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Nachtgebet des Kräftigen

Du gabst mir einen liebenswerten Körper
Aber keinen muskulösen Body.
Meine Hände können schaffen
Aber kräftig sind sie nicht.

Mein Kopf ist voller lebendiger Ideen
Aber sehr empfindlich.

Meine Schenkel sind empfindsam
Aber nicht sehnig.

Meine Füße können tanzen
Aber haben noch nie ein Tor geschossen.

Danke für die Liebenswürdigkeit meines Leibes:
Die Kraft seiner schaffenden Hände
Die Kraft seiner lebendigen Ideen
Die Kraft seiner empfindsamen Schenkel
Die Kraft seiner tanzenden Füße

Danke für deine Kraft in mir,
die mehr als Muskeln ist.

Aus „Für mich ist was drin“, Bergmoser + Höller Verlag, 1998.
In Lyrik + mehr, Salzburg 2001 veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren

Diese Freiheit kann mich …

Die Freiheit kann man:
essen
in der Geldbörse tragen
schlürfen
sich auf`s Gesicht schmieren
um den Hals tragen
fahren
in Gummi haben
lesen
sich um den Hintern wickeln
überall klingeln hören
sprühen
sich über die Beine ziehen
atmen
sich wohin stecken
kauen
auf Almen muhen hören
rauchen
im Kaffee trinken
auf’s Brot streichen
die Freiheit schwimmt sogar in Mich!
Diese Freiheit kann mich …
Und diese Freiheit nehm ich mir!

Aus „Für mich ist was drin“, Bergmoser + Höller Verlag, 1998.
In Lyrik + mehr, Salzburg 2001 veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren

In meinem Nacken

Hinhalten müssen
Aushalten müssen
Halten müssen
Starr
Verkrampft
Müde

Haar
Wimper
Ohr
Wange
Nase
Lippenwinkel
Atem

Leg deinen Kopf in meinen Nacken
Trost!

Aus „Für mich ist was drin“, Bergmoser + Höller Verlag, 1998.
In Lyrik + mehr, Salzburg 2001 veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Ruhig atmen

Grenze Dir gesagt
Dir in Händen entgegengestreckt
Deinen Atmen hörend und spürend
Deine Hände mir nah

In meinem Herzen
quer durch meine Gedanken
auf der Bettkante
meiner geschliffenen Rede ins Wort gefallen

Du wirst nicht lachen
es macht Dich nicht wichtiger
ich werde nicht winziger
Du wirst es nicht ausnutzen

Noch nie wollte ich das loslassen
verletzbares Ich
neue Haut habe ich gefunden
umhüllt, getragen

Durch Deinen Mund kann ich atmen
mein Atmen wärmt Deine Haut
Du gibst von Dir und es bleibt
gehaucht durch meine Haut

An-Grenzen
Atem überlassen

Aus „Für mich ist was drin“, Bergmoser + Höller Verlag, 1998.
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Dem Geist in uns Raum geben

Besinnung auf Taufe und Firmung

Faxbox-Predigt zum 4. Fastensonntag 1998

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen,

Menschen verbinden oft mit besonderen Glücksmomenten, frohmachenden Erlebnissen, tiefgreifenden Ereignissen, Tagen eines besonderen Geschenkes, aber auch Begebenheiten unglücklicher Trennung wie Tod oder zerbrochenen Beziehungen, ein entsprechendes Datum. So zum Beispiel das Datum der eigenen Geburt, der Hochzeitstag, der Todestag eines lieben Menschen, der Geburtstag eines Wegbegleiters, das Datum eines Jubiläums und vieles mehr. An wichtige Ereignisse unserer Beziehungswelt und besonders an die schönen Begebenheiten erinnern uns besondere Tage, ein herausragendes Datum, die Tage, an denen uns etwas gegeben wurde, wie die Übersetzung des Wortes Datum sagt: Datum, „es ist uns gegeben“!

Kennen Sie, liebe Mitchristen und Mitchristinnen, das Datum ihrer Taufe oder ihrer Firmung noch? Die meisten von uns werden hier passen müssen. Vielleicht ist ja noch so gerade das Datum der eigenen Taufe aus dem Gedächtnis herauszukramen. Aber der Tag der eigenen Firmung, wenn es sie überhaupt gab, ist verschollen, da müsste man erst irgendwo einmal nachschauen.

Warum haben so viele von uns das Datum ihrer Taufe oder Firmung nicht mehr präsent, beziehungsweise sehen kein Anlass diese Tage zu feiern, obwohl Taufe und Firmung doch zentrale Ereignisse unseres Glaubens und der Gemeinschaft der Glaubenden sind oder besser gesagt sein sollten? Die Taufe, so sagt die Kirche, die Gemeinschaft der Glaubenden, sei das Ereignis, in dem Gott jeden einzelnen Menschen in eine unzerbrechliche Beziehung zu sich selbst aufnimmt, die vermittelt ist in Jesus Christus und seinen Lebensort in der Gemeinschaft der Glaubenden haben soll. Taufe ist individuelle Beziehungsstiftung von Gott auf den Menschen hin, die getragen und geprägt ist von der Begeisterung Gottes für jeden einzelnen Menschen von Beginn seines Daseins an.

In der Firmung gibt der heranwachsende Mensch seine eigene ausdrückliche Antwort auf dieses Beziehungsangebot Gottes. Er bekennt sich zu seiner Begeisterung sich auf Gott beziehen zu wollen. Die Zusagen des Firmspenders: „Sei besiegelt mit dem Heiligen Geist“ ist der Ineinsfall des Angebotes Gottes ein Geschenk der Beziehung für uns Menschen zu sein und der Annahme dieses Geschenkes durch den Menschen auf dem Fundament der gegenseitigen Begeisterung füreinander, dem Geist der Beziehung in, durch und mit Jesus Christus.

Die Tatsache, dass wir unverhältnismäßig häufiger z. B. unseren Geburtstag feiern, den Tag der Freude darüber da zu sein, dasein zu wollen, auch wenn unser Leben nicht immer ganz einfach ist, als den Tag unserer Taufe oder Firmung, lässt doch die Fragen zu, ob diese Tage der Sakramentenspendung wirklich so zentral für unser Glaubensleben sind. Warum scheint es so wenig lohnenswert uns mit einem Fest, einer Fête, mit Tanz und Gesang in Gemeinschaft uns wichtiger Menschen an diese Tage zu erinnern?

Feiern wir sie nicht, ja vergessen wir diese Tage einfach, weil sie so wenig mit unserem Leben, unserem leben-wollen zu tun haben?

In seinem Hirtenfastenwort beginnt unser Bischof Heinrich seine Botschaft an uns mit dem Bild der beiden Seen, dem See Genezareth der voller Leben ist und an dessen Ufer üppige Ölbäume, Palmen und alle Arten von Blumen unter dem weiten Himmel sich räkeln und dem Toten Meer, in dessen extremhaltigen Salzwasser keine Fische leben können und an dessen Ufer es nur tot ist, Salz und Wüste.

Nach was schmecken für uns diese Daten unserer Taufe und Firmung? Nach frischem Wasser, quirligem Leben, in leichter Brise sich wiegende Palmen und kräftigen Blumen oder nach Salz und Sand?

Der See Genezareth bringt diese Vielfalt des Lebens hervor, weil er Wasser auch wieder abgibt, das Wasser des Jordan fließt unablässig durch ihn durch, er ist Wasser in Bewegung. Das Tote Meer ist Wasser im Stand ohne Abfluss, der Verdunstung preisgegeben.

Was für einen Menschen nach Salz und Sand schmeckt, das feiert er nicht, das möchte er besser vergessen. Nun kann man ja sehr schnell darauf eine Antwort finden und sagen, viele Dinge in Kirche und Gemeinde schmecken mir eben nicht. Christsein scheint nur mit Auflagen, Arbeit und Ärger verbunden zu sein. Da schmeckt nichts nach Leben, nach ehrlicher und offener Gemeinschaft. Warum sollte ich stolz und froh sein in diese Kirche hineingetauft und gefirmt zu sein? Diese Kritik ist berechtigt, aber die erste Antwort liegt nicht in der Kirche als solcher, denn die Kirche als solche ist weder getauft noch gefirmt. Die Menschen in ihr sind Getaufte und Gefirmte, jeder Christ und jede Christin, ob Pfarrgemeinderatmitglied oder nur Kirchgänger, ob Priester, Bischof oder Papst, ob Hauptamtlicher oder Besucher des Jugendheimes, ob Vorsitzende der Frauengruppe, Verbandsmitglied oder Ehrenamtlerin in der Caritas …

Jeder und jede von uns sind auf das Beziehungsangebot Gottes eingegangen und „besiegelt im Heiligen Geist“, besiegelt in der Begeisterung für Gott und den Menschen, in der individuellen und gemeinschaftlichen Nachfolge Christi, dem Erzählereignis Gottes.

Die Quelle der Begeisterung ist nicht primär die Kirche, sondern ist mein eigener „Lebenssee“, ich selbst. Und bei mir selbst gilt es vorrangig zu schauen, ob ich ein stehendes Gewässer wie das Tote Meer sein will, das verdunstet, weil es sich nicht durchfließen lässt, oder aber ob ich ein See Genezareth sein will, der lebt und leben lässt, weil er sich bewegen, durchfluten lässt, um eben kein stehendes Gewässer zu sein.

Doch leichter gesagt als getan. Wie können Taufe und Firmung zu Quellen des Lebens werden, aus denen heraus ich dem Geist der Begeisterung für die Beziehung mit Gott und den Menschen in mir Raum gebe.

Das Schlüsselwort dazu lautet Kommunikation, Schaffung von Beziehung zwischen den Menschen und auf Gott hin, so wie Gott selber in sich Beziehung ist, als Gott Vater durch den Sohn im Heiligen Geist.

In Beziehung treten setzt die Selbstannahme voraus, das Bewusstsein „ich bin Beziehung wert“, allein schon aus dem Grund, weil Gott von der Beziehung zu mir begeistert ist. Aber gerade die Selbstannahme führt ein Ich zu dem anderen, dem Du. Dieses Du ist die Sehnsucht, die alle Menschen mit Selbststand in sich spüren, zu wissen ich bin nicht allein.

Ich bin nicht allein mit meinen Fähigkeiten und Talenten, meinen Hoffnungen und Träumen, meinen Sorgen und Grenzen, meinem Schweigen und meinen Schreien, meinen Fragen und meinem Suchen, meiner Zärtlichkeit und meinem Gebet. Ich bin nicht allein, es gibt ein Du in meinem Fühlen, Sprechen und Beten, es gibt ein Du, dass meine Veränderung bejaht und dem die Vergebung nicht fremd ist. Unser Bischof Heinrich sagt an anderer Stelle in seinem Hirtenwort: „Gottes Geist kommt uns in Menschen entgegen, die dem Glauben ein Gesicht geben“. In diesen Menschen finden wir dieses Du und selber können wir diese Menschen sein, in denen andere ein Du finden.

Unser verstorbener Bischof Klaus Hemmerle sagte einmal: „Es ist besser was zwei Menschen gemeinsam aber nicht perfekt tun, als das, was einer alleine perfekt tut“. Dies ist ein Weg, diese Menschen zu entdecken, die dem Glauben ein Gesicht geben in denen wir ein Du finden und sie in uns ein Ich.

Dann ist Kommunikation nicht nur Sprache und Gestik, sondern Kommunion voneinander haben und nehmen in Begeisterung für Gott und die Menschen. So ist unser Leben kein stehendes Gewässer, sondern ein lebendiger See. So sind Taufe und Firmung die Quelle der Begeisterung für Gott und den Menschen, die Quelle eines Abenteuers der Beziehungen. Aber dann werden wir auch Grund genug haben den Tag unserer Taufe und Firmung zu feiern, weil sie unser Leben in Bewegung bringen und diese Tage die Kraft haben immer neu die Begeisterung zu wecken, Kommunikation zur Kommunion werden zu lassen.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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Mitten am Tag – Angst vor dieser Nacht

Noch heute sehe ich die Straßenecke
den schmächtigen Baum
das glänzende Pflaster
Noch heute spüre ich die liebgewordenen Jungen
ihre hageren Gestalten
ihre erwartungsvollen Augen
Noch heute fühle ich meinen hastigen Gang
meinen rasenden Atem
diese Schokolade in meinen Händen

Mutter
Dein durchdringender Blick haftet noch heute an meinem Körper
Deine Worte „Du hast gestohlen“ klingen noch in meinem Bauch
Deine zerrende Hand an meinem Arm ist zum Bild in
meinem Kopf geworden

Ich wollte doch nur zu ihnen gehören
ließ zögernd auf die Mutprobe mich ein
wurde erwischt
das Diebesgut noch in meiner Hand

Mitten am Tag spürte ich die Angst vor dieser Nacht

Ich durfte nicht einer von Ihnen werden
Ich sehe noch heute nur eure Rücken
Ich konnte nicht wiederkommen
Die Last des Verbotes drückt noch heute

Ich wurde zum Dieb
Mutter, warum hast du mich nicht verstanden

Mitten am Tag spüre ich die Angst vor dieser Nacht
die Nacht der Verachtung
die Nacht des Verlierens
die Nacht der Einsamkeit

Viel Zeit ist vergangen
Diese Nacht hat sich eingegraben in meinen Tag
Sagt jemand heute zu mir, wir gehören zusammen
sehe ich in diese Straßenecke

Sagt jemand heute zu mir, ich bin für dich da
sehe ich diesen schmächtigen Baum

Sagt heute jemand zu mir, sei mutig für mich
sehe ich das glänzende Pflaster
mitten am Tag

Aus „Für mich ist was drin“, Bergmoser + Höller Verlag, 1998.
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Mahlgeschichte

Ein Mahl lässt der Geschichte seinen Gang:
Ein Mahl, Ort angefüllt mit befreiender Zukunft, in dessen Mitte nur ein Mensch, Jesus,
nur ein Gott, Christus.

Ein Mahl:
Abschied?
Endpunkt?
letzter Akt vor dem tödlichen Finale?
Höhepunkt der Volksverdummung?
Anfang einer Vision?
End-wurf der Gemeinschaft?

Ein Mahl, einer steckt an:
einmahlig
vormahlig aller Einmaligkeit
Mahnmahl
Merkmahl
Erkennungsmahl

Ein Mahl lässt der Geschichte seinen Gang:
Mahlzeit
Stigmahlisierung
Übermahlung
Kreuzmahl
mahl Befreiung

Ein Mahl lässt der Geschichte seinen Gang:
ich, einmalig
mit dir, einmahlig

Einmahl ist Geschichte Mahl Zukunft

© 1998 Christoph Stender.
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Wandelnde Äußerlichkeit und tragende Innerlichkeit

Faxbox-Predigt zum 3. Advent 1997

In den Jahren ab 1945, also nach Ende des 2. Weltkrieges, begannen sie das Licht der Welt zu sehen, diese Nachkriegskinder von denen viel in den sechziger und beginnenden siebziger Jahren den Namen Blumenkinder bekommen sollten.

Für viele ihrer Eltern waren diese Blumenkinder einfach nur ein Graus, diese langhaarigen Jugendlichen, die ja nichts anderes taten als herumzugammeln oder gegen die eigenen Eltern oder den Vietnamkrieg zu rebellieren. Gekleidet waren sie oft in orange viel zu knapp bemessenen Pullis und Blusen und dazu passend grasgrüne Hosen, oben knatscheng und unten hatte der Schlag Schuhlänge. Nicht zu vergessen, die überdimensionalen Sohlen und Absätze ihrer Schuhe. So gingen sie in die Geschichte ein, wild tanzend mit Sonnenblumen im Mund oder in den Händen, jede Autorität und Führung grundsätzlich ablehnend. In diesem Zusammenhang kommt uns schnell der etwas unscharfe Begriff der antiautoritäre Erziehung in den Sinn. Zu diesem grob geschnitzten Bild der Blumenkinder gehört dann auch noch das Haschpfeifchen und die permanente Unterstellung, die Blumenkinder seien sexuell viel zu freizügig.

Einigen von uns werden nun leicht verschwommene Bilder durch den Kopf gehen. Sind es vielleicht Bilder der eigenen Kinder aus deren Jugendjahren oder sind es sogar Bilder der eigenen Jugend.

Doch warum ausgerechnet heute, am 3. Adventssonntag, dieses Thema „Blumenkinder längst vergangener Zeiten“. Soll Ihnen nun im Kollektiv und meist im voraus zum 50. Geburtstag gratuliert werden oder sollen Sie schon mal vorgewarnt werden, dass die Kiddies unserer Zeit Sie mittlerweile gelangweilt Grufties oder Komposties nennen? Oder gilt es die kritischen Anfragen fortzuschreiben, die in den vergangenen Tagen in der Presse zu lesen waren unter der Überschrift: „Vom Blumenkind zum komischen alten Kauz“, ein Artikel in dem unter anderem kein geringerer als dem heutigen amerikanischen Präsidenten, ein ehemaliges Blumenkind, stellvertretend für alle anderen gesagt wird, er habe noch immer zu große Ideale, aber keine Führungskraft! Nein!

Diese Kritik lasse ich dahingestellt, denn es geht mir um etwas anderes. Deshalb schauen wir uns noch einmal kurz diese Jugend der sechziger und siebziger Jahre an, denn eines habe ich noch nicht über sie erwähnt. Viele von diesen Blumenkindern hatten neben ihrem markanten Erscheinungsbild auch eine Lieblingsgestalt, die sie gemeinsam auf ihre Fahne hefteten: den Menschen Jesus von Nazareth.

Sie kombinierten den biblischen Jesus mit ihrer Vorstellung von einem Friedensbringer und sprachen so von ihrem „Jesus“ (englisch) und von Peace. Ihr Jesus streichelte die Kornfelder, lag mit ihnen auf der Wiese und schaute den Wolken nach. Jeder Mensch wurde mit einem Peace versehen: Peace Bruder und Peace Schwester. So wurde Jesus zu dem Softie, der alles und jeden umarmte, zum lieben Freund, zum harmlosen Hippie in Jesuslatschen, eben zu ihrer Lieblingsgestalt der Geschichte.

Was Lieblingsgestalten der Geschichte angeht, so gibt es auch in unserer Zeit, quer durch die Generationen, eine interessante Überraschung. Ungeachtet all der Kirchenaustritte und der weiter schrumpfenden Zahlen von Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, geben auffallend viele Menschen im Rahmen von Befragungen auf die Frage nach ihrer Lieblingsgestalt in der Geschichte folgende Antwort: Jesus von Nazareth! Bei näherem Hinschauen entpuppt sich der Jesus vom Nazareth in der Vorstellung der Befragten als harmloser Liebling, als ein Jesus zum ankuscheln, ähnlich also wie der Jesus der Blumenkinder.

Ist das der ganze Jesus von Nazareth, der Sohn Gottes? Erlauben wir uns doch einfach mal die Frage: Hatte Jesus selbst eine Lieblingsgestalt der Geschichte? Ein Blick in das Evangelium des heutigen Tages hilft uns da weiter. Jesus beschreibt seine „Lieblingsgestalt“ der Geschichte: Johannes der Täufer! Dieser Johannes ist nicht das Schilfrohr, das mit dem Wind schwankt. Johannes ist nicht der Typ, der die Fahne in den Wind seiner Zeitgenossen hängt. Er ist nicht der Schlüssel zu den besseren Kreisen der Gesellschaft seiner Zeit.

Dieser Johannes ist nicht praktisch handhabbar, kompatibel mit all dem was die Menschen gerne hätten und dazu auch noch pflegeleicht. Sie ist eben nicht zum knuddeln, diese Lieblingsgestalt Jesu.

Johannes ist ein Mann mit Ecken und Kanten, der auch uns zur Umkehr, zur Erneuerung, zur Bewegung aufruft. Wenn nun Jesus wirklich so harmlos ist wie viele ihn sehen, hätte dann nicht besser der liebe Gott einen smarteren Johannes zum Rufer in der Wüste gemacht, wenn er einem Softie Jesus den Weg bereiten soll? Dieser Johannes war schon der Richtige, denn genauer betrachtet kam ja auch kein harmloser Jesus.

Es kam ein Jesus, der die Menschen entdeckte, die am Rande der Gesellschaft vor Einsamkeit innerlich verbrannten. Auf sie ging er zu, auf die Blinden und Lahmen, berührte sie, führte sie an Orte des Leben zurück, mitten unter die anderen Menschen und heilte sie.

Jesus brach Tabus, als er auf die Aussätzigen, die ausgesetzten Menschen, zuging und ihnen einen neuen Lebensraum gab, mitten unter den anderen Menschen, fern jeder Ausgrenzung und heilte sie.

Den armen Menschen, den Bettlerinnen und Bettlern, sagte Jesus: Ich komme besonders zu Euch, glaubt an mich und ihr werdet einen unbezahlbaren Reichtum in Euren Herzen haben, und dann forderte er die umstehenden Menschen auf, den Armen zu essen zu geben.

Weiter wendete er seine Botschaft an alle Menschen, die zu hören bereit waren: Haltet nicht krampfhaft an Äußerlichkeiten fest, am Besitzen, am Status, am Ansehen und an der Macht! Als nackte Menschen seid ihr so unendlich wertvoll, dass kein Tod Euch das Leben nehmen kann. Habt also keine Angst um Euch selbst.

Auch heute ist Jesus immer noch nicht harmlos:

Heute nimmt Jesus eine Pennerin in den Arm, begleitet sie durch die Fußgängerzone unserer Städte und sagt zu ihr, ich möchte bei Dir Gast sein.

Heute berührt Jesus einen Fließbandarbeiter und gleichermaßen eine Managerin und bittet diese Menschen: Erzähle mir, was Du in dieser Welt siehst, sag‘ mir Deine Sehnsucht, zeig mir worauf Du stolz bist, vertraue mir an, was Dich traurig macht!

Heute geht Jesus auf einen Rollstuhlfahrer zu und bittet ihn: Tanze mit mir!

Heute sucht Jesus die Begegnung mit einem Schwulen und fragt ihn: Darf ich Dich einfach ein Stück Deines Weges begleiten.

Heute geht Jesus an das Krankenbett, stellt einen Stuhl dorthin und sagt: Ich habe Zeit, hast Du auch Zeit, dann lass‘ uns unsere Zeit miteinander teilen!

Heute wendet sich Jesus mit seiner Botschaft an alle Menschen, die zu hören bereit sind: Haltet nicht krampfhaft an Äußerlichkeiten fest, am Besitzen, am Status, am Ansehen und der Macht! Als nackte Menschen seid Ihr so unendlich wertvoll, dass kein Tod Euch das Leben nehmen kann. Habt also keine Angst um Euch selbst.

Zu diesem Jesus passt ein klarer und deutlicher Vorbote wie es Johannes es war, ein solcher Jesus ist damals wie heute bei aller Güte nicht harmlos oder kuschelig.

In diesem Advent sind wir wieder einmal eingeladen, einen solchen Jesus bei uns ganz ankommen zu lassen, ihm einen Weg in unser Leben hinein zu bereiten. Bereiten wir uns gemeinsam auf diesen Jesus vor, der große Ideale hat und die Kraft, Menschen zu leiten, dieser Jesus, der die Kornfelder streichelt und klare Positionen bezieht, dieser Jesus, der sanftmütig und liebenswert ist und trotzdem ein Stachel in unserem Fleisch ist.

Dieser Jesus kommt an, wo Menschen noch etwas erwarten, dieser Jesus von dem wir sagen dürfen, so sinnlich und sanft kann Stärke sein.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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Die doppelte Staatbürgerschaft und die Seligpreisungen

Faxbox-Predigt 1997

In den Fußstapfen dessen, von dem wir bekennen, er ist der Sohn Gottes der Erlöser unser Heiland gehen diejenigen, die der Gewalt eine Absage erteilen, der Gerechtigkeit ihre Stimme geben, Barmherzigkeit auf die eigene Fahne schreiben und Frieden zu ihrem Gebot der Stunde machen.

Auf heilendem Weg befinden sich diejenigen, die ihren Reichtum in der Gottes Nähe erkennen und ihn als den anerkennen, der er ist, der Geber des Lebens.

Den Spuren des Heilseins folgen diejenigen, die in der Trauer auf die Hand Gottes hoffen, und in der Beschimpfung, Verleumdung und Verfolgung kein ausreichendes Argument sehen, die Sache des Glaubens an Gott in Jesus Christus zu verraten.

Die Bergpredigt Jesu ist eindeutig. Sie verheißt in den Seligpreisungen nicht eine ungefähre Richtung, einen groben Weg oder ein eventuell, ein vielleicht, ein es könnte sein. Nein, wer die Möglichkeit zur Gewalt nicht nutzt, wer Gerechtigkeit in die Tat umsetzt und Barmherzigkeit nicht den anderen überlässt, der ist selig. Das heißt nicht ein bisschen selig zu sein, nochmals nein, selig sein heißt selig sein.

Selig, der tut, was Jesus getan hat, den Schritt Heil gegangen zu sein und das Himmelreich ist so geerdet! Jesus startet keine Unterschriftenaktion um zu erfragen, ob den gerecht Handelnden auch alle für würdig genug halten selig zu sein, auch wird dem Friedensstifter keine außerordentliche Bewährung auferlegt, um dann irgendwann einmal selig genannt zu werden und dem, der Gewalt unterlässt wird auch nicht zugemutet, noch weitere Beweise seiner Integration zu liefern um in den Kreis der selig Gepriesenen aufgenommen werden zu können.

Die Handlung in der Intention Jesu macht den Handelnden zum seligen. Weitere Diskussionen wären der Sache nur abträglich, würden Vorbehalte schüren und so die Chance, selig genannt zu werden, auf den Nimmerleinstag verschieben.

In den letzten Tagen und Wochen wird in Deutschland eine Debatte geführt, die, wenn Jesus sie zum Thema „wer darf selig sein genannt werden“ angeleiert hätte, wohl nie einen Menschen hervorgebracht hätte, von dem gesagt würde „Selig ist, wer….!“

Gemeint ist die Frage nach der doppelten Staatsbürgerschaft. Die einen befürworten unter bestimmten Bedingungen die baldige Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft andere, so einer der Kernsätze des Unterschriftenaufrufs der hessischen CDU, fordern erst das „Ende einer gelungenen Integration“ abzuwarten um eine Einbürgerung zu ermöglichen. Hier soll nicht der einen oder anderen Seite nach dem Mund geredet werden. Die Frage jedoch muss erlaubt sein: Wann ist eine Integration erfolgreich abgeschlossen, wer beurteilt ob das nun eigentlich gelungen ist und welche Auswirkungen werden jahrelange Diskussionen und öffentliche Unterschriftenaktionen letztlich auf das Zusammenleben unserer Bevölkerung haben?

Ist die Prothese einer prüfbaren Integration gerecht und friedenstiftend mit Blick z.B. auf den in Deutschland geborenen „Ausländer“, der sich hier zu Hause fühlt, hier sein soziales Umfeld hat und unsere Rechtsordnung mitträgt, weil er in Gerechtigkeit und Frieden hier mit allen Rechten und Pflichten anerkannt leben will, und nach einem deutschen Pass fragt?

Diese Frage soll hier nicht beantwortet werden. Allerdings ist schon zu fragen, ob der Weg der prüfbaren Integration eine faire Antwort auf eine solche Frage ist! Es ist sicherlich nachvollziehbar, das jede und jeder, egal in welchem Land er eine zweite Staatsbürgerschaft anstrebt, die Möglichkeit mitbringen muss, sich in seine Wahlheimat zu integrieren, doch was heißt Integration?

Mögen wir bei der Beantwortung dieser Frage eines nicht vergessen. In unsere Kirche wurden die meisten von uns nur auf Bitten der Eltern hineingetauft! Die Frage nach einer nachprüfbaren Integration hat nie einer gestellt. Die Aufnahme in unsere Kirche ist Vorschuss an Vertrauen, den alle Christinnen und Christen einfach geschenkt bekommen in der Hoffnung, die Integration wird gelingen. Sicherlich kann jemand aus unserer Kirche ausgeschlossen werden aber die Verbindung mit Gott, der in der Taufe zu jedem von uns sagt ich meine dich ganz, ist unaufkündbar. Gott setzt darauf, das die Integration zwischen Gott und seinen Menschen gelingt. Aber auch da, wo aus unserer Sicht dieses Miteinander scheinbar nicht funktioniert gibt Gott die Hoffnung nicht auf.

Bevor jeder für sich abwägt, ob er einer doppelten Staatsbürgerschaft zustimmen kann und wenn ja auf welchem Weg, sollten wir uns der Frage stellen, ob wir durch Gerechtigkeit, Gottesfurcht, Friedenstriebe, Barmherzigkeit, Gewaltlosigkeit und mit einem Herzen ohne doppelte Boden uns in die Gemeinschaft der Christinnen und Christen integriert haben. Und wer jetzt fragt, an welchen Kriterien ist das zu messen, der sollte einfach nochmals die Bergpredigt lesen, um festzustellen, es könnte möglicherweise einfacher sein, ein seliger Mensch zu werden als in Deutschland einen weiteren Pass zu erhalten.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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Auf die Lebensweise kommt es an

Faxbox-Predigt 1997

Wie wurde das doch noch geschrieben? Ein Anschreiben, eine schriftliche Reklamation, ein lieber Brief an einen Freund, eine Tagebuchnotiz. Ab und zu steigen Zweifel an der eigenen Rechtschreibsicherheit auf. Doch das lässt sich schnell klären. Ein griff ins Bücherregal und der Blick in den Duden lässt alle Unsicherheiten schwinden!

Der Griff zum Rechtschreiblexikon wird in Zukunft wohl häufiger. Denn spätestens ab August 1998 treten die neuen Regeln der deutschen Rechtschreibung in Kraft. Schon heute werben die entsprechenden Verlage um Käuferinnen und Käufer für ihre neuen Nachschlagewerke, damit wir bis spätestens 1998 fit in der vereinfachten Rechtschreibung und Kommasetzung sind.

Bei der Fülle der Änderungen ist ein Kompass, der den Weg zur richtigen Schreibweise führt auch dringend notwendig. Doch mit dem Wort Kompass fängt es ja schon an. Was heute noch mit „ß“ geschrieben wird, ist in zwei Jahren nur noch mit „ss“ richtig. Dann werden auch die Neuausgaben der Heiligen Schrift in deutscher Sprache so manche Korrektur erfahren. Doch Gott sei Dank wird es bei der Heiligen Schrift nur um die Vereinfachung der Schreibweise gehen und nicht um die Korrektur ihrer Aussagen. Allerdings wäre es nicht auch wünschenswert, wenn unsere alltägliche Umgangssprache sich nicht nur einer Rechtschreibreform unterziehen würde, sondern darüber hinaus auch einer Reform in Sachen Glaubwürdigkeit. Auf unsere Politikerinnen und Politiker schauend sind wir schnell bei der Feststellung: „Denen kann man sowieso kein Wort mehr glauben!“ Wie sieht es jedoch mit unseren eigenen Wortversprechen aus? Auf mich kannst Du Dich verlassen! Ich werde für Dich da sein! Mit mir kannst Du rechnen! Ich liebe Dich! Dir bin ich treu!

So manche unserer Worte, die von Liebe, Freundschaft, Geborgenheit, Vertrauen, Halt und Zuneigung sprechen, sind oft den Atem nicht wert der sie hervorbrachte. Viele unserer Versprechen und Zusagen entpuppen sich als leeres Gerede. Das Gefühl, das dann zurückbleibt kennen auch wir selbst aus eigener Erfahrung: Enttäuschung, Frust, Traurigkeit, Misstrauen und vielleicht auch Wut.

Die zwei Bekenntnisse, die uns der Evangelist Matthäus im heutigen Evangelium überliefert klingen so stark und eindeutig, dass sie eigentlich keine Zweifel zulassen:

Das Bekenntnis des Petrus, der zu Jesus sagt: „Du bist der Messias, der Sohn Gottes!“ und das Bekenntnis Jesu, der Petrus zusagt: „Du bist der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“. Petrus und Jesus bekennen sich zueinander. Ihre Worte sind getragen von gegenseitiger Zuneigung und Vertrauen.

Die biblische Überlieferung berichtet uns an anderer Stelle jedoch, dass der Fels Petrus sehr ins Wanken gerät und er Jesus sogar verleugnet. Die Gefühle, die Jesus bei solchen Erlebnissen bewegen, kennen wir auch: Enttäuschung, Frust, Traurigkeit, Misstrauen und vielleicht auch Wut. Die biblische Überlieferung berichtet uns auch von Jesus, der zu seinem Wort steht und der in diesem Wort zu einem jeden von uns steht. Immer wieder bezeugt die Heilige Schrift dieses Ja, dass er zu einem jeden einzelnen spricht. Dieses Ja, das er zu uns sagt als seine Kirche. Dieser Treue Jesu zu seinem Wort verdanken wir unseren Glauben an das Leben und an unser Überleben. Seiner Treue zu seinem Wort verdanken wir die Gemeinschaft der Glaubenden, die wir selber sind, seine Kirche. Diese Kirche allerdings wird immer wieder da unglaubwürdig, wo wir Menschen zu unseren Worten nicht mehr stehen und so unsere Worte zu Enttäuschungen und Verletzungen anderer Menschen werden. Oft münden solche Enttäuschungen und Verletzungen in Wut und Misstrauen. Wäre es nicht hilfreich, auch einen Kompass zu haben, der uns hilft, solche Enttäuschungen bei anderen Menschen zu vermeiden, ein Lexikon für Worte mit dauerhaftem Wert? Solch ein Nachschlagewerk steht zwar in keinem Regal, wohl aber gibt es eine Hilfe der Glaubwürdigkeit in unseren Herzen. Es ist das Gefühl, das wir spüren, wenn wir anderen Menschen Worte der Zuneigung, der Liebe, des Vertrauens und der Sicherheit sagen. Diese Gefühle gilt es ehrlich zu prüfen, ob sie wirklich mit den Worten übereinstimmen, die wir sagen wollen. Das Evangelium des heutigen Tages ist eine Einladung, gerade die Worte genau zu bedenken, die bei den Menschen zu denen wir sie sagen, Vertrauen, Geborgenheit, Freundschaft, Liebe und Zuneigung wachrufen. Jesus interessiert nicht die Schreibeweise unserer Worte, ihn interessiert einzig und allein die Glaubwürdigkeit unserer Worte. Da wo unsere Worte als Christinnen und Christen an Glaubwürdigkeit verlieren, verliert auch die Kirche Jesu Christi an Glaubwürdigkeit. Jesus weiß, dass wir Menschen sehr viel Ähnlichkeit mit diesem wackligem Petrus haben und trotzdem setzt er immer wieder auf die Glaubwürdigkeit unserer Worte, die von echten Gefühlen getragen sind.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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