www.christoph-stender.de

Bilder aus der Bildlosigkeit

Das leere Grab von Janet Brooks-Gerloff

Das leere Grab von Janet Brooks-Gerloff, 100 x 110 cm Öl, Bleistift, Leinwand 1986. Das Bild befindet sich im Besitz der Benedektinerabtei St. Kornelius und St. Benedikt v. Aniane, Kornelimünster bei Aachen.

Dieses Bild lebt von der Spannung zwischen „davor“ und „dahinter“. „Davor“ ein Mann, der sich langsam an die schmale Öffnung einer Gruft heran tastet, den Oberkörper zur Graböffnung geneigt. Der dieses Bild Betrachtende weiß definitiv nicht, ob die abgebildete Person überhaupt schon einen Blick durch die Öffnung werfen konnte oder ob der Gang seines Blickes nicht noch wenige Zentimeter Mauer vor sich hat, bevor ihm die ersehnte Einsicht freigegeben ist.

Der das Bild Betrachtende, der Außenstehende, sieht schon durch den schmalen Einblick das „Dahinter“. Ihm ist der Blick in die Grabkammer bereits gewährt und er erkennt einen kleinen Ausschnitt eines steinernen Hochgrabes und darauf abgelegt zwei weiße Tücher.

Den Ort, das Ereignis, die Quelle dieses Bildes finden wir im Neuen Testament nicht nur in den Evangelien.

„Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging. Sie sagten zueinander: Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen? Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß. Sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr~ Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier~ Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte.“ (Mk 16,2-6)

Das „Davor“ im Markusevangelium ist der Gang zum Grab Jesu, ein „Davor“, das nichts Besonderes erwarten lässt, Frauen, die dem toten Leib Jesu noch einen letzten Dienst erweisen wollen. Nur die Sorge um den schweren Stein beschäftigt sie auf ihrem Weg zum Grab. Doch schon aus der Distanz eröffnet sich den Frauen das unerwartete „Dahinter“, das offene Grab.

Die Künstlerin dieses Bildes reduziert das im Evangelium Beschriebene auf ein Minimum, auf die große Verwunderung über das geöffnete Grab und die Frage: Was ist dahinter?

Wir, die Betrachtenden, sind den Frauen auf dem Weg zum Grab vordergründig einen Schritt voraus. Wir können die Schrecksekunden der Frauen, denen sich das „Dahinter“ unerwartet eröffnet, nicht nacherleben, weil wir dank ihrer Botschaft, die heute im Glauben Wissenden sind.

Auch jene Menschen, die unseren Glauben nicht teilen, können um die Botschaft der Auferstehung Jesu Christi wissen. Die Antwort auf die Frage, was das „Dahinter“ offenbart, ist gegeben, allerdings ist diese Antwort nur wirklich im Glauben zu haben.

Bleibt nun nur zu resümieren, dass die Künstlerin eine aufgehobene Spannung in ihrem Werk darstellt, eine schon längst im Glauben beantwortete Frage nach dem: Und was ist das „Dahinter“? Deutet dieses Bild nur den gemutmaßten Augenblick am Grabe Jesu, gerechtfertigt aus den Schriften des Neuen Testaments? Für den sich zum christlichen Glauben bekennenden Menschen wie für den Andersgläubigen, aber auch für diejenigen, die von sich behaupten, keinen Glauben zu haben, ist die Spannung, die in diesem Werk ausgedrückt ist, nicht grundsätzlich aufgehoben.

Der Mensch tastet sich sein ganzes Leben lang an dieser Wand entlang, die ihn getrennt vom Tode leben lässt; biographisch bedingt unterschiedlich intensiv. Wir tasten uns an dieser Wand unseres Lebens entlang zwischen der Leichtigkeit des Seins und der Unausstehlichkeit des Nicht-mehr-Seins, in der Hoffnung, dass im Augenblick der Einsicht in unser Sterben die Blickrichtung umbricht und wir aus dem Dunkel unseres Grabes einen Ausblick haben werden.

Im Augenblick unseres Sterbens als Christinnen und Christen muss sich erst noch erweisen, ob unser Glaube irrte oder nicht. In dem Sterben eines Andersgläubigen muss sich auch erst noch erweisen, ob sein Glaube irrte oder nicht. In dem Sterben eines Menschen ohne Glauben muss sich ebenfalls noch erweisen, ob sein Nicht-glauben-Wollen ein Irrtum war. Jedes Leben, egal welchen Bekenntnisses, tastet sich an dieser Wand entlang, die Leben und Tod voneinander trennt. Keinem Leben bleibt die Schrecksekunde im Übergang von „Davor“ zum „Dahinter“ erspart.

Vielleicht reicht es ja dem Geber allen Lebens, der sich uns Christinnen und Christen in Jesus Christus als der Gott des Lebens geoffenbart hat, sogar aus, auch dem ein „Dahinter“ zu eröffnen, der in seinem Leben entlang der Wand zum Tod auch nur den geringsten Zweifel an der von ihm angenommenen Leere nach seinem Tod und ein „Dahinter“ vielleicht doch erhofft hat.

Der Mensch tastet sich an dieser Wand zum Tod sein ganzes Leben entlang, bis er eines unbekannten Tages zu diesem Spalt gelangen wird, durch den er erkennen kann, ob es für ihn ein „Dahinter“ geben wird. Nur einer wusste, dass es für ihn ein „Dahinter“ geben wird. Er lebt und regiert in diesem Reich, das alles umgibt, was ist, Jesus Christus, der Sohn Gottes. Uns hat Christus die Hoffnung hinterlassen, die von jenem auf uns überliefert ist, von dem der Evangelist Johannes berichtet:

„Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen.“ (Joh 20,5)

Gefährliche Kuh aus England von Gabriele Starmann

Gefährliche Kuh aus England (BSE-Kuh laut Zertifikat) von Gabriele Starmann, 85 x 75 cm Acryl, Öl, Wachs, Kreide auf Leinwand auf Holzrahmen 1994, Privatbesitz.

„Gefährliche Kuh aus England“ (BSE-Kuh), so betitelt die Künstlerin ihr 1994 entstandenes Bild. In der Tat bildet die Künstlerin nicht den für manchen Menschen possierlich anmutenden Kopf einer „realen“ Kuh ab, in den Farben Schwarz/Weiß oder Braun/Weiß. Sie bevorzugt primär die Farbe Rot sowie Blau- und Grünabstufungen auf einer zart rosa (fleischfarben) Grundierung Die auffallend großen starren Augen und die bizarre Kopfform mit dieser Farbenkombination lassen diese Kuh gefährlich, „wahnbehaftet“ und irre erscheinen. Die Farbgebung betreffend, könnte man eine Verbindung zu Franz Marc (1880-1916) knüpfen. Er erhebt das Tierbild zu einer „mystisch-innerlichen Konstruktion“ (Marc).

„Das Pferd z. B. ist für Marc Symbol für Vitalität und Kraft. Er gibt ihm die Farbe Blau als Farbe des Geistigen und in Analogie zum Begriff „Der Blaue Reiter“. Die Naturgesetze werden aufgehoben, um die mächtigen Gesetze, die hinter dem schönen Schein walten, zu zeigen.“ 1

Hier könnte die Intention Marcs, dem Pferd die Farbe Blau zuzuordnen als seiner Farbe des „Geistigen“, verbunden mit Vitalität und Kraft, umgekehrt erscheinen. Die dominant wirkenden Blauflächen im Kuhkopf tragen wesentlich zu dem Wahnhaften dieser Erscheinung bei. Nicht „Geistigkeit“, Vitalität und Kraft prägen die Konstruktion des Tieres, sondern die Entartung der Natürlichkeit gibt dem Bild seine Aussage kraft und kann so auch als Provokation empfunden werden. Der Hintergrund der Entstehung dieses Bildes ist der BSE-Skandal. Nie hat die Künstlerin jedoch daran gedacht, ihr Bild in einen religiösen Kontext zu stellen. Dieses Recht nehme ich mir und reihe dieses Bild in Christusdarstellungen moderner Künstlerinnen und Künstler ein. Das Tier, so auch die Kuh, Flora und Fauna, unsere Erde wie auch die Milchstraßen, Galaxien, das ganze All, eben alles, was ist, und zuvorderst der Mensch, ist Schöpfung Gottes. Christus wird in den Paulusbriefen entfaltet als das transparente „Alpha und Omega“ des Kosmos, als „Pantokrator“, als Urwort der Schöpfung (Johannesprolog) und Träger der Erlösung. Die von Gott geschenkte Erlösungserwartung ist nicht nur individuelles Privileg des beschränkt freien Menschen, nein, sie ist göttliche Gnade, die in der Menschwerdung, dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi der ganzen Schöpfung entgegengekommen ist und täglich entgegenkommt im Prozess (Evolution) der Vollendung all dessen, was ist.

So schreibt der Apostel Paulus: „Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unsrem Herzen und warten darauf dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden.“ (Röm 8,21-23)

Den Gedanken einer umfassenden Synthese von Schöpfung, Inkarnation und Erlösung entfaltete bis zu seinem Tode im New Yorker Exil der Jesuit Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955). Das Leben von Teilhard de Chardin war geprägt von der Spannung zwischen den explodierenden Erkenntnissen der Geologie, der Physik, der Naturphilosophie einerseits und der Abwehrhaltung des kirchlichen Lehramtes andererseits. 15 Jahre lang kämpfte Pater Pierre, Theologe, Paläontologe und Anthropologe, vergebens um die Veröffentlichung seines um 1940 in Peking entstandenen Hauptwerkes „Der Mensch im Kosmos“. 1955, wenige Monate nach seinem Tod, konnte es mit kirchlicher Druckerlaubnis endlich erscheinen. Dieses Werk, wie auch seine anderen Veröffentlichungen, ist von seiner durchschlagenden Erkenntnis getragen, dass das Weltbild der Evolution dem christlichen Glauben nicht widerspricht, sondern ihm neue Leuchtkraft schenkt. Wenn Gottes Schöpfung durch Evolution täglich geschieht, wenn sie sich in atemberaubender Weise ausgestaltet in der Evolution des Geistes, der Technik und der Kultur, dann sind wir, die „Krone der Schöpfung“, in besonderer Weise gerufen, Verantwortung für das eine Werk Gottes zu übernehmen, das er aus unergründlicher Liebe ins Werk setzt.

Die Forderung, Mitverantwortung für die Schöpfung Gottes zu übernehmen, richtet unseren Blick wieder auf das Bild: „Gefährliche Kuh aus England“. Gottes Schöpfung ist nicht aus sich heraus bedroht, aber gefährdet ist sie täglich durch den Menschen. Nicht das Werden der Schöpfung kann der Mensch in Gefahr bringen, da das Werden der Schöpfung Gottes Zielorientierung bleibt, Er ist der Geber! Aber der zeitlich bedingte Unfall im Augenblick des Werdens all dessen, was ist, hat Menschenmaß. In diesem Sinne spiegelt die Schöpfung auch das Gesicht unseres Denkens und Handelns wider und fuhrt uns die Frage vor Augen: Was machen wir eigentlich aus der Schöpfung Gottes, unserem vorläufigen Zuhause?

So verstehe ich, bezogen auf die „gefährliche Kuh“, die „passive Christusabermalung im Vordergründigen“. Auf die ganze Schöpfung bezogen strahlt die Ewigkeit Gottes in Jesus Christus. In der Vergewaltigung der Schöpfung durch den Menschen, ob verursacht durch BSE oder Schweinepest, durch unberechenbare Genmanipulation, ABC-Waffen, bewusste kriegsleitende politische Fehlinformationen oder die Instrumentalisierung der Leiblichkeit des Menschen, die Begrenzung des menschlichen Lebenswertes oder ganz allgemein die Verabschiedung Gottes aus der Selbstreflexion des Menschen, ziehen die dunklen Wolken einer gefährlichen, „wahnbehafteten“ und irren Realität auf Das Gesicht Christi, sein Leib geschunden auch im Heute, in seiner vom Menschen gepeinigten Mitschöpfung. In der modernen Kunst auf den Punkt gebracht in dieser „Gefährliche(n) Kuh aus England“.

Enthüllung von I. Guber

Enthüllung von I. Guber, 40 x 60 cm Universalmalgrund, Acryl, Zellstoff, Kordel mit Knotungen, 1996, Privatbesitz.

Auf den ersten Blick erschließen sich dem Betrachtenden unter der Verhüllung des Bildes nur die Fragmente der Bemalung. Orange und gelbe Flächen primär im linken unteren Teil, im oberen und rechten Teil des Bildes dominieren Schwarzabstufungen unterbrochen von weißen Linienführungen. Gerade diese leichte, transparente Art der Verhüllung dient nicht primär dem Zweck des Verbergens, sondern sie will eine Aufforderung an den Betrachtenden sein, sich der durchschimmernden Bemalung intensiver zu widmen mit dem Ziel zu „entdecken“.

Dieser Aufforderung folgend, ist im dunkleren Bereich der Bemalung (Vordergrund) der Teil eines männlichen Körpers zu entdecken: Oberarm, Schultergelenk, Brust, eine Rippenpartie. Im unteren rechten Bereich ist ein nicht zu diesem Körper gehörender ausgestreckter Zeigefinger mit Daumen zu sehen. Der Zeigefinger zeigt zwar auch auf den Körper, aber auch an ihm vorbei auf die rotorangen und gelben Partien der Bemalung.

Wer sich diesen Hintergrundpartien genauer widmet, kann im gelben Bereich die Andeutung des Fragmentes einer Stadt erkennen, während die rotorange Fläche einen Teil dieser Stadt, von wenigen Lichtstrahlen abgesehen, zu verdecken scheint.

Nun könnte man sich von diesem Bild wieder abwenden, da man ja alles entdeckt hat, was die transparente Verhüllung zulässt. Zurück bliebe dann eventuell nur die Frage des Betrachtenden: Was will der Künstler mit seinem Werke eigentlich sagen? Diese Frage würde aber an dieser Stelle sicherlich nicht erstmalig gestellt. Der Künstler müsste sich diese Frage jedoch gefallen lassen, da er das Risiko eingegangen ist, ein Bild zu schaffen, das sich in seiner Verhüllung nur erschließen lässt auf dem Hintergrund eines Erzählereignisses.

Nur jene Menschen nämlich, die von der christlichen Botschaft etwas vernommen haben, die sich Christinnen und Christen nennen, oder Menschen, die darüber hinaus eine Beziehung zu diesem Christus, dem Sohn Gottes haben, können dieses Werk aufschlüsseln, aber auch sie können es nicht ganz entschlüsseln.

Die Intention dieses Bildes ist es, diejenigen zum Erzählen einzuladen, die auf dem Hintergrund ihres „Wissens“ oder Glaubens – bezogen auf das Leiden und die Auferstehung Jesu Christi – dieses Bild teilweise entschlüsseln können, um so zu Botschafterinnen und Botschaftern der christlichen Verkündigung zu werden.

Aber auch den faktisch Informierten bzw. den Glaubenden selbst will dieses Bild ansprechen. Es dient der Erinnerung, der Vergegenwärtigung des nur im Verborgenen zu habenden Ereignisses des Todes und der Auferstehung Christi.

Was hat der Tod Christi, was hat die unter diesem Kreuz auf uns zukommende himmlische Stadt mit der eigenen Biographie, mit unserem täglich neu geschenkten Leben zu tun? Leben wir wie Menschen, denen im Glauben die Augen neu geöffnet wurden und die nun durch den zerrissenen Vorhang hindurch mehr zu sehen, mehr zu spüren, mehr zu hoffen, mehr zu glauben gerufen sind? Könnte im Hören auf die Geschichte Jesu nicht auch der neu angesprochen und bewegt sein, der sich bisher nur mit der Distanz des Informiert-Seins zufrieden gegeben hat?

Der Zeigefinger in der unteren rechten Bildhälfte, der in der Fingerhaltung ein Pendant zum Finger von Johannes dem Täufer auf dem Isenheimer Altar von Meister Mathis Nithart bzw. Gothart (Matthias Grünewald) darstellt, bringt die primäre Intention dieses Bildes auf den Punkt: Was bedeutet dir dieser Christus im Verborgenen? Angesichts dieses Bildes kann der Betrachtende zum Erzählenden bzw. zum Zuhörenden werden, zu dem, der fragen möchte, bzw. zu einem, der von dem ihm Erzählten weitererzählt.

Dieses verhüllte Christusbild ist eine Einladung zur Interaktion, zur Kommunikation und so ein katechetisches Bild, das dem Zweck der Enthüllung des Todes und der Auferstehung Jesu in unsere Welt hinein dient. Dieses Bild, sein Thema, aber verbleibt auch weiterhin in der Verhüllung, da die Berührung des Menschen, die Berührung der ganzen Schöpfung durch Gott in Jesus Christus sein tiefstes Geheimnis erst dann preisgeben wird, wenn jenseits von Raum und Zeit Gott uns in sein für uns unzugängliches Licht führt. Dann werden wir; so mein Glaube und meine Hoffnung, das jetzt noch Verhüllte in neuem Licht erkennen.

Skizze ohne Titel von Ralf Commer

Skizze ohne Titel von Ralf Commer, 40 x 60 cm Öl, Kreide Papier Ostern,1996, Privatbesitz.

„Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: Vater; ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.“ (Lk 23,44-4 6)

Der Künstler gab seiner Skizze keinen Titel. Jedoch das Motiv der Skizze in Verbindung mit dem christlichen Fest des Entstehungsdatums, Ostern 1996, weist eindeutig auf die Absicht des Künstlers hin, eine Kreuzigungsdarstellung zu skizzieren. Dass er sein Werk bewusst nicht als Kreuzigungsdarstellung deklarierte, macht die allgemeine Problematik von Darstellungen der Kreuzigung Jesu oder des Ostergeheimnisses deutlich. Kann die Kreuzigung Jesu in ihrer ganzen Realität, also ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung, die innertrinitarische Beziehung betreffend, die historischen Außenwirkungen berücksichtigend sowie die Reflexion des Ereignisses durch den Menschen integrierend überhaupt dargestellt werden? Die Antwort lautet nein; der Tod und die Auferstehung Jesu entziehen sich aller Abbildungskraft. In jedem Bildversuch dieser Art ist unumgänglich die Sollbruchstelle vorgegeben, zwischen Für-wahr-Nehmen und Glauben, zwischen Erkenntnis und Bekenntnis. Dem Künstler wird sein Werkzeug aus der Hand genommen.

Doch diese Skizze ist kein leeres Blatt. Sie stellt den Versuch der Annäherungen das letztlich nicht Abbildbare dar. Diese immer wieder neuen Versuche sind uns ja von Schaffenden aller Epochen in großartigen Werken hinterlassen. Die Konsequenz aus dem endgültigen Nicht-gelingen-Können sollte uns aber bewusst sein. Jedes Bild vom Tod und von der Auferstehung Jesu Christi suggeriert, dass es so „ausgesehen“ haben könnte. Diese Bilder; die in der Verabsolutierung ihrer selbst zu Irrbildern werden, sind in unseren Köpfen und wir sollten sie getrost „nur“ als Bilder der Annäherung an eine Wahrheit betrachten, die um ein Vielfaches größer ist als das, was wir anschauen.

Zurück zu der Skizze. Optischer Vordergrund ist die Gestalt eines gekreuzigten, fast stählern anmutenden Körpers, der aus der Perspektive des Betrachtenden von nichts gehalten zu sein scheint. Hinter dem Corpus deckt ein Vorhang fast die ganze Fläche des Bildes ab. Mit diesem mittelgrundigen Vorhang zerreißt in der horizontalen Bildmitte auch der Leib im Vordergrund. Mit dem Riss wird keilförmig ein Stück „enthäutetes Fleisch“ sichtbar; das nun im Gegensatz zu dem restlichen Leib nicht vor dem Vorhang, sondern auf der Ebene dahinter positioniert ist. Nochmals dahinter legt der Künstler mit seiner Blaupartie eine weitere Ebene an. Dieses Bild bedient sich unterschiedlicher; sich ineinander verschiebender Ebenen. Der Künstler ordnet dem „einen“ Ereignis diese unterschiedlichen Ebenen zu, um den Augenblick des Jetzt, den das Bild vordergründig vermittelt, in Momente der Ungleichzeitigkeit zu zersprengen.

Im Sterben Jesu zerreißt sein Leib. Aber es kommt nicht einfach das „unter der Haut“ zum Vorschein, das „Darunter“. Denn die rechte Rippenpartie reicht über die Rissstelle der Haut in das „Darunter“ hinein, ebenso in der Verlängerung der Oberlippe die Kinnpartie des Gesichtes. Hinter dem Riss, der durch den Kopf und den Oberkörper hinein bis in das primäre Geschlechtsmerkmal reicht, schraffiert der Künstler ein blaues Feld in den über den Kopf hinausgehenden offenen Bereich. Die Farbe Blau, Synonym der Hoffnung, signalisiert die christliche Erwartung, die Andeutung der Auferstehung der Toten. Wie der zerrissene Vorhang im Tempel den anderen Blick auf das Heilige eröffnet, so eröffnet uns der Tod Jesu ein in Raum und Zeit nicht zu bemessendes „Danach“. Doch dieses „Danach“ zieht eine tiefe Dimension unseres lebendigen heutigen Leibes an. Das „Darunter“ des Menschenleibes hat Anteil an dem „Danach“ der Auferstehung. Leibliche Auferstehung ist hier das hintergründige Thema, das sich schon im Vordergrund ankündigt. Unsere Leiblichkeit birgt einen unvergänglichen Leib, den uns der Schöpfer unter die vergängliche Haut gelegt hat, so lautet die Botschaft dieser Skizze.

Spüren wir ab und zu mitten in unserem Leben etwas von dieser anderen Leiblichkeit, die über unsere Vergänglichkeit hinausreicht? Am ehesten kann der Mensch ein wenig von dieser anderen Leiblichkeit spüren, wenn er von einer tiefen Liebe berührt ist, die mehr ist als nur der umgelegte Leib eines anderen Menschen.

Anmerkungen
1 Gottlieb Leinz, Die Malerei des 20. Jahrhunderts Erlangen 1990, 70.

Erschienen in: rhs Religionsunterricht an höheren Schulen 6/2003, S. 331-338.

In Aufsätze, Aufsätze + Artikel veröffentlicht | Getaggt , , , | Kommentieren

Segens- und Dankgebet

zum Ökumenischen Kirchentag 2003

(Gebet für den Gottesdienst, Foren, Gesprächskreise und die persönliche Betrachtung)

Gott,
den des Menschen Wort nicht fassen kann.

Wir bekennen:
Du bist dir treu
in deiner führsorgenden Begeisterung
an all deinen Geschöpfen.

Wir danken dir für den Reichtum einer jeden Facette des Lebens,
den Schatz deiner Schöpfung
und die Sehnsucht aller Menschen,
das Geschenk des eigenen Lebens
so gestalten zu dürfen,
wie ein jeder selbst es in sich spürt,
zum Lob deiner immerwährenden Nähe.

Wir neigen unseren Leib,
vor all dem zerbrochenen Leben
das unsere Selbstherrlichkeit erdrückt hat.
Wir bitten dich
und jene Menschen, denen wir Unrecht getan haben
um Entschuldigung und Vergebung
für diese von uns gesäte Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit.

Wir rufen dich an in Jesu Namen:
Hilf uns Christinnen und Christen,
die Trennung unserer christlichen Kirchen
in der Freude unserer Herzen,
die du uns füreinander schenkst,
zu überwinden,
die wir doch alle aufgehoben sind in deiner Liebe,
die die Menschen aller Kulturen, Völker und Religionen
zärtlich umwirbt.
Führe uns zusammen, getragen von der Hoffnung auf dich,
der du uns ermutigst bedrängte Menschen aufzurichten.
So dürfen wir uns verneigen vor deiner Liebe,
die in der aus Liebe befreienden Botschaft einer jeden Religion
ihren Wiederhall findet.

Wir bitten dich:
Begleite uns mit deinem Segen
damit wir von Herzen den Frieden geben,
den du uns anvertraut hast.

Segne uns, damit wir zum Segen werden,
zum Wohle allen Lebens hier auf Erden,
der du uns gerufen hast
an deinem Reiche mitzubauen.

Möge nun dein Segen uns umgeben,
und geleiten aller Menschen gute Wege,
der du dreifaltig offenbar:

Im Namen des Vaters
und des Sohnes
und des Heiligen Geistes.
Amen

Erschienen in: Leitschuh, Marcus / Pfeiffer, Cornelia (Hrsg.): Gemeinsam entdecken – Ökumenische Gebete und Meditationen, 2003.
In Lyrik + mehr veröffentlicht | Getaggt , , , | Kommentieren

Dankgebet

Dieser Dank ist einfach.
Ich weiß, mein Gott des Lebens,
das bescheidene Wort ist dir sehr lieb.

So danke ich für das gute Wort,
das mein Herz in dieser Feier
unseres Glaubens spüren durfte.

Meinen Dank möchte ich auch in Jesus Christus,
deinem Sohn, dir sagen, das ich sein durfte,
hier, der ich bin und in dem du mich umarmst.

Danken will ich nun für den Geist,
den du uns zumutest, deinen Geist,
der lebendig macht und mich erleben lässt:
ich bin nicht allein.

Ja, zu danken ist mein Wunsch
auch euch, mit denen ich gemeinsam feiern durfte.
Zu hoffen wagen und zu glauben.
Einfach Danke sagen möchte ich Dir, mein Gott,
nach dem wir uns sehnen.

 

In Lyrik + mehr veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Alle in der Verantwortung

Der Bundesfinanzminister ist doch immer wieder für eine Überraschung gut. Gerade dann, wenn Politiker meinen, nun endgültig das gesamte Debakel der Staatsfinanzen erkannt zu haben, meldet der „eiserne Hans“ sich mit neuen Horrordefiziten zu Wort.

Die große Politik wird auch in dieser verheerenden Situation nicht müde, mit Begriffen wie Eigenheimzulage, Mindestbesteuerung, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Veräußerungsgewinnen, Steuervergünstigungsabbau und Mehrwertsteuer vor den Augen derer zu jonglieren, die letzten Endes die Zechen zahlen werden – wir.

Was das konkret für unsere Stadt bedeutet, bleibt abzuwarten, eines jedoch ist klar, die Visionen vom Abbau an allen Ecken und Enden des Haushaltes werden noch inflationärer.

Dass gespart werden muss, auch in unserer Kommune, dürfte hoffentlich allen klar sein. So schauen die Aachener wieder einmal gespannt auf ihre Politikerinnen und Politiker in der Erwartung, von ihnen endlich tragfähige Lösungen zu hören und keine wohlfeilen Wahlversprechen.

Aber ist es angemessen in dieser Situation, als Bürgerinnen und Bürger, die wir das Gemeinwohl bilden, Lösungen nur von der Politik zu erwarten, sich selbst aber beunruhigt zurücklehnen mit der Mentalität eines Schafs, das irgendwann zur Schlachtbank geführt wird?

In der berechtigten Diskussion um Sparen und Kürzen wird nur auf Zahlen geschaut. Der größere Reichtum unserer Stadt, die Kreativität und die Mitverantwortungsbereitschaft derer, die unserer Stadt ihr Gesicht geben, bleibt zu oft unberücksichtigt.

Wir sind auch Steuerzahler, wir sind auch Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Talenten aber ebenso Bürger und Bürgerinnen, von denen viele breit sind sich an unkonventionellen Lösungen der finanziellen und somit auch gesellschaftlichen Herausforderungen zu beteiligen.

Eine solche Mitverantwortung muss aber auch von den Verantwortungsträgern gewollt werden, und darf nicht nur auf den Schultern derer lasten, die sich sowieso schon für unsere Stadt ehrenamtlich engagieren.

Die Frage der Beteiligung kann sehr unterschiedlich lauten: Wie können sich z.B. die Bürgerinnen und Bürger an den Kommunikationsmöglichkeiten auf den öffentlichen Plätzen unserer Stadt beteiligen.

Was können wir beitragen zu einer in das Stadtbild integrierten Jugendkultur. Welche Mitverantwortung können wir für unsere Spielplätze übernehmen? Wie beleben wir Nachbarschaftshilfe neu?

Muss jeder Konflikt vor der Justiz oder einem Schiedsgericht ausgetragen werden, oder können nicht bei niedrigen Streitwerten stadtteilorientierte Streitschlichter qualifiziert werden? Was können wir noch dazu beitragen, den internationalen und interkulturellen Austausch in unserer Stadt zu intensivieren …

Solche und ähnliche Fragestellungen sollten integriert werden in die Überlegungen von Kürzung und Streichung. Denn es gilt bei knapper werdenden Mitteln auch neue (alte) Schätze zu heben.

Quelle: Aachener Zeitung, 21.05.2003.
In Aufsätze + Artikel, Kolumne in der AZ veröffentlicht | Getaggt , , | Kommentieren

Liebe ist ein zu schwaches Wort

Mit einem unmissverständlichen Bild vermittelt der Evangelist Johannes im heutigen Evangelium die existenzielle Beziehung, die uns, den gläubigen Menschen, mit Christus verbindet. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“, so die Worte Jesu. Wir alle können uns einen Rebzweig vorstellen, der vom Weinstock abgerissen am Boden eines Weinberges liegt. Es dauert kaum einen Tag, und er ist ausgetrocknet, verdorrt, unfähig zu überleben und so modert er vor sich hin. Dieses Bild lässt keine Fragen offen: Getrennt von Christus sind wir tot, auch schon mitten im Leben, und mit dem Tod ist dann endgültig Dunkelheit angebrochen.

Gegen solche Gottverlassenheit und Perspektivlosigkeit zum Tod bäumen sich so manche Texte der Lieder auf, die wir im Gottesdienst teilweise seit Jahrhunderten oft mit großer Inbrunst singen, um eben nicht wie eine vom Weinstock getrennte Rebe am Boden individuellen Verrottens zu liegen.

So beteuert der Text eines Liedes zur Fastenzeit: „Dich liebt o Gott mein ganzes Herz, und dies ist mir der größte Schmerz, dass ich erzürnt dich, höchstes Gut; ach, wasch mein Herz in deinem Blut!“ (Gotteslob 852). Ein Zeugnis atemloser Gottgefälligkeit gibt folgendes Christuslied: „Ich will dich lieben, meine Stärke, ich will dich lieben, meine Zier, ich will dich lieben mit dem Werke und immerwährender Begier; ich will dich lieben schönstes Licht, bis mir das Herze bricht“ (GL 558).

Niemandem, der in diesen Texten seine Beziehung zu Gott und Christus widergespiegelt sieht, möchte ich auch nur ein Wort dieser Strophen madig machen. Trotzdem frage ich, ob all jene mit diesen Aussagen auch tatsächlich mithalten können oder wollen, die solche Lieder in unseren Gottesdiensten singen und hören. Können andere Menschen, die auf der Suche zu Gott sind, in solchen Worten eine geerdete und nachvollziehbare Perspektive ihres Lebens entdecken? Treffen die Worte „Wir lieben Gott, wir lieben Jesus“ unsere gläubigen Empfindungen wirklich? Würden Sie die Frage, ob Sie Gott lieben, mit Ja beantworten? Ist das zärtliche Bekenntnis „Ich liebe dich“ geliebter Menschen identisch mit den Worten „dich liebt o Gott mein ganzes Herz“?

Welche Qualität hat denn das Wort Liebe heute, das sich in unserer Umgangssprache auf so Unterschiedliches bezieht. Der eine liebt seinen Dackel, andere lieben gute Reisen, wieder andere lieben einen guten Wein, ein schnelles Auto, den Duft der Rosen, lange zu schlafen, fetzige Musik, die Ruhe der Bergwelt oder einfach nur ein Gänseblümchen. Wenn Sie Gott lieben, lieben Sie ihn dann so wie Ihren Hund, wie eine kulinarische Köstlichkeit, ein Hightech-Produkt der Autoindustrie, eine geniale Komposition oder einfach nur wie ein Gänseblümchen?

Gerade weil dieses Wort Liebe alles und nichts sagt, fragt der Geliebte den Liebenden: „Was verstehst du unter deinem Wort Liebe“? Und wenn sich dann der Blick ganz auf das Gegenüber konzentriert, werden Worte gestammelt: „Du bedeutest mir alles, ich vertraue dir ganz, du bist mein Leben, bei dir darf ich sein wie ich bin, deiner Verzeihung traue ich, mit dir tanze ich mein Leben, leg deinen Leib als Mantel mir um. Und jeder, der solche Worte seinem geliebten Menschen zugemutet hat weiß, dass er mehr sagen wollte, viel mehr als: „Dich liebt mein ganzes Herz“.

Ich möchte in meiner Beziehung zu Gott mehr sagen als: „Dich liebt o Gott mein ganzes Herz“. Mit diesen anderen Worten, die auf den Begriff Liebe verzichten, wäre ich näher an dem, was ich nur unvollständig stammeln kann – auch als Rebe am Weinstock Jesus.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 18.5.2003
In Aufsätze + Artikel, Glauben heute veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Nicht so viele Worte

Über den Tod Jesu gedichtet
Den Tod Jesu erforscht
Vom Tod Jesu gesungen
Über den Tod Jesu berichtet
Den Tod Jesu abgedruckt

Tausende Worte über den Tod Jesu.
Berge von Worten, die das Kreuz zuschütteten.
Ungezählte Worte, immer wieder Worte.

Was können sie noch sagen?

Schweigt!

Hört!
„Es ist vollbracht!“
Hört das Wort!
Schweigt!

© Christoph Stender
In Kar- und Ostertage, Lyrik + mehr veröffentlicht | Getaggt , , | Kommentieren

Schlagzeilen auf dem Weg nach Emmaus

  • Ich kann es nicht begreifen. Wie konnte das alles nur so ausgehen.
  • Absolute Pleite, es war einfach nur eine Pleite. Hätte ich doch auf meine Familie gehört.
  • Du hast recht, mich haben sie auch für bekloppt erklärt. Ich solle besser anständig arbeiten, als diesem Typen nachzulaufen.
  • Es wäre ja auch zu schön gewesen, frei zu sein. Keine Knete mehr und die hohen Herren mal selber ans Arbeiten kriegen.
  • Meine Freundin hat mich laufend gefragt, was ich eigentlich an diesem Jesus so toll finden würde. Ich konnte das nie so genau sagen, es war eben so ein Gefühl, das mich nicht los ließ.
  • Also, ich fand das klasse, wie er die Händler einfach aus dem Tempel rausge-worfen hat. Mutig, wie er gesagt hat, das Haus meines Vaters ist keine Markthalle.
  • Ja, aber ich habe das nie verstanden, als er sagte: „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind“ oder so ähnlich.
  • Na gut! Hast du denn verstanden, was er meinte? Ich gehe zu meinem Vater, um euch eine Wohnung zu bereiten?
  • Nun, ist doch auch egal. Du hast ja gesehen. War ja doch alles umsonst. Aus der Traum.
  • Dieses Kreuz, dieses verflixte Kreuz. Ich glaube, das kriege ich nie aus meinem Kopf.
  • Das dies auch so weit gehen würde, hätte ich nicht gedacht. Er war doch kein Verbrecher, er hat doch nichts gestohlen, wem hat er denn was getan?
  • Ja, sicher! Aber hast du den Mund aufgemacht? Hast du dem Hohen Priester zugerufen: „Ihr begeht ein Verbrechen, diesen Mann trifft keine Schuld?“
  • Ich glaube, wir müssen dahinten langgehen, hier sind wir falsch.
  • Ob die Frauen nicht vielleicht doch Recht hatten und Jesus lebt wirklich?
  • Wie soll das denn gehen? Du hast doch selbst gesehen, wie sie Jesus die Lanze in die Seite steckten. Der war tot. Jetzt nach drei Tagen soll er auf einmal wieder rumlaufen?
  • Du hast recht, das kann gar nicht sein. Aber woher sollen die Frauen das denn sonst haben?
  • Alles nur Gerede, du weißt doch, wie die Leute sich in den letzten Tagen die Mäuler zerfetzten. Jeder weiß mehr, und überall waren sie dabei. Alles nur Wichtigtuerei.
  • Und das leere Grab, ist das auch erfunden? Die Frauen sagen doch, sie hätten es gesehen. Der Leichnam Jesu war weg!
  • Ich weiß, das habe ich ja auch gehört. Auch dass Engel da gewesen wären und so. Meinst du, das ließe mich alles kalt? Klar, ich muss auch ständig daran denken.
  • Es ist einfach nur zum Heulen. Was sollen wir denn nun machen? Wir können doch nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen!
  • Jetzt gehen wir erst einmal weiter, und du hältst den Mund. Wir sind nämlich nicht mehr allein!
  • Und wenn der uns nun fragt, was so los ist, wenn der uns jetzt fragt nach der Verurteilung, dem Kreuz, der Hinrichtung, nach dem Grab, den Frauen und nach alledem, was eben so los ist?
  • Da sagte er zu ihnen:
    Begreift Ihr denn nicht? Wie schwer fällt es Euch, alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen? Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht. So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wolle er weitergehen, aber sie drängten ihn und sagten: Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend, der Tag hat sich schon geneigt. Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben. Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr. Und sie sagten zueinander: Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss? Noch in der derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück, uns sie fanden die Elf und die anderen Jünger versammelt. Diese sagten: Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen. Da erzählten auch sie, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach.
© Christoph Stender
In Kar- und Ostertage, Lyrik + mehr veröffentlicht | Getaggt , , | Kommentieren

Dem Raum …, der Kunst …, des Mahles …

Textfragment zum Thema: „Kunst, Kirche und Abendmahl heute“

Räume, denen das Vermögen innewohnt, dem Menschen eine Weite über sich selbst hinaus zu erschließen, die, wenn auch nur für Augenblicke, des Menschen zeitliche Selbstverwiesenheit aufbricht, sind Räume in denen ein arte fact über all das hinaus verweisen kann, was es per Definition sein sollte, oder in den Augen seiner Betrachter zu sein hat. Die reine Vorfindbarkeit eines arte fact entäußert solcher Raum zu Haltlosigkeit.

Ein einfacher Tisch, solchem Raum anvertraut, an dem „Traum Mahl“,   [? mehr]

ein „Traum des Mahles eines Wortes“   [? mehr]

der „Traum des Mahles der Vergebung“   [? mehr]

gereicht wird, ist arte fact, haltlos und so Zeitzeuge, Vision und Hoffnung zugleich.

Ein Beitrag zu der Installation „water into wine“ des Künstlers Rainer Junghanns, anlässlich seiner Kunstpräsentation in der Gethsemane-Kirche in Berlin, beim Ökumenischen Kirchentag 2003. Dieser Text war unter anderen in die Installation integriert sein und im Web veröffentlicht.
© Christoph Stender
In Lyrik + mehr veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Ein Bild des Bösen

Fast beiläufig wird im Evangelium erwähnt, dass Jesus während seines vierzigtägigen Aufenthaltes in der Wüste auch vom Satan in Versuchung geführt wurde. Der Satan ist der personifizierte Gegenpart Gottes, der sich seinen Weg bahnt in dem menschlichen Fehlverhalten, das einer selbstgewählten Gottlosigkeit entspringt und so versucht, das Liebeswerk Gottes zu vernichten. Der Satan, Urbild des Bösen, hinterlässt seine lebensfeindlichen Spuren da, wo Menschen ihresgleichen vernichten, unterdrücken, vergewaltigen, töten.

Wo Lügen das Verderben einkalkulieren, Täuschung Fehleinschätzung produziert, Habgier Leben degradiert, Liebe in Floskeln sich gewandet und Macht nur dem eigenen Erhalt dient, auch da hinterlässt das Böse seine Spuren. All diesen teuflischen Mächten ist Jesus in der Wüste ausgesetzt. Doch er widersteht, traut der Botschaft göttlicher Liebe, die er selbst ist, und hinterlässt Spuren der Vergebung, der Menschlichkeit, der Liebe, und des Heiles.

DAS BÖSE: Darstellung auf dem Turm der Kathedrale Notre Dame in Paris.

In luftiger Höhe nun schaut in Stein gemeißelt die „Personifizierung“ des Bösen vom Turm der Kathedrale zu Notre-Dame auf Paris. Gelangweilt seinen Kopf auf Hände und Ellenbogen gestützt streckt er der Welt die Zuge heraus und erweckt den Eindruck, vor der praktizierten Liebe der Menschheit nun endgültig kapituliert zu haben. Welch teuflischer Hohn! Denn wenn diese Interpretation des steinernen Teufels stimmt, dann kann er eigentlich nur eine Person wirklich vor Augen haben, die ihn zu solchem Pessimismus Veranlassung gibt, Jesus Christus, der die Liebe ist.

Oder aber sinnt das Böse nicht doch über seine Unausrottbarkeit nach, und streckt ausschließlich uns Menschen die Zunge heraus nach dem Motto: Egal wohin ihr flüchtet, ich bekomme euch doch! In meinen Augen ist es dem Bildhauer gelungen, der noch heute gültigen Wahrheit des Bösen ein typisches Gesicht, Züge seines Wesens zu geben: Vor der göttlichen Liebe muss das Böse kapitulieren. Den Menschen, die wirkliche Zeichen der Liebe gegen das Böse setzen, will der Teufel grundsätzlich nicht trauen. Gewiss aber in jenen findet das Böse immer wieder seine Chance, die Gott und so der Liebe nichts mehr zutrauen, die Gott instrumentalisieren für die eigene selbstherrliche Sache oder die aufgegeben haben „Gott in allen Dingen zu finden“ (l. von Loyola). Die Bilder, die das Böse, oder den Satan personifiziert“ darstellen, hinken der Wirklichkeit hinterher. Aber sie fuhren uns vor Augen, dass nicht zu leugnen ist, was Bilder nicht fassen können.

Menschen gestalten die Realitäten des Bösen, und keiner von uns kann seine Hände in Unschuld waschen. – Die Fastenzeit lädt uns ein, dies wieder neu in den Blick zu nehmen. Sie will Zeit des Erkennens und Lernens sein, den vielschichtigen Gesichtern des Bösen und seinen Versprechungen nicht zu trauen, auch wenn sie noch so sympathisch daherkommen.

Gott hat in seinem Sohn Jesus Christus dem Bösen die Kapitulation teuer abgetrotzt. So mündet unsere vorösterliche Besinnung, auch auf die individuelle Schuldfähigkeit bezogen, in den Ruf: „0 glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden“ (Exsultet). Diese Erlösung umgibt jene, die dem Wort Gottes trauen. Auf diese Menschen hofft Gott, dass wir der Versuchung des Bösen widerstehen. Das bedeutet aber, das Böse in seinen vielen Facetten auch ernst zu nehmen.

Nur aus der Verneigung vor Gott erwächst der selbstbewusst aufrechte Gang des Menschen, der die Geburtsstunde des Widerstandes gegen das Böse ist, gegen all das, was das Leben verachtet und unterdrückt

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 9.3.2003
In Aufsätze + Artikel, Glauben heute veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Eine „Sache“ der Gewöhnung?

Aachen. Kockerellstraße, auf dem Pflaster sitzt ein Mann, circa Siebzig, weißes Haar, Stoppeln im Gesicht, droht zur Seite zu kippen, mit dem Rücken angelehnt an den Pfeiler eines Schildes, vor ihm liegt ein alter Hut.

Nur wenige Schritte weiter Richtung Markt, unmittelbar vor Kaiser’s, ich werde angesprochen: „Haben Sie etwas Kleingeld für mich?“

Rathaus Ecke „Postwagen“, ein junger Mann, versucht mit drei Kegeln zu jonglieren, am Boden vor ihm seine Mütze, eindeutig.

Katschhof Höhe Hühnerdieb, eine Person, zusammengekauert, starr nach unten schauend, vor sich ein Pappschild mit der Aufschrift: Für eine Mahlzeit.

Zehn Meter weiter, eine Gestalt, mürrisch dreinschauend und freundlich grüßend, diesmal eine auffordernde Frittenschale mit ein paar Cent vor den Füßen.

St. Foillan, eine ältere Frau, oft sitzt sie dort bis in den Abend, Tag ein, Tag aus, bei jeder Witterung, die Botschaft ihrer Haltung ist unmissverständlich.

Dem „Kreislauf des Geldes“ gegenüber, wieder einer, der stumm um eine Kleinigkeit bittet, und so weiter.

Es gab sie schon immer, Bettlerinnen und Bettler, denen auch heuteoft unterstellt wird, sie seien zu faul um zu arbeiten, oder würden mit der vorgegaukelten Bitte um etwas zu essen nur ihren Alkoholkonsum oder andere Abhängigkeiten finanzieren. In dieses undifferenzierte Meinungsbild passt das mittägliche Gespräch dreier Rentner in einer Aachener Kantine, die darin übereinstimmten, Bettlern grundsätzlich keinen Cent zu geben, „da die ja sonst nie lernen würden, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“.

Aber auch ein Student meinte, das Problem mit den Bettlern simpel lösen zu können: „Schließlich gäbe es ja genug Stellenanzeigen, in denen jemand zum Putzen gesucht würde!“ Scheinbar haben einige der Mittellosen Aachens sich freiwillig entschieden zu betteln, und die Anzahl derer nimmt zu. Denn an so mancher Straßenecke steht schon heute nicht mehr nur Einer, der um eine milde Gabe bittet, nein, ohne Probleme kann der spendierfreudige Aachener auf engstem Raum gleich zwei und mehr Anfragen bedienen.

Wie viele Bettlerinnen und Bettler verträgt eigentlich das Aachener Stadtbild? Alle müssen ja den Gürtel enger schnallen, Sozialleistungen werden gekürzt, direkte und indirekte Steuern steigen, die Arbeitslosenzahlen sind weiter im Aufwind, und die sozialen Probleme nehmen weiter zu. Es wird nicht ausbleiben, dass die Zahl derer noch weiter steigt, die aus unserem sozialen Netz herausfallen und als Problemfall Bettler auf unseren Straße landen.

Aber werden wir uns dann nicht eines Tages gezwungen sehen, ein Bettlerkontingent einzuführen, welches regelt, dass an jedem Wochentag nur 20 bettelnde Menschen in der Innenstadt angetroffen werden dürfen. Oder werden wir es der Bahn AG gleichtun, und Bettler auch aus der Innenstadt vertreiben! Aber wohin? In Gettos?

Vielleicht werden wir ja schon bald Rosen an die Bettler verteilen und so mit eher eigennütziger Intention den Lyriker Rainer Maria Rilke nachahmen, der einer römischen Bettlerin eine Rose schenkte, und die dann ihren angestammten Platz einige Tage nicht aufsuchte, weil sie, so der Lyriker, von der Rose lebte.

Noch ist es nur eine Frage: An wie viel Bettlerinnen und Bettler wird sich das Gemeinwohl, das gemeinsame Wohl von uns Aachenern wohl gewöhnen? Sie sind das äußere Symptom für eine Soziallandschaft, unter deren Oberfläche es gefährlich brodelt.

Quelle: Aachener Zeitung, 11.02.2003.
In Aufsätze + Artikel, Kolumne in der AZ veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren
© Christoph Stender | Webdesign: XIQIT GmbH
Impressum

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen