Eine Annäherung
Es bedarf keiner prophetischen Gabe mehr, um der Tatsache ins Auge zu schauen, dass Weihnachten vor der Tür steht! „Alle Jahre wieder…“ so besingt nicht nur ein bekanntes christliches Lied die Ankunft des Friedensfürsten. Es geht auch viel pragmatischer, denn es reicht ein Blick in den Kalender um festzustellen, dass das Fest der Liebe nicht mehr auf sich warten lässt! Wer allerdings in seinem Timer noch nicht so weit voraus geschaut hat, braucht in diesen Tagen nur einmal durch unsere Fußgängerzonen zu schlendern, oder besser gesagt sich treiben zu lassen, um sicher zu sein: Weihnachten rollt auf uns zu!
Die Adventszeit, Zeit in Erwartung der Ankunft des Sohnes Gottes, hat in der Regel wenig Chancen, in einer sowieso sich stetig beschleunigenden Zeit, die jetzt durch das anstehende große Fest nur noch mehr Tempo bekommt, Verlangsamung von Zeit sein zu können. Von vereinzelten Adventskränzen abgesehen, die wahlweise auch als Adventgestecke mit mal einer Kerze oder auch fünfen zu haben sind, und die vorzugsweise in christlichen Haushalten, was immer das sein mag, anzutreffen sind, und natürlich nicht zu vergessen den Adventskalender als beliebtes Verpackungsmaterial für Schokolade, kommt der Advent, wenn überhaut, nur noch in der Liturgie und im vorweihnachtlichen Kinderlied vor.
Die Gestaltung der Gottesdienste im Advent, vereinzelte Frühschichten oder ähnlich Angebote des gemeinsamen Gebetes und adventlich geschmückte Gotteshäuser sind einige der wenigen Nischen, in denen vom Advent in seiner ursprünglichen Intention der Erwartung noch etwas zu spüren ist.
Zu mächtig ist das größte Konsumfest Deutschlands geworden um irgend eine Form adventlicher Stille wirklich dulden zu können! Selbst jene, die im Advent noch ein kleines Schlupfloch der Besinnung erkämpfen konnten, geraten oft selbst in den Sog der Aktivitäten, wenn sie einige Tage vor dem großen Fest der Erkenntnis erliegen, doch noch nicht alle Geschenke besorgt zu haben oder im Speiseplan noch eklatante Lücken klaffen, die via Einkauf schnellstens gestopft werden müssen.
Keine Konsumkritik
Genau so verlässlich wie der vorweihnachtliche Trubel ist die entsprechende Konsumschelte so mancher Zeitgenossen, die – alle Jahre wieder – feststellen, wie runtergekommen unsere christlich geprägte Gesellschaft doch sein muss, da sie immer noch nicht begriffen hat, dass das Fest der Geburt Jesu mit all dem nichts zu tun hat, was man vorweihnachtlich Geschäftigkeit nennt.
Den Kritikern sei bei aller berechtigten Kritik zu bedenken gegeben, was denn passieren würde, wenn Advents- und Weihnachtszeit vom Konsum restlos unbeachtet links liegen gelassen würde. Kein besonderer Schmuck in unserem Straßenbild, kein Weihnachtsmann in den Kaufhäusern, keine Geschenkidee zum Fest, kein Festtagsbraten im Gefrierregal, nirgendwo weihnachtliche Klänge, ja kein einziger Weihnachtmarkt weit und breit! Diese „Stille“ könnte dauerhaft zur Folge haben, das die Feier der Geburt Jesu immer mehr zu einem geheimnisvollen Ereignis hinter christlichen Mauer wird, das Außenstehenden nur noch befremdet, wenn überhaupt! Darin sehen einige Christen jedoch die Chance der „Gesundschrumpfung“, doch dieser Sichtweise möchte ich hier nicht weiter nachgehen.
Die Vorweihnachtszeit als Event, so wie wir sie in diesen Tagen erleben, mit all ihren Nebenerscheinungen birgt doch auch die Chance, das so mancher „Fernstehende“, der weniger an den Wurzeln christlichen Glaubens interessiert ist, zumindest für einen Augenblick in all der Beschäftigkeit über das Christkind und seine Vision der Liebe stolpert und nachdenklich wird. Den meisten aber, ob nun den Kritikern, dem Einzelhandel, den Aktiven in den christlichen Gemeinden, Fernstehenden, Eingeweihten oder denen, die schon längst entschieden haben das ihr Weihnachtsbaum eine Palme sein wird, ist eines zumindest optional gemeinsam: Heilig Abend, endlich Ruhe, Frieden, Gemeinschaft, familiäre Beschaulichkeit und vielleicht ein Hauch von Seeligkeit in der Luft.
In so manchem Ohr klingt solch eine Formulierung von Harmonie allerdings eher abfällig, weil sie verdächtigt wird, die Sehnsucht der Menschen nach einer festlichen Stimmung am Weihnachtsfest nicht ernst nehmen zu wollen. Das ist nicht meine Intention, denn ich teile die Meinung von weihnachtsscheuen Dauernörglern nicht, die den angeblichen familiären Friede der Festtage als pure Heuchelei kritisieren. Sicherlich erfüllt sich auch in den Weihnachtstagen nicht immer und unbedingt der Wunsch nach gemeinschaftlicher Harmonie. Oft liegt das an dem Generationen bedingten differierenden Praxisvorstellungen in der Frage, wie wird Weihnachten richtig gefeiert. Aber das bedeutet ja nicht, dass der Wunsch nach einem gelungenen Fest nicht bei allen Beteiligten ernsthaft vorhanden sei! Ich wünsche jedem ein friedvolles Weihnachtsfest. Aber die Tatsache der Geburt Jesu und die Erinnerung daran bedeutet mehr als nur friedvolle Stimmung, das darf auch bei aller Feierlichkeit nicht übersehen werden, auch wenn auf den ersten Blick nun doch der Wunsch nach Stimmungsfülle angeprangert scheint. Der Wunsch nach Harmonie, Frieden und gelungener Gemeinschaft ist sehr eng mit den Weihnachtsfeierlichkeiten verbunden, gehört aber nicht notwendig zu diesem Fest der Geburt Jesu, auch wenn uns unsere romantische Krippendarstellungen und die Weihnachtserzählungen dies suggerieren.
Der Blick in die Krippe ist das Fest und der ist alles andere als nur romantisch!
Die Feier der Geburt Jesu Christi ist geerdet in einer sehr einfachen Krippe zu Bethlehem! Sich ihr nähern zu wollen, um in sie hinein zu schauen, ist die Intention dieses Festes. Darin begründet sich auch die immerwährende Wiederkehr der Weihnacht in Raum und Zeit. Jesus in der Krippe ist das unbestreitbare Zentrum dieser christlichen Feier! Das ganze drum herum um dieses Fest darf nicht zu dem gewissen Mehr werden, denn dann wäre es zu wenig! Der Ausdruck der Freude über die Geburt unseres Erlösers darf den Knaben nicht erdrücken!
Auf dem Weg zur Krippe
Wenn Sie sich in diesen Tagen wieder dieser Krippe stellen wollen, dann bedeutet das, sich ihr anzunähern um zu entdecken, aber nicht um wiedereinmal zu sehen was man sehen will! Entdecken bedeutet, sich der Botschaft der Menschwerdung Gottes neu zu stellen mit der Bereitschaft ihr entsprechend sich auch verändern zu wollen. Wenn Sie sich in diesen Tagen wieder dieser Krippe stellen wollen, dann bedeutet das, Sie müssen sich selber mitnehmen auf den Weg zu diesem einzugartigen Ort, ohne Namen und alle Namen tragend! Aber Sie dürfen nicht meinen nur als Betrachter in wohliger Distanz bei der Krippe zu verweilen, sondern sie sind Gast an der Krippe, weniger reicht nicht! Dafür bedarf es der Investition von Zeit und soviel Zeit muss sein!
Lassen Sie die Zeit nicht verstreichen um zielstrebig auf den Ort der Geburt Jesu zuzugehen. Vielleicht können Sie sich ja schon jetzt einmal probeweise darauf einlassen. Dann gehen Sie los, und legen Sie für diesen Augenblick hinter sich was Sie aktuell beschäftigt, parken Sie Ihre Probleme und Sorgen am Rande des Weges, auch wenn das nicht ganz einfach ist. Ordnen Sie ihre Sicherheiten für einen Moment der Kategorie „nicht so wichtig“ zu. Fragen Sie nicht wo die anderen bleiben, momentan sind nur Sie gefragt. Gehen Sie einfach dem Stall entgegen. Können Sie sich ihn vorstellen? Vergessen Sie was Sie noch alles zu erledigen haben, Geschenkeinkauf, Hausputz, Festorganisation, Predigt, Besuche … Schauen Sie nur der Krippe entgegen und denken sie nicht darüber nach wie die family beim Fest drauf sein wird, oder ob Sie es allen recht machen werden. Achten Sie besonders auf die letzten Schritte zum Kind im Stall, spüren Sie den Boden unter Ihrer Füßen, wenn Sie nicht mehr auf ihren normalen Wegen gehen, dann sind Sie bald da und vergessen Sie für diesen Augenblick nach Möglichkeit auch die Theologie, Ihre Vorstellungen von Weihnachten und Ihre Kindheitserinnerungen.
Wundern Sie sich bitte nicht dass Sie keine Spuren von Ochs, Esel und den Hirten finden werden, die sind noch nicht angekommen! Auch die Engel und ihr himmlischer Gesang sind noch nicht zu hören. Sie stehen ganz allein vor dieser einzigartigen Krippe, nur Sie allein mit dem Kind! Wo Maria und Josef sind fragen Sie, die sind für diesen Augenblick weggegangen, und weil Sie ja nun da sind kann dem Kind doch nichts passieren. Übrigens, die Beiden sind auch gegangen weil sie nicht stören wollten.
Ja, Sie stehen ganz allein vor der Krippe! Was sehen Sie? Erblicken Sie in diesem Kind mehr, sehen Sie weiter, schauen Sie auf sich und so über sich hinaus? Was liegt in der Krippe? Die Zerbrechlichkeit der Liebe Gottes! Liegt da Gott in Jesus Christus hilfebedürftig in Windeln, für wen? Berühren sich hier Himmel und Erde? Wie wollen Sie das als gebildeter Menschen einem anderen erklären? Haben Sie das schon einmal aus Überzeugung versucht, und wenn ja was haben Sie gesagt? Sehen Sie eigentlich was sie sehen wollten? Wollen Sie das wirklich so sehen, Gott Mensch geworden in einem Baby, das die Hosen voll macht und nach der Mutter schreit? Oder ist das nicht doch nur ein schlechter Scherz oder besser gesagt, der Erklärungsversuch einer unerfüllten Sehnsucht der Menschen der nicht Wahr sein lässt was nicht Wahr sein darf, und so Abhilfe schafft? Doch nur fromme Täuschung?
An dieser Stelle sind wir gerne geneigt einige theologischen Erklärungen unserem Langzeitgedächtnis zu entlocken, aber erklären die mehr als Sie hier sehen? Schauen Sie geduldig hin und flüchten Sie nicht jetzt schon in die Deutung dieses Ereignisses, das schafft zu schnell Distanz! Vergessen Sie nicht, Sie können diese Krippe nur Augenblicke allein für sich haben!
Hören Sie hinter sich schon dieses entfernte Raunen? Die Krippenklassiker kommen auch langsam an und fragen sich wer da steht und was der ist? Die meinen Sie! Ja wer sind Sie, der Sie an dieser Krippe stehen, von den Augen eines Kindes in den Blick genommen, Blicke die Ihren Blick kreuzen und Ihre Perspektiven vielleicht durchkreuzen? Wer sind sie an dieser Krippe. Lässt sie das Christuskind unbeeindruckt? Geschieht überhaupt was bei Ihnen, merken Sie noch was? Möchten Sie etwas sagen?
Blick nach vorne
Sie kennen doch die Zukunft dieses Knaben, Jesus von Nazareth! Wollen Sie ihm davon nicht etwas erzählen, diesem hilflosen Kind? Gefällt es Ihnen eigentlich wie Gott bei Ihnen ankommen möchte? In ihm ist Gott an Ihrer Seite, der Gott dem Sie glauben, oder? Er, der in Allem mächtig ist, und der in diesem Kind und seinem Werdegang so viel loslassen wollte und will, er liegt zu Ihren Füßen! Wenn Sie sich dieses Kind nun anschauen, dann geht Ihnen sicherlich auch seine Zukunft – oder ist es schon seine Geschichte – durch den Kopf?
Von seiner Jugend wissen Sie ja sehr wenig, ob er verliebt war, was er werden wollte, wie seine Freunde waren und wovon er geträumt hat, all das liegt im Dunkeln.
Dann macht er plötzlich von sich Reden, warum erst jetzt wissen Sie auch nicht, aber nun verkündetet er mit aller Kraft die Liebe Gottes, er lebt aus ihr und schenkt sie weiter. Menschen folgen ihm, wollen von seinem Gott immer mehr hören und seinem Reich von dem er spricht. Er ist für Sie angekommen! Spüren Sie etwas von seinem tiefen Vertrauen, das er zu seinem himmlischen Vater hat! Doch dann erhebt sich die Katastrophe des Kreuzes über alle Hoffnung! Die Hoffnung zerbricht, mit jedem Hammerschlag mehr und mehr in absolutes Schweigen! Dann der Aufschrei, er lebt, er ist auferstanden, wir haben ihn gesehen, sie können nicht mehr schweigen. Die Menschen damals! Und Sie?
Hallo, Sie sind nicht mehr allein an der Krippe, die Klassiker sind angekommen, und ein paar ganz einfache Menschen wie Sie auch, die heiligen drei Könige lassen noch auf sich warten, aber der vierte König ist schon da!
Sie hätten sicherlich noch gerne die ein oder andere persönliche Frage gestellt bezüglich ihrer Probleme und Sorgen, die Sie eben gerade am Wegrand geparkt haben, oder vielleicht bezogen auf ihre Sicherheiten, die sie vor wenigen Minuten kurzfristig in der Kategorie „nicht so wichtig“ abgelegt haben. Sie hätten an der Krippe ja auch mal die Frage aufwerfen können ob wir uns heute mit den Weihnachtsvorbereitungen nicht doch zu viel Stress machen? Willkommen im Trubel der Adventszeit!
Sollten Sie in den kommenden Tagen eine Krippe aufbauen, dann wäre es gut, wenn ihre Krippe ein wenig der Krippe von Bethlehem ähneln würde, von der niemand eine genaue Kenntnis hat, aber von der wir wissen, dass das wertvollste was den Menschen begegnen kann, Gott in diesem Kind namens Jesus von Nazaret, in einer Bescheidenheit zur Welt gekommen ist, die keine andere Bedeutung hat, als auf dieses Kind zu verweisen.
Manchmal vergessen wir, das Gott keinen Glanz braucht, er selbst ist der Glanz des Lichtes, jedoch auch dies ist wiedereinmal nur ein Bild. Wir Menschen brauchen ab und zu unseren selbstgemachten Glanz, um uns daran zu erinnern, das es noch etwas besonderes und so feiernswertes gibt, das jenseits des selbstgemachten Glanzes zu suchen ist. Aber wir können beruhigt sein! Gott hat in seiner Menschwerdung so viel Verständnis für uns Menschen in unseren Tag gelegt, das wir hoffen dürfen, dass er dieses Bedürfnis der Menschen, die Stille des Glanzes genießen zu wollen, wohl auch verstehen kann.
Übrigens: Nochmals zurück zu der Krippe, stellen Sie die Figuren nicht zu eng, damit auch für Sie noch ein wenig Platz in der Krippe ist!
Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge – Zeitschrift für Pastoral und Gemeindepraxis 12/2001, S. 11-14.