www.christoph-stender.de

Fronleichnam

Faxbox-Predigt zu Fronleichnam 1999

Wer hätte das gedacht!
Mitten auf der ersten Wirtschaftsseite einer renommierten überregionalen Tageszeitung überrascht neben Artikeln zum Finanzmarkt Lateinamerikas, dem Rentenkassenloch, steigenden Verbraucherpreisen und den Risiken des Online-Bankgeschäftes eine Anzeige mit der Überschrift: „Handkommunion?“

In einem Ambiente von Zahlen, Fakten, Analysen und Börsendaten fällt diese Großanzeige „Handkommunion“ einmal mehr aus der Reihe, zumal sie den Leser vor dem Empfang der Kommunion in die Hand gelegt warnt, da dies unwürdig sei und in keinem Fall der Intention Jesu entspräche. Die Initiatoren dieser Anzeige halten auch nicht mit entscheidungsleitenden Warnungen hinterm Berg, indem sie behaupten, die Kommunionspender, die die Mundkommunion nicht einfordern, begeben sich in die Gefahr der ewigen Verdammnis.

Es ist einfach nur müßig sich an dieser Stelle in die Auseinandersetzung zu begeben, ob die Handkommunion nun würdig oder unwürdig ist. Fakt bleibt: Der kultivierte Mensch benutzt zum Essen seine eigenen Hände und nur einem kranken oder alten Menschen sind beim Essen die Hände eines helfenden Menschen behilflich.

Die Intention dieser Anzeige, da nicht relevant für unseren Glauben, beiseite gelegt, führt diese Anzeige als solche, eingebettet in Wirtschaftsfakten und Bilanzen, den Leser in ein eigenartig anmutendes Szenario, das sich heute in vielen Städten in genau derselben Widersetzlichkeit präsentiert. Denn so bizarr wie sich das Thema Handkommunion in dem Wirtschaftsteil einer Tageszeitung darstellt, so bizarr wirken auch unsere Fronleichnamsprozessionen in einem eher säkularisierten Stadtbild.

An dieser Stelle breche ich den Vergleich zwischen der im Wirtschaftsteil einer Zeitung gestalteten Anzeige zum Thema Handkommunion und den Fronleichnamsprozzesionen in unseren Städten und Dörfern ab. Denn das, was die Menschen in den Prozessionen am Fronleichnamstag bewegt, hat mit der Motivation der Anzeigenschalter nichts zu tun, zumal der Begriff Mut etwas mit den Menschen zu tun hat, die als Zeuge ihres Glaubens auf die Straße gehen, nicht aber damit eine solche Anzeige aufzugeben. Um aber genau dieses Wort Mut soll es heute gehen!

Mut ist ein Wort, das einem Menschen, der Mut beweist, zuspricht etwas zu tun, dass ihn in positiver Weise von anderen Menschen unterscheidet, die das selbe zwar tun könnten, es aber unterlassen, weil ihnen eben der Mut dazu fehlt.

Mut legt ein Christ und eine Christin an den Tag, wenn er in aller Öffentlichkeit sich zu einem Stück Brot bekennt von dem unser Glaube sagt: In diesem Stück Brot gibt sich Gott uns in seinem Sohn Jesus Christus zu essen.

Mut beweist der, der in einer scheinbar erklärbaren Welt singend und betend sich hinter die Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie stellt und so dem Erklärbaren von Welt das Unerklärbare in dieser Welt gegenüberstellt.

Mutig zu nennen ist der Mensch, der sich nicht schämt der Gemeinschaft von Gläubigen sichtbar zuzugehören, von der man zu recht als einer Kirche sprechen kann, die Fehler macht und gemacht hat, die aber viel mehr dem Mensch half und hilft ihr Leben als Geschenk und Chance zu entdecken.

Mut ist dem Menschen in unserer Gesellschaft zuzusprechen, der für seinen Glauben auf die Straße geht und sich nicht scheut ein Demonstrant zu sein für die Menschenfreundlichkeit Gottes und die Botschaft Jesu Christi unser Leben so aus der Hand Gottes anzunehmen, wie wir es in uns spüren und unser Leben so auch zu bejahen.

So mancher von uns wird nun sagen: „Ich bin doch nicht mutig, ich tue was ich für richtig halte, was zu meinem Glauben heute dazugehört, also etwas ganz Normales.“ Zugegeben, für den einen scheint es ganz normal zu sein, Fronleichnam auf die Straße zu gehen, andere aber benötigen etwas Mut für denselben Schritt. Doch bleibt denen zu sagen, die der Fronleichnamsprozession ihr Gesicht geben, sie gehen mutige Schritte!

Aber würden Sie es auch zulassen, ein Demonstrant genannt zu werden? Wir demonstrieren doch den Menschen in unseren Straßen, was uns heilig ist und deswegen für uns auch unaufgebbar bleibt, die Nähe Gottes in Jesus Christus, der sich uns anvertraut in der sichtbaren Gestalt des eucharistischen Brotes, den wir in der Monstranz tragen um ihn zu sehen und zu zeigen.

Wir demonstrieren aber nicht nur den in den eucharistischen Gaben anwesenden Gott in Jesus Christus. Wir demonstrieren so auch einen Lebensgrundsatz, der uns als Christinnen und Christen identifizierbar macht. Dieser Grundsatz lautet: Als von Jesus Christus um einen Tisch eingeladen und versammelt sind wir eingeladen, die zu versammeln, die sich nach mehr sehnen als nur nach dem von Menschen machbaren! Wir versammeln Menschen an einen Tisch, ungeachtet ob sie uns gefallen oder nicht, einfach nur mit der Begründung, weil Gott für jeden Menschen einen Platz an seinem Tisch freigehalten hat und uns bittet, diesen Platz den Menschen anzubieten.

Dieser gemeinsame Tisch, das Gemeinde- und Gemeinschaft-Sein, ist Ort und Prinzip um deren Willen wir demonstrieren. In der Präsentation dieser Orte und der Verwirklichung dieses Prinzips demonstriert Gott für unser Leben und demonstriert er uns sein Heil, das an diesen Orten und in der Entfaltung des uns anvertrauten Prinzips schon spürbar nach dem Reich Gottes schmeckt.

So verstanden sich zu Gott zu bekennen bedeutet schon Mut zu haben. Mut zum Menschen, egal wie er sich mitbringt, weil Gott sich jedem Menschen zumuten will. Mut zur Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, Erfahrungen und Kulturen, weil Gott die Pluralität in der Einheit liebt.

Mut zu sich selbst, weil Gott auch uns gerufen hat, damit wir vorkommen wie wir heute sind, auch zur Veränderung fähig.

Mut mit all dem auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren für das, was Gott uns schenkt aber auch für das zu demonstrieren, was wir verwirklichen wollen,oft aber noch nicht geschafft haben.

So werden wir immer Demonstrierende bleiben, die auf das uns Heilige zeigen, auf Gott in Jesus Christus, uns zum Essen nahe in geteiltem Brot.

So werden wir immer Demonstrierende bleiben, die auf das uns Heilige zeigen und selbst gerufen sind, Heil in Menschenfreundlichkeit erfahrbar werden zu lassen.

Für Gott demonstrieren bedeutet: Demonstrant der Menschenfreundlichkeit Gottes zu sein. So teilt sich der Leib Christi uns zu essen geschenkt weiter mit, in dem wir selbst das Brot zum Leben werden.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

In Predigten, Predigtsammlung veröffentlicht | Getaggt , , | Kommentieren

Deine zweite eine Haut

Schon wenige Schritte vor dem besonderen Eingang in meine Welt der höher schlagenden Herzen, zollt mein Herz dieser Welt begeistert das entsprechende Tempo. Ein wenig mehr Eile scheint mir sowieso angesagt, denn es gibt Ereignisse, zu denen jeder schon zwei Stunden vor ihrem Eintreffen angekommen meint viel zu spät zu sein. Den Trick mit der klemmenden Türe habe selbst ich schon vor Tagen geschnallt, am Pförtner vorbei, als würden wir uns schon ewig kennen: „Hallo, alles wie gestern“ oder so ähnlich, und ab in das gerade neu eroberte Reich aller Kinder Sehnsucht. Je näher ich mich dem Altar nähere, auf dem immer neu die Welt in all ihren Facetten zelebriert wird, um so schwerer werden die Türen, von denen mich nur noch wenige vom Vorhof der Erfüllung meines Weltentraumes trennen. Nur noch ein Tag, dann hat mein in mir greifbar gewordener Traum auch richtiges Publikum. Aber schon heute, noch zur Probe auf den Beinen, schien mir jeder, der in Dunkelheit eingehüllten Ränge zum Bersten angefüllt mit Augen und Ohren, die nur eines wollten, meinen Traum.

Aber zuerst galt es, auch schon heute mich, diesem gigantischen Geschehen entsprechend, zu verwandeln. Wäre ich blind, meine Nase führte mich den Weg zu den Großen meiner Welt, in die ich mit jedem Schritt tiefer eintauche. Denn das haben wir – und dieses wir möchte ich betonen – gemeinsam, die Aura dieser Düfte und ihr identifikationsstiftendes Wir. Wie sollte ich ahnen, dass auch noch nach vielen Jahren meine Nase diesen Duft gepachtet hat und dass ich nach fast 30 Jahren in Berlin wieder einen Tempel der nie versiegenden Weltenträume betreten würde, diesmal allerdings durch den Haupteingang, und meine Nase sich in unmittelbarer Nähe dessen wähnen würde, dass mich mit 12 Jahren in einen Frosch und einen Prinzen verwandelte. Viel zu früh stehe ich nun vor meiner neuen Haut, sie jetzt aber schon überzustreifen scheint mir gleichbedeutend als Nikolaus verkleidet Weihnachtslieder in die Frühjahrsluft zu singen!

Kantine, sowie diverse Gänge, Ecken und Nischen und nicht zu vergessen die verbotenen Türen, die in dieser mich umhüllenden Welt die fast letzten Abenteuer bergen, bieten ausreichend Abwechslung um die nächste halbe Stunde zu überbrücken, bis dann die erhabenen Figuren meines Traumes so langsam eintrudeln werden. Wie an dem großen Tag, geht auch schon heute der erste Gong, wissend, dass nur noch zwei folgen werden.

Meine zweite Haut und Wahlheimat sitzt wie angegossen. Es kann nur noch Minuten dauern, dritter Gong, die ganze Phantasie dieser zusammengerückten Welt steht in den Startlöchern, wohl verborgen im Schutz der Kulissen. Feinfühlig und doch bestimmt, blinzelt die Spitze des Taktstocks aus dem Orchestergraben. Auftakt! Meine zweite Haut ist machtlos, mein Puls erhebt mich selbst zu seiner Bühne und gibt einfach alles. Wie wenig bin ich, links und rechts schier unendliche Weite, vor mir das gleißende Licht und dahinter all die vielen Leute, die erst morgen kommen werden.

„Wo bleibt der Frosch“ donnerte es aus dem Orchestergraben, der Taktstock macht wie ein Stilett dem Orchester den Garaus und mein ganzer Körper ist der einzige Resonanzboden dieses unerwarteten Schreis. Sonst nur Stille, einfach nur atemlose Stille aus der anderen Welt. Er springt von seinem Dirigentensitz auf und noch einmal fegt seine Stimme eisig über die von keinem Blick zu haltende Weite dieser Bühne, nur mich meinend, „Wo ist der Frosch!“

Es gibt Augenblicke, da ist nur der Frosch gemeint, das ist eine Welt, der Frosch und Satanowsky, mein rasendes Herz und die grazile Energie, die dem Taktstock Leben einhaucht. Für einen Augenblick nur wir zwei. Bruchteile einer Sekunde schreiben Ewigkeit.

„Noch mal ab der 25!“ Keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte, nur mir ist klar, letzter Versuch, Generalproben kennen normalerweise keinen zweiten Versuch. Geduldig tragen mich Geigen, die große Harfe und die Flöten auf ihren zärtlichen Wogen auf die Bühne. Der Frosch öffnet seinen Mund. Klare Töne. „Ja nimmt mir der Gevatter nicht für ungut, dass ich altmodisch bin…“

Ich bin der kleine Frosch mit der großen Stimme, in der unendlichen Weite meiner Welt und nur einem einzigen, aber todsicherem Gefühl: Der Taktstock mag mich! Mein Auftritt scheint mir jetzt nur eine knappe Sekunde, er war länger, ein paar Sekunden, sogar Minuten, das ist nachlesbar! Mein Herz hat sich vergessen, nur dieser Duft, sie wissen, der uns gemeinsam ist. Meine Haut, ob erste oder zweite, klatschnass. Meine Oma auch, nur morgen, bei der Premiere, vor Aufregung und vom Klatschen: Welch ein Frosch, geküsst von ihm, ein Prinz, für Sekunden die nun schon 30 Jahre dauern.

Am Pförtner vorbei als hätten wir uns noch nie gesehen, auch jetzt nicht, um dann in Zukunft von diesen verlogenen Haupteingängen der Theater dieser Welt benutzt zu werden, degradiert zum Bezahlen einer Welt, die wir nicht einmal sehen, geschweige den riechen, Schatten höherschlagender Herzen.

Herzklopfen, die Furcht zu spät zu kommen, nicht jeder Eingang führt in eine andere Welt und vor allem eine Haut, deine zweite eine Haut, du Frosch, mein Prinz.

Aus „Dank Dir auf den Leib geschrieben – Ein Geschenk zum Weiterdenken“ erschienen beim Bergmoser + Höller Verlag, 1999.
In Lyrik + mehr veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren

Augenblick Berlin

Berlin, pulsierende Stätte
meiner von Schweigen umgebenden Angst

Ein Leben lag am Boden
in vier Wänden
schreiend still
Wo bist du Harlekin,
flüstere aus
mein neues Land

Berlin, ich hielt mich nicht mehr aus
Leben brach ungefragt aus mir heraus
Ich bin nicht der, den wir gesehen
Was vor euch steht sind Lebenswehen

Mein altes Leben, mögest du verzeihen
Neues unbekanntes Sein, lasse dich frei
Du starke Frau umarme meinen Leib
noch einmal mit deines Atem Hand
Danach betrete ich, an dich denkend,
das „Nicht unser Land“!

Ihr Freunde, was soll ich euch nun sagen
Du anderer Klang meines Namen,
was will ich mit dir wagen
Ich bin nicht der, der ich mal war
Zu sein, der ich bin, ist noch nicht wahr

So vieles kann ich noch nicht lassen
Was ich ersehne, einfach noch nicht fassen
Bist Du mir auf den Leib geschrieben?
Ich bin unendlich mehr als meine Triebe

Wo sind meine klaren Gedanken
Was will sich um mein Herz nun ranken
Haltet mich fest, doch haltet mich nicht
Wer schreibt für mich der Sehnsucht ein Gedicht:

Berlin, nach diesem Augenblick
Du bist nicht Zufall, Fügung – nicht mein Gedicht

Großstadtbühne eines Augenblicks
Ein – Mann – Stück ohne Rampenlicht
Dein Anfang war schon längst begonnen!

Berlin, was kümmert mich dein Name
Du Stadt, ungezählter kleiner Zimmer,
was konntest du schon ahnen?
Du bist und bleibst, ein Zimmer Berlin

Du Augenblickberliner, heimatlos
Dein junger Name, auf meinen Lippen lebensgroß
Mensch meiner Liebe gnadenlos
Was bleibt, was wird auch morgen bleiben
Zeig mir dein Immerschon:

…und ich sah dieses Lächeln in deinem Gesicht
das ich, mit dir, so wehrlos liebe!

– Gedicht des Augenblicks –

Aus „Dank Dir auf den Leib geschrieben – Ein Geschenk zum Weiterdenken“ erschienen beim Bergmoser + Höller Verlag, 1999.
In Lyrik + mehr, Walheim 2003 veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Das Thema liegt auf dem Tisch

Faxbox-Predigt zu Christi Himmelfahrt 1999

Das Thema des heutigen Festtages liegt auf dem Tisch! Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngern und mit ihnen von all den Menschen, denen er begegnet ist. Himmelfahrt Jesu bedeutet: Durch die Welt heimkehren in Gott. Der Auferstandene geht seinen Weg konsequent weiter in die Gemeinschaft hinein, die er, der Sohn Gottes, mit dem Vater durch den Heiligen Geist immer schon war und ist.

So verbirgt sich auch im Evangelium des heutigen Tages das Thema Abschied. Jesus schickt seine Jünger von sich weg, er legt die Trennung, den Abschied fest mit den Worten: „Geht zu allen Völkern.“ Jesus geht nicht mehr voran, sondern er sendet seine Jünger, den Menschen anzubieten, was er selbst ihnen geschenkt hat und sie selbst gläubig angenommen haben: Das Evangelium vom Leben. Durch die Annahme des Wortes Jesu und die Aussendung in die Welt werden Menschen zu Jüngern Jesu. So führt Jesus nicht mehr in seiner greifbaren historischen Gestalt, sondern durch sein Wort. Hier wird auch der Weggang Jesu, der trotzdem auch ein Verbleiben Jesu in der Welt bedeutet, deutlich. In der Weitergabe der befreienden Botschaft bleibt Jesu präsent. Im Verschweigen seiner Botschaft wird Jesu verschwiegen!

„Lehrt die Völker alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“, das gibt Jesu denen mit auf den Weg, die sich zu ihm bekennen. Im Zeugnis der Botschaft Jesu erfahren die Menschen, die noch etwas zu hoffen haben, die Nähe Jesu, der die Botschaft selber ist.

Zeugnis von der Nähe Jesu unter den Menschen zu geben reduziert sich aber nicht ausschließlich auf die Weitergabe seiner Worte. Zeugnis geben bedeutet auch heute Phantasie in Sachen Weitergabe des Glaubens zu entwickeln. Phantasie ließ in Hamburg eine Idee entstehen, die nachahmenswert ist: Dort gibt es seit kurzer Zeit ein Lokal in dessen Speisenkarte hineinzuschauen sich lohnt. Nicht nur wegen des reichhaltigen internationalen Speiseangebotes, sondern auch wegen der Preise, genauer gesagt, ein Gericht hat drei Preise. Diese drei unterschiedlichen Preise sind eine Einladung an Sozialhilfeempfänger und jene mit einem dicken Portemonnaie gemeinsam in einem freundlich eingerichteten Lokal zu speisen, um so auch miteinander ins Gespräch zu kommen. Das Prinzip ist einfach: Den kleinen Preis zahlen die Sozialhilfeempfänger, ausgewiesen durch eine entsprechende Bescheinigung der zuständigen Ämter. Den Standardpreis für Essen und Getränke kann jeder andere Gast bezahlen. Ihm allerdings bleibt auch die Möglichkeit den höheren Solidaritätspreis zu entrichten, der vergleichbar ist mit den „normalen“ Preisen in „normalen“ Gaststätten. Hier entscheidet der Gast selbst, ob er ein Besserverdienender ist. Im „Zum kleinen Zinken“, so der Name des Hamburger Lokals, lautet die Devise: Die Reichen zahlen für die Armen mit!

In anderen Städten gibt es ähnliche Modelle, so z.B. die sogenannte „Tafel“. Das sind Geschäfte, in denen Bedürftige für Kleinstbeträge Lebensmittel erwerben können, die von großen Geschäften und Lebensmittelketten abgegeben werden, weil z.B. in wenigen Tagen das Verfallsdatum abläuft, beziehungsweise frischeste Waren die Verkaufsregale füllen sollen. Die Erfahrung zeigt, konkrete und menschenfreundliche Hilfe kann so gestaltet werden, natürlich bedarf es ein wenig Phantasie und des Wunsches, helfen zu wollen.

Zugegeben, solche Aktionen kann jeder starten auch ohne die Aufforderung des heutigen Evangeliums. Aber fordert unser Evangelium nicht gerade zu solchem Handeln auf? Geht die Verkündigung der befreienden Botschaft Jesu nicht gerade solche Wege zu den Menschen, die aufgrund ihrer benachteiligten Lebenssituation allen Grund haben noch etwas zu erhoffen. Wird das Wort Jesu nicht erst in solcher menschenwürdigen Hilfe greifbar, erfahrbar und als die von Menschenhand weitergegebene Freundlichkeit Gottes, so wie sie Jesus verkündet hat, erlebbar?

Ob aus dem Evangelium motiviert oder „nur“ aus einfacher Menschenfreundlichkeit, wovon aufgetrieben auch immer, das Urteil Jesu würde lauten: Gute Idee, weiter so, ihr habt mich richtig verstanden!

Dürfen wir dieses Urteil so einfach in den Mund Jesu legen ohne dieses ungute Gefühl zu haben, das Evangelium nicht doch zu verkürzen? Wo bleibt die Botschaft vom Heil, vom Leben nach dem Tod, dieser verheißenden Gemeinschaft mit Gott in seinem Reich?

„Ihr werdet erkannt werden an euren Taten“, auch diese Botschaft Jesu dürfen wir gerade jetzt nicht vergessen. Glaubwürdigkeit ist hier angesprochen. Was hilft es einem Menschen, dem das nötigste zum Leben fehlt, das wir ihm geben könnten, uns aber nur auf die Aussage beschränken: „Freue dich auf den Himmel, dort wirst du alles haben“, um uns dann genüsslich zu Tisch zu begeben. Auf diese Botschaft aus unserem Munde würde ein benachteiligter Mensch pfeifen!

Auf dem Hintergrund unserer Glaubwürdigkeit als Jüngerinnen und Jünger Jesu müssen wir uns besonders in diesen Tagen auch der Frage stellen: Wie weit sind wir bereit zu gehen, um die Menschenfreundlichkeit Gottes spürbar werden zu lassen? Könnten wir in Deutschland nicht vielleicht doch noch 10.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo vorübergehend aufnehmen, auch wenn wir das politisch vereinbarte Soll schon längst erfüllt haben? Wie würde jeder von uns diese Frage entscheiden?

In einem Sacral Pop Musical der 70iger Jahre lautet der Refrain eines Liedes sehr provokant: „Glotz beim Loben nicht immer nach oben, schau mal zur Seite, dann siehst du die Pleite.“

Den in den Himmel aufgefahrenen Christus zu loben bedeutet ihn zu erden. Christus erden aber heißt ihn ankommen zu lassen bei den Menschen, die allen Grund zur Hoffnung haben. Diese Menschen finden wir oft nur, wenn wir zur Seite schauen. Denn Menschen in materiellen und seelischen Nöten verbergen sich oft abseits des pulsierenden Lebens. Zu diesen Menschen sind wir gesandt, um das Evangelium spürbar werden zu lassen und um so die heilende Botschaft den „Völkern“ zu sagen.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

In Predigten, Predigtsammlung veröffentlicht | Getaggt , , , | Kommentieren

Freunde, ihr habt nichts verstanden

Ja, mir schmeckt es wieder.
Das drückende Gefühl auf meinem Herzen ist auch weg.
Ihre Hand auf meiner Schulter hat meine Haut schon fast vergessen.
Meine Gedanken haben ihr nun endgültig gekündigt.
Auf und ab gehe ich schon lange nicht mehr.
Der Name ist vergessen.
Was ich die letzten Nächte träumte, weiß ich nicht.
Die Schwestern habe ich ewig nicht gesehen.
Sehnsucht nach ihr habe ich nie so richtig gehabt.
Ihre Bilder liegen auf der Müllhalde der Geschichte.

Mensch, ich habe alles hinter mir gelassen.
Den einen Brief hebt man halt auf.
Was soll ich ihr denn übel nehmen?
Lieben, was heißt schon lieben?
Du hast recht – Zeit heilt alle Wunden.

Und als ich diese Türe hinter mir schloss,
konnte mein Herz endlich ihren Namen flüstern.

Aus „Dank Dir auf den Leib geschrieben – Ein Geschenk zum Weiterdenken“ erschienen beim Bergmoser + Höller Verlag, 1999.
In Lyrik + mehr, Salzburg 2001 veröffentlicht | Getaggt , , | Kommentieren

Ich bin ein Kriegskind

Ich bin ein Kriegskind
nie Soldat gewesen
auch kein weißer Jahrgang
fernab der Fronten
viel zu jung
vom Krieg in meinem Lande nicht geschlagen
nicht einmal im Bauche ihn gehört
schon gar nicht ihn geführt

Ich bin ein Kriegskind
nie Soldat gewesen
nicht verschollen
kein fernes Grab
Tränen nicht für mich geflossen
Wut nicht aus meinem Verlust hervor gebrochen

Ich bin ein Kriegskind
nie Soldat gewesen
keine Heimkehr ins zerstörte Mutterland
nie eine Trümmerfrau mir Brot gereicht
blutleere Stadt nicht beweint
kein Kind mich in die Keller führte

Ich bin ein Kriegskind
nie Soldat gewesen
am Westwall still gesessen
in Buchenwald den Gleisen nachgeschaut
in Dachau meinen Augen nicht getraut
Todeslisten schweigen einen Verwandten aus
rosa Winkel – er hätte auch mein Tod sein können

Ich bin ein Kriegskind
nie Soldat gewesen
Leichenberge solchen Mord kann ich nicht denken
Gaskammertüren Millionen Sehnsucht ausgeschlossen
ihr Gräberfelder euch hab ich gesegnet
namenloses Kreuz an dir ist mir mein Hass begegnet

Ich bin ein Kriegskind
nie Soldat gewesen
zwei Kriege sind mir in der Wiege mitgegeben
Sprachlosigkeit und Ekel habe ich gelernt
vom Stolz des Deutschen will mein Mund nicht sprechen
wer in mir kann um Vergebung bitten

Ich bin ein Kriegskind
nie Soldat gewesen
Berlin vergiss nicht, wie du einst erschrocken
hört aller Soldaten frohen Marsch zum stummen Tod
verdammt nie das Beißen verbrannter Leichenmassen
und lass die kleine Blume auf dem Gräberfelde stehen

Ich bin ein Kriegskind
nie Soldat gewesen
die Kinder morgen werden es auch sein
so bleibt auch heute alles gegen Krieg zu wagen
bleibt Kinder und dieses Kinderlied dabei:

Lasst mich mit meinem Zirkus ziehen
Gesichter aller Farben
des Lebens Reichtum angeschaut
und ihn bereit zu wagen

Ich möcht mit ihnen Hand in Hand
auf einem Traumseil tanzen
und ohne abzustürzen froh
in meiner Welt zur anderen

Ich möcht mit meinem Zirkus ziehen
in allen bunten Wagen
die meine Welt und deine Welt
auf Rädern heimwärts tragen

Ich bin ein Kriegskind
nie Soldat gewesen

Aus „Dank Dir auf den Leib geschrieben – Ein Geschenk zum Weiterdenken“ erschienen beim Bergmoser + Höller Verlag, 1999.
In Lyrik + mehr, Salzburg 2001, Weihnachtswerke veröffentlicht | Getaggt , , , | Kommentieren

Was der Mensch schon immer war

So wie ich bin,
der Mensch stellt fest,
bin ich doch eigentlich nicht schlecht
beschließt sogleich mit heitrem Herzen
sich nie zu wandeln
es sei denn
es beliebe ihn zu scherzen

So bleibt er wie er immer war
sich treu und für die Nachbarn klar
der, der er schon immer war
auch heut und für alle Mal

Die Nachbarn täglich neu erheitert
begierig tuscheln „wie geht’s weiter“
was mag er noch für Scherze wagen
um ihren Schwermut zu verjagen

Ein Lob mag sicherlich ihn ehren
und seine Scherze rasch vermehren
so könnte man an Freud gewinnen
Nachbarn hofieren mit weicher Stimme
das Scherzen tät ihm gut gelingen

Nun hat wer sich so fand nicht schlecht
und bleiben wollt was ihm so recht
sich selbst zu einem Scherz gewandelt
weil er nicht gründlich hat behandelt
das alles Bleiben nur besteht
wenn selbst es durch die Wandlung geht

© Christoph Stender
In Lyrik + mehr, Salzburg 2002, Theresienkirche 2002, Walheim 2003 veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren

Der du nun mehr vermagst zu sehen

Andenken an Bischof Klaus Hemmerle

Königen, Präsidenten und Ministern, Klugen und Gelehrten hast du deine Hand gereicht, mit deinem verschmitzen Lächeln und ein wenig Schalk im Nacken. Meine Hände kanntest du auch, wie so viele Hände „kleiner Leute“! Dein Winken im Vorübergehen ist mir zum Bild geworden. Dein Finger, verschränkt zur fröhlichen Faust ist auch heute noch ermutigender Aufruf zu gemeinsamem Weg.

Manchen Abend hast du mir geschenkt, leicht und heiter, klar und weit das Spiel der Worte. Du gingst hinterher und vorne weg, verstehend, annehmend, mittragend und immer suchend, ruhte dein Blick auf dem in aller Klarheit verborgenen Ziel.

In deinem Nachruf versicherte prominente Stimme: „Dein Wort verstand in gleicher Weise der Professor und die Marktfrau!“. Verzeih, das glaube ich nicht. Lauschte ich doch mit all meiner, sich aufbämenden und doch eher bescheidenen Intelligenz auf unseren Spaziergängen durch die Weinberge Bingens deinen Gedanken vom Menschen und der Ewigkeit, verstand nur sicher ich dein Herz.

Auch morgen werde ich, wie an so vielen Tagen schon davor, dein Grab besuchen, wissend, in dieser Gruft liegst du ganz hinten links, eingemauert. Dann wird wieder mein Blick versuchen, dem Totenkopf auf der eisernen Grabplatte zu entgehen.

Zwei kleine Kerzen werd ich wie so oft vor deinem Grab entzünden für den Menschen, den ich liebe, denn du verstehst, ein, zwei Kerzen, du verstehst, und manchmal eine auch für dich.

Wenn etwas Zeit du dir gönntest, spieltest du Klavier, im Urlaub maltest du Aquarelle, begegnetest Freunden gemeinsamer Gedanken, schriebst Bücher und manchmal alles gleichzeitig.

Nur auf zwei Stühlen hättest du nie Platz genommen: Auf dem Thron Karls des Großen und auf dem einfachen Sitzgefährt der alten Frau vor sardischem Haus, wie auch, nahmst du doch meist Platz zwischen zwei Stühlen, obwohl es immer anders klang.

Liegend, im Bett, in dem du bald schon sterben würdest, suchtest du im Nachttisch nach deiner Brieftasche. Bis heute weiß ich nicht warum, zeigtest du mir ein leicht vergilbtes Bild mit den Worten: „Dieser Mensch hat mich begleitet, er bedeutet mir viel.“ Freiburg ist eure Heimat, und du schautest mich an und ich blickte auf das Bild vor weißem Laken und ausgzerrtem Leib!

Mein schwarzes Jackett ist mir letzter Zeuge deiner freundlichen Nähe. Du hast es nie gemerkt. Fast immer, wenn du meine Jacke von der kleinen Garderobe im Flur abgenommen hast, zupftest du sie kräftig nach unten. Das kostete vier Aufhänger an Jacken und Mänteln. Einmal sagtest du dann, mit deinem unsicheren Witz, „darf ich dir in den Frautel helfen?“

Als ich an diesem Morgen um 8.15 Uhr bei dir anrief, warst du gerade ein paar Stunden tot. Du hieltest dich, nun endgütig, wie so oft, mit deinen Händen an der Kette deines blauen Brustkreuzes um deinen Hals fest.

Anlässlich deines 70. Geburtstages entstand von dir, was du nie sehen wolltest, dein Bild in Bronze, für die Ewigkeit gegossen. Weit weg und damit dabei, wirst du mit so manchem Gast geschmunzelt haben, der du nicht dein Bild, sondern den Wunsch in deinen Augen uns hinterlassen willst, der du nun mehr vermagst zu sehen:

Leben durch den Tod gegangen
Vergebung nach der Schuld gespürt
Einheit aus der Trennung geschenkt
Herrlichkeit hinter den Wunden mächtig
Mensch aufgehoben in Gott
Gott pulsierend in Menschen
Dein Ich in ein neues Du getaucht
Siehst du nun österliche Kraft, schattenlos

Aus „Dank Dir auf den Leib geschrieben – Ein Geschenk zum Weiterdenken“ erschienen beim Bergmoser + Höller Verlag, 1999.
In Lyrik + mehr veröffentlicht | Getaggt , , , | Kommentieren

Christ ist erstanden von der Marter alle

Des sollen wir alle froh sein,
Christ will unser Trost sein.
Kyrieleis.

Faxbox-Predigt Ostersonntag 1999

Christ ist erstanden von der Marter alle. Des sollen wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein.
Kyrieleis.

So verhalten die erste Strophe dieses Osterliedes sich ausspannt zwischen Christ ist erstanden und Kyerieleis, Herr erbarme dich, so gedämpft will uns heute der Osterruf, „Halleluja, Christus von den Toten erstanden, er lebt“, auch nicht so recht über die Lippen gehen. Wie auch, begleiten uns doch auch in diesem Ostergottesdienst hinein die Bilder und Nachrichten der (jüngsten) vergangenen Tage vom Kosovo, von flüchtenden Menschenmassen und den Bomben der NATO.

Doch nicht einzig diese Schreckensbilder und Nachrichten sind es, die einer unbeschwerten Osterfreude Einhalt gebieten. Nein, auch die sich immer mehr zur brutalen Wahrheit verdichtenden Berichte und Vermutungen vom Mord an ungezählten Kosovoalbanern, einer ethnischen Ausrottungswelle in dem ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien dämmen die Osterfreude. Darüber hinaus bleibt ebenso im Dunkeln, wie viele Menschenleben die Gegenwehr der Kämpfer der albanischen UCK fordern und gefordert haben. Blut und Leid ergießen sich wenige Autostunden von unserer Landesgrenze entfernt wieder einmal über die meist Schwächeren.

Erstmals sind auch bundesdeutsche Soldaten beteiligt an einem Einsatz, der von den Regierungen der Staatengemeinschaft der NATO als unumgänglicher Befreiungsschlag gewertet wird, den anderen aber als verfrühte Aufgabe politischen Bemühens bewerten oder als völkerrechtlich nicht legitimierbare Einmischung in einen souveränen Staat.

Aber auch unsere eigene Geschichte holt uns wieder eklatant mit Blick auf den Balkan ein und lässt uns daran erinnern, dass es Deutsche unter der Hitlerdiktatur waren, die im zweiten Weltkrieg auf dem Balkan gemordet haben und dass es Deutsche waren, die als Kriegsgefangene auf dem Balkan ermordet wurden.

Der unbekannte Autor dieses Osterliedes hat begriffen, dass die Auferstehung des Sohnes Gottes, das Bekenntnis: „Jesus ist uns erschienen“ hineingerufen ist in die kaum auszuhaltende Spannung zwischen der Menschenliebe Gottes und der Möglichkeit des Menschen, menschenverachtend zu handeln. So endet jede der drei Strophen mit dem Ruf: Kyrie eleison, Herr erbarme dich. Auch die letzte Strophe, die den Halleluja-Ruf aufgreift und uns rufen lässt froh zu sein über die Auferstehung Jesu, der unser Trost ist, mündet in die Erkenntnis: Wir bleiben Menschen, die trotz der Osterbotschaft oder gerade auf Grund der Osterbotschaft an der Vergebungsbitte nicht vorbei kommen.

Diese Erkenntnis aber birgt die große Gefahr in sich, die Fähigkeit des Menschen zur Unmenschlichkeit als von Natur ihm mitgegeben dem Menschen anzuhaften nach dem Motto: Er ist halt so! Dann ist der Schritt nicht mehr weit zu dieser Sünderleinmentalität: „Wir sind doch alles kleine Sünderlein“ und damit verbunden ein schnelles Selbstvergeben und dann einfach vergessen.

Zurecht können wir nun sagen: Aber wir sind es doch auch gar nicht! Wer von uns will denn Verfolgung und Mord im Kosovo? Wir haben doch die Flüchtlingsströme nicht ausgelöst, keiner von uns hat Häuser angesteckt, eine Waffe in die Hand genommen oder Kinder, Frauen und Männer ermordet, in Notwehr erschossen oder mit dem Tode bestraft. Keiner von uns will und wollte diese Tragödie menschlicher Macht und Ohnmacht. Die meisten von uns werden den NATO-Einsatz auch nur tolerieren als scheinbar letzte Möglichkeit weiteres Blutvergießen zu verhindern, ihn nicht gutheißend aber mit der Frage: Welchen Ausweg hätte es denn noch geben können?

Diesen Krieg zwischen den Menschen im Kossovo, der nicht erst durch die NATO zum Krieg geworden ist, hat keiner von uns gewollt.

Trotzdem bleibt unser Osterlob überschattet von diesen Ereignissen weil wir genau wissen:

Würde unsere ungetrübte Osterfreude das Ohr der Mutter erreichen, die um ihr ermordetes Kind trauert, könnte sie uns nur mit Verachtung strafen!

Würde unsere ungetrübte Osterfreude das Ohr des sterbenden Soldaten erreichen, würde letzte Erinnerung an ein gleichgültiges Volk ihn in sein Grab begleiten.

Würde unsere ungetrübte Osterfreude das Ohr des deutschen Soldaten im Einsatz der NATO erreichen, würde er uns auf Grund unserer Sorglosigkeit anklagen!

Würde unsere ungetrübte Osterfreude das Ohr der Ehefrau erreichen, die nicht weiß, wo ihr Mann ist, würde sie uns Gleichgültigkeit vorwerfen.

Würde unsere ungetrübte Osterfreude das Ohr derer erreichen, denen mit knapper Not die Flucht gelungen ist, würden sie uns entsetzt fragen: „Weißt du, was wir alles zurück gelassen haben?“

Würde unsere ungetrübte Osterfreude das Ohr Gottes erreichen, der auf allen Kriegsschauplätzen im Leid der Menschen mit Füßen getreten wird, würde er uns anschauen und sich fragen, was muss ich eigentlich noch alles aufheben, damit die Menschheit begreift.

Gerade aber in dieser Zeit ist eines für Christinnen und Christen unaufgebbar: Das Bekenntnis zur Auferstehung des Sohnes Gottes. Im Bekenntnis des Menschen zu Gott verbirgt sich auch das Bekenntnis Gottes zu uns Menschen. Er will unser Leben und Überleben durch alle Tode des Menschen in seinem Leben hindurch und hinter dem endgültigen Tod eines jeden Menschen steht er, der uns seine Liebe entgegen hält.

In der zweiten Strophe singen wir:
„Wäre er nicht erstanden, so wäre die Welt vergangen. Seit das er erstanden ist, so freut sich alles, was da ist. Kyrieleis.“

Mit diesem Liedtext geben wir unserem Glauben Ausdruck, ohne die Auferstehung Jesu hätte unsere Welt keine Überlebenschance, keine Zukunft. Er enthält aber auch die Aufforderung: Möge sich alles freuen, was da ist. Diese Aufforderung, die die Sehnsucht Gottes beinhaltet, bleibt unser Auftrag: Möge die ganze Menschheitsfamilie Freude an ihrem Leben erfahren, unabhängig in welcher lebensbejahenden Religion sie ihrer Hoffnung Ausdruck geben, und zutiefst spüren: Gott ist der, der von sich sagt: „Ich bin, ich bin da, ich bin der Gott der Lebenden!“

Dieser Auftrag lässt uns aber auch immer wieder diese Spannung spüren, in der wir leben: Wir sind noch so weit entfernt vom Heil aller Menschen auf dieser Erde – Herr erbarme dich – und du bist der Weg zum Heil aller Menschen – Halleluja, Halleluja.

Unser Osterlob muss auch heute in dieser Spannung klingen und verklingen, zwischen trauriger Realität und österlicher Hoffnung, wie es in den folgenden zwei Gedichten zum Ausdruck kommt:

Bomben können nicht traurig sein

Ohnmächtig startete mich eine Hand
von langer Hand gewollt,
die Hand ethnischer Säuberung aus zu dorren,
als ich die Hand
auf deinen prallen Bauch
voller Leben
traf.

Bomben können nicht einmal traurig sein
Auch nicht die Bomben der NATO am 28. März 1999 im Kosovo

(Christoph Stender)

Österlichen Gruß

Ich wünsche uns Osteraugen,
die im Tod bis zum Leben,
in der Schuld bis zur Vergebung,
in der Trennung bis zur Einheit,
in den Wunden bis zur Herrlichkeit,
im Menschen bis zum Gott,
in Gott bis zum Menschen,
im Ich bis zum Du
zu sehen vermögen.
Und dazu alle österliche Kraft!

(Klaus Hemmerle)

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

In Predigten, Predigtsammlung veröffentlicht | Getaggt , , , , | Kommentieren

Eine Nachricht – jeden Tag dieselbe neu

Fragment zur Kar- und Osterwoche 1999 (Faxbox-Predigt)

„Gestern standen wir noch vor dem Abgrund, heute sind wir ein entscheidendes Stück weiter.“

So lautet eine Redensart, die in ihrer Interpretation wesentlichen Spielraum lässt, ob das „entscheidende Stück weiter“ nun bedeutet den Abgrund hinunter gefallen zu sein oder festeren Boden unter den Füßen zu haben.

Mit Blick auf die sich immer wiederholenden politischen Ereignisse in unserem Land ist so mancher Bundesrepublikaner der Meinung, dass es momentan wieder einmal nur eine Richtung der Interpretation dieser Redensart geben kann: Minister stürzen mit unter schon nach wenigen Wochen ihrer Amtszeit schlicht und ergreifend ab. Wahlkampfzusagen wie z. B Atomaustritt, Gleichberechtigung, mehr Umweltschutz und weiter greifende Rechte und mehr Schutz für Kinder und Jugendliche gehen nach gewonnener Wahl sehr schnell den Bach runter. Angekündigte Steuerreformen verlieren beim Regieren schnell an Gewicht und gehen wie so vieles andere auch den Weg alles irdischen. Die Hoffnung auf eine solide und vertrauensvolle Koalititionsarbeit in der Regierung, immer unfreiwillig gewollt, findet sich oft sehr schnell im freien Fall nach unten begriffen.

Die einen fühlen alle ihre Befürchtungen, bezogen auf die momentane Regierung bestätigt, hängt doch ihr politisches Fähnchen woanders, andere jedoch sind enttäuscht, so manche ihrer Hoffnungen sind zerbrochen! Allen gemeinsam ist allerdings das Gefühl in puncto Versprechen bisher einer endgültigen Täuschung erlegen zu sein. Da wurden Versprechungen gemacht, die in weiten Teilen nicht eingelöst wurden und in Folge dessen macht sich Ent-täuschung breit. Es wäre allerdings eine grobe Täuschung, würden wir nur diese momentane Regierung mit dem Vorwurf konfrontieren enttäuscht zu haben. Das hatten bisher alle Regierungen sich vorzuwerfen, die eine mehr andere weniger!

Das Prinzip, das hier wieder einmal zum tragen kommt, ist einfach: Um so höher die Versprechen sind, desto tiefer kann die Enttäuschung gehen. Was bei diesem Prinzip kritisch mitbedacht werden muss, ist die Gefahr, dass wir in so manches Versprechen mehr hinein deuten, als das Versprechen vorzugeben angab.

Nun ist dieses Verhältnis zwischen Versprechen und Ent-täuschung keine ausschließliche Erscheinung unseres Jahrhunderts. Schon zur Zeit Jesu gehörte dieses Prinzip zur Tagesordnung, wie uns die Bibel an manchen Stellen nahe bringt. So das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem: Noch ist der Jubel groß! „Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe.“ Eine ganze Stadt ist in Aufregung, da sind Menschen, die fragen: „Wer ist das?“ Und andere, die wissen: „Das ist der Prophet Jesus von Nazareth in Galiläa!“

Es scheint kaum einen zu stören, und am wenigsten die Vertrauten Jesu, dass ihr Messias auf einem Esel in Jerusalem einzieht. Der Mann, der für Veränderung steht, dem sogar politische Umwälzungen zugetraut werden, sitzt auf einem kleinen Esel und alles klatscht. Dieses bewusst von Jesus gesetzte Zeichen, auf einem Esel sitzend die Qualität seines Machtverständnisses anzudeuten, hätte zum Nachdenken anregen müssen aber die Menschen waren blind, sie haben nur gesehen, was sie sehen wollten.

Der weitere Weg Jesu entpuppt sich aus der Sicht seiner Begleiter immer mehr zu einer Aneinanderreihung von Enttäuschungen, die vorläufig in der Jesus-Aussage gipfelten: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, um dann in die Ent-täuschung des Kreuzes zu münden. So mancher Zeitgenosse Jesu wird sich gefragt haben, ob dieser „König der Juden“ ein Mann falscher Versprechungen war. Das Gelächter der Spötter unter dem Kreuz war für manchen ein Indiz der falschen Versprechungen Jesu: „Wenn du der Sohn Gottes bist, hilf dir selbst, und steig herab vom Kreuz!“ Unter demselben Kreuz standen auch Menschen, die zutiefst hofften, möge er jetzt doch von diesem Kreuz herabsteigen. Nur den Spöttern blieb vordergründig die Enttäuschung erspart. Den Hoffenden blieb nur das Kreuz.

War Jesus der Mann falscher Versprechungen?
Ist Jesus auch heute der Mann falscher Versprechungen?

Die Feier des Palmsonntags, die Feier der Eucharistie und der österlichen Tage legen uns schnell, in unserer gläubigen Gewissheit, die Antwort in den Mund: „Nein, Jesus hat sein Versprechen todernst gemeint und es gehalten, wir feiern Tod und Auferstehung!“ Ja, das ist der Kern unseres gemeinsamen Bekenntnisses. Aber der Palmsonntag läutet auch die Kar- und Ostertage ein als eine Zeit, die uns immer neu die Augen öffnen will, damit wir in die Versprechungen Jesu nicht mehr hinein interpretieren, als Jesus uns versprochen hat. Er verspricht uns Anteil an seinem Leben und das bedeutet Zukunft für uns.

Er verspricht uns, dass er der Weg zum Leben ist und das bedeutet für uns unsichere Wege zu gehen.

Wir interpretieren sein Versprechen falsch, wenn wir uns den Straßenrand aussuchen und mit den Jublern jubeln.

Sein Versprechen richtig interpretieren bedeutet: Wir gehen mitten auf dem Weg und sind nicht gefeit vor Pöbeleien, massiven Anfragen und Selbstzweifeln.

Wir gehen mitten auf dem Weg und können uns nicht verstecken vor Not, Elend, Traurigkeit und Verzweiflung.

Wir gehen mitten auf dem Weg und werden unsere Grenzen spüren, unsere Fähigkeiten und Talente probieren, und manchmal auch die Erfahrung machen, einfach nur allein zu sein!

Wir gehen mitten auf dem Weg und werden Hilfe, Solidarität, Respekt, Sinnerfahrung und Freude begegnen.

Wir gehen mitten auf dem Weg und eines Tages wird uns unser eigener Tod entgegenkommen. Wenn er uns dann eingeholt hat, werden wir wissen, ob wir wirklich auf dem Weg des Lebens waren. Und wenn sich dann alles doch nur als eine Enttäuschung, als ein falsches Versprechen entpuppt, dann wird trotzdem vielen Menschen nach uns die Gewissheit bleiben: Dieser Weg ist sinnvoll, der einzig sinnvolle Weg durch diese Welt.

Glauben heißt, nicht wissen und trotzdem diesen Weg gehen. Nur so sind wir selbst ein glaubwürdiges Versprechen und keine Ent-täuschung.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

In Predigten, Predigtsammlung veröffentlicht | Getaggt , , , , , | Kommentieren
© Christoph Stender | Webdesign: XIQIT GmbH
Impressum

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen