählt ist. So verdunstet schleichend Weihnachten auf den Weihnachtsmärkten zum „Glühweinfest“. Der Nikolaus hat in den Regalen der Supermärkte den Kampf mit dem Weihnachtsmann, beide ganz in Schokolade, obwohl er noch gar nicht so richtig begonnen hat, mangels Marktreife schon verloren.

Doch es wird noch dünner kommen: Erinnerung erinnert die Menschwerdung in Bibliotheken, Gemäldegalerien und das WWW. 

Der 25. Dezember wird Gegenstand der Altertumsforschung. Die Bibel wird von Literaturpreisen flankiert verdichtet auf einen längeren Satz mit 5 Kommata. Das Christkind, schon längst Lichterkind genannt, und der inzwischen zum Rieseneichhörnchen mutierte Osterhase, sie verschmelzen ineinander zur duftenden Kuschelhülle mit Schlappohren für Pads und Handys.

Das Fest ist durch seine Präsenz an 365 Tage im Jahr zum Alltag geworden, und mit ihm auch die über 1500 Jahre an die Öffentlichkeit gezerrte Geburt Jesu.

Weiter: Das Krippenmotiv wird der Kategorie Landschaftsmalerei zugeordnet, die Kirche als Erzählort hat sich schon längst tot vertuscht, und die Menschwerdung Gottes ist einfach vergessen.

Weihnachten wird nicht mehr erzählt, die Spätfolge: In  Suchmaschinen nicht mehr zu finden.

Fazit: Weihnachten und alles schläft. Nur Gott nicht, er bleibt dabei: „Ich bin für euch Mensch geworden, auch wenn keiner mehr hinschaut.“ Wen wundert’s?

„Auf ein Wort“ Zentralredaktion Bistumspresse Osnabrück (S.Haverkamp {at} bistumspresse(.)de), Weihnachten 2018
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Schwung von Weihnachten zu Weihnachten

Vor Weihnachten ist nach Weihnachten, und dazwischen liegt ein Jahr, das die Kommunikation Gottes mit den Menschen aus der Vergangenheit heraus, hinein in die Gegenwart verdichtet in die Feier der christlichen Feste, Jahr um Jahr.

Das Ende dieser nach Wiederholung klingender Erneuerung im Glauben, die sich nun schon über 2000 Jahre modifiziert ereignet, ist der Tag, mit dem kaum einer von uns wirklich rechnet, zumindest nicht zu Lebzeiten, der Jüngste Tag, oder besser gesagt, des letzten Tages herkömmliche Wahrnehmung in Raum und Zeit und ihrer „Ränder“.

Doch bis dahin bleibt diese uns teilweise vertraute Kommunikation Gottes mit den Menschen ein Schlüsselbegriff, denn sie gibt Aufschluss darüber, was mit uns geschehen ist und geschieht auf dem Vordergrund unserer Wahrnehmung.

In Respekt verneige ich mich vor dem, im „Alten“ Testament Überlieferten, der Kommunikation Gottes mit den Menschen vor der Geburt Jesu.

Mit Weihnachten fing Herausragendes an: Wir sind hineingenommen in die Beziehung, die Gott selber ist, nämlich die Kommunikation des dreieinen Gottes, geführt im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus beginnt Gott diese einmalige Kommunikation, indem er des Menschen Leibhaftigkeit und Sprache annimmt, sich seiner Symbole und Bilder bedient und so, in menschlichen Gebärden dem Menschen näher kommt.

Weiter: Gründonnerstag deutet Jesus, er, der die Selbstaussage Gottes ist, ein einfaches Mahl um und begründet seine immerwährende Kommunikation unter den Gestalten von Brot und Wein.

Karfreitag durchleidet er das Schicksal eines jeden Menschen, nichts festhalten zu können. Karsamstag berührt er verborgen alle, vom ersten bis zum letzten Menschen, um mit Ostern in der Auferstehung niemanden unangetastet zurück zu lassen.

Himmelfahrt ist unumkehrbar die Zusammenführung des Menschlichen im Göttlichen. Mit der Geistsendung (Pfingsten) schafft er eine neue Verbindung zwischen denen, die ihm bis hierher glauben.

Dann der Dreifaltigkeitssonntag: Im Namen des Dreieinen Gottes ist die neue „geistbegabte“ Gemeinschaft der Christen einmalig verbunden, wenn der Priester, getragen von der Gemeinde wie jeden Sonntag, wie in jedem Gottesdienst bittet: „Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit wir ein Leib und ein Geist werden in Christus“. Ein für alle Male sind wir so aufgehoben in Gott! Diese Gewissheit ist der „Schwung“ unseres Feierns von Weihnachten zu Weihnachten.

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 12/2018 „Wortgewand“ 
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Säen ohne Vor – Sicht

Steiniger Boden, kein Wasser, glühende Hitze und Unkraut ohne Ende sind der Tod jeder Kulturpflanze. Um dies zu wissen muss man kein Agrarwissenschaftler sein, da reicht die normale Beobachtungsgabe, heute wie zur Zeit Jesu.

Aber: Wer den Worten Jesu folgt, „wer Ohren hat zu hören, der höre!“ (Mt 13,9) und das auch tut, bekommt von Jesus heute noch eine klare Ansage: Es wird gesät, unabhängig davon, ob die Saat sich entfalten kann oder nicht.

Sämann und Säfrau gehen los und bringen die Saat, die Erzählung von Gott, unter die Leute, ungeachtet wie diese darauf reagieren. Die, die aussähen, also erzählen, berücksichtigen nicht, ob das Wort Gottes genehm ist, anpassungsfähig, im Trend liegt, kompatibel ist mit sozialer Stellung oder einem System dient. Der Sämann geht los und erzählt!

Warum wägen Sämann oder Säfrau nicht besser ab, schonen ihre Ressourcen und urteilen vorneweg: Hier lohnt es sich zu erzählen, da ist es vielleicht einen Versuch wert, dort ist es aber eher Verschwendung?

Der Sämann, von dem hier die Sprache ist, sät nicht um kapitalträchtig zu ernten, also Profit zu machen. Nein, er sät, teilt aus, verkündet das Wort Gottes um des Wortes selbst Willen und deren freiheitliche Annahme. Er geht das Risiko ein, dass seine Verkündigung verpufft in steiniger Ablehnung, herzlosem Vertrocknen, hitziger Verunglimpfung oder im Wirrwarr geschichtlicher Faktenbeugung.

Jene, die heute vom Wort Gottes erzählen, sind Sämänner und Säfrauen und so Seelsorgerinnen und Seelsorger. Denn wer die Gegenwart Gottes unter uns Menschen im Wort weitergibt, der hat Interesse an den Seelen der Menschen, an ihrer Lebensqualität und ihren Perspektiven. Allerdings sind erzählende Sämänner und Säfrauen nicht dafür verantwortlich, auf welchen Boden ihre Saat fällt, denn sie können sich nicht an der Nachhaltigkeit als Erfolgsparameter orientieren, sie säen einfach nur, nicht mehr und nicht weniger.

Oft sind Eltern enttäuscht, die ihren Kinder viel Saatgut auf den Lebensweg gestreut haben, aber oft von der Saat ihrer Worte und Verhaltensweisen sichtbar nichts aufgegangen ist. Kinder also, die keinen Bezug mehr zur Kirche haben, denen Gott nicht wichtig erscheint, die an vielerlei Dinge glauben, weniger aber an den Sohn Gottes und die Auferstehung der Toten, und auch Gottesdienste nicht brauchen. Diesen Eltern, aber auch anderen Seelsorgerinnen und Seelsorgern ist meist nicht der Vorwurf zu machen, sie seien mit dem Saatgut nachlässig umgegangen. Sie haben getan, was sie tun konnten, ausgesät mit den eigenen Händen.

Übrigens: So manches Saatkorn hält sich lange in trockenem Erdreich menschlicher Biographien, bis eines Tages Sehnsucht, alte Verbundenheit oder neue Sinnsuche ein Stück vergangener Biographie wieder „bewässern“.

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 11/2018 „Wortgewand“ 
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Vom Wort abgelenkt

Da lesen Sie in der Heiligen Schrift oder hören im Gottesdienst einen biblischen Text, z.B. den von einem neu angelegten Weinberg, seinem Besitzer und dessen Pächtern.

Im Hören zieht diese Erzählung Sie weiter hinein in das Geschehen, in die Arglist und Brutalität, mit der die Pächter die Knechte des Besitzers verprügelten, steinigten und den Sohn des Besitzers sogar ermordeten, um die Pacht nicht zahlen zu müssen.

Und Sie lauschen interessiert weiter dem Verlauf der Erzählung, wie z.B. der Weinbergbesitzer wohl reagieren wird.

So verhalten Sie sich aufmerksam, wie es zumindest im Gottesdienst von der „Hörgemeinschaft“ erwartet wird, und wie es auch Kindern vor der Katechese im Familiengottesdienst wärmstens empfohlen wird, „doch bitte genau hinzuhören“.

Ganz plötzlich aber stolpern Sie über „etwas“, das Sie innerhalb des Textes auf einmal von diesem Text ablenkt. Der weitere Verlauf der biblischen Erzählung plätschert an Ihnen vorbei, während sie primär einem Gedanken nachgehen, angestoßen von „etwas“ eben im biblischen Text gehörten. Sie gehen nun Ihrem eigenen Gedanken nach, treten vielleicht in eine andere Welt ein oder kommen von einer anderen Seite in der eigenen neu an, während die weitere Erzählung an Ihnen ungehört vorbeizieht.

Öfters bleibe auch ich besonders im Hören biblischer Texte „ausversehen“ an so einem „etwas“ hängen. So zum Beispiel während ein Diakon im Gottesdienst aus dem Markusevangelium vorlas: „Zuletzt sandte er seinen Sohn …“ (Mt 21, 37).

Der Fortgang der Erzählung trat bei mir nun in den Hintergrund, da ich mich fragte: Wer könnte eigentlich an meiner statt meine Haltung, Meinung oder mein Interesse sichern? Wem würde ich zutrauen oder zumuten in meinem Namen zu sprechen? Wer könnte zumindest halbwegs meinen Platz einnehmen, mich vertreten und als solcher auch von anderen akzeptiert werden?

Ein Fazit auf mich bezogen: Wie ich kann keiner sprechen, aus meinem Verstehen und Fühlen heraus kann keiner argumentieren, an meine Stelle treten geht nicht, da stehe ich und sonst keiner, geht auch nicht anders! Aber: In meinem Namen zu sprechen, „zuletzt sandte er seinen Sohn …“, da wüsste ich jemanden, zugegeben nicht viele, vielleicht nur einen, so mein Gedankengang…

Biblische Erzählung hat das Recht gehört zu werden, so wie ich als Hörer das Recht haben, mich durch sie selbst von ihr ablenken zu lassen.

Hallo geneigter Leser, hörende Leserin, sind Sie noch da, oder sind Sie etwa an „etwas“ hängengeblieben, das diesen Text schon längst zur Nebensache hat werden lassen?

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 10/2018 „Wortgewand“ 
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Trauen Sie sich stolz sein?

In der jüdischen Glaubenstradition verwurzelt verkündete jemand: „Glaubt an mich!“ Das sind drei, alles Bisherige in dieser Glaubenstradition verrückende Worte, verrückter Glaube!

Und er setzte noch einen drauf und behauptete: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“

Der immer schon gesuchte Gott, ob in der Antike, den Naturreligionen, dem Judentum oder wo auch immer, jetzt ist er entdeckt, so darf geglaubt werden, denn hier öffnete einer ein bisher nicht vorhandenes Fenster: „Wer mich sieht, sieht Gott.“ (Vgl. Joh 12,45)

Die Menschen im Umfeld Jesu werden sich schon gefragt haben, was von jemandem zu halten sei, der so etwas sagt.

Klar, man muss die Menschen, nach denen gefragt wird – damals wie heute -, in den Kontexten ihrer Zeit zu deuten versuchen.

Auch wir werden ja gefragt, was wir von dem einen oder anderen Menschen halten, z.B. vom Bankberater, dem Pfarrer, von Napoleon, dem Hausmeister, Käthe Kollwitz, dem Paketboten, der Nachbarin oder wem auch immer.

Oft sind wir dann auch gerne bereit, über unsere Eindrücke Auskunft zu geben.

Wenn man dann auch noch nach einem Promi gefragt wird, und man eine ganz persönliche Erfahrung preisgeben kann, dann tut das der Mensch auch gerne: „Da hatte mich doch tatsächlich die Kanzlerin angerufen und gefragt, ob ich Zeit hätte; sie bräuchte einen Rat von mir.“ Wer Ähnliches erlebt, ist schon stolz.

Aber zurück zu unserem Promi, Jesus von Nazareth, mit dem „Künstlernamen“ Christus.

Irgendwie ist das mit ihm anders. Die meisten Menschen werden von ihm, dem Sohn Gottes, schon gehört haben. Über eine Milliarde Menschen nennen sich nach ihm Christen.

Einer davon sind Sie! Sicher werden Sie von ihm erzählen und tun dies sogar auch professionell. Als getaufte Christen, für Sie nichts Neues, haben Sie Anteil an dem Besonderen, Anerkennenswerten und Zukunftsfähigen dessen, was er geleistet hat. Lässt Sie die Freude Christin oder Christ zu sein, auch stolz sein?

Hier geht es nicht um den egoistischen Stolz, den der Kirchenlehrer Augustinus brandmarkte als eine ungeordnete Sucht nach dem eigenen Herausragen. Der hier gemeinte Stolz erwächst aus einer Nähe, die jemand zu Christus empfindet, und die ihn stolz sein lässt aufgrund seines Bezogen-sein-dürfens auf ihn hin.

Sie wissen: Es gibt diesen Stolz, den man aus Demut ganz für sich behalten, ja eigentlich unterdrücken will, weil Stolz dem Christen nicht „steht“, den aber trotzdem all jene spüren, denen es dieser Jesus angetan hat. Kennen Sie das auch?

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 9/2018 „Wortgewand“ 
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Der Christ ein verlorener Muslim;

Als Christ und Christin muslimische Freunde zu haben ist ein Geschenk! Und wenn der Glaube für den muslimischen Freund bzw. die muslimische Freundin alltagsrelevant ist, dann bleibt eine Freundschaft mit Muslimen über ihren „Eigenwert“ hinaus auch für christliche Seelsorgerinnen und Seelsorger nicht folgenlos.

Der „andere“ Glaube stellt sie nicht nur immer wieder neu vor die Herausforderung über ihn nachzudenken und so zu reflektieren was „Offenbarung Gottes“ bedeutet, sondern er schafft Emotionen mit Verletzungspotential.

Zum Freund geworden ist mir in meiner Tätigkeit als Hochschulpfarrer an einer mehr technisch ausgerichteten Hochschule ein muslimischer Student, nennen wir ihn Aschraf. In einem „Arbeitskreis“ der Hochschulgemeinde mit dem Titel „Unhöflicher Dialog“ trafen sich alle 14 Tage Studierende, Muslime und Christen zum Austausch auch über das, worüber man eher selten spricht, weil zu prekär. So z.B. über den insgeheimen Generalverdacht – bezogen auf den Islam -, dass jeder Muslim zum Bombenbau neigt, oder warum gibt nicht jede Muslima einem Mann die Hand, und warum duscht ein muslimischer Student nach dem Sport nicht nackt unter der Sammeldusche. 

Hinter diesen „vordergründigen“ Themen ging es dann oft in eine Tiefe, die die oberflächliche Bezeichnung des Treffens „unhöflich“ wandelte in eine Begegnung, in der alles ins Wort gebracht werden konnte und sollte.

Aus einer dieser Begegnungen stammt dieses Erinnerungsprotokoll:

„Eigentlich bist du als Muslim geboren“, sagt er. Sagt der Muslim.
Zu mir.
Ich bin Christ.

Ist schon heftig, eigentlich ein verlorener Muslim, sprich, ein Christ zu sein.
Lässt Wut aufkommen.
Wohin damit?

“Ein Muslim“, musste ich kontern, “kommt nicht in den Himmel, zumindest nicht in den, an dem ich anstehen darf.“
Lässt Wut aufkommen.
Wohin damit?

Das haben wir uns gesagt. So „unhöflich“ zu sein muteten wir uns zu.

Uns verbindet Freundschaft.
Die Verschiedenheit trennte uns nicht,
lässt uns aber auch nicht eins sein.

Wir diskutierten, erzählten, erklärten, ließen Gefühle zu, organisierten Verletzlichkeiten und verabredeten uns immer wieder neu.

Wir wollten das Schwierige nicht verschweigen.
Kann wehtun.
Verband und „ver – bindet“
unsere Verschiedenheit doch zur Freundschaft.
Deshalb hören wir nicht auf zu sprechen.

Es stimmt also:
„Weiter ist der Mensch, seit ein Gespräch er ist.“ (Hölderlin/Hemmerle)

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 8/2018 „Wortgewand“ 
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Katholikentag

Anmerkungen zu einem „Premium-Produkt“ unter den kirchlichen Großveranstaltungen

1. Anfänge der christlichen Großveranstaltungen

Solange wir in die Geschichte der Menschheit zurückschauen können, trafen Menschen sich immer schon, um gemeinsam zu essen, und nahmen dies zum Anlass, miteinander zu kommunizieren. Menschen trafen sich ursprünglich auch nur zu rein verbalen Kommunikationsformaten, und stellten dann nach Stunden der Begegnung fest, dass sie für sich ja auch noch die Nahrungsaufnahme organisieren müssten. So ist es auch zur Zeit Jesu gewesen und oft bis heute geblieben.

Um das Miteinander-Essen bzw. etwas zu essen organisieren zu müssen geht es in so manchen neutestamentlich belegten Formaten jesuanischer Kommunikation. Da ist z.B. im Anschluss an die „Selbsteinladung“ Jesu in das Haus des Zachäus eine kleinere Essensgemeinschaft zu vermuten. Das Neue Testament überliefert: „Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben (Lk 19, 5).

Die wohl prominenteste und nachhaltigste Begegnung auf Einladung Jesu ist mit 12 „Tischreservierungen“ bei Mt 26,20 beschrieben: „Als es Abend wurde, begab er sich mit den zwölf Jüngern zu Tisch (…).“

Einen zahlenmäßigen Sprung im jesuanischen Begegnungsformat macht die Speisung der 5000: „Am Abend aber traten seine Jünger zu ihm und sprachen: Die Gegend ist öde und die Nacht bricht herein

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Nicht ganz Feindesliebe

Feindesliebe! Haben Sie einen Feind, jemanden also, der Ihre Lebensqualität bewusst beeinträchtigen will? Feinde sind nicht Menschen die einem z. B. auf die „Füße getreten sind“, einfach nur nerven, oder üble Nachrede pflegen. Feinde sind Menschen, die bösartig das Dasein anderen Menschen bedrohen, die physisch oder psychisch verletzen wollen!

Haben sie solche Feinde?

Weitergehende Frage: Lieben Sie einen Menschen? Gemeint sind hier nicht Leute, die Sie nett finden, die Ihre Meinung teilen, oder mit denen Sie gut diskutieren können, sondern ein Mensch, für den Sie alles tun würden um sein Leben zu beschützen.

Haben Sie solche Geliebte?

Aber wie geht dann Feindesliebe, also den zu beschützen, der einem alles nehmen will. Wer klar hat was ein Feind ist und was Liebe ist, der muss ein Heiliger sein, um Feindesliebe leben zu können. Diese jesuanische Forderung ist eine Herausforderung, unmöglich alltäglich zu leben, so denke ich. Trotzdem sich einmal die Herausforderung konkret vorzustellen, wäre schon ein riesiger Schritt in Sachen „normaler“ Nächstenliebe. 

Nun zu einer anderen Baustelle: Ganz anderes als die Forderung der Feindesliebe, aber in der Überwindung zu ihr, ihr sehr nahe, ist auch unser Umgang mit Menschen, die einen selbst massiv anfeinden.

Kennen Sie Personen, die öffentlich ihre Kompetenzen bezweifeln, Ihre Autorität in Frage stellen oder Ihnen jedweden Durchblick absprechen?

Wenn ja, dann wäre hier nicht die Feindesliebe gefordert, sondern „nur“ die Nächstenliebe. Aber oft kommt es der „Unmöglichkeit“ der Feindesliebe fast gleich, solche Menschen und ihr Agitationen aktiv zu begegnen.

Egal ob in Gemeinden, Gemeinschaften oder Verbänden unterwegs, immer wieder bäumen sich Verweigerer auf, die an allem zweifeln, was einem selbst als richtig und wichtig erscheint. Und die haben dann auch keine Hemmungen ihr Verhalten als das einzig richtig öffentlich zu bekunden, so nach dem Motto: „Du kannst mir Garnichts“.

Irgendwie sind das aber keine Feinde, oder? Aber die zu lieben, zumindest zu akzeptieren, vielleicht sogar wertzuschätzen ist oft unendlich schwer. Aber gerade auch im beruflichen und besonders im pastoralen Begegnungen ist das kein zu akzeptierendes Verhalten.

Also was tun? „Einfach“ seine Pflicht! Im Dienst am Nächsten steht der Nächste, und mit ihm das Ganze, und so alle die Sorge trage in der Pflicht. Daraus folgt ein professionelles aufeinander zugehen auch in „unmöglichen“ Situationen, vielleicht so:

Selbstüberwindung, Anrede und dann: „Wir liegen quer, mögen uns auch nicht, aber der Dienst verbindet uns. Nur gemeinsam kann er gelingen. Was hindert uns vernünftig miteinander zu sprechen, wer kann uns helfen?“ Oder wie würden sie Anlauf nehmen?

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge 7/2018 „Wortgewand“ 
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