An den Anfang dieses Vortrages habe ich einen Ausschnitt der Radioübertragung anlässlich des Trauergottesdienstes und der Beisetzung von Bischof Klaus Hemmerle gestellt.
Genauer gesagt, es sind nur die einführenden Worte des Kommentators und der gemeindliche Gesang zu Beginn des Trauergottesdienstes selbst. Diese Aufzeichnung hörte ich in den vergangenen Tagen als ich versuchte die Endredaktion dieses Vortrages über Bischof Klaus Hemmerle zu fixieren, der nun heute hier unter dem Rahmenthema „Glaubensbilder – Lebensbilder“ gehalten wird.
An meinem Schreibtisch, für Augenblicke sitzend, um dann wieder auf und ab zu gehen merkte ich einmal mehr, wie anmaßend es mir schien, einen Vortrag über Bischof Klaus, den großen Theologen, Religionsphilosophen, Priester und Mensch zu halten, an diesem Schreibtisch, von dem aus ich Heiligabend 1993 mit unserem Bischof Klaus das letzte Mal länger telefoniert hatte. Würde ich heute mit ihm telefonieren können, um ihm von meiner selbstgewählten Not zu berichten, mich anmaßend zu fühlen, wenn ich über ihn vortrage, so glaube ich, würde er mir antworten: wenn mein einfaches und tiefes Sprechen von einer Marktfrau verstanden wird, dann wirst auch du es verstanden haben und davon sprechen können, auch wenn du kein Professor der RWTH bist.
Verstehen: Ja es müssen viel mehr Menschen verstanden, besser begriffen haben als die in der Einführung zum Begräbnisgottesdienst genannten Persönlichkeiten aus Kirche, Gesellschaft und Politik.
Es müssen auch die etwas begriffen haben, die sich zur selben Zeit draußen vor dem Dom, auf den Domhof drängten, aber auch jene, die so unterschiedlich gekleidet, so verschiedenen Alters und so vielfältiger Erscheinung waren und in den Tagen vor der Beisetzung etwas gemeinsam hatten, als sie am Sarg von Bischof Klaus, von diesem gemeinsam erlebten Wort Abschied nahmen, dieses Gemeinsame nämlich, etwas von ihm begriffen zu haben.
Bischof Klaus verschenkte etwas, was Menschen begreifen konnten und in diesem Verschenken gab er von dem, das er selbst als Datum, als ihm Gegebenes, anvertraut bekommen hatte und er verschenkte es mit der Substanz seiner selbst. Er schenkte im Augenblick das Ganze dessen, was ihm geschenkt wurde.
„Ein Geschenk an uns“: so sagt Chiara Lubich in einer Aufzeichnung einer telefonischen Konferenzschaltung unmittelbar nach dem Tod von Bischof Klaus: „Bischof Hemmerle bezeugte mit seinem Leben unser Ideal der Einheit. Auf ihn können wir schauen, wenn wir die Schwerpunkte unserer Spiritualität tiefer verstehen wollen. Gott bedeutet ihm alles. Daher bemühte er sich, seine Willen zu erfüllen und seine Worte zu leben. Jemand, der ihn gut kannte, sagte von ihm: ‚Er war verliebt in das Wort Gottes‘. Viele Menschen erinnern sich an die persönliche Liebe, die er ihnen entgegen brachte. Nicht nur mit Bischöfen aus aller Welt, mit denen er verbunden war, auch mit vielen anderen versuchte er Gemeinschaft aus gegenseitiger Liebe aufzubauen. Jesus, der Verlassene, war für ihn ein beständiger Orientierungspunkt, Maria eine Mutter. Man sagt, er sei ein Priester nach dem Herzen Gottes gewesen. Er diente der Kirche im Hören auf den Heiligen Geist. Sein Leben galt der Einheit.
Er ist von uns gegangen. Doch er ist uns auch geblieben – als Vorbild.
Er verschenkte etwas, was vielleicht auch nur für Augenblicke (der Augenblick war für ihn ein immer wichtiger und wesentlicherer Moment) den Menschen, die annehmen konnten, gut tat. Mehr noch, er gab sich so (er ergab – ergeben im Doppelten Sinn), dass andere wirklich vorkommen konnten. Sein sich so geben war von der Qualität, die ohne die Qualität des anderen keine neue Qualität wirklich werden konnte.
Einheit war seine „Sucht zu sehen“, seine Sehnsucht aus dem verliebt sein in das Evangelium heraus.
„Omnis unum ut mundus credat“, sein Leitwort aus dem Johannesevangelium war gefüllt mit geistigen und geistlichen Erlebnissen aus seiner spirituellen Heimat der Fokolarbewegung, und wurde ihm am Tag seiner Weihe zum Bischof von Aachen nochmals in besonderer Weise als Lebenswort (Wort des Lebens) von Chiara Lubich geschenkt.
Nicht erst in seinen ersten Priesterjahren nach seiner Weihe 1952, hatte er sich in eine für ihn faszinierende Nähe zu dem „drei-einen-Gott“, dem Beziehung, dem Einheit seiendem Gott gewagt. Die sich bis heute und über das Heute hinaus immer tiefer und weiter entfaltende Spiritualität der Fokolare (nicht zuletzt auch durch Bischof Klaus geprägt), wurde für Klaus zum heimatlichen Ausgangsort, der stets sich verortenden Beziehung von ihm zum verlassenen Christus, indem er durch die Wahrnehmung realen Leides hindurch Auferstehung schon schmeckte; so wie zu Maria, sie begreifend er an ihr zum Hinweisen (als Kontinuum) auf die Liebe Gottes wurde.
Ich erinnere mich gut wie wir vor knapp 10 Jahren durch die Weinberge bei Bingen spazierten und er voller Begeisterung in seinem unverwechselbaren Dialekt und mit sprachlicher Genialität von der Theologie der fokolarinischen Spiritualität inklusiv von seinen neuesten diesbezüglichen Erkenntnissen sprach und er so brillierte und ich staunte und meinte zu verstehen! Heute im nachhinein muss ich ein wenig zweifeln an der Aussage von Bischof Karl Lehmann im Trauergottesdienst, „dass die Sprache von Bischof Klaus so einfach und so tief war, dass die Marktfrau und der RWTH Professor sie gleichermaßen verstand“. Es bleibt dann doch wohl mein kleines Problem, ob es jenseits von Marktfrau und Professor noch etwas gibt, wo ich dann vorkommen könnte.
Doch dem eben gesagten zum Trotz, auch wenn ich im Nachhinein verstand, dass ich von seinem Sprechen nicht immer alles verstanden habe, so blieb doch ein Begreifen meinerseits zurück, ein Begreifen, ein Stück Ahnung haben von dem, was er zutiefst mitteilen wollte. (Es ging ihm nicht primär um wissen im Sinne der Wissenschaftlichkeit sondern ihm ging es vielmehr darum sehen zu vermitteln).
Sein geliebtes Wort Gottes, gelebt in der Fokolarbewegung, und immer auch darüber hinaus, begleiteten ihn durch alle Etappen seines Lebens: ob er in der Lehre tätig war oder als Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, ob als Bischof von Aachen, als Vorsitzender der Kommission für geistliche Berufe der deutschen Bischofskonferenz, oder als Mitglied des Rates der Bischofsynode in Rom, oder einfach in so unendlich vielen Begegnungen als Mensch Klaus auf Mensch Du hin.
Eines gab er nie auf: Seine bewohnbare Vision von der Einheit, von dieser großen Stadt, die entsteht von oben nicht ohne das Unten und von unten nicht ohne das Oben. Wie oft jedoch auch spürte er seine Grenzen. Ob in der Verwaltung unseres Bistums oder an den Gräben zwischen Kirche und Gesellschaft, ob es der oft fast nicht mehr seiende seidende Faden des Gemeinsamen in der Bischofskonferenz war oder die Unvermittelbarkeit vieler kirchlicher Gesetzmäßigkeiten in unsere Gesellschaft hinein.
Vielleicht waren das die Augenblicke, an denen er sich an sein Klavier setzte, Mozart, Bach und Beethoven spielte. Sicherlich waren es aber auch jene Augenblicke, in denen er betete „Omnes unum …“, sicherlich waren es auch die Augenblicke, in denen er sich von Menschen verabschiedete, mit denen er um Einheit rang und diese, wenn auch noch nicht gefunden, er sie aber mit unsichtbarer Tinte in seine Visionen geschrieben hatte, die jedoch so unendlich zerbrechlich an der Realität wurden, und er sich dann nochmals verabschiedend zu den Menschen umschaute und winkte in seiner unverwechselbaren Art.
Seine Kraft und sein Motiv blieben, zu geben, was ihm gegeben wurde; Gott und sich selbst, diesen Gott im Dialog, im gemeinsamen Augenblick, in Weggemeinschaft auf dem Erlebnishintergrund einer sich real darstellenden Gesellschaft und des Seins der menschlichen Existenz.
Bischof Klaus wusste um die Menschen unserer Gesellschaft, er wusste um die Lebenssituationen, um die Bedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen in seinem Bistum, auch wenn er teilweise das Leben einer „very important person“ führen musste. Diese Menschen, um die er wusste, erlebte er als Menschen, die eine Ahnung von Gott aus ihrem Leben noch nicht evakuiert haben, auch wenn sie oft binnenkirchlich als Gottesdienstbesucherinnen und -besucher nicht zählbar waren oder sogar offen gegen die Institution Kirche auftraten. In einem seiner ca. 30 Bücher, das 1975 unter dem Titel: „Theologie als Nachfolge – Bonaventura ein Weg für Heute“ erschienen ist, gab er seiner Ahnung von der Ahnung des Menschen wie folgt Ausdruck: „Als die heilige Klara vor Franziskus trat und er sie fragte, was sie von ihm begehre, soll sie mit einem einzigen Wort geantwortet haben, mit dem Wort: Gott. Wenn der Mensch von Heute mit mancherlei Fragen, Anklagen, Provokationen vor die Kirche, vor die Theologie, vor den gläubigen Christen hintritt und wenn man hindurchhört auf das, worum es in solchen Fragen, Anklagen und Provokationen zutiefst geht, dann trifft wiederum kein anderes Wort als dieses selbe: Gott. Dem ersten Augenschein nach mag dies eine verwegene Behauptung sein. Sagen nicht viele, dass ihnen das Wort Gottes gerade nichts mehr sagt? Wird es nicht Hülse ohne einen Inhalt, den der Mensch in seinem Leben verifizieren könnte? Müsste man nicht eher formulieren: dem Menschen von Heute gehe es um die Zukunft, um die glaubwürdige Gestalt des Menschseins, um Identität, um Ursprünglichkeit, um das, was man den Sinn des Lebens nennt? Und doch zeichnet sich immer deutlicher ab, dass christliche Antworten, die sich um die letzte Eindeutigkeit des Bekenntnisses herumdrücken, Antworten, die nicht durchstoßen zum befremdlich eigenen und eigentlichen des Glaubens, (diese halbherzigen Antworten) nur zum Anlass werden, sich enttäuscht von denen abzuwenden, die im Grunde doch nichts anderes anzubieten haben als ungezählte Analysen, Heilslehren, Versuche und Entwürfe sonst auch. Kirche und Theologie – und genau genommen jeder Christ – sind gefordert, Gott, nichts weniger als ihn, glaubhaft, verständlich und lebendig werden zu lassen.“ Die von der Ahnung um das Göttliche angehauchten Facetten menschlichen Lebens gilt es im gemeinschaftlichen Leben zu entfalten auf den hinter der Ahnung sich selbst aushauchenden Gott, der Atem menschlichen Lebens sein möchte.
Entfalten lassen sich diese Ahnungen um das Göttliche nur auf dem Boden der Ursprünglichkeit des Evangeliums.
Der heilige Franz, der im 13. Jahrhundert den Menschen seiner Zeit, die wie selbstverständlich christlich geprägt waren und das Evangelium gesellschaftsfähig im Gepäck hatten, dieser heilige Franz trug diesen Menschen die Ursprünglichkeit des Evangeliums tanzend, singend, erzählend neu in ihr Leben. Franz ist für Bischof Klaus ein Weg für heute „Um das, was Franz von Assisi der damaligen Tradition gegenüber an Neuem und ursprünglich Altem darstellte, geht es auch heute: Nur der unselbstverständliche Urtext des Evangeliums, zugleich aber auch die neueste und radikalste Übersetzung dieses Urtextes holen die Geschichte der Verdrängung und des Vergessen Gottes in der Neuzeit auf. Der Mensch sucht heute wieder nach Ursprünglichkeit. Er hat sich, neuzeitlich, selbst zum Ursprung seiner Welt gemacht in Wissenschaft, Technik, Philosophie und Konstruktion der Gesellschaft. Nun ist er der von sich selbst verplante, der in seinen eigenen Ansatz verstrickte und verfangene, der von sich selbst um seine Freiheit Betrogene geworden. Heute will er den Ursprung, der er ist und doch nicht mehr ist, wiederhaben – und er ahnt zumindest, dass er diesen Ursprung nur dann hat, wenn er nicht nur sich als Ursprung, sondern die reine, unverfügbare Ursprünglichkeit, christlich gesprochen: wenn er Gott erfährt und empfängt.
Die Sprache, in der heute gefragt und verstanden wird, ist eine andere als die des 13. Jahr- hunderts, das Wort, nachdem diese Sprache fragt und das sie selbst wieder sprechend werden lässt, ist dasselbe: „Gott“
Die Bedeutung des Heiligen Franziskus verdichtet Bischof Klaus auch für heute in einem Bild wie folgt: „In ihm sind die geheiligten Worte wieder als lebendige Worte erfahrbar, in ihm fällt der Stein, der die Spitze eines ragenden Gewölbes ziert, wieder auf den Erdboden und wird zum Grundstein, auf dem sich gegenwärtiges, alltägliches Leben bauen lässt.“ 1 Klaus Hemmerle konnte in seinem vom Leben geerdeten Sprechen diese Ursprünglichkeit des Evangeliums wieder ins Wort setzen. So sprengte er das altvertraute Evangelium in seinen Worten zu seiner Ursprünglichkeit auf.
Ich möchte Sie nun einladen, einen zumindest so scheinenden kleinen Sprung zu machen. Einen Sprung zu zwei anderen Theologen der Kirchengeschichte: Thomas von Aquin und Bonaventura. Unter dem Stichwort “ Zwei Weisen von Integration“ sagt Bischof Klaus über Thomas von Aquin: „Faszinierend ist an Thomas die Fähigkeit, aus verschiedenen Positionen Wesentliches für die eigene fruchtbar zu machen, und beinahe noch mehr das Vermögen, sich auf verschiedene Gangarten und Ansätze des Denkens so einzupendeln, dass dabei das Eigene seines Partners zur Geltung, zugleich aber im Gespräch zu einer Integration in einem je weiteren Horizont kommt.“
Und nach dem Motto das kann Bonaventura zwar nicht dafür aber was anderes schreibt er weiter:
„Bonaventura gelingt das gewiss nicht weniger erstaunliche die verschiedene Sachbereiche durchgreifende polare Spannungen aufzudecken und zu vermitteln, (…). An dieser Stelle mögen knappe Hinweise genügen: Das Werk des Bonaventura im ganzen darf gelten als Vermittlung zwischen Rationalität und Mystik, zwischen Ansatz bei Gott allein und Ansatz bei der existentiellen Situation, zwischen schlichter Nachfolge und ins äußerste vorgetriebener Reflexion, zwischen getreu übernommener Tradition und der Kühnheit eigenen Entwurfs, zwischen ‚objektiv‘ expliziertem Glaubensinhalt und ’subjektivem‘ Glaubensvollzug, zwischen Metaphysik und Heilsgeschichte.“
Konnte Klaus Hemmerle das alte so vertraute Evangelium in seinem Leben und seinen Worten nicht erst dadurch zu seiner Ursprünglichkeit aufbrechen lassen, weil er die Fähigkeit besaß in diesem Punkt das Erbe Bonaventuras und Thomas gleichermaßen anzutreten. Verinnerlichte Klaus nicht das faszinierende des Aquinaten durch das bereichernde Eigene zu einem „Hemmerle“, der das Eigene in das Licht des Eigenen eines je anderen Menschen stellte? Gemeinsam fragend, suchend und so hoffend um Einheit und so in der Integration einen je weiteren Horizont beschreitend (da wo es von allen gewollt auch gelingen konnte). Ist die Weise wie Hemmerle diesen Weg, diese Weggemeinschaft geht nicht beschrieben in dem Wort von Hölderlin „vieles hat Erfahren der Mensch seid ein Gespräch wir sind?“
Ist es nicht auch der selbe Hemmerle der das integrative Talent von Bonaventura nochmals zu seinem je eigenen, dem „Hemmerletypischen“ macht. So stimmt doch für Klaus selbst, dass, was er Bonaventura postuliert: durchgreifende polare Spannungen zu vermitteln zwischen Rationalität und Mystik, zwischen Ansatz bei Gott allein und Ansatz bei der existentiellen Situation, zwischen schlichter Nachfolge und ins äußerste vorgetriebene Reflexion, zwischen je treu übernommener Tradition und der Kühnheit eigenen Entwurfs.
Ist diese Gabe nicht verdichtet im tiefsten Sinne des Wortes in dem Ostergruß, den er 1993 Menschen seines Bistums wünschte:
Ich wünsche uns Osteraugen,
die im Tod bis zum Leben,
in der Schuld bis zur Vergebung,
in der Trennung bis zur Einheit,
in den Wunden bis zur Herrlichkeit,
im Menschen bis zu Gott,
in Gott bis zum Menschen,
im Ich bis zum Du zu sehen vermögen.
Mit solchen Augen können nur Menschen sehen, die die Fixierung verlassen und Perspektiven in den Blick nehmen. Die bewegt sehen können, selbst das was am weitesten voneinander entfernt scheint „im Menschen bis zu Gott“ und alles umgreifend, untrennbar zusammen, ineinanderstehend „in Gott bis zum Menschen“!
Bewegt sehende Menschen sind Wegmenschen. Die Einladung: Bewegte, Wegmenschen zu sein, drückt Bischof Klaus in seiner ersten Predigt im Aachener Dom, anlässlich seiner Bischofsweihe am 08. November 1975, so aus: „Die Gemeinschaft ist die Aufgabe die ich vor mir sehe. Aber diese Gemeinschaft ist nicht nur eine Aufgabe. Diese Gemeinschaft ist schon jetzt eine Erfahrung in diesem Gottesdienst. Ich hoffe, wir haben sie alle gespürt. Und wir sind nicht nur die Summe vieler Einzelner, von denen jeder seine Ideen im Kopf hat, und dann addieren wir uns unter einen gemeinsamen Nenner, sondern wir sind verbunden. Und was uns verbindet, ist mehr als die Woge der Bewegung oder der Begeisterung, die hier so schön genährt ist durch diesen einmaligen herrlichen Raum, durch diese schöne Liturgie, durch diese wunderbare Musik. Aber was uns hier bewegt und verbindet ist etwas tieferes für das alle Schönheit und aller Glanz nur ein äußerer Ausdruck sein können. Ich möchte sagen, es ist die Gabe aller Gaben, es ist die Gabe des göttlichen Lebens selbst. Gott hat uns alles gegeben, was er hat. Er hat uns sein eigenes Leben gegeben, damit wir dieses Leben miteinander leben. Und dieses Leben ist jene göttliche Einheit von Vater und Sohn im heiligen Geist. Nur wenn wir so leben wie der Vater und der Sohn im heiligen Geist, nur wenn wir das Leben Gottes leben, nur dann haben wir das Maß unseres Christseins erfüllt. Und nur dann, wenn wir dieses tun, werden wir auch zur Antwort werden in dieser Zeit, zur Antwort an die Menschen, die herauswollen aus ihrer Vereinzelung, die herauswollen aus der Angst, dass sie nur an den Rand Gedrängte sind, die herauswollen aus diesem Silbenrätsel der Welt in dieses eine Wort, in dem sie geborgen sind, in dem sie sich verstehen können, in dem sie einander verstehen können. Und dieses eine Wort ist das göttliche Leben, dass uns erschlossen ist in Jesus Christus, der uns Anteil gegeben hat an seinem Verhältnis zum Vater.“
In der selben Predigt sagt Bischof Klaus an anderer Stelle: „Aber das soll kein Programm sein, denn mit Programmen fahren wir nicht gut. Es soll ein Leben sein, und deswegen muss ich mich unter dieses ‚Programm‘ stellen. Ich muss selber damit anfangen, diese Einheit zu leben. Und da bin ich darauf angewiesen, dass sie alle, meine Schwestern und Brüder, mir helfen, das wir das miteinander tun.“
Wir wissen heute, dass dies wirklich kein Programm war, das es zu veranstalten galt, es war kein Programm von Satzwahrheiten, es war schlicht und ergreifend ein Weg, sein Weg indem er seinen Glauben und sein Leben im Unterwegssein mitteilte. = Nachfolge!
Zur Nachfolge schreibt Bischof Klaus in seinem Buch über Bonaventura „Nachfolge (…) hat Wegcharakter, und das spezifische des Weges der Nachfolge ist, dass er ein Weg, aber Weg aus doppeltem Ursprung ist, Weg, der einzig und allein geprägt ist durch den, der vorgeht, Weg, der jedoch gerade so auch den spontanen und eigenen Weg dessen ausmacht, der nachfolgt.“
Weggemeinschaft war der Ort des Lebens unseres Bischofs und nicht erst in den letzten zehn Jahren in unserem Bistum. Zu diesem Thema möchte ich in diesem Vortrag zum letzten Mal Bischof Klaus selbst sprechen lassen. Als er in einem Vortrag am 25. April 1990 der Frage nachgeht, worin Weggemeinschaft theologisch für ihn begründet war. Hier der Grundgedanke:
„Wenn ich Rechenschaft geben soll, worin Weggemeinschaft theologisch gründet, dann kommt mir oft ein Bild vor Augen. Gott wohnt zwar in einem Haus, aber er ist zugleich auch Nomade. Gott hat durchaus einen Ort: „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen“ (Joh. 14,2). Er wird uns stets aufnehmen, und wir können immer zu ihm gelangen, denn er selbst öffnet uns sein Haus. Aber Gott beschränkt sich nicht darauf, ein Haus zu bewohnen; er bricht mit uns auf und ist unterwegs, wo immer Menschen auf dem Wege sind. Gerade dies ist aber eine grundlegende Ortsbestimmung: Jahwe selbst bereitet die Wege, um das bedeutsamste und wirkmächtigste Ereignis der Weltgeschichte anzubahnen – Gott selber hat sich ein für allemal unwiderruflich in allen menschlichen Wegen auf den Weg gemacht. Er selber ist auf dem Weg eines Menschenlebens alle Menschenwege mitgegangen. „Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt“, formuliert die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils (GS 22). Dass einer den Weg der Vielen sich zu eigen machte und mit einem jeden Menschen mitging, ist das entscheidende Heilsereignis in Jesus Christus. So stehen wir als Christen vor dem unbedingten Anspruch, jeden Menschen erfahren zu lassen, dass er nicht allein ist, sondern dass jemand mit ihm auf dem Weg ist. Dies kann aber nur geschehen, wenn wir selber uns mit anderen auf den Weg machen. Dieses Mitgehen ist der Dank und die schuldige Antwort gegenüber jenem, der uns Weggeleit geschenkt hat. Kirche, welche als wanderndes Gottesvolk auf dem Wege ist, wird so zu einem Raum, in dem kein Mensch allein gehen muss – weder jene, die zur Kirche gehören, noch jene, die ihr fern stehen“.
Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen setzt er den Gedanken faszinierend eindeutig, stringent und so ungeahnt einfach um:
„Was können wir von Kindern im Blick auf das Thema der Weggemeinschaft lernen? Kinder lehren uns gehen: Die Weise, wie sie zu gehen beginnen, ist zugleich Herausforderung zum Mitgehen; sie laden ein, sie zu begleiten durch ein Weggeleit, das sie aber nicht gängelt, sondern freigibt, ohne sie freilich allein zu lassen.
Was lernt das Kind selbst in seinem Gehen? Was können wir an diesem Selbsterlernen des Kindes ablesen? Das Kind lernt das Ich, es lernt das Du, und es lernt das Wir.
Das Kind lernt, indem es selbst geht und sich selbst in Kommunikation auf den Mitmenschen hin, auf andere und anderes zu bewegt. Solches Gehen geschieht als Mitteilung, als Geschenk, um auf diese Weise in das Wir hineinzuwachsen. Das Miteinander und Aufeinander zu, das dem anderen das Selbergehen gönnt und ihn nicht gängelt, ist eine fundamentale Form, wie Subjektwerdung geschieht.“
Was das Gehen eines Kindes und die Weggemeinschaft gleichermaßen bezeichnet, da und nicht nur da, hat unser Bischof die Kinder gut verstanden und ich glaube, Kinder haben unseren Bischof zwar nicht immer verstanden was die Worte angeht, aber begriffen.
Ob ich ihn verstanden habe weiß ich nicht genau, aber eines weiß ich:
Als ich im Krankenhaus unseren Bischof besuchte, und er sehr viel aus seiner persönlichen Geschichte, seinem Erleben mir erzählte nahm er das Bild eines Menschen aus seinem Nachttisch, zeigte es mir und erzählte welche Wichtigkeit dieser Mensch für ihn hatte. Da spürte ich, er hatte mich begriffen!
Ihn, unseren Bischof begreifen, bedeutet zu verstehen das er begreifen wollte. Ihn, unseren Bischof begreifen, bedeutet so glaube ich weiter: Ihn, dem Herrn gemeinsam folgend, den je eigenen Weg miteinander, im Aufeinander zu zugehen um so ihm, dem Herrn, entgegenzugehen.
„Seine“ letzte Veröffentlichung, die die Vorträge von 1991 enthält, welche er in Kärnten bei den St. Georgener Gesprächen gehalten hat, konnte Bischof Klaus nicht mehr selbst herausgeben. Nicht einmal mehr ganz für die Veröffentlichung überarbeiten.
Peter Blettler, sein Bischofskaplan hat diese letzte Veröffentlichung auf den Weg gebracht und herausgegeben unter den Titel: „Leben aus der Einheit“. In seinem Vorwort schreibt Peter Blettler: „Der Buchtitel Leben aus der Einheit verspricht auf den ersten Blick nicht, etwas Neues von Klaus Hemmerle zu erfahren. Oft genug hat er bei vielen Gelegenheiten gerade über dieses Thema gesprochen oder geschrieben.“
Wenn ich die Frage nach dem Verstehen, besser die Frage des Begreifens wie eingangs erwähnt hier nochmals stelle, dann weil ich meine das Peter Blettler die Antwort sehr einfach am Schluss seines Vorwortes formuliert hat:
„Nehmen wir dieses Buch darum dankbar als seine Ermutigung und Einladung zu einem Leben aus der Einheit. Dann ist es ein neues und aktuelles Buch von Bischof Klaus Hemmerle.“
Dies, so glaube ich, ist der einzige Weg, der auch dem Leben von Bischof Klaus am gerechtesten wird, der einzige Weg ihn zu begreifen, zu versuchen, zu tun was auch er versuchte in seinem Leben zu tun: „In Menschen bis zu Gott und in Gott bis zum Menschen zu sehen zu vermögen“.
Das große Geheimnis der Einheit, seine bewohnbare Vision von Gottes Zelt auf Erden ist das große Geheimnis, das Bischof Klaus in seinem Leben erfahrbar und greifbar werden lassen wollte.
Oder nochmals ganz einfach auf Gott und in gleicher Weise auf dem Menschen hin gesagt:
Ich lege meine „Zeit“ (Zeit mehr als reine Zeit) in Deine Hände, damit sie unsere „Zeit“ wird!