www.christoph-stender.de

Was sehen Sie? Was sieht Ihr Kind?

Eine Frau spielt Blockflöte, zwei Kinder hören zu. Mehr ist auf dem Bild nicht zu sehen, mit Ausnahme des Adventskranzes

Dieses Bild zeigt eine Mutter und zwei Mädchen beim Musizieren im Advent. Auf den ersten Blick scheint das irgendeine Familie zu sein, halt nichts Außergewöhnliches. Dass der Vater auf der Fotografie fehlt, wird keiner wirklich kritisieren, denn der knipst ja wohl gerade die Idylle. Aber ist das wirklich eine Familienidylle? Oder fährt der Wunsch des Betrachters nach Harmonie zu solcher Deutung, die nicht unbedingt den Tatsachen entspricht?

Sitzt da etwa eine Mutter allein mit zwei Kindern, frisch verlassen vom Vater und der Fotograf ist nur der Nachbar? Sind das gar nicht die eigenen Kinder dieser Frau? Ist eines der Mädchen ein Adoptivkind, deren leibliche Mutter es nicht behalten wollte, konnte oder durfte? Hat da gar ein allein erziehender Vater für dieses Foto seine beiden Kinder der Schwester überlassen? Oder ist das doch eine Familie, nur mit dem Unterschied, dass die Lebenspartnerin dieser Frau hinter der Kamera steht?

Was sieht so mancher Erwachsene in diesem Bild? Die einzig mögliche Wirklichkeit, weil es in Sachen Familie ja nur eine geben kann? Oder sind wir am Fest der Heiligen Familie auch bereit, verschiedene Realitäten von Mann, Frau und Kindern als Familie wahrzunehmen, auch wenn wir sie persönlich nicht immer gutheißen wollen?

Was sehen Kinder eigentlich in diesem Bild? Würden sie sagen: ja, das ist die Mutti von den Mädchen und der Papa hat auf den Knopf gedrückt? Wovon würden Kinder sich leiten lassen bei ihrer Deutung dieser Fotografie? Kinder würden sehr realistisch, auf dem Hintergrund ihrer eigenen Sehnsucht sagen was sie sehen. Und wenn dieses Bild Kindern von Geborgenheit, schätzender Annahme und liebender Gemeinschaft erzählt, und sie je elterliche Liebe erleben durften, dann würde da eine Mutti auf diesem Stuhl sitzen und hinter der Kamera steht dann auch ein Papa.

Ortswechsel: Wie uns das Evangelium am Fest der heiligen Familie berichtet, machen sich Josef und Maria auf den Weg zum Tempel, um das Gesetz erfüllend ihr Kind dem Herrn zu weihen. Was heißt aber, sein Kind dem Herrn weihen? Hier geht es nicht um die Erfüllung einer blutleeren gesellschaftlichen Regel vergangener Zeiten, sondern um den gesellschaftsprägenden Dank dem gegenüber, der alles Leben ermöglicht. Gott danken für dieses zerbrechliche Leben eines den Eltern nur geliehenen Kindes. Dieser Dank Gott gegenüber ist nicht nur rückwärts gerichtet.

Der Dank ist auch eine Vision für das Kind: Möge die Liebe Gottes dieses sich entfaltende Leben nie allein lassen. Wer aber ein Kind annimmt und es Gott anvertraut, der ist selbst zur Antwort Gott gegenüber verpflichtet. Denn Verantwortung für ein Kind zu übernehmen bedeutet, der Liebe Gottes eine Heimat geben zu wollen in der eigenen Liebe zu dem anvertrauten Kind. Die Liebe des Menschen soll nach der Liebe schmecken, mit der Gott uns Menschen hebt. Die Liebe des Menschen jedoch findet ihren tiefsten Atem in der Liebe Gottes. Wir müssen von der Liebe Gottes schweigen, wenn unsere Kinder nicht von aufrichtender Liebe umgeben sind. Darum sind Vater und Mutter, und auch jene Menschen die unseren Kindern Eltern sind, die ersten Botschafter und Botschafterinnen der Liebe Gottes.

Ortswechsel: Was sehen eigentlich Kinder in diesem Bild? Sie sehen nur, was sie auf Grund der eignen Erfahrungen und Hoffnung entdecken können. Hoffentlich sehen sie Menschen, die ihnen Liebe, Verlässlichkeit und Geborgenheit schenken, denn welches Kind träumt nicht von einer Familie – und das nicht nur in der Weihnachtszeit.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 22.12.2002
In Aufsätze + Artikel, Glauben heute veröffentlicht | Getaggt , , | Kommentieren

Rücksichtnahme kostet nichts

Der Dom, das Rathaus, heiße Quellen und die Lage im Dreiländereck, anmutende Plätze und einladende Grünflächen, das sind Attraktionen unserer Stadt!

Hinzu gesellen wir immer wieder neue sowie erprobte Attraktionen und Attraktiönchen, um unsere Stadt interessanter zu machen: Weihnachtsmarkt, Kultursommer, Baumarrangements vor dem Theater, die Nacht der offenen Kirche, Horseparade …

So versuchen die Stadt und andere gesellschaftliche Gruppen, oft mit hohem finanziellen und personellen Aufwand Aachen lukrativer zu gestalten.

Reichen diese kostenträchtigen Attraktionen allerdings aus, damit Aachen mehr Ausstrahlung spüren lässt? Da macht doch schon nachdenklich, wenn Urlauber z.B., gerade zurückgekehrt von bekannten und weniger bekannten Städten und Dörfern, weniger von den Attraktionen dieser Orte berichten, als vielmehr von der Freundlichkeit ihrer Bewohner, soweit diese erlebt wurde. Freundlichkeit hinterlässt offenbar einen nachhaltigeren Eindruck als so manches Event.

Einen nachdenklichen Eindruck anderer Art hinterlässt bei mir ein Bummel durch die Innenstadt. Gerade mal vier Schritte vor mir steuert ein Menschenkind die selbe Türe eines Geschäftes an nach dem Motto: Türe auf, hinein ins Getümmel und nach mir die Sintflut.

Nun kam da aber nicht die Sintflut hinterher sondern ich, und vor meiner Nase knallte die Türe zu. Dabei hätte mein Vorgänger sich doch nur einen Augenblick umdrehen müssen, um einer fast vergessenen Umgangsform Renaissance angedeihen zu lassen. Diese hätte ich mindestens mit einem Dankeschön und einem netten Lächeln erwidert.

Könnte da vielleicht ein Aufkleber an der Türe hilfreich sein:

„Rücksicht öffnet Türen. Für ein freundliches Aachen!“ Wäre eine solche Einladung nicht eine preiswerte Aktion für ein freundlicheres und so attraktiveres Aachen?

Jedoch kann es eine Stadt sich leisten, mit dem Aufruf zu mehr Rücksicht unter ihren Bewohnern und Gästen eventuell einzugestehen, dass es genau daran fehlt?

Es ist keine Schande beim Namen zu nennen, was viele vermissen. Indem wir auf Rücksichtnahme hinweisen und Rücksicht zum Markenzeichen machen, geben wir selbst unserer Stadt ein attraktives Gesicht.

Quelle: Aachener Zeitung, 20.11.2002.
In Aufsätze + Artikel, Kolumne in der AZ veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren

Alles meinem Gott zu ehren

Die Frage ist keine besondere Herausforderung für Jesus, und die Absicht der Fragesteller ist für ihn leicht durchschaubar. Geleitet von dem Motiv, Jesus eine lebensbedrohende Falle zu stellen, schickten Mächtigen ihrer Zeit ihre Handlanger zu Jesus, mit dem Ziel, ihn aus der Reserve zu locken. Mit der Frage nach dem Recht des Kaisers Steuern zu erheben, versuchten sie, der Weisheit Jesu schmeichelnd ihn anzugreifen. Jesus nimmt diese platte Provokation an und erledigt das Ansinnen derer, die ihm nichts Gutes wollten mit dem Hinweis auf die landesübliche Bildgestaltung damaliger Münzen, und kommentiert: „…so gebt dem Kaiser, was dem Kaisers gehört…“. Unterm Strich könnte man diesen Vorgang so zusammenfassen: Bösartige Frage, aber eine menschfreundliche und sachgerechte Antwort.

Allerdings belässt es Jesus nicht nur bei dieser Antwort auf die direkt gestellte Frage, sondern er gibt auch Antwort auf eine Frage, die nur indirekt gestellt wurde: „…und (gebt) Gott, was Gott gehört…“. Die Gegner Jesu, so berichtet der Schluss des heutigen Evangeliums, machen sich nach Jesu Antworten und ihrer so misslungenen Aktion aus dem Staub.

Wir als Christinnen und Christen heute können uns aber nicht so einfach davon schleichen, nach dem Motto: Wer dumm fragt, bekommt mit unter mehr Antworten als ihm lieb ist.

Streng genommen könnten wir heute diese Antworten Jesu ad acta legen, da es ja den Fragestellern der damaligen Zeit gar nicht um eine bedenkenswerte Antwort Jesu ging, sonder vielmehr um den Versuch, Jesus mit allen Mitteln auf gesetzlichem Weg kalt zu stellen. Das ist ja nun nicht unser Anliegen. Diese Frage aber aktuell formuliert geht uns schon an: Was gilt es heute Gott zu geben, die wir als Christinnen und Christen in einer komplexen und vielseitigen Gesellschaft leben?

Vorab einige Problemanzeigen: Können wir heute eigentlich noch so fein säuberlich trennen zwischen einer Vernunftgemeinschaft auf der einen Seite, die sich Staat nennt, und andererseits Gott. Muss die Gemeinschaft derer, die in Jesus Christus auf Gott vertraut und so seine Kirche ist, nicht auch auf der selben Tastatur spielen wie der Staat, der wir ja selber auch vorgeben zu sein?

Gäbe es Wege, aus christlicher Überzeugung heraus Menschen z. B. in existentieller aber entfernter Not zu helfen, den Geldverkehr unserer Gesellschaft aber ignorieren zu wollen?

Unsere Realitäten sind nicht in Schwarz und Weiß zu haben. Wie diese (nebenstehende) Kollage ins Bild setzt, verwischen sich die Konturen von Glauben, Gesellschaft, Armut, Kirche, Staat, Geld, Kreuz, Wahrheit und Gerechtigkeit in dem Miteinander unterschiedlich geleiteter Interessen. Wer also in unserer Gesellschaft bedingungslos nach dem fragt, was Gott gehört, muss den Weg der Polarisierung gehen, und wird so in der Isolation landen.

Gottes Leidenschaft aber ist der Mensch, und dieser ist gerufen mit anderen Menschen sein Leben gemeinsam zu gestalten. Gemeinschaft aber, egal wie komplex sie ist, kann auf jede ihrer Intentionen bezogen ohne Strukturen und Übereinkünfte nicht gelingen.

Wer als Christ diese Tatsache zur Kenntnis nimmt ist gefragt: Was bist du in unserer Gesellschaft bereit ausschließlich Gott zu geben? Es ist unchristlich mit unserer Gottesbeziehung Weltflucht zu begehen, sondern auf Grund unserer Gottesbeziehung gilt es diese Gesellschaft mitgestaltend Position zu beziehen. Erlauben Sie mir abschließend eine Frage. Kennen sie dieses Lied noch: „Alles meinem Gott zu Ehren, in der Arbeit, in der Ruh! Gottes Lob und Ehr zu mehren, ich verlang und alles tu“?

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 20.10.2002
In Aufsätze + Artikel, Glauben heute veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Vertrauen beweist mehr als ein Wunder

Den Strand entlang zu gehen, unter den Füßen den weichen Sand zu spüren und vom Wasser sich umspielen zu lassen, tut einfach gut. Es ist schön, von möglichst wenig Menschen umgeben, versunken in Gedanken und Träumen das Meer zu fühlen. Ein weicher zügiger Schritt befreit die Gedanken aus konventioneller Enge, weitet den Blick, ohne den festen Boden unter den Fußen zu verlieren, doch immer auch noch berührt von der Unendlichkeit und Unwägsamkeit des Meeres.

Doch das Meer birgt mehr als nur diese friedlich, unruhige Idylle. Das Meer ist auch ein gefahrenvoller Arbeitsplatz. Die Jünger Jesu, damals erfahrene Fischer, wussten um die Gefahren der Seen und Meere. Doch sie waren, wie viele ihrer Zeitgenossen auch, auf den Fischfang zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes angewiesen. Für sie waren die Gewässer Lebensquelle und Gefahrenquelle zugleich.

Auch Petrus, von Beruf Fischer, wusste um die Unkalkulierbarkeit der Gewässer seiner Heimat. Aber man musste nicht unbedingt ein Fischer sein, um zu wissen, dass auf dem Wasser zu gehen unmöglich ist.

Warum aber forderte dann Petrus Jesus, der auf dem Wasser gehend den Jüngern als ein Gespenst erschien heraus, auch ihn, den späteren Apostelfürsten, auf dem Wasser gehen lassen zu können? Für Petrus schien diese Situation günstig, und er fühlte sich mutig genug nun Jesus einen Beweis seiner Göttlichkeit abzutrotzen. Trotz besserem Wissen, dass Wasser einen Menschen eben nicht nur auf seinen zwei Füßen gehend tragen kann, versuchte Petrus Jesus zu testen mit dem Ziel zu prüfen, ob Jesus die Naturgesetzte außer Kraft setzen würde, um so seine Gottsohnschaft unter Beweis zu stellen.

Doch diese Art einen Beweis zu provozieren schlug fehl. Nicht etwa weil Jesus versagt hätte, sondern weil das Ansinnen des Petrus nicht tragfähig sein konnte, da die Forderung eines Beweises der Göttlichkeit Jesu dem Glauben daran nicht vorgezogen werden darf. Ganz pragmatisch rettet Petrus hier nur die helfende Hand Jesu vor dem kläglichen Untergang. Wer von Gott in Jesus Christus Beweise fordert, geringachtet den Glauben, der die wesentliche Erkenntnisform des Menschen bezogen auf Gott ist. Nicht das die Naturerkenntnisse des Menschen außer Kraft setzende Wunder hätte Beweiskraft, sondern das Vertrauen des Menschen in Gott ist der geglaubte „Beweis“ der Gegenwart Gottes in Jesus Christus. Petrus geht unter, weil er erhofft im Beweis Oberwasser zu haben, da er in diesem Augenblick nur knöcheltief im Glauben verankert ist.

Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass Petrus auf den Ruf Jesu hin sich doch wenige Augenblicke „auf dem Wasser hat halten können“. Sein Glaube trug so lange, bis er Wundern mehr zutraute, als dem gläubigen Vertrauen.

Viele von Ihnen werden in den kommenden Tagen die Gelegenheit haben, ein wenig auszuspannen. Egal wo sie sein werden, vielleicht werden sie ja an einem wunderschönen Strand Urlaub machen, dieses Evangelium möchte eine Gewissheit in Ihnen stark machen. Die Gewissheit Ihr glaube kann Sie tragen.

Vielleicht entdecken Sie ja in der Entspannung, beim Wandern oder beim Spaziergang am Meer die Möglichkeit des noch nicht gewagten Schrittes. Ein neuer Schritt auf Menschen zu, eine ungewohnte Entscheidung Ballast abzuwerfen, um ihr Leben so zu leben wie sie es in sich spüren. Vielleicht haben Sie ja den Mut einen Konflikt offener anzugehen, eine ungeklärte Situation gezielter in den Blick zu nehmen, oder ein längst überfälliges Wort der Freundschaft oder Liebe mit Herz neu zu sagen. Gottvertrauen trägt auch den ungewohnten, vielleicht etwas gewagten Schritt, wenn wir unserem Glauben trauen.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 11.8.2002
In Aufsätze + Artikel, Glauben heute veröffentlicht | Getaggt , , | Kommentieren

Das Leben begreifen – Mensch-sein erfahren

Anna-Woche 2002 in Düren zum Thema
„Wir erleben mehr, als wir begreifen – Spuren Gottes erfahren“

Das Leben begreifen, Menschsein erfahren.
Wir tun doch Tag ein Tag aus nichts anderes als genau das, unser Leben begreifen, in unserem Leben Menschsein erfahren, zumindest aber versuchen wir das. Es bleibt uns doch eigentlich auch nichts anderes übrig, es sei denn, wir würden unser Leben und das Leben unserer Mitmenschen ignorieren. Aber selbst das ist ja nicht ganz so einfach, da wir ständig anderen Menschen begegnen. Was ist also der Grund dafür, diesem alltäglichen Thema am heutigen Sonntag besondere Bedeutung beizumessen?

Das Leben begreifen, Menschsein erfahren. Ja, das ist unsere tägliche Herausforderung, jedoch nehmen wir diese alltägliche Provokation sehr reglementiert wahr. Nicht allem, was es in unserem Leben zu begreifen gilt, stellen wir uns in gleicher Weise. Gemeint ist zum Beispiel all das, was uns gelingt, worauf wir stolz sein dürfen, was uns wider Erwarten geglückt ist, eben all das was wir gerne zeigen und was auch gerne gesehen wird, das darf auch öffentlichen Charakter haben. Was wir allerdings normalerweise nur in unserer Privatsphäre, fernab aller Öffentlichkeit sorgsam behüten sind all die Ereignisse, die wir unter Misslungen, Versagen, Schuld, Misserfolg und Unfähigkeit subsumieren. Selbst in unseren Familien haben oft Misserfolge, so lange sie zu vertuschen sind, keinen Platz und wenn doch, dann sind sie nicht selten fehl am Platz.

Das Leben begreifen, Menschsein erfahren, mit diese scheinbar alltäglichen Erfahrung gehen wir sehr gespalten um, das Geglückte ist öffentlichkeitsfähig, und das Misslungene scheut die Öffentlichkeit.

Aber warum nehmen wir die Realität unseres Lebens so ungleich selektierend wahr?

Ehrlich, umfassend, unverkürzt das Leben zu begreifen , mit dem Anspruch nichts unseres Lebens unter den Tisch fallen lassen zu wollen, ist in unserer Gesellschaft nicht wirklich erwünscht, ja es könnte sogar bedrohlich werden, zumindest aber fördert es nicht unbedingt unser Ansehen.

Gehen sie doch mal zu Ihrem Chef und verkünden ihm: „Ich habe in dieser Woche mindestens drei Fehler gemacht, aber seien sie beruhigt, ich habe sie so gerade noch ausbügeln können!“ Das kommt nicht richtig gut, und ihr Vorgesetzter würde sie sicherlich nicht zu Beförderung vorschlagen, eher das Gegenteil. Oder stecken sie doch mal einem Arbeitskollegen: „Ich habe gestern zwei unserer Kollegen wiedereinmal belogen!“ Entweder ernten sie ein Lachen, oder sie müssten sich fragen lassen, wie sie denn überhaupt so drauf wären, oder aber es käme der knappe Kommentar, was interessiert das mich. Aber es könnte noch heftiger kommen. Verraten sie doch mal im vertrauten Gespräch einem Freund oder einer Freundin dass sie gesündigt haben! Auch in dieser Situation würden sie in der Regel nicht ernst genommen und bekämen entweder zu hören: „Sind wir nicht alle kleine Sünderlein“ oder aber ein entsetztes: „Ich wusste ja gar nicht dass du eine Diät machst!“

Die Realität von Schwächen, Fehlern und Sünden sind bei der Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft ungern gesehen, sie werden einfach nicht wahrgenommen und werden so von der positiven Realität der öffentlichen Wirklichkeit des Lebens abgeschnitten. Ich manchen Fällen, und das darf auch nicht übersehen werden, werden die Schwächen eines Menschen allerdings bewusst ans Tageslicht gezerrt, um jemanden einen Strick zu drehen, nicht aber um die ganze Wirklichkeit eines Menschen ernst zu nehmen.

Als zum Menschen dazugehörig sind Ihre Stärke, Ihr Erfolg, Ansehen und Ihr Besitz gefragt, nicht aber Ihre schwachen Seiten.

Wir leben in einer Gesellschaft die an der ganzen, umfassenden Wirklichkeit des Menschen, an all dem was zu ihm dazugehört kein Interesse mehr hat. Das passt eben nicht in unsere Eventgesellschaft, wo ein Kick den anderen zu jagen hat, und wo scheinbar nur der zählt, der oben auf ist, erfolgreich und immer super drauf.

Das Fatale und unmenschliche an dieser Entwicklung ist die Missachtung der Tatsache, dass wir Menschen eben nicht so perfekt sind wie wir es vorgeben, beziehungsweise wie wir es vorzugaukeln genötigt werden.

Das Leben begreifen, Menschsein erfahren, diese Aufforderung ist im besten Sinne des Wortes „Not – wendig“. Denn das Leben begreifen bedeutet, all das an und ernst zu nehmen, was uns gelingt, wo wir stark, fähig und erfolgreich sind. Das Leben begreifen heißt aber auch unsere Schwächen, Fehler und unsere Freiheit zur Sünde ernst und an zu nehmen.

Ich glaube sie stimmten mir zu wenn ich behaupte, auch sie fühlten sich wirklich ernst- und angenommen, wenn ein anderer Mensch ihnen zumindest zugesteht auch Fehler machen zu dürfen. Aber würden sie sich noch wohl fühlen wenn ihnen auf den Kopf zusagen würde, sie sind ein sündiger Mensch. Ich meine nicht dieses „wir sind ja irgendwie alle Sünder“, was ja eigentlich nichts anderes bedeutet als, das was alle sind ist keiner. Nein so allgemein unverbindlich verstehe ich Schuld nicht. Ich meine ihre ganz persönliches schuldig sein, ihre individuelle Fähigkeit zur Sünde! Verstehen sie mich hier nicht falsch, ich will sie nicht bloßstellen oder verurteilen. Ich möchte ihnen und auch mir selbst heute sagen, was wir alle eigentlich schon längst wissen, wie stehen mit der Fähigkeit uns schuldig zu machen, mit unseren Verfehlungen und Sünden nicht allein. Wir alle sind nicht perfekt, keiner von uns ist ohne Schuld und Sünde.

Es ist also eine Verzerrung der Wirklichkeit, wenn individuelle Schuld in der Gesellschaft nur mit der Existenz von Gefängnissen wahrgenommen wird, ansonsten aber Schuld als allgemeines Phänomen betrachtet wird, um so dann öffentlich ignoriert zu werden.

Die Notwendigkeit, eine Kultur der Schuld und der Versöhnung in unserer Gesellschaft, mindestens aber in unseren Gemeinden zu etablieren, beantwortet noch nicht die Frage, wie wir in unserer Gesellschaft offen, und gleichzeitig sinnvoll, und letztendlich auch befreiend mit dem Faktum Schuld umgehen können. In jedem Falle ist es keine Antwort zu behaupten, wenn alle Schuld auf sich laden, dann kann das ja nicht wirklich Schuld sein.

Ein schuldiger oder sündiger Mensch zu sein, klingt immer nach einem Vorwurf, und beinhaltet den Anspruch auf Verurteilung und Strafe.

Schauen wir in das heutige Evangelium, dann werden wir zwar die Worte Jesu von der Sünde hören, aber nicht im Sinne eines Vorwurfes oder gar einer Strafverfolgung. Darum geht es der Verkündigung Jesu hier nicht. So schreibt der Evangelist Johannes:

„Er sagte zu ihnen: Ihr stammt von unten, ich stamme von oben; ihr seid aus dieser Welt, ich bin nicht aus dieser Welt. Ich habe euch gesagt: Ihr werdet in euren Sünden sterben; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben.“ (Joh 8,23f)

Hier geht es nicht um die Verurteilung des sündigen Menschen, sondern zum Einen um die Benennung der Tatsache, dass der Mensch Sünder ist. Entscheidender aber geht es hier zum Anderen um die Perspektive, die Jesus der Sünde gibt, und die ist eindeutig. Wer sich in Jesus Christus zu Gott bekennt, dessen Leben wird an der Sünde, wenn er zu ihr steht und sie bereut, nicht zerbrechen.

Jesus hat wohl verstanden wie Menschen damals aber auch heute mit der Erfahrung von Schuld und Sünde umgehen. Der Mensch will sie verstecken, klein reden oder einfach irgendwann sich einbilden, er habe sie vergessen, und damit sei alles erledigt. Nicht aber im Weglaufen vor der Sünde beweist der Mensch seinen aufrechten Gang, sondern im menschenwürdigen Bekenntnis zur Sünde, im Sinne von verantworteter und eingestandener Schuld. Dies ist die Grundlage, auf der wir mit Schuld und Sünde ernst, und um Gerechtigkeit bemüht umgehen können.

Das Leben begreifen, Menschsein erfahren ist der Ruf nach einer Kultur, in der individuelle Sünde und Schuld kein Tabu mehr sind.

Erst dann kann ich mich zu dieser Enge in meinem Leben bekennen darf, kann mit anderen Menschen darüber sprechen, ohne ausweglos der Schuldige bleiben zu müssen.

Dann wäre ein Klima geschaffen, in dem ich um Vergebung bitten kann, aber nicht um den Preis belächelt oder bedingungslos verurteilt zu werden.

So wäre aber auch ein Klima geschaffen in dem zu sagen es möglich wird: Ja, ich nehme deine Entschuldigung an, ich spüre die Traurigkeit in deiner Reue, darf ich dir vergeben?

Ein solches Klima kann aber nicht den Sinn haben Schuld zu verharmlosen. Wer Schuld im Sinne unserer staatlichen Rechtsprechung auf sich geladen hat, muss auch die Konsequenzen dafür tragen. Damit ist aber oft noch längst nicht den Opfern wirklich geholfen. Das darf auch nicht vergessen werden.

Wir Christinnen und Christen sprechen ganz bewusst in bestimmten Fällen des sich schuldig machen’s auch von Sünde und nicht nur von Schuld.

Sünde bedeutet in unserem Glauben auf eine Kurzformel gebracht (und somit verkürzt): Einen anderen Menschen oder sich selbst, in welcher Weise auch immer, bewusst am Leben zu hindern, oder des Leben gewollt zu verletzen, und so die Liebe dessen zu verachten, der einzig das Leben ermöglicht, Gott.

Sünde fängt aber nicht erst bei Mord, Vergewaltigung, Körperverletzung, Folter, Pädophilie (nicht mit Homosexualität zu verwechseln), Missbrauch in der Familie, oder Gotteslästerung an. Sündiges Verhalten kann sehr unspektakulär sein, aber mit fatalen Folgen für das Leben unserer Mitmenschen.

Meine Intention ist es hier nicht, einen dezidierten Sündenkatalog aufzustellen. Schuld muss in der Wahrhaftigkeit des eigenen Lebens gespürt werden, und nicht anhand eines Sündenkataloges, aus dem ich im Nachhinein ablesen kann, was ich gestern falsch gemacht habe könnte.

Die Wahrnehmung persönlichen sündhaften Verhaltens bedarf einer fundierten und menschenfreundlichen Gewissensbildung, die der „Ort“ ist, individuelles Fehlverhalten wahrzunehmen und zu benennen. Wer sich der Qualität des eigenen Lebens stellen will, der sollte auch klar vor Augen haben, das Sünde, die Verachtung der Liebe Gottes, überall dort seinen Anfang nimmt, wo Leben bedroht und verhindert wird.

Als Christinnen und Christen mit der Sünde ehrlich umzugehen bedeutet, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Das aber darf einerseits nicht heißen, dass jede Verfehlung gleich zur Sünde erheben wird. Andererseits aber heißt das, erkannte Sünde zu bereuen, um aus der Erfahrung unserer Schuld Kurskorrekturen für unser Lebens vornehmen zu können, damit unser und das Leben anderer Menschen an beständiger Lebensqualität gewinnt.

Unsere Kirche bietet einen ganz konkreten Umgang mit der persönlichen Schuld an, in der wir Versöhnung als Lebensqualität erfahren können. Nicht aus einer allgemeinen Schuldzuweisung, sondern aus der Vergebungspraxis Jesu, so wie sie im Neuen Testament an vielen Stellen belegt ist, ist das Sakrament der Vergebung und Versöhnung unserer Kirche erwachsen. Dieses Sakrament ist in unserer Kirche fast vergessen. Primär Schuld daran ist neben einer Unterdrückungskultur von Schuld und Sünde in unserer Gesellschaft, auch die Beichtpraxis in der Vergangenheit unserer Kirche. Hier hat es viele Verletzungen gegeben, besonders bei heute älteren Menschen, die bis heute noch nicht verheilen konnten. Es ist nicht meine Schuld, aber trotzdem tut mir ihr Schmerz sehr leid.

Das Argument jüngerer Menschen gegen die Beichte, wenn sie sich denn überhaupt noch damit beschäftigen, lautet oft: Ich kann Gott auch so um Vergebung bitten, dafür brauche ich keinen Priester. Dazu möchte ich anmerken: Gottes Handel ist immer vermitteltes Handel. Gott vermittelt sich in Jesus Christus. Jesus Christus ruft uns auf Vermittlerinnen und Vermittler seiner Botschaft zu sein. Wir taufen im Namen Jesu Christi. Im Geiste Jesu Christi versammelt, erbeten für die Gemeinde durch den Priester, schenkt Gott sich uns selbst in Jesus Christus in der Eucharistiefeier, unter den Gestalten von Brot und Wein.

Gott bedient sich des Wortes der Menschen, auch in seiner Vergebungsliebe, damit wir mit eigenen Ohren hören wonach wir uns sehnen. Unserer Gesellschaft täte eine menschenfreundliche Kultur von Schuld und Vergebung sehr gut, damit wir wieder als Menschen ganz, und so auch ehrlich voreinander und vor Gott leben dürfen. So hätten wir eine wirklich Change mehr zu erleben als wir begreifen, Spuren Gottes.

„Träume-mal“ Vergebung

Du sagst:
„Laß doch gut sein.“
So klingt es nach:
Nicht verstanden!

Du sagst:
„Vorbei und vergessen.“
So klingt es nach:
Kalter Güte!

Du sagst:
„Kann ja jedem passieren“

So klingt es nach:
Ich habe keinen Namen!

Du sagst:
„Ist doch nicht so schlimm.“
So klingt es nach:
Wie weltfremd bin ich eigentlich?

Ich träume:
Es ist nicht gut!
Vergessen ist es auch nicht!
Passiert ist es mir!
Schlimm bleibt es!

Und einer sagt:
Ich vergebe dir
im Namen des Vater
und des Sohnes
und des Heiligen Geistes!

Diese Predigt wurde im Rahmen der Anna-Woche 2002 in St. Anna, Düren gehalten.

In Anna-Predigten, Predigten veröffentlicht | Getaggt , , , | Kommentieren

Bildung ist Lebensqualität, die nicht bezahlbar ist, aber in die investiert werden muss

Ansprache im Hochschulgottesdienst der Katholischen Hochschulgemeinde in Aachen am 16. Juni 2002

„Das Leben jedes einzelnen Menschen und die Zukunft der Gesellschaft werden entscheidend durch das Bildungswesen beeinflusst. Weil die Kirche mitverantwortlich ist für das Leben der Menschen und die Zukunft der Gesellschaft, muss sie an der Entwicklung des Bildungswesens mitwirken.“ (1)

„Antrieb und Maßstab für ihr spezifisches Denken und Handeln im Bildungsangebot findet die Kirche in dem, was der Glaube über den Auftrag des Menschen in der Welt sagt. Hat sie sich an diesem Maßstab geprüft, so darf und muss sie im gleichen Geiste auch kritisch-anregend die bildungspolitischen Entwicklungen in Staat und Gesellschaft begleiten.“ (2)
(1 + 2) Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, 1976 Verlag Herder, Freiburg

Mit dem Artikel 12, Abs. 1 des Grundgesetzes verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern, die Möglichkeit zu geben, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Dabei darf niemand auf Grund seines sozialen Status‘ einen Nachteil haben, denn die Chancengleichheit beim Zugang zu den Bildungseinrichtungen ist ebenfalls in unserer Gesetzgebung verankert.

Bund und Länder haben in diesem Sinne Sorge dafür zu tragen, dass die Basis der Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Menschen, die wesentlich im Dienst am Wohle unserer Gesellschaft steht, jedem frei zugänglich sein muss. Das bedeutet die Gewährleistung von Bildung, die eine qualifizierte Entfaltung des Lebens der Menschen in seinem beruflichen Handeln ermöglicht. Wo diese gefährdet scheint, erheben auch wir als Kirche an den Hochschulen unsere Stimme.

Staatlich gelenkte, bildungspolitische Entscheidungen, die das Grundgut des Menschen, den Zugang zu berechtigter Bildung, reglementieren, stehen in der Gefahr, der Gesellschaft zu schaden, der sie dienen sollten.

In der momentanen Diskussion um die Einführung von Studiengebühren ist anzumerken: Wenn zu jedem Semesterbeginn Gebühren erhoben werden, damit Studierende ihr Studium aufnehmen oder weiterführen können, dann bezahlen sie faktisch für den Zugang zur Universitäts- oder Fachhochschulbildung. Welchen Namen diese finanzielle Zwangsabgabe auch immer haben mag („Immatrikulationsgebühr“ oder „Rückmeldegebühr“) – wenn sie denn in NRW eingeführt wird – dieses Instrument bleibt das einer gekauften Lizenz zum Studieren.

Der Ministerpräsident von NRW scheint nicht müde zu werden, diese finanzielle Aufwendungen als einen Ausgleich von Verwaltungskosten zu betrachten und eine solche Praxis als normal darzustellen. Es sei Gewohnheit, beim Erhalt von Ausweis oder Reisepass zu zahlen. Allerdings übersieht er hier, dass der Ausweis als solcher den Menschen nicht zu einem Bundesbürger macht, sondern diese von Rechten und Pflichten gekennzeichnete Tatsache durch einen Ausweis lediglich belegt wird.

Eine Rückmeldegebühr hingegen markiert zu Semesterbeginn den Zugang zu Bildung, die die Studierenden berechtigt, berufsqualifizierende Abschlüsse zu erwerben, an deren Ende die Absolventinnen ihre Graduierungen erhalten.

Die analoge Gebühr zum Personalausweis im Vergleich von Herrn Clement wäre hier die Gebühr zur Ausstellung des Diplom- oder Magisterzeugnisses, nicht aber eine Zwangsabgabe zu Beginn eines jeden Studiensemesters.

Sicher gibt es Studierende, denen der Erwerb einer solchen Eintrittskarte für die Hörsäle in Höhe von ca. 50 Euro pro Semester nicht sonderlich schwer fällt. Sie können allen pekuniären Mehrbelastungen des Studiums dank solventer Elternhäuser sorglos ins Auge schauen. Diesen Vorteil aber haben immer weniger Studierende, ganz zu schweigen von den ausländischen Studierenden in Deutschland.

Soll berufsqualifizierende Bildung immer mehr zu einer käuflichen Ware werden? Auch wenn die angestrebte Einführung von Immatrikulations- und Rückmeldegebühren flankiert würde von punktuellen Härtefallregelungen, könnten sich zukünftig nur noch einige ein Studium leisten, andere aber eben nicht mehr. Die Erfahrung lehrt, wenn einmal Gebühren für Bildung eingeführt sind, dann werden sie immer wieder auf Grund von sich ändernden Sachzwängen angeglichen und somit in der Regel erhöht werden.

Höhlen Gebühren für ein Studium nicht auch den politischen Willen aus, Bildung an der Hochschule als ein Gut zu betrachten, welches dem Menschen unabhängig von seinen sozialen Möglichkeiten zusteht und ermöglicht werden muss? Der Verweis darauf, das in anderen Bundesländern eine solche „Gebührenregelung“ bereits Gang und Gäbe ist, macht diese Praxis deswegen noch nicht besser.

Neben „normalen“ Studierenden nimmt die Landesregierung auch sogenannte „Langzeitstudierende“ ins Visier und plant, sie mit einer Studiengebühr in Höhe von 650 Euro pro Semester zu belegen.

In der Mitteilung des Landespresse- und Informationsamtes vom 10. Juni 2002 steht wie folgt zu lesen: „Insbesondere die Baden-Württembergischen Erfahrungen berechtigen zu der Erwartung, dass Studiengebühren für Langzeitstudierende in der Regel zu einem stringenteren und ergebnisorientierteren Studium veranlassen. Solche Gebühren sind ein zukunftsbezogenes Steuerungsinstrument, das die Hochschulen entlastet und der Volkswirtschaft Vorteile bringen wird. (…) Das gilt auch für den zu beobachtenden Effekt einer Bereinigung der Zurückweisung sogenannter Trittbrettfahrer, die sich an den Hochschulen nur einschreiben, um Vergünstigungen von der Krankenversicherung, ein Semesterticket und sonstige Ermäßigungen zu erhalten…“

Grundsätzlich zu meinen, es gäbe keine Trittbrettfahrer unter den Studierenden, die nur die Vergünstigungen nutzten, aber nicht das Studium, ist blauäugig. Es gibt sie tatsächlich.

Wer allerdings behauptet, auch die seien Trittbrettfahrer, die die Regelstudienzeit um mehr als vier Semester (bei Kurzstudiengängen um drei Semester) überschreiten, weil sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, vernachlässigt sträflich die Lebensbedingungen heutiger Studierender. Es geht doch darum, das Studium interdisziplinär in den Blick zu nehmen, Sprachen zu vertiefen, sich gesellschaftlich, religiös oder sozial zu engagieren. Darüber hinaus führt so manche Prüfungsordnung zu Zeitverlust, zwingen familiäre Gründe vorübergehend dazu, Zeit anders zu bündeln oder aber es wächst die Erkenntins, dass das begonnene Studium den Fähigkeiten nicht entspricht und diese nur in einem anderen Studiengang entfaltet werden können.

Soll die angedachte Gebühreneinführung nur dazu dienen, „Fachidioten mit Verfallsdatum“ zu produzieren, die gut zahlen und sich keineswegs über das Studienfach hinaus engagieren? Solche Pläne stünden jenseits studentischer Lebensrealität und wären in keiner Weise zukunftsorientiert.

Hochschulbildung muss – politisch gewollt – frei von finanziellen Zugangsbedingungen bleiben. Belangt werden müssen die, die bewusst täuschen, die vorgeben, zu studieren, um sich so die den Studierenden vorbehaltenen Erleichterungen zu erschleichen.

Mit diesen Gedanken ist nicht die gesamte Palette der mit dieser Problematik verbundenen Fragestellungen abgedeckt. Hier wäre z.B. auch noch nach einer Ausweitung der Studienberatung zu fragen sowie nach qualifizierteren Entscheidungsmöglichkeiten, die Schülerinnen und Schülern helfen, eine ihren Fähigkeiten entsprechende berufsqualifizierende Ausbildung zu finden, die nach dem Abitur nicht zwangsläufig Studium heißen muss.

Aber ich möchte auch bewusst in diesem Gottesdienst verdeutlichen, dass zusätzliche Zwangsabgaben von Studierenden, egal welchen Alters, nicht der richtige Weg sein können, um Haushaltslücken der Regierung zu stopfen. Diese von der Landesregierung NRW so angedachten Veränderungen führen zu Ungleichbehandlung, bergen die Gefahr der Ungerechtigkeit in sich, degradieren Bildung zum Privileg und stiften sozialen Unfrieden.

Unser Land qualifiziert sich zukünftig nicht durch die Masse unterschiedlicher Prestigeobjekte, sondern durch eine wichtige Botschaft, die da lautet: Berufsqualifizierende Bildung ist dann sozial und gerecht, wenn sie sich auch der Frage nach Verteilungsgerechtigkeit von Wissen an unseren Hochschulen stellt.

Warum aber nun solche Gedanken in einer Ansprache während eines Gottesdienstes?

Eucharistiefeier ist in erster Linie Danksagung an Gott in Jesus Christus; Danksagung für das Geschenk unseres Lebens; Danksagung für unsere Fähigkeiten und Talente; Danksagung für unsere Neugier bezogen auf die Entdeckung und Entfaltung des Reichtum der göttlichen Schöpfung; Danksagung für das Geschenk lernen, forschen, erkennen und gestalten zu dürfen, um so unserer Zukunft ein Gott und dem Menschen würdiges Gesicht zu geben.

Die Verkündigung Jesu Christi, die wir in der Liturgie hören, spüren und feiern, lautet: Ich bin gekommen, damit ihr das Leben habt und es in Fülle habt (Vgl. Joh. 10,10). Leben in Fülle impliziert auch Bildung, eine Qualität unseres Lebens. Dafür sagen wir hier Dank und feiern diesen Dank im Teilen unserer Hoffnung und in der Sorge füreinander.

Schließen möchte ich mit Worten aus dem Alten Testament, dem Buch der Weisheit:

1 „Hört also, ihr Könige, und seid verständig, lernt, ihr Gebieter der ganzen Welt!
12 Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit; wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie.
13 Denen, die nach ihr verlangen, gibt sie sich sogleich zu erkennen.
15 Über sie nachzusinnen ist vollkommene Klugheit; wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorgen frei.
17 Ihr Anfang ist aufrichtiges Verlangen nach Bildung; das eifrige Bemühen um Bildung aber ist Liebe.“

In Predigten, Predigtsammlung veröffentlicht | Getaggt , , , | Kommentieren

Was ein kleiner Pinguin so sagt

Es ist richtig niedlich, dieses kuschelige Pinguinbaby aus Stoff und Plüsch. Angenehm weich ist dieses Schmusetier in der Hand zu halten. Sein etwas trauriger nach Geborgenheit suchender Blick lässt für Momente vergessen, dass dieser kleine Schützling nur ein Plüschtier ist. Gerade die sogenannten Erwachsenen neigen dazu, solche putzigen Freunde als Kinderkram abzutun, da man ja aus diesem Alter heraus sei.

Aber woher haben die Kinder in unseren Breiten ihren kleinen Kameraden, mit dem sie abends liebevoll in ihr Bettchen gehen? Manches Plüschtiere ist doch das Geschenk eines Erwachsenen. Haben nicht auch Sie Ihren Kindern oder sonst einem kleinen Erdenbürger ein solches Schmusetier geschenkt und mit ihm die selbstlose Botschaft: Der wird schon auf dich aufpassen, du brauchst keine Angst zu haben? Viele Kinder halten mit solch einer Gabe viel mehr in den Händen, als das Produkt der Spielzeugwahrenindustrie. Mit diese Freuden aus Plüsch bergen Kinder liebevolle Worte der Erwachsenen in ihren zerbrechlichen Händen, Worte des Vertrauens, der Geborgenheit, der Zärtlichkeit und der Liebe. Diese eindeutigen Botschaften sind es, denen die Kinder auch in der Nacht vertrauen, und während sie das weiche Fell ihrer Lieblinge streicheln fühlen sie sich von Ihrem ehrlichen Zuspruch aufgehoben und beschützt. Manchmal aber landet so ein Plüschtier unsanft an der Wand, wenn ein Kind sich um die Zuneigung dessen betrogen fühlt, der ihm einen solchen kleinen kuscheligen Freund geschenkt hat.

Im heutigen Evangelium ist die Rede von einem Haus das auf Stein gebaut ist. Das ist ein sicheres Haus, der Sturm kann es nicht wegreißen. Im Gegensatz dazu das Haus, das nur auf Sand gebaut ist, darin sollte sich lieber niemand sicher fühlen. Die konkrete Botschaft Jesu, die hinter diesem Vergleich steht, lautet: Vertraut meinem Wort und tut so den Willen meines Vaters. Den Willen Gottes auf eine Kurzformel gebracht kann so lauten: Gott möchte, dass wir das Geschenk unseres Lebens so annehmen, wie wir es in uns spüren, und Gott für dieses Geschenk danken. Gott beschützt unser zerbrechliches Leben sogar über unseren Tod hinaus. Dies bedeutet aber nicht, dass uns in dieser Welt nichts passieren kann. Gott hat uns mit seinem Wort nicht die Garantie gegeben, wir blieben verschont von Schmerz und Traurigkeit. Auch Grenzerfahrungen die uns sehr weh tun können gehören zu der Realität unseres Lebens, auch wenn wir dies mit Blick auf Gott oft nicht wahrhaben wollen. Deswegen möchten wir manchmal auch, wie die Kinder ihr Plüschtier, den lieben Gott an die Wand werfen, weil wir uns von ihm betrogen fühlen.

Vertrauen in Gott bedeutet, in einer zerrissenen und blutenden Welt Gott an der Seite des Lebens und Vergehens zu trauen, so wie kleine Kinder unseren Worten blindes Vertrauen schenken, und Gott nicht die Realität unseres Lebens zum Vorwurf machen.

Sich Gottes Nähe zu vergewissern, hat uns Jesus keinen Pinguin zum Kuscheln geschenkt, der auch uns Erwachsene spüren ließe, wir sind nicht allein. Jesus setzt da mehr auf Lebewesen aus Fleisch und Blut, er setzt auf die verstehende und bergende Gemeinschaft der Glaubenden, auf die von ihm verschenkte Kirche. Sie sollen die Menschen spüren lassen, dass Gottes Liebe an unserer Seite ist und wir uns so nicht zu fürchten brauchen.

Würden in unserer Kirche mehr Menschen spüren, würden wir als Kirche doch mehr spüren lassen, was so ein kleiner Pinguin Kindern zu sagen in der Lage ist. Ich weiß, wir Erwachsenen sind angeblich aus diesem Alter heraus. Aber ist es wirklich immer gut so erwachsen zu sein?

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 6.6.2002
In Aufsätze + Artikel, Glauben heute veröffentlicht | Getaggt , , | Kommentieren

Kunst und Technik – Technik und Kunst

Fragmente des Nachdenkens über die Wechselbeziehungen von Kunst und Technik

Impuls zum technosophischen Seminar „Wir und unsere Welt von morgen“ des Rechen- und Kommunikationszentrum der RWTH Aachen, 21.05.2002 – 24.05.2002 in der Malteser Kommende, Ehreshoven
Veranstalter: Univ.-Prof. Dr. Dieter Haupt

Bildimpressionen aus 7 Jahrhunderten:

Diese Impressionen wollen zu Beginn des Vortrages das Auditorium optisch auf eine Perspektive des Themas einstimmen, das der Kunst.

  1. Nicola Pisano (um 1220 – vor 1284), Sängerkanzel, Polychromer Marmor
  2. Donatello (um 1386-1466), Heiliger Georg, Marmor
  3. Michelangelo (1475-1564), Sterbender Sklave, Marmor
  4. Jean Juste (1485-1549), Grabmal, Marmor
  5. Edgar Degas (1834-1917), Überraschte Frau, Bronze
  6. Constantin Brancusi (1876-1957), der erste Schritt, Holz
  7. Pablo Picasso (1881-1973), Gitarre. Blech/Draht
  8. Naum Gabo (1890-1977), Säule, Glas, Plastik, Holz, Metall
  9. Duane Hanson (1925-1996), Die Touristen, Polyersterharz, polychrome Glasfasern
  10. Johan De Andrea (*1941), Das Paar, Acryl auf Polyester, Haare
  11. Jeff Koons (*1955), Rabbit, Rostfreier Stahl

Schon diese Bilder machen deutlich, dass Kunstwerke nicht ohne eine bestimmte Technik zu schaffen sind. Egal welches Material der Künstler verwendet, er muss es immer mit einer bestimmten Technik bearbeiten, zusammenfügen oder sonst wie zielorientiert verändern. Neben natürlichen Materialien hat die Technik ihrerseits Materialien entwickelt, z.B. Edelstahl, Polyester, beschichtete Stoffe, Plastik, Plexiglas und Klebstoffe, die über die Funktionen der in der Natur vorfindbaren Materialien hinaus gehen.

Die Technik hat unterschiedliche Materialien entwickelt, derer sich die Künstler und Künstlerinnen bedienen und die so ganz neue Verarbeitungsweisen und Ansichten ermöglichen.

Technik und Kunst

Die Wechselbeziehungen zwischen Technik und Kunst können unter sehr unterschiedliche Aspekten betrachtet werden. Jedes Kunstwerk (z.B. Skulpturen, Gemälde, Installationen, Glasfenster, Fassaden) braucht, um überhaupt zu existieren, eine Technik des gegenständlichen Entstehens. Wer nicht mit irgendeiner Technik etwas werden lässt, hat nichts realisiert und produziert. Facto (machen/ verrichten) ist die Vorraussetzung für die Technik, sowie die Kunst. Der Tänzer, der sich keiner Bewegung bedient, steht einfach nur da. Die Sängerin, die ihr Stimmvolumen nicht in eine wie auch immer geartete Tonfolge zu Gehör bringt, singt nicht. Der Techniker oder Ingeneure, der ein Objekt nicht plant und entwirft, um es dann zur funktionsfähigen Ausführung zu bringen, produziert nicht usw.

Künstlerinnen und Künstler, egal welcher Profession bedürfen einer gewissen Technik um ihrem Talent Ausdruck zu verleihen. Die Technik, im Sinne des Objektes, wird selbst in sehr unterschiedlichen Verwendungen zum Gegenstand (Teilgegenstand) der Kunst gemacht Menschen, die eine ausgefeilte und hochmoderne Technik beherrschen, werden wiederum Künstler genannt. Eine Brückenkonstruktion z.B. kann neben ihrer Funktionalität zum Kunstwerk avancieren.

Formulierungen wie Kunst am Bau, Technikkunst, Klavierkonzert für Flügel und zwei Tonbänder oder Rauminstallationen stellen eine Beziehung von Kunst und Technik her. Darüber hinaus kann ich beispielsweise auch den Aspekten von Kunst und Technik in der mittelalterlichen Architektur unter Berücksichtigung religiöser Zahlenmystik betrachten oder in der Malerei der Frage nachgehen, in wieweit technische Gegenstände Motive der Maler und Malerinnen gewesen sind.

Grundsätzlich ist aber festzustellen, dass in der Vorstellung des „modernen“ Menschen die Bedeutungen der Begriffe Kunst und Technik längst nicht mehr so eindeutig sind, wie es noch im 20Jhd. schien. Heute haben wir, zumindest mit Blick auf den Begriff Kunst, in einem breiten „Kunstspektrum“ unterschiedliche Vorstellungen von dem, was wir für Kunst halten.

Versuchen wir uns zuerst, auch mit Blick in seine Geschichte, den Begriffen Technik und Technikbestimmung zu nähern.

Technik

Das griechische Wort Techne wird von den Anfängen philosophischer Reflexion bis Platon meist synonym mit Wissen (Episteme) verwendet u. meint: Sich auf etwas verstehen, mit einer Sache vertraut sein u. umgehen können. Aristoteles verändert und präzisiert den Begriff durch die Unterscheidung von Techne u. Phronesis (Klugheit), zweier Wissensformen, die es im Gegensatz zu Episteme (Wissen) mit Veränderbarem zu tun haben (Nicomach. E, Buch VI, 4 u. 5). So in den Zusammenhang einer neu konstituierten praktischen Philosophie gestellt, bedeutet T. ein auf generalisierter Erfahrung beruhendes u. nach lehrbaren Regeln vorgehendes Können im Herstellen von Gegenständen dinglicher (Werkzeuge, Gebrauchsgüter, Kunstwerke) oder geistiger Art (etwa sprachliche Gebilde), im Hervorbringen von Zuständen (der Gesundheit durch den Arzt) oder im Betreiben von Geschäften (die Techne des Handelns). T. ist die Fähigkeit, Vorgegebenes mit natürlichen oder selbst verfertigten Mitteln nach bestimmten Regeln auf einen gegebenen Zweck hin umzugestalten.

Dieser antike u. auch mittelalterliche Begriff von T. als menschlicher Kunstfertigkeit im weitesten Sinne, gewinnt eine neue, primär vom Resultat bestimmte Bedeutung durch die in der Renaissance beginnende Verschmelzung von T. u. Naturwissenschaft: Die praktische Naturbewältigung wird theoretisch durchdrungen, rekonstruiert und vorbereitet, die Naturwissenschaft selbst aufs engste mit künstlichem Gerät verbunden, definiert ihre Begriffe zunehmend „operational“ durch Schemata instrumentellen Handelns.

Die Verfeinerung überkommener und Entwicklung neuer Geräte bis hin zu Maschinen u. Systemen sich selbst regulierender Automation verlagert den Schwerpunkt der Tätigkeit vom Subjekt in eine objektivierte Welt der Mittel u. ersetzt immer mehr Funktionen des Menschen im Umgang mit der Natur u. mit seinesgleichen.

Durch die dem neuzeitlichen naturwissenschaftlich-technischen Denken immanente Tendenz, das Feld möglicher Machbarkeit bis ins letzte auszuschöpfen (T. als Resultat eines tendenziell universalen Herrschaftswillen. Heidegger), werden Potentiale der Natur freigesetzt u. Mittel der Produktion (u. Destruktion), des Verkehrs, der Information, der Organisation etc. geschaffen, die ihrerseits menschliches Leben und Zusammenleben nunmehr unhintergehbar bestimmen. Die Problematik der T. besteht darin, dass sie Natur wie gesellschaftliches Leben mehr und mehr in den Prozess technischer Funktionalität hineinzieht u. zu Momenten ihrer Rationalität macht, ohne die überkommene wie neu entstehenden Fragen handlungsorientierender Zwecksetzung u. Sinninterpretation beantworten zu können. Der immer stärkeren Rückwirkung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts auf den institutionellen Rahmen von Gesellschaft wie auf das Leben des Einzelnen korrespondiert keineswegs von selbst eine Zunahme praktischer Vernunft (Technikfolgen).(Lexikon der Ethik, Hrg. Otfried Höffe, 2002, Verlag C.H. Beck)

Für unser Thema heißt das: Technik wurde bis Platon als Fähigkeit verstanden, mit einer Sache umgehen zu können. In der Renaissance wird der Begriff Technik, der immer mehr mit den Naturwissenschaften korrespondiert, vom Resultat des instrumentellen Handelns bestimmt. Der Technikbegriff löst sich immer mehr vom Subjekt hin zu einer „eigenen“ Welt der objektivierten Mittel. Technik übernimmt Funktionen des Menschen.

Technikbestimmung in der VDI-Richtlinie 3780

„Technik im Sinne dieser Richtlinie umfasst:

  • die Menge der nutzorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte* oder Sachsysteme);
  • die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme entstehen;
  • die Menge menschlicher Handlungen, in denen Sachsysteme verwendet werden.“ (VDI 3780, S.2)

*Artefact, das: 1. das durch menschliches Können Geschaffene, Kunsterzeugnis. 2. Werkzeuge aus Vorgeschichtlicher Zeit, das menschliche Bearbeitung erkennen lässt. ( Duden, Fremdwörterbuch, 3. Auflage 1974)

Technikbewertung

Die Entstehungsbedingungen und die Nutzungsfolgen der künstlichen Gebilde gehören also genauso zur Technik wie diese Gebilde selbst. Schon mit der Erfindungsidee nehmen Ingeneure eine bestimmte spätere Nutzungsform vorweg. Indem sie in der Erfindung entscheiden, welche Effekte technisiert werden, nehmen sie bereits Einfluss auf das Handeln derer, die später mit der neuen Technik umgehen werden. Und während die Ingenieure eine Erfindung ausarbeiten, müssen sie fortgesetzt weitere Entscheidungen fällen: Welche Lösungsmerkmale ins Pflichtenheft aufgenommen werden, welche Konstruktionsvariante gewählt wird, welches Fertigungsverfahren einzusetzen ist.

Nun nimmt aber jede Entscheidung – auch wenn das dem Entscheider nicht immer bewusst ist – auf Werte Bezug.
Mit anderen Worten: Technisches Handeln enthält immer auch Bewertungen der Technik. Die Richtlinie VDI 3780 zieht aus dieser Einsicht lediglich weitergehende Konsequenzen. Wenn Entscheidungen über technische Entwicklungen zu treffen sind, müssen alle denkbaren Nutzungsfolgen für Natur, Mensch und Gesellschaft mitbedacht und in den Bewertungen und Entscheidungen berücksichtigt werden. Zu dieser komplexen Bewertungsaufgabe kann der einzelne Ingenieur sein Fachwissen und Fingerspitzengefühl beitragen, aber er kann sie natürlich nicht alleine lösen; dafür ist die Zusammenarbeit in einem inner- und überbetrieblichen Netzwerk von Personen und Institutionen erforderlich. Das ist die Grundidee der Technikbewertung, und diese Idee folgt zwangsläufig aus dem umfassenderen Technikverständnis. (VDI Report 15, Technikbewertung – Begriffe und Grundlagen, Erläuterungen und Hinweise zur VDI-Richtlinie 3780, 1997)

Kunst

Versuchen wir nun uns dem Begriff der Kunst an zu nähern.

Kunst als hervorragendes Können

  • Der Begriff „Kunst“ meint zweierlei:
    1. die bewundernswerten Fertigkeiten eines Menschen, die auf großen Kenntnissen und Übung beruhen, die Kunst des Arztes, des Technikers und Handwerkers, der Artisten, Musiker, Sänger, Tänzer, Bildhauer, Maler, Dichter …
    2. die so geschaffenen (Kunst-) Werke
  • Nach Aristoteles entstehen Kunst wie Wissenschaft aus dem praktischen Zusammenspiel von Erfahrung (Wahrnehmung und Erinnerung) und deren Systematisierung, aus richtiger Planung und Berechnung. Kunst ist eine Nachahmung der Natur, eine Darstellung der exemplarischen kosmischen Ordnung.

Kunst als die Fähigkeit, das Schöne erlebbar zu gestalten

Das Schöne nach dem Vorbild der Natur

  • Das ist die Welt der „schönen Künste„. Der Philosoph Alexander Gottlieb Baumgarten (1714-62) hat als zu behandelnde Gegenstände der von ihm begründeten Wissenschaft der Ästhetik „Malerei, Musik, Bildhauer- und Baukunst, Kupferstechen, und was man sonst zu denen schönen und freien Künsten rechnet,“ genannt. Er definierte die Erfahrung von Schönheit als das gefühlsmäßige, noch nicht klar oder begrifflich erfasste Erkennen von Vollkommenheit. Die Voraussetzungen zur Erfassung des Schönen bildenGenie, Enthusiasmus, Begabung und natürlich Übung. Ästhetik befasst sich mit der „Wahrheit des Sinnlich-Schönen„.
  • Schönheit gilt als höchstes Gut. Sie kann im wahren Kunstwerk erlebt werden, in der vollkommenen Gestaltung, in der geistige und seelische Natur in Einklang sind.
  • Im 18. Jh. gilt als Prinzip der Kunst die Nachahmung (nicht einfach der Natur als solcher, sondern) des Naturschönen (Charles Batteux, 1746). Die schönen Künste „erborgen … die Züge der Natur, und stelle sie an solchen Dingen dar, denen sie nicht eigen sind“ (Johann Christoph Gottsched, 1760). Schließlich wird das Schöne nicht nur abgebildet, sondern nach dem „Vorbild der Natur“ neu geschaffen.
  • Ausdrücke wie „schöne Wissenschaften„, „schöne/freie Künste“ bringen die repräsentative Funktion der Schönheit zur Geltung.
  • Das Hässliche und das Absurde, in sich Widervernünftige, sind von der Kunst strikt ausgeschlossen. Kunst soll „Lust“ auslösen (Kant)

Zwar begreift sich das Genie, welches das Schöne fasst, als freies Subjekt. Aber insgeheim bleibt es der Idee des göttlich-schöpferischen Weltgrundes, des „Ganzen“, des „Allgemeinen“, verhaftet. Die Kunst soll Vermittlerin sein, zwischen der freien Subjektivität und der allgemeinen Objektivität (Hegel): Die Schönheit der Kunst wird zwar aus dem subjektiven Geist geboren und gestaltet, doch in ihr erscheint zugleich die substantielle Wahrheit der objektiven Wirklichkeit.

Das Schöne als autonome menschliche Schöpfung

  • Um die Wende zum 19. Jh. wird das „Kunstwerk“ nicht mehr als Nachahmung der Natur konzipiert, sondern parallel zu ihr, als autonome Schöpfung des Schönen.

Schließlich mag die Kunst auch als Überwinderin der Wirklichkeit gesehen werden (Religionsersatz). Nietzsche setzt der Tragik des Lebens „die wahrhaftig ernst zu nennende Aufgabe der Kunst“ entgegen mit dem Ziel, „das Auge vom Blick des Grauens der Nacht zu erlösen und das Subjekt durch den heilenden Balsam des Scheins aus dem Krampfe der Willensregungen zu retten“ (1872), so können die üblen Erfahrungen in Schönheit umgewandelt werden.

Die Ästhetik des distanziert-anschauenden Weltgefühls

  • Das ist die Position des Ästhetizismus. Ihr entsprach auch die Haltung der „Kunst um der Kunst willen„.
    L’art pour l’art“ (Victor Cousin, 1836) ist das Konzept einer sich von allen äußeren – moralischen, ethischen, religiösen, politischen, weltanschaulichen oder sozialen – Zweckmäßigkeiten freisprechenden Kunst.
  • Ästhetizismus meinte keineswegs allein die Flucht in pure Schönheit, vielmehr zielte er ab auf ein distanziert-anschauendes Weltgefühl, welches das Leben als „ein bedeutsames Schauspiel“ betrachtet, oder, wie Heine es beschrieb, eine Perspektive, die die Welt zu einem Gemälde transformiert, in dem der Betrachter, selbst darin gefangen, „hie und da von den Figuren desselben angelächelt“ wird.

Kunst als das Erschließen neuer Perspektiven der geistig-sinnlichen Wahrnehmung

  • Kunst zielt jetzt nicht mehr nur darauf ab, das Schöne, Vollkommene, herauszustellen, sondern Sichtweisen auf unsere Existenz zu finden, darzustellen oder anzuregen, die bisher nicht selbstverständlich gewesen sind.
  • Auch das Hässliche, Elend und Unglück sind nun ebenso Gegenstand der Kunst, wie das Hintergründige des Banalen, Selbstverständlichen, Alltäglichen.
  • Zum Gegenstand der Kunst kann jede Frage der Wahrnehmung werden,
  • Die Form wird dabei zum notwendigen Instrument der Perspektive, durch sie bekommt die einzigartige Sichtweise ihren Charakter.
  • Jeder wirklich künstlerische Akt ist im weiteren Sinne Kunst um der Kunst willen: Er will darstellen, nicht überzeugen!
  • zur Nicht-Kunst könnte man in diesem kreativen Sinne zählen:
    • bloße Erscheinungen, ohne perspektivischen Darstellungscharakter (Naturschauspiel, absichtsloses Verhalten)
    • alles Schon-Dagewesene, nur kopierte oder nachgeahmte Darbietungen, ohne jede neue Perspektive
    • propagandistische Pseudoperspektiven, die nicht eine neue Sichtweise innerer oder äußerer Welten bieten, sondern Heil oder Unheil predigen und in erster Linie darauf abzielen das Verhalten ihrer Konsumenten zu steuern
    • bloßes Ausleben von Gefühlen und persönlichen Befindlichkeiten ohne Darstellungscharakter neuer Sichtweisen
    • reine Effekthascherei aller Art (wozu auch die Kitsch-Definition gehören würde)
    • Auch das bloße Spiel mit Formen ist meistens Kunsthandwerk, keine künstlerische Schöpfung – jedenfalls eine Gratwanderung zwischen Fingerübung, Ornamentik, Effekthascherei und tatsächlicher Erschließung neuer Sichtweisen.

Kunst als Gestaltung von Leidenschaft aus dem Stoff der Welt

  • Postulat: Das Schöne, Vollkommene als Gegenstand der Kunst wird durch die Leidenschaft ersetzt.
  • Die Kunst ist nicht mehr bloß Überwinderin der Wirklichkeit, sondern ihre Schöpferin
  • Die Wirklichkeit ist sinn-neutral, selbst die kulturellen und kollektiven Sinnangebote (die gesellschaftlich wirksame Wertewelt) werden erst lebendig, wenn sie von den Einzelnen schöpferisch ergriffen und zur eigenen Welt neu gestaltet werden.
  • Auch Naturwissenschaft und Technik sind schöpferisch, gestalten eine neue Welt, schaffen neue Wirklichkeiten. Auch in der Genauigkeit und Fähigkeit, die Welt abzubilden, die Natur nachzuahmen, wurden von ihnen die traditionellen Künste und Philosophien weit übertroffen. Aber der Einsatz all dieser Mittel wird erst dann künstlerisch, wenn sie dazu dienen, aus der unbewusst-bewussten Inspiration des Künstlers Leidenschaft zu gestalten.
  • Leidenschaft ist gelebtes, erlebtes Leben in subjektiver Wertung. (vgl.:Kunst: Ars, arte, art. www.lyrik.ch/begriffe/kunst.htm)

Dieser kurze Aufriss der Veränderung des Kunstbegriffes macht deutlich, wie schwer heute Kunst zu definieren ist. War die Kunst bei Aristoteles kurz gesagt eine Nachahmung der Natur – und auf diesem Weg etablierte sich später das Kriterium für die Kunst, die Schönheit nach dem Vorbild der Natur – so kann heute Kunst nicht mehr eindeutig begriffen werden. Kunst zielt nicht mehr nur darauf ab, das Schöne, Vollkommene, herauszustellen, sondern Sichtweisen auf unsere Existenz zu finden, darzustellen oder anzuregen, die bisher nicht selbstverständlich gewesen sind.

Unterstreichungen zu den Begriffen Technik und Kunst

Aus den bisherigen Ausführungen möchte ich für unser Thema besonders bedeutsame Aussagen unterstreichen mit dem Ziel, sie am Ende dieses Vortrages einander gegenüber zu stellen.

Unterstreichungen zum heutigen Technikverständnis

Die Verfeinerung überkommener und Entwicklung neuer Geräte bis hin zu Maschinen u. Systemen sich selbst regulierender Automation verlagert den Schwerpunkt der Tätigkeit vom Subjekt in eine objektivierte Welt der Mittel u. ersetzt immer mehr Funktionen des Menschen im Umgang mit der Natur u. mit seinesgleichen. (Lexikon der Ethik)

Technik umfasst:

  • die Menge der nutzorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte oder Sachsysteme);
  • die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme entstehen;
  • die Menge menschlicher Handlungen, in denen Sachsysteme verwendet werden. (VDI 3780, S.2)

Unterstreichungen zu heutigem Kunstverständnis

  • Kunst zielt nicht mehr nur darauf ab, das Schöne, Vollkommene, herauszustellen, sondern Sichtweisen auf unsere Existenz zu finden, darzustellen oder anzuregen, die bisher nicht selbstverständlich gewesen sind.
  • Auch Naturwissenschaft und Technik sind schöpferisch, gestalten eine neue Welt, schaffen neue Wirklichkeiten.
  • Auch das bloße Spiel mit Formen ist meistens Kunsthandwerk, keine künstlerische Schöpfung – jedenfalls eine Gratwanderung zwischen Fingerübung, Ornamentik, Effekthascherei und tatsächlicher Erschließung neuer Sichtweisen.
  • Zum Gegenstand der Kunst kann jede Frage der Wahrnehmung werden.

Kunst und Technik – Komplexe, entstanden als Unterscheidung

Ich möchte nun dem Schaffen von Technik- und Kunst- „Komplexen“ nachgehen, auf dem Hintergrund der Möglichkeit unterscheiden zu können. Folgender Gedankengang ist bei dem amerikanischen Sprachphilosophen Benjamin Lee Whorf zu finden:

Frage: „Wie würde eine Welt aussehen, in der alles, also restlos alles, blau wäre?“
Antwort: „Man würde die Farbe Blau gar nicht zur Kenntnis nehmen und somit gar nicht wissen können, dass die Welt tatsächlich blau ist“.
Begründung: Weil es in so einer Welt nur eine einzige Farbe gäbe, ist somit eine Unterscheidung von Farben nicht möglich. Es gäbe keine Unterscheidung von Farben.
Mehr noch, man würde nicht einmal mit der Bezeichnung „Farbe“ etwas anfangen können. Denn in diesem Fall gäbe es, wenn überhaupt das Wort blau, dem aber keine Unterscheidung zu einer anderen Farbe implizit wäre, da es ja z.B. die Farbe Gelb nicht gäbe. Welchen Sinn würde da der Terminus Farbe machen?
Um also, wie in diesem Fall blau, beschreiben zu können, bedarf es des Wissens um die Existenz einer anderen Farbe. Nicht im Sinne eines Gegensatzes, sondern im Sinne eines Unterscheidens. Wer ein Bild malen will, braucht eine Palette unterschiedlicher Farben. Selbst derjenige, der eine Fläche nur mit blauer Farbe präpariert, kann sein Handeln Gestalten nennen, wenn es mehr als nur das Phänomen Blau gibt.
Gäbe es nur Schrauben in dieser Welt, dann wäre die Unterscheidung zum Nagel nicht existent. Könnte der Mensch nur „ham“ denken und sprechen, würde er nicht „tam“ sagen können.

Letztendlich gründet jede Form der Kommunikation in der Möglichkeit, etwas voneinander unterscheiden zu können. Unterschiedlichkeit ist aber die Bedingung von Komplexen. Das Sprechen von Komplexen ist nur dann möglich, wenn das Unterscheidbare auch als Unterschiedenes benannt werden kann.

Angezielter Komplex: „Gemalter Baum“

Ich beginne zu handeln und entscheide, welche unterschiedlichen miteinander kompatiblen (z.B. Farbe muss auf dem Trägermaterial halten) Materialien ich nehme (finde) bzw. schaffe (erfinde), um sie dann mit der erforderlichen (material- und zielorientierten) Handhabung (Technik/Fertigkeit) zielorientiert zu dem Komplex „gemalter Baum“ zusammen zu fügen. Die hier nötigen Entscheidungen können auch im Verlauf des Erstellungsprozesses dieses Komplexes prozessorientiert verändert werden. In diesem Erstellungsprozess kann auch das Ziel neu definiert werden. Bleibe ich aber bei meinem angezielten Komplex, dann existiert, wenn ich entscheide, mein Ziel erreicht zu haben, der Komplex „Gemalter Baum“ (Bild).

Wie lange und von welcher anhaltenden Qualität das Bild ist, ob überhaupt von einem anderen Menschen gesehen und wenn ja wie eingeordnet und bewertet, ist hier nicht von Bedeutung, da das primäre Ziel erreicht ist. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, welchen Sinn das Bild, über die Tatsache hinaus, existent zu, sein haben soll. Wenn ich nun im oben genannten Sinn die „Kunst als das Erschließen neuer Perspektiven der geistig-sinnlichen Wahrnehmung“ verstehe, kann dieser Komplex „gemalter Baum“ Kunst sein, da die Kunst in einem sich verändernden Sinn nun nicht mehr nur darauf abzielt, das Schöne, Vollkommene, herauszustellen, sondern Sichtweisen auf unsere Existenz findet, darstellt oder anregt, die bisher nicht selbstverständlich gewesen sind. Fügen wir nun noch einige Zitate namhafter Künstler und Philosophen unterschiedlicher Epochen auf, dann steht der Tatsache, dass dieser Komplex „gemalter Baum“ Kunst sein könnte, nichts mehr im Weg.

„Sie erwarten von mir, dass ich ihnen sage, dass ich ihnen definiere, was Kunst ist? Wenn ich es wüsste, würde ich es für mich behalten“. (P. Picasso 1926)

„Das Kunstwerk ist das allergrößte Rätsel, aber der Mensch ist die Lösung.“ (J. Beuys 1985)

„Ich kenne noch keine bessere Definition für das Wort Kunst als diese: Kunst, dass ist der Mensch!“ (V. van Gogh 1879)

„Die Kunst ist die herrlichste Mission des Menschen, da sie die Ausübung des Denkens ist, das versucht die Welt zu ergreifen und sie uns begreifbar zu machen.“ (A. Rodin)

„Der Künstler sollte, als Schöpfer, das ausdrücken, was ihm persönlich ist, als Mensch seiner Zeit, was seiner Epoche eigen ist und als Diener der Kunst, was generell der Kunst eigen ist“ (W. Kandinsky)

„Die Kunst ist eine Vereinigung von Form und Inhalt, von tiefer Bedeutung und sensibler Äußerlichkeit.“ (Friedrich Hegel)

Angezielter Komplex: „Eine Scheibe Brot so zu erwärmen, dass sie von beiden Seiten zeitgleich knusprig ist.“ (Toaster)

Ich beginne zu handeln und entscheide, welche unterschiedlichen miteinander kompatiblen (z.B. Verbindung von Plastik und Metall) Materialien ich nehme (finde) bzw. schaffe (erfinde), um sie dann mit der erforderlichen (material- und zielorientierten) Handhabung (Technik/Fertigkeit) zielorientiert zu dem Komplex “ Toaster “ zusammen zu fügen. Die hier nötigen Entscheidungen können auch im Verlauf des Erstellungsprozessen dieses Komplexes prozessorientiert verändert werden. In diesem Erstellungsprozess kann auch das Ziel neu definiert werden.

Bleibe ich aber bei meinem angezielten Komplex, dann existiert, wenn ich entscheide, mein Ziel erreicht zu haben, der Komplex „eine Scheibe Brot so zu erwärmen, dass sie von beiden Seiten zeitgleich knusprig ist“ (Toaster).

Ob ich mein Ziel nun wirklich erreicht habe, hängt nicht davon ab, ob nun das Objekt „Toaster“ existiert, sondern davon ab, ob der angezielte Komplex (Toaster), der eine Scheibe Brot so zu erwärmen in der Lage ist, so dass sie von beiden Seiten zeitgleich knusprig sind, auch funktioniert. Entscheidend ist für den angezielten Komplex ist die angestrebte Funktionsfähigkeit.

Kunst und Technik – Komplexe mit verschiedenen Intentionen

Der angezielte Komplex: „Gemalter Baum“ ist erreicht, wenn dieses Bild vorhanden ist. Seine Funktion lautet „Da sein“.

Der angezielte Komplex: Eine Scheibe Brot so zu erwärmen, dass sie von beiden Seiten zeitgleich knusprig ist (Toaster), ist aber erst dann erreicht, wenn er auch genau das zu gewährleisten, in der Lage ist.

Beide angezielten Komplexe haben eine grundsätzlich vergleichbare Abfolge von Schritten. Die Anzahl der unterschiedlich ausdifferenzierten Schritte beider Komplexe und deren Qualität und Bewältigbarkeit können sehr unterschiedlich sein. Unberücksichtigt bleibt hier auch die mögliche Folgenabschätzung der Komplexe.

Wie ist es allerdings einzuschätzen, wenn der Toaster von Anfang an nicht funktioniert, obwohl alle Zugangsvoraussetzungen (z.B. Stromzufuhr) stimmen. Der angezielte Komplex ist dann nicht defekt, sondern er entspricht seiner angestrebten Funktion nicht (fehlende Mittelrationalität). Ist er so aber nicht (funktionslos) ein Kunstwerk?

Festzuhalten ist, dass technisches Handeln wesentlich mittelrational bestimmt und stets einem ‚fremden‘ Zweck dienlich sein muss. Künstlerisches Handeln und die so entstandenen Komplexe sind aber wesentlich selbstzweckbestimmt und dienen als Kunstwerk sich selbst.

Die Tatsache, dass mancher Künstler mit seinem Werk bei dem Betrachter etwas „auslösen“ will, ist für das rein geschaffene „Da sein“ eines Kunstwerkes nicht wesentlich.

Technik muss anwendbar sein, Kunst nicht.

Technik und Kunst – Kunst und Technik

Technik als Zweckgerichtetheit und Kunst als nicht Zweckgerichtetheit sind reale Komplexe. Die Kunst atmet den Freiraum, nicht zweckgerichtet zu sein, deren Konturen sich schärfen, an der Grenze der Technik immer zweckgerichtet sein zu müssen. Der Freiraum der Kunst schärft die Zweckgerichtetheit der Technik.

Technik kann ohne Kunst existieren, aber kann die Technik auch ohne die Kunst überleben? Die Technik fordert genau genommen die Kunst heraus (ohne das diese Herausforderung für die Technik wesentlich ist):
So heißt es in den Unterstreichungen: „Zum Gegenstand der Kunst kann jede Frage der Wahrnehmung werden“. (Unterstreichung Kunst)

Der Freiraum der Kunst ist in der Lage, die Technik vor Fragen zu stellen, auf die sie aus sich heraus nicht kommen kann, aber der, der die Komplexe von Technik entscheidet. Kunst kann so eine kritische Auseinandersetzung mit der Technik und deren Folgen sein. Kunst kann im Gegenüber zur Technik das Bewusstsein derer wecken, die Technik entwickeln und oder sie anwenden. Kunst kann so verstanden werden, der Versuch eines Korrektiv zur Technik zu sein.

So ist in den Unterstreichungen hervorgehoben:
„Wenn Entscheidungen über technische Entwicklungen zu treffen sind, müssen alle denkbaren Nutzungsfolgen für Natur, Mensch und Gesellschaft mitbedacht und in den Bewertungen und Entscheidungen berücksichtigt werden. Zu dieser komplexen Bewertungsaufgabe kann der einzelne Ingenieur sein Fachwissen und Fingerspitzengefühl beitragen, aber er kann sie natürlich nicht alleine lösen; dafür ist die Zusammenarbeit in einem inner- und überbetrieblichen Netzwerk von Personen und Institutionen erforderlich“. (Unterstreichung Technik)

Kunst ist eine solche Institution die sich der Bewertungsfrage der Technik annehmen kann denn:
„Kunst zielt nicht nur darauf ab, das Schöne, Vollkommene, herauszustellen, sondern Sichtweisen auf unsere Existenz zu finden, darzustellen oder anzuregen, die bisher nicht selbstverständlich gewesen sind“. (Unterstreichung Kunst)

Die Technik beeinflusst das Leben der Menschen wesentlich nachhaltiger als die Kunst. Der Mensch kann in seiner Wohnung, ohne ein Kunstwerk zu besitzen oder ein solches im Museum anzuschauen, leben. Sich heute allerdings einen Wohnraum ohne Technik vorzustellen, ist eher schwierig.

Jedes Produkt, das wir täglich in die Hand nehmen, ist mehr oder weniger entstanden in technischen Komplexen. So ist die Folgerung nachzuvollziehen:

„Durch die dem neuzeitlichen naturwissenschaftlich-technischen Denken immanente Tendenz, das Feld möglicher Machbarkeit bis ins letzte auszuschöpfen (T. als Resultat eines tendenziell universalen Herrschaftswillen. Heidegger), werden Potentiale der Natur freigesetzt u. Mittel der Produktion (u. Destruktion), des Verkehrs, der Information, der Organisation etc. geschaffen, die ihrerseits menschliches Leben und Zusammenleben nunmehr unhintergehbar bestimmen….“. (Unterstreichung Technik)

Technik, die unser Leben unhintergehbar bestimmt, kann nicht nur von der Kunst kritisch angefragt werden, sonder dieselbe kann selbst als Kunst verstanden werden, denn:

„Auch Naturwissenschaft und Technik sind schöpferisch, gestalten eine neue Welt, schaffen neue Wirklichkeiten“. (Unerstreichung Kunst)

Aber gerade diese auch der Technik zugestandene Kreativität kann nicht grenzenlos verstanden und nur auf eine Zweck- Mittel-Rationalität bezogen werden. Weil Technik „menschliches Leben und Zusammenleben nunmehr unhintergehbar bestimmen“ (Lexikon der Ethik), hat sie aus sich heraus eine Verantwortung. Die Technik wirkt heute, wie oben angesprochen, unterschiedlich auf die Kunst. Kunst und Technik haben auch ein vergleichbares Procedere mit Blick auf die Bedingungen und das Werden von Komplexen. kann dieser Komplex „gemalter Baum“ Kunst sein. Aber ob der Machbarkeitswille des Menschen in Sachen Technik von der Kunst des Menschen sich beeinflussen lässt, ist eher fragwürdig. Kunst hat keine „wirkliche“ Beziehung zur Technik, wenn sie nur die Büroetagen der Konzerne schmückt, die auf eine profitable Technik angewiesen sind.

Technik kann schöpferisch sein wie die Kunst, aber sie ist im Gegensatz zu ihr kein Selbstzweck. Darin besteht ihr Segen und auch ihr Fluch, es sei denn sie funktioniert nicht. Dann ist der oben genannte nichtfunktionierende Toaster doch ein Kunstwerk. Aber, wer wäre damit schon zufrieden, wenn er eine Scheibe Brot so erwärmen möchte, dass sie von beiden Seiten zeitgleich knusprig ist?

In Vorträge veröffentlicht | Getaggt , , | 1 Antwort

Mir ist so kirschlich II

(Leicht geänderte Fassung Februar 2002)

Auf meiner Haut hinter meinen Ohren
spüre ich noch die zwei kühlen Kirschen hängen
und die warme Luft
der Sommertage meiner Kindheit

Jung, als ich noch jung an diesem Brunnen saß,
glänzten mich zwei Kirschen an
fragend, ob mein Ohr bereit,
trug ich sie wie ein Kind

Kirschenfarben deiner Lippen
wie hast du mich verwirrt,
bin rumgeirrt,
Gedanken irr, rot dein Blut
und ich spürte auf meiner Haut

Bahnhof, mit starkem Arm die Tüte aufgebrochen,
Männer, wartend auf den Zug,
Kirschen gefressen, auch die Zwillinge,
und ich spürte auf meiner Haut

Auf dem Markt, ungezählte Kirschen zum Verkauf feilgegeben,
Sonderangebot, ich fragte, darf ich die zwei probieren, blutrot und satt.
Ein Finger, leicht beharrt, befreit den Zwilling aus der Masse,
zum Fraß mir hingehalten
und ich spürte auf meiner Haut

Ich hing sie an mein rechtes Ohr,
sie waren kalt auf meiner Haut,
und ging, einmal zurückschauend,
über die Märkte der Früchte.

Menschen lächelten, die mir entgegen kamen,
wegen zwei Kirschen,
aber nur jene konnten lächeln,
die Kirsche selber tragen würden.

Wir sind halt Kinder mit kirschfarbenem Mund

Neufassung 2002 © Christoph Stender. Ursprünglich aus: „Dank Dir auf den Leib geschrieben – Ein Geschenk zum Weiterdenken“ erschienen beim Bergmoser + Höller Verlag, 1999.
In Lyrik + mehr, Salzburg 2002, Theresienkirche 2002 veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren

Eröffnungsansprache zum Festakt des Forums Hochschule und Kirche

22. April 2002 in Bonn vom Vorsitzenden des Forums,
Hochschulpfarrer Christoph Stender, Aachen

Sehr gegehrte Damen und Herren,

es ist für mich ein wichtiges Zeichen, heute, in einer breiten Öffentlichkeit, im Namen des Vorstandes des Forums Hochschule und Kirche e.V. und im Namen des Vorsitzenden der Kommission für Wissenschaft und Kultur der Deuteschen Bischofskonferenz, Herrn Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff, ein neu akzentuiertes und strukturiertes Engagement der katholischen Kirche im Bereich der Hochschulen Deutschlands präsentieren zu können.

So freut es mich, mit Ihnen

  • Vertreterinnen und Vertreter aus Bildungspolitik und Bildungsorganisationen,
  • aus weltkirchlichen Einrichtungen,
  • aus katholischen akademischen Verbänden und Organisationen,
  • aus kirchlichen Hochschulen, Seminaren, Bildungseinrichtungen und Akademien,
  • sowie Hochschulreferenten und Schulabteilungsleiter der Diözesen,
  • Vertreter der Bundesstadt Bonn, der Bonner Kirche und der Bonner Universität,
  • Kooperationspartner aus dem Ausland,
  • Vertreter des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz und der Katholischen Büros,
  • und Vertreter und Vertreterinnen aus dem Vorstand und dem Trägerverein des Forums, seines Wissenschaftlichen Beirats, und der das Forum entscheidend mittragenden Arbeitsgemeinschaft Katholischer Hochschulgemeinden (AKH) sowie die Konferenz für Katholische Hochschulpastoral (KHP)

begrüßen zu dürfen.

Ihnen allen, und mit Ihnen besonders auch Ihnen Herrn Bischof Heinrich Mussinghoff, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle des Forums ein herzliches Willkommen!

Das Engagement der christlichen Kirchen Deutschlands an Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen vor Ort und auf Bundesebene hat eine lange und sehr ausdifferenzierte Tradition. Im Besonderen weist das Engagement der katholischen Kirche, auf Bundesebene organisiert und strukturiert, eine bewegte und bewegende Geschichte auf.
Doch was aus heutiger Sicht ein sinnvolles und anerkennungswürdiges Engagement in der Vergangenheit war, muss nicht gleichbedeutend auch tragfähig für die Zukunft sein.

Präsenz der Kirche an den Hochschulen, mit Blick auf Wissenschaft, Lehre und Studium, bedeutet in der Vergangenheit wie in der Zukunft in differenzierter, aber immer in besonderer Weise die Studierenden, die in der Wissenschaft und die in der Lehre Tätigen in den Blick zu nehmen.

Präsenz der Kirche an den Hochschulen ist das Leitmotiv der hauptamtlich Tätigen in der Hochschulpastoral, den Hochschulgemeinden und Studierendengemeinden der Diözesen Deutschlands, und der in ihnen ehrenamtlich engagierten Studentinnen und Studenten.

Gemeinsam sind wir herausgefordert uns dem Wandel von Gesellschaft, Studium, Wissenschaft und Lehre zu stellen, um so auch immer wieder die Kraft des christlichen Menschenbildes aktuell zu positionieren. Hierbei werden wir allerdings unsere Identität als Christinnen und Christen nicht aufgeben, und auch nicht um des Wandels Willen in Gefahr bringen, sondern diese existentielle Identität werden wir immer neu im konzipierenden Wort und im Dialog entwerfen, und mit Lebendigkeit und Freude zu füllen versuchen.

Auch kirchliche Strukturen müssen durch interne Reflexion und externe in Frage Stellung die Kraft aufbringen, sich selbst zu hinterfragen, ob sie den gewandelten Anforderungen mit Blick auf ihr Potential gerecht werden können. Dieser Selbstanfrage kompetent nachzugehen impliziert den Willen zur sinnvollen Erneuerung die auch Veränderung mit sich bringt. Das Ihnen heute so zu präsentierende Forum Hochschule und Kirche e.V. ist die mutmachende Antwort auf diese von uns selbst gestellte Frage. Die ihren Wurzeln und den auch zukünftigen Anforderungen entsprechende Präsenz der Kirche an den Hochschulen, so wie das Forum Hochschule und Kirche e.V. sie zu vergegenwärtigen angetreten ist, wird Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff dankenswerter Weise in seinem Beitrag zu diesem Festakt „Präsenz der Kirche an der Hochschule“ ausführen.

Mit diesem Ergebnis unserer Reflexion bringen wir aber eines klar und eindeutig zum Ausdruck, wir werden uns als Kirche auch zukünftig im Kontext der Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen nicht verstecken.
Warum auch!
Wir haben als Kirche, Gemeinschaft von Christinnen und Christen Kompetenzen, die trotz vielseitiger säkularer Bemühungen uns nicht ehrlich abgesprochen werden können. Wir stehen zu unserer Religion, wissend auch um Fehler in unserer Mikro- und Makrokirchengeschichte, und von diesen lernend, schauen wir, gewillt Mitverantwortung zu tragen, in die Zukunft der Hochschullandschaft. Ich bin mir eigentlich sicher, dass Frau Prof. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin der Europa-Universität Viandrina in Frankfurt an der Oder, in ihrem Festvortrag zum Thema „Braucht Wissenschaft Religion“ mich, aber auch die Vertreter und Vertreterinnen anderer Religionen im universitären Kontext, nicht eines Besseren belehrt.

Und sollten, was ich nicht wirklich glaube, nach ihrem Vortrag Zweifel am gegenseitigen Aufeinander-Verwiesen-Sein von Wissenschaft und Religion bleiben, so werde ich trotzdem nicht aufgeben zu postulieren, dass unsere wesentliche Stärke die christliche Botschaft bleibt, die notwendig ist um die Lebensliebe des Mensch zu stärken und zu stützen, gerade auch dann, wenn der Mensch selbst Opfer der von ihm betriebenen Veränderungen zu werden droht. So werden wir uns auch weiter zu Wort melden, anregen und den Diskurs in Sachen einer ganzheitliche Lebensqualität des Menschen mitgestalten, heute wie in Zukunft. Auf diesem Weg werden wir diese Stärke immer neu in das Lebens- und Lernfeld Hochschule hinein entfalten. Wir sind als Kirche auch weiterhin präsent, nicht zuletzt auch auf einen jeden von uns bezogen, weil, so denke ich, ein Interesse uns alle hier verbindet, die Sehnsucht nach einem gelingenden Leben, das die Generationen nach uns um ihre eigene Hoffnung und Perspektive jedoch nicht beraubt. Wer verantwortlich sich zum Menschen bekennt, muss mit beiden Beinen, einer Botschaft und Visionen auf der Erde bleiben. Wir werden als Forum Hochschule und Kirche e.V. genau das tun, und so uns einmischen als Präsenz der Kirche an den Hochschulen, überzeugt von dem gemeinsamen Gestaltungswillen der hier Versammelten bezogen auf Wissenschaft, Lehre, Forschung und Studium und deren entsprechenden Lebensfeldern. Dies werden wir aber immer mit dem Ziel vor Augen tun, einen Beitrag zu leisten für die Qualität der Gesamtheit unserer Gesellschaft als einem Teil der noch werdenden Völkergemeinschaft, in der jeder Mensch, egal welcher Bildung, mit seiner Fähigkeiten und Talenten einen würdigen Platz haben muss.

Ich danke Ihnen.

(Das gesprochene Wort gilt.) Diese Rede wurde anlässlich des Festakts zur Präsentation des Forum Hochschule und Kirche e.V. am 22. April 2002 in Bonn gehalten.

In Vorträge veröffentlicht | Getaggt , , , | Kommentieren
© Christoph Stender | Webdesign: XIQIT GmbH
Impressum

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen