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Stell dich dem Blick eines Kindes

Zephanja ruft: „Fürchte dich nicht!“ Paulus verkündet: „Freut euch im Herrn alle Zeit.“ Heute sind auch wir diejenigen, die gerufen sind von der Menschwerdung Jesu, dem Grund unserer weihnachtlichen Freude zu erzählen. Ein „Weihnachtsbrief in stiller Nacht“ ist eine Möglichkeit:

Lieber Freund,

bald klingt wieder ein Jahr aus das wir mit vielen Menschen gemeinsam erleben durften, und in dem Fremde zu Vertrauten wurden, so wie auch wir. Welch ein Reichtum. Nun liegt vor uns diese besondere Nacht. Von ihr möchte ich dir heute erzählen.

Von diese Nacht die eingetaucht ist in Licht und Freude, die aber auch die Trauer, die Sehnsucht und das Elend vieler Menschen nicht vergessen macht. Diese Nacht, in der wir ein Kind entdecken, die Radikalität seines Daseins jedoch uns entdeckt!

Diese Nacht der grenzenlosen Liebe weiß auch um dich, um deine Gefühle und Empfindungen, um deine Geschichte. Denn der menschgewordene Gott nimmt dich unwiderruflich ernst. Sein Ja gilt dir. Begegnest du ihm, so wird er deine Hände nehmen, er wird dich anschauen, deine Worte hören – ganz gesammelt -, jedes in seinem Herzen bergend. Dein Gestern und dein Eben, bei ihm kannst du es lassen, dich lassen, dich ihm überlassen, mit all deinen Erinnerungen, mit deiner Freude und deiner Enge, mit deinen Hoffnungen, den wachen und den längst begrabenen.

Dich ihm überlassen, mit deinen dir vertrauten Menschen, deren Gesichter jetzt vor deinen Augen Kontur gewinnen. Dich ihm überlassen, mit deiner Größe, deiner Kleinheit, mit allem was du bei dir trägst, dem Belastenden und dem Befreienden.

Was dich betrifft, bewegt oder zur Ruhe kommen lässt, es gehört in dieser kommenden Nacht zu dir. Mach dich schon heute auf den Weg durch das Dunkel der Nacht zur Mitte dieser Heiligen Nacht. Lege beiseite was deinen Blick verstellt, was dich betrübt, und lege die Früchte deiner Freude in deine Tasche und geh zur Krippe.

Du findest sie nicht im Trubel, nicht dort wo die meisten Menschen stehen, nicht wo’s am Hellsten zu leuchten scheint. Nein, es ist alles sehr unscheinbar, ein Ort, namenlos und alle Namen tragend, ein Stall, eine Ecke, unter irgendeiner Brücke.

Du findest die Krippe! Kleine Lichter spenden ihr Licht, sie scheinen, als wollten sie Sterne sein. Die Stille, die bis zum Überlaufen angefüllt ist mit Freude und Hoffnung, sie wird dich anziehen. Geh weiter, geh mutig weiter! Die Alten und die Kinder, all die unscheinbaren Gestalten sind schon da! Stell dich zu ihnen!

Ihre Blicke und alles was sie zu sagen in der Lage sind, diese Blicke, die je eine Lebensgeschichte bergen, diese Blicke ganz aufgeschlossener Menschen, trauen ihren Augen. Sie haben den Blick des Kindes gekreuzt, sie haben standgehalten, sich durchblicken lassen. Ihre Blicke sind nun gesammelt in den Augen eines Kindes, den Augen Gottes. In all ihrer Schwachheit, Kleinheit und Menschlichkeit, in all ihrer Größe und Einmaligkeit sind sie in den Blick genommen. Stell dich zu ihnen, stell dich dem Blick eines Kindes!

Keiner hat seine Zelte bei der Krippe aufgeschlagen, sie haben sich „anstecken“ lassen, und was sie dann wieder nach Hause trieb, ist stärker als das Licht ihrer kleinen Lampen. Sie tragen ein neues Licht in ihren Herzen, und ihre Augen können und wollen es nicht verbergen. Und wenn du nun, lieber Freund, zurückkehrst zu denen, mit denen du diese Heilige Nacht feiern möchtest, und wenn ihr euch dann gemeinsam an die schönen alten Zeiten erinnert, und wenn diese Menschen dir dann sagen: Wie früher, unverändert, du seiest ganz der Alte! Dann frage dich, lieber Freund, ob du wirklich an dieser Krippe warst.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 14.12.2003
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Schätze laden ein

Eine Kooperation zwischen der Katholischen Hochschulgemeinde Aachen (KHG) und der Aachener Domschatzkammer

Sie trauten ihrem Talent, die mittelalterlichen Gold- und Silberschmiede sowie die heute oft namenlosen Maler, Steinmetze und Meister textiler Gestaltung jener Epoche.

Durch den notwendigen Broterwerb getrieben und motiviert von ihrer religiösen Ergriffenheit, die ihr Handwerk – so wie wir es heute betrachten dürfen – zu veredeln in der Lage war, überzeugten diese Handwerker‘ die reichen und mächtigen Persönlichkeiten ihrer Zeit davon, dass sie die wirklich Begnadeten seien, die zum Lobe Gottes und derer, die daran partizipieren wollten, mit Edelmetall, Edelstein, Farbe, Pinselführung, Stein und Faden Unvergängliches zu schaffen in der Lage waren.

Der Besucher im Angesicht des Schatzes

Heute gehören die von ihnen geschaffenen und uns erhaltenen Meisterwerke, aufbewahrt und konserviert im Aachener Dom und seiner Schatzkammer, zum bedeutendsten mittelalterlichen Kirchenschatz nördlich der Alpen, und sie dürfen zum Weltkulturerbe gezählt werden.

Dieses kunsthistorische Erbe gesehen zu haben, ist nicht nur für Fachleute ein Muss.

So betreten jährlich ca. 1 Million Menschen die hohe Domkirche. Etwa 300.000 Besucherinnen und Besucher der Kaiserstadt werfen einen Blick auf den außergewöhnlich präsentierten mittelalterlichen Nachlass in der Schatzkammer des Domes.

Viele dieser Interessierten überlassen sich bewusst sich selbst bei dem Versuch, die historischen Zeugnisse zu erschließen, als freiwillige Autodidakten, und schlendern, von optischen Reizen geleitet, durch die Schatzkammer und den Dom in der Gewissheit, aufgrund irgend einer allen Menschen innewohnenden Eigenkompetenz nichts Wesentliches wirklich verpassen zu können. Andere, oft partiell sachkundigere Zeitgenossen vertrauen sich lieber einem der kunsthistorisch geschulten Führer an, die live und nicht aus der Konserve Wissenswertes über den Schatz und seine Hintergründe in freundlicher Kommunikation vermitteln. So betrachtet unterschiedlich intensiv der Tourist sein Gegenüber, den Aachenschatz. Dem geführten Besucher werden Informationen auf kleinen Schrifttafeln an den Vitrinen präsentiert. So wird das Entstehungsjahr und der Titel des Exponates verraten, dazu noch einige kunsthistorische Daten aus heutiger Sicht sowie Angaben über das damalige gesellschaftliche Umfeld der Ausstellungsstücke angedient. Grundsätzlich aber ist davon auszugehen, dass der Besucher lediglich die Außenansicht der Exponate in den Blick nimmt, im Sinne einer Draufsicht!

Heute ein Schatz, aber gestern ein geschätzter Funktionsgegenstand

Hier darf die Tatsache nicht übersehen werden, dass keines der heute unter musealen Bedingungen ausgestellten Kleinodien mittelalterlichen Handwerks jemals dazu geschaffen wurde, hinter Glas den Blicken heutiger Betrachter dargeboten zu werden.

Was heute, bei konstanter Temperatur aufgehoben, gelangweilt oder begeistert angeschaut werden darf, waren ursprünglich keine Kunstwerke, sondern von besonders begabten Handwerkern gestaltete Gegenstände, die in erster Linie für den liturgischen Gebrauch bestimmt waren. Ihre außergewöhnliche und aufwändige Gestaltung lag nicht in dem Bestreben der Schaffenden, von ihrer Nachwelt Künstler genannt zu werden, sondern in der Tatsache, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dem gerecht zu werden, der erstes Ziel allen liturgischen Handelns war und ist: Der verehrenswürdige Gott, der von ihnen als ein anwesender und somit für ihre Existenz lebensrelevanter Gott erfahren wurde.

Diese Gegenstände des Kultus hatten hinweisende, erzählende, bergende und dienende Funktionen. Eine Monstranz z.B. diente während einer Prozession dazu, auf das Zentrum des christlichen Eucharistieverständnisses, die Gegenwart Jesu Christi im eucharistischen Brot, hinzuweisen. Die Karlsbüste dient im Sinne der mittelalterlichen Reliquienverehrung der Begegnung mit dem verstorbenen und lokal als Heiligen verehrten Kaiser Karl. Ein Retabel, der Aachenaltar, hatte die Funktion, den Gottesdienstbesuchern der damaligen Zeit im Verlauf einer sprachlich oft nicht nachzuvollziehenden Liturgie das Mysterium des Lebens, Sterbens und der Auferstehung Jesu Christi im Bild zu vergegenwärtigen.

So dienten diese Gegenstände nicht nur der religiösen Sinnorientierung unserer Vorfahren, sondern sie waren hinweisende Zeichen, vergewissernde Anschauungsobjekte, Schmuck für das nicht Fassbare und Blickfang für das Verehrungswürdige. Diese Gegenstände verwiesen auf den Horizont der Antwortfindung der damaligen Menschen, bezogen auf ihre existenziellen Sinnfragen nach dem Woher und Wohin des Lebens, die Bedeutung von Leid, Schmerz und Liebe und nicht zuletzt auf die Frage nach der ewigen Wahrheit.

Heute wird der Schatz fast ausschließlich unter kunsthistorischen Aspekten Interessierten erschlossen, aber seine Funktions- und Bedeutungsgeschichte sowie die dahinter liegende religiöse und lebensrelevante Intention bleiben den meisten Besuchern verschlossen.

Darf dieser Schatz mehr bewirken, als ihm anzusehen ist?

Viele der Touristen, so wird angenommen, scheint das, was über den kunsthistorischen Aspekt des Schatzes hinausgeht, nicht zu interessieren.

Aber sollte es nicht das aktuelle Interesse der Hüter dieses Schatzes sein, für die damalige Intention des wertvollen Erbes die heutigen Besucher zu interessieren? Wäre es nicht klug, die Domschatzkammer darüber hinaus auch zu einem Ort zu machen, an dem die existenziellen Fragen der Menschen heute ernst genommen werden, Fragen, z.B. nach dem Sinn und dem Ziel des Lebens, nach Gemeinschaft, Liebe, Leid und Vergänglichkeit im Sinne eines möglichen Horizontes von Antworten gestellt werden dürfen? Denen also, die vordergründig kein Interesse zeigen, weil sie ja auch nicht wissen, woran sie Interesse haben sollen, die Chance anzubieten mehr zu erfahren und zu erspüren, als sie auf den ersten Blick entdecken können?

Sicherlich kann der Schatz aus sich heraus und ohne Zugangshilfe nicht mehr erzählen, als an ihm abzulesen ist. Ebenso normal scheint es zu sein, dass die Betrachter, ohne die Möglichkeit biographischer Anknüpfungspunkte mit ihren Augen nur anschauen, um dann das Gesehene nach Maßgabe eigenen Wissens und Beurteilens entsprechend einzuordnen. Der Erfolg solcher „Begegnung“ macht sich oft in spontanen Aussagen Luft wie „welch ein historischer Genuss“ bis hin zu „wat‘ ne Menge glänzendes Blech“

Grundsätzlich ist hier überhaupt zu fragen, ob es von den Verantwortungsträgern mit Blick auf die Besucher gewollt ist, mehr mit den Exponaten einer Schatzkammer zu bewirken, als dass sie kunsthistorisch eingeordnet werden. Es wird immer Fachleute“ geben, die es für einzig erstrebenswert halten, dass die Betrachter als Unbeteiligte einfach auf das Exponat schauen, im Optimalfall verzückt seine Historie rühmen und das Geschick der längst verblichenen Hände derer, die es geschaffen haben, um dann beruhigt weiter zu gehen in der Gewissheit, wieder aus einer kulturellen Bonbonniere genascht zu haben. Zwar mag so der Kunsthistorie Genüge getan sein, nicht aber der ursprünglichen Intention des betrachteten Objektes und auch nicht seiner Möglichkeit, eine Chance zu sein bezogen auf die Deutung des Lebens der Menschen heute.

Menschen, die in einer sich ständig beschleunigenden Zeit Orientierung suchen, brauchen in einer säkularisierten Gesellschaft Orte, die frei sind von aufdringlichen Ideologien, an denen es möglich ist, sich über ihre wesentlichen Fragen vergewissern zu können, deren zumindest fragmentarische Beantwortung eine Lebensqualität darstellt.

Ein solcher Ort kann eine Domschatzkammer sein. Der Schatz beantwortet zwar die Fragen des Menschen nach Sinn nicht, er kann aber Ausgangspunkt einer Antwortsuche sein. Darüber hinaus brauchen wir dem Aachener Schatz auch nicht zu unterstellen, dass er sich seines religiösen Ursprungs wegen „schämen“ würde. Von daher müssen auch wir uns nicht der eigenen Erkenntnis schämen, dass der christliche Glaube durchaus in der Lage ist, so mancher existentiellen Frage der Menschen heute eine Perspektive zu geben. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich der Meinung bin, eine Domschatzkammer müsse zu einem christlichen Missionsgebiet erklärt werden mit dem Ziel, möglichst viele ihrer Besucher vom christlichen Glauben zu überzeugen um so das Kirchensteueraufkommen ein wenig aufzupäppeln. Dies wäre ein eklatanter Trugschluss.

„Kunsthistorie, die fesselt … Theologie, die berührt …“

Dem oben genannten Anliegen Geltung zu verleihen, war der Grund für eine bis heute andauernde Veranstaltungsreihe, welche die Katholische Hochschulgemeinde Aachen in Kooperation mit der Aachener Domschatzkammer erstmals im Sommersemester 2000 unter dem Obertitel startete: „Theologie im Gespräch“. Diese eher unverfängliche Überschrift spitzten wir mit Blick auf die im Sommer 2000 stattfindende Aachener Heiligtumsfahrt zu mit dem neuen Titel „Glaube provoziert“. Bei der ersten Teilveranstaltung stellten wir das Lotharkreuz und bei der zweiten die Aachener Heiligtümer in den Mittelpunkt der kunsthistorischen, theologischen und lebensrelevanten Auseinandersetzung. Hier sollte es eben nicht um staubtrockene Theologie und keimfreie historische Einordnung gehen, sondern um den Versuch, in der Begegnung mit dem kunsthistorischen Objekt und seiner kritisch-theologischen Deutung die Teilnehmer in ihren eigenen Biographien anzusprechen. So kann es gelingen, aus heutiger Sicht kunsthistorische Zeugen der Vergangenheit davor zu bewahren, nur wertvoll und interessant zu sein, aber nicht lebensrelevant.

Dass das gelingt, zeigte das Gespräch im Anschluss an die Betrachtung des Lotharkreuzes in oben genannter Intention, als ca. 20 Studierende im Quadrum des Domes bei sommerlichen Temperaturen um die Ampel des alten Kapitelfriedhofes versammelt waren und eine Studentin engagiert feststellte: „Dieses Kreuz hat etwas mit dem Tod meines Babys zu tun!“ Solche Betroffenheit sollte kein Einzelfall bleiben.

Dr. Georg Minkenberg, Leiter der Domschatzkammer Aachen, und ich spürten so, auf einem den Kunstwerken und den Betrachtenden entsprechenderen Weg zu sein, und wir widmeten uns in den folgenden Semestern unter anderem nachfolgenden Themen und Exponaten:

  • „Abbilder einer Hoffnung – Einblicke ins Jenseits“, der Proserpina-Sarkophag und die Karls-Büste.
  • „Maria von Magdala – Eine Provokation, die eine Gesellschaft an ihre Grenzen führt“, die Darstellungen der Maria von Magdala auf den Altarretabeln.
  • „Engel mit unterschiedlichen Gesichtern – Projektionen der Gottesbilder ‚ihrer‘ Zeit“, die Engeldarstellungen im Aachener Dom.
  • „Glaube zwischen Wissenschaft und Anbetung“, der Georgs-Altar.
  • „Leben in Gemeinschaft zwischen Vision und Scheitern“, die Architektur der alten Kapitelanlage.
  • „Handschriften, ein Lebensgefühl – Zeugnisse vergangener Lebensart“, die historische Kapitelbibliothek.
  • „Spuren des Islams“, die Zeugnisse dieser Weltreligion im Aachener Weltkulturerbe.

Doch sollte es nicht nur bei dieser Themenreihe bleiben, die schon im Sommersemester 2001 einen neuen Obertitel erhielt, „Kunsthistorie, die fesselt Theologie, die berührt“, um klarer zu signalisieren, dass wir die Besucher immer stärker zu Beteiligten machen wollen.

Aktion „Nacht Schatz“ in der Domschatzkammer

Vom Engagement einiger Domführer mitgetragen – im Regelfall sind das Studierende der Hochschulen Aachens -, setzten wir in dieser bewährten Kooperation einen neuen Akzent, Anlass war ein besonderer Tag für Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen der Heiligtumsfahrt des Jubiläumsjahres 2000. Wir gaben diesem einmaligen Datum, bezogen auf die nächtliche Veranstaltungszeit und den Ort, den Titel „Nacht Schatz“:

Über 600 Besucherinnen und Besucher erlebten in den späten Stunden dieses Tages die Aachener Domschatzkammer nicht nur in einem anderen Licht, sondern die so manchem Aachener altvertrauten Exponate wurden mit Akzentuierungen versehen, die über die kunsthistorische Bedeutung hinaus eine Anregung darstellten, sich als Besucher intensiver mit den Stücken auseinanderzusetzen.

Die „sprechende“ Karlbüste

Als erstes begrüßte die Besucher in dieser Nacht eine „sprechende“ Karlsbüste. Vor der bekannten Karlsbüste stellten wir unübersehbar einen CD-Player auf und programmierten ihn auf Endloswiedergabe. Hier ein Auszug aus der kaiserlichen“ Ansprache:

„… Ganz nebenbei bemerkt, die Krone, die ich heute trage, ist später entstanden als mein Kopf, so um 1349.
Manchmal fragt man mich: Warum gibt es dich eigentlich? Also, das ist gar nicht so leicht zu erklären! Versuchen wir es mal so!
Wenn Sie jetzt alle so ungefähr 2,50 Meter groß wären oder ein kleines Leiterchen zur Hand hätten, dann könnten Sie mir mal auf’s Haupt schauen und würden eine interessante Entdeckung machen!
Da ist nämlich ein runder Deckel und darunter ist die Schädeldecke Karls des Großen zu sehen.
Aber langsam, ich muss etwas weiter vorne anfangen.

Im 12. Jahrhundert wurde das Grab Karls geöffnet und ein Teil seiner Gebeine in den prächtigen Karlsschrein gelegt, der heute im Dom steht. Zugegeben, die Gebeine Karls wurden ganz schön verteilt, eine ganze Menge blieb in Aachen, ein paar Knochen kamen in Kirchenkammern nach Paris und noch an andere Orte.

Der Grund dafür: Karl war auch noch nach seinem Tod ein wichtiger Mann, den man nicht vergessen wollte. Einige verehrten ihn als Heiligen! Das tun auch heute noch viele Menschen hier in Aachen. Dabei ist Karl gar kein richtiger Heiliger, denn an seinem Todestag feiert niemand Namenstag – so wie das bei anderen Heiligen der Fall ist. Aber das wissen Sie ja bestimmt, oder?

Kennen Sie eigentlich ihren Namenspatron, wenn ich das einfach mal so fragen darf? Was halten Sie davon, mal etwas über ihren eigenen Namenspatron nachzulesen, wie er gelebt hat, was er leistete und wie er gestorben ist, das ist oft sehr interessant.

Pardon, ich schweife wieder ab, nehmen Sie es mir bitte nicht übel.
Also, noch mal zurück zu der Frage, warum die Knochen von Karl dem Großen so wichtig für viele Menschen sind! Da ist etwas geschehen, das Sie selbst wohl auch kennen. Es geht Ihnen doch auch manchmal so? Ein ganz, ganz lieber Mensch hat Ihnen eine Rose geschenkt oder einen liebevollen Brief geschrieben. Auch wenn dieser Mensch nicht mehr für Sie zu erreichen ist und gerade dann, heben Sie diesen Brief an einem ganz besonderen Ort auf, und die Rose wird gepresst, bevor sie ganz vergeht, und dann in eine schöne Schachtel gelegt, ins Tagebuch oder an einen für Sie etwas heiligen Ort! Sie kennen das doch auch, oder?

Und so ähnlich ist das mit den Reliquien von Karl! An ganz vielen Orten wollte man ihn ganz nahe spüren. Deswegen war man an seinen sterblichen Überresten sehr interessiert …“

Soviel aus den „Plaudereien“ der Karlsbüste in dieser Nacht, die den Zuhörern unter anderem die Gelegenheit gab, die Bedeutung dieser Büste in Verbindung zu bringen mit dem Umgang mit den eigenen „modernen“ Heiligtümern. Gehen wir aber nun einige Schritte weiter.

Plutos Raub der Liebe aktuell

Schweigsamer war es am Proserpina-Sarkophag, der mutmaßlich ersten Grablege Kaiser Karls. Wir leuchteten nur eine Szene des antiken Bilderzyklus aus, das Gesicht der geraubten Proserpina und das Gesicht des sie stehlenden Pluto. Hinter diese Szene auf seidig schimmerndem Tuch lud folgender Text ein, mehr zu spüren, als zu sehen war:

Hinter uns dieser Augen-Blick zum Tod

Gier
leerte seinen Blick
zerrte mit habsüchtigem Griff schon fliehend
an sich
was Ohnmacht zerbrach in Ergebung
und kein Mund je flüstern wird

Wie kannst du Liebe
stehlen, an dich reißen, gar erzwingen

Nur zu hoffen ist dir geschenkt
ob Liebe träumend dir
sich zuflüstern mag

Diese steinernen Augen sind eben, alt
ihre brutale Armut gleich, alltäglich

Skandal des Lebens in den Tod
Dich einzig
der Liebe Flüstern
wecken kann

So wurden an verschiedenen Orten in der Domschatzkammer unter Zuhilfenahme von Rauminstallationen die mittelalterlichen Exponate in einen aktuellen, lebensrelevanten Kontext gestellt. Der Raum, in dem u.a. der Aachenaltar und die Monstranz des Hans von Reutlingen ausgestellt sind, bereichert in deren Mitte um einen schlicht gedeckten Tisch mit acht Stühlen, lud ein, über das Thema beschenkte Gemeinschaft“ nachzudenken. Im Marienraum setzte ein Fries von über 100 Frauenbildern in unterschiedlichen Lebenssituationen die verschiedenen Darstellungen der Lebenssituationen der Gottesmutter fort. Im Reliquienraum, der unter anderem die kleinen“ Aachener Heiligtümer birgt, konnten durch eine Vitrine hindurch, in die wir ungefasste Knochenreliquien gelegt hatten, stetig wechselnde Bilder pulsierenden Lebens heutiger Menschen betrachtet werden. Der hier angesprochene Impuls bedarf wohl keiner weiteren Erklärung.

Die Ausstellung „Schatzansichten“

Nicht ganz ein Jahr später lud die Ausstellung „Schatzansichten“ in die Schatzkammer ein. Diese Kooperation zwischen der Domschatzkammer und der KHG sollte die bisher gemachten guten Erfahrungen zu einem neuen Höhepunkt führen. Im Grußwort der die Ausstellung begleitenden Buchveröffentlichung schreiben der Bischof von Aachen, Dr. Heinrich Mussinghoff, und der Aachener Dompropst, Dr. Hans Müllejans:

„Der Dom und sein Schatz haben ihren tiefsten Sinn nicht in der Bewunderung, sondern in der Verkündigung des Wortes Gottes: Gottes Wort in Menschen Wort und Gottes Wort in dieser Kunst. Die Botschaft jener Verkündigung auf eine Kurzformel gebracht heißt: Du, Mensch, darfst Gott an deiner Seite wissen und hast mit Ihm eine Zukunft über all dein Stolpern hinaus, selbst über jenen letzten Sturz, den in den Tod. Der Verkündigung dieser Botschaft dient auch die vorliegende Veröffentlichung des Aachener Hochschulpfarrers Christoph Stender.

Getragen von dem Glauben an die unverdunkelbare Liebe Gottes, das Geschenk des Lebens, so wie jeder Mensch es in sich spürt, und von seiner Sympathie für die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche, gestaltet Pfarrer Stender ins Wort, was diese Schätze, was der Dom selbst nicht nur Christinnen und Christen verkünden will: Die Botschaft Gottes, an unserer Seite zu sein, da er will, dass das Leben eines jeden Menschen gelingen möge …“

Die Autoren dieses Grußwortes schließen: „… So wünschen wir uns, dass diese ‚Schatz Ansichten‘ dazu beitragen, die Betrachterinnen und Betrachter in der Hoffnung zu stärken, dass uns der Gott der Liebe nicht allein lässt, auch wenn wir uns manchmal fragen: Gott mein Gott, warum glaube ich mich so verlassen?“1

Schon dieses Grußwort machte deutlich, dass für die Zeit dieser Ausstellung das Vorzeichen der musealen Konzeption dieser Schatzkammer wesentlich erweitert werden würde. Zu dem historischen Schatz trat nun ein Bekenntnis. Dieses Bekenntnis zum Glauben an Gott und zur Liebe am Leben sollte den historischen Schatz aber nicht in den Schatten stellen. Der Schatz blieb der Vordergrund, das Bekenntnis bildete den Hintergrund. Es ging hier auch nicht darum, die Besucher dieser Ausstellung zu missionieren. Ziel der Ausstellung war es, bei Menschen anzuklopfen mit der Bitte, über den Blick auf den Domschatz hinaus sich selbst in den Blick zu nehmen. Die Brücke, über die der Besucher eingeladen war, vom klassischen Exponat ausgehend, bei sich selber anzukommen, bildeten lyrische Texte. Diese wurden durch moderne Medien und andere ansprechende Präsentationstechniken den Besuchern vor Augen geführt. (Einen optischen Eindruck dieser Ausstellung vermittelt die Homepage www.christoph-stender.de unter der Rubrik Projekte/Schatzansichten.)

Lyrik jenseits von richtig und falsch

Was ist das Maß einer solchen Lyrik, die in dieser Ausstellung präsentiert wurde? Das Maß, mit dem Lyrik zu messen ist, findet sich nicht in den Wertungen richtig oder falsch. Diese Kategorien richtiger und falscher Beschreibung, die im so genannten Bivalenzprinzip beheimatet sind, sind Kriterien der Wissenschaft.

Lyrik aber untersteht nicht diesem Bivalenzprinzip. Lyrik bildet das Allgemeine im Besonderen ab. So kann man von der Lyrik höchstens sagen, sie sei adäquat oder nicht. Lyrik bringt eine subjektive Wahrnehmung zum Ausdruck, die andere Menschen teilen können oder nicht. Ich erhob also nicht den Anspruch, objektive Lyrik zu präsentieren. Lyrik kann ein Gewinn an Erkenntnis sein, die über die Beschreibung eines Gegenstandes hinausgeht.

Meine Intention war, mit diesen lyrischen Texten einfache, bescheidene und zerbrechliche Brücken zu bauen zwischen dem Betrachtenden und den Exponaten. Solch eine Ausstellung zu wagen, machte mich selbst auch verletzlich, denn schließlich gebe ich mit meinen lyrischen Texten auch etwas von mir preis.

Diese Ausstellung und ihre Lyrik sind vergänglich

Das konnte und wollte ich in meinem Statement zur Pressekonferenz am 27. April 2001 auch nicht verbergen:

„Der Funke, der diesem Ausstellungsprojekt zu Grunde liegt, ist über 30 Jahre alt. Zwei Drittel meines Lebens schlummerte er, von keinem geringeren als dem damaligen Domkustos Prälat Dr. h.c. Erich Stephany durch eine Domführung in mir entfacht. Vor über einem Jahr wuchs der kleiner Funke zu dieser Idee einer Ausstellung mit dem Titel „Schatzansichten“.

Oft hat mich in den vergangenen Monaten die Frage bedrängt, ob es eigentlich legitim sei, mit meinen lyrischen Texten und einer modernen Präsentationstechnik diesen ehrwürdigen Schatz, für begrenzte Zeit, in einem anderen Kontext zu zeigen, um so die Sehgewohnheiten der Betrachtenden dahingehend zu verändern, dass sie mehr sehen. Durfte ich diesem Schatz meine Gedanken leihen und sie dann auch noch anderen zugänglich machen? Würde man mir nicht eventuell Zeitgeistmentalität vorwerfen können?

Immer wieder versuchte ich mich mit der Intention dieser Ausstellung zu beruhigen, diesem Schatz meine Worte zu leihen, damit in ihm mehr entdeckt wird als ein Schatz von außerordentlichem Wert und kaum überbietbarer Qualität. Immerhin bin ich berechtigt der Oberzeugung, dieser Schatz erschließe in seinen Ansichten Aussagen, die dem Menschen unserer Zeit Konkretes auf das eigene Leben bezogen sagen können. Auch meine bisher gemachte Erfahrung gab mir Recht. Denn jenen Menschen, denen ich diesen Schatz in seiner religiösen und lebensrelevanten Dimension erschließen durfte, sahen nun diesen Schatz mit anderen Augen, und sie entdeckten mehr als nur ein kunstvolles Kulturerbe. Schließlich aber gab mir der Schatz selbst die beruhigende Antwort auf meine mich verunsichernde Frage. Die Veränderungen, z.B. der Präsentation der Reliquien im Laufe der vergangenen Jahrhunderte, machen deutlich, dass immer wieder die aktuelle Lebenssituation und die daraus erwachsenen Sehgewohnheiten in der Gestaltung der Kunstwerke Berücksichtigung gefunden hatten. Nur aus dieser Tatsache heraus erklärt sich, dass eine Veränderung in der Präsentation der Reliquien auch in Aachen stattgefunden hat, und zwar von der verbergenden Darstellung der verehrten Reliquien hin zur sichtbaren.

In den sich wandelnden Zeiten wurde immer wieder versucht, den betrachtenden und verehrenden Menschen Brücken zu bauen, damit sie einen Zugang zu den Schätzen finden konnten.

In dieser Ausstellung verändern wir allerdings an den Exponaten nichts! Wir bauen einfache, zerbrechliche Brücken, auf denen der betrachtende Mensch eingeladen ist, diesen Kunstwerken zuzuhören, auch wenn die Worte ihnen nur geliehen und subjektiv sind […]. Diese Ausstellung allerdings erhebt nicht den Anspruch, dauerhaft neben und mit dem wohl bedeutendsten Kirchenschatz nördlich der Alpen ihre Zukunft zu verbringen. Diese Ausstellung und ihre Lyrik sind vergänglich und werden auch bald einfach wieder verschwinden […].

Zurück bleibt dieser alte Kirchenschatz in seiner gewohnten Art der Präsentation. Nur die Erinnerung einiger Besucher dieser Ausstellung wird Zeugnis: Da war doch mal was. Dann aber werden andere gerufen sein, diesem Schatz ihre Sprache und Zuneigung zu schenken.“

Reaktionen

Über 40.000 Besucher der Domschatzkammer hatten die Gelegenheit, sich im Rahmen ihres Besuches der Aachener Schätze auch von dieser Sonderausstellung ansprechen zu lassen.

Über diese Menschen nun in Zahlen zu erheben, was in ihnen bei der Betrachtung dieser Ausstellung vorgegangen ist, ist nicht möglich. Von den über 2000 in 50 Sonderführungen begleiteten Gäste aus Hamburg, München, Köln, Berlin, Frankfurt und Trier, um nur einige Orte zu nennen, können wir mehr sagen. Sie wollten sich ganz bewusst der Herausforderung dieser Präsentation stellen und gingen, so die unmittelbaren Rückmeldungen, ergriffen, bereichert, entdeckend, betroffen, erstaunt, dankbar und ermutigt nach Hause und mit ihnen Nachdenklichkeit.

Andere brachten ihrer Begeisterung in Briefen zum Ausdruck, so z.B. mit dem Hinweis: „Ich war nun schon über fünf Mal in Ihrer Ausstellung, immer mit anderen Bekannten, es lohnt sich einfach, schade dass diese Ausstellung zeitlich begrenzt ist.“ Viele Menschen sprachen mich an und wertschätzten im Besonderen die ansprechende Art, durch die diese Ausstellung die eigenen Sehgewohnheiten verändert hat.

Bei dem kleinen Festakt anlässlich der Beendigung der Ausstellung bemerkte der Leiter der Domschatzkammer, Dr. Georg Minkenberg: „Es macht immer etwas traurig, wenn wir eine Sonderausstellung wieder abbauen, aber uns bleibt ja noch das Buch, das zu dieser Ausstellung erschienen ist.“

monstrare

Für mich aber bleibt neben dem Buch „Schatzansichten“ und der Erinnerung an die eben geschilderten Veranstaltungen und Begegnungen die bleibende Provokation, gerade den vielen (Kunst-)Schätzen, die in Domschatzkammern aufgehoben werden, eine Stimme zu leihen, die den behutsamen Versuch darstellt, von diesen Schätzen mehr zu „haben“ als wir ihnen „ansehen“.

Enden möchte ich mit einem Text aus der Ausstellung „Schatzansichten“, den ich für die Monstranz des Hans von Reutlingen geschrieben habe. Diese Monstranz, wie auch jede andere, die in irgendeiner Vitrine in irgendeinem Museum dieser Welt ausgestellt wird, ist so präsentiert zum Symbol der eigenen Nacktheit und Funktionslosigkeit geworden, eben ein Kunstwerk.

monstrare

Edel anzuschauen
von Blicken gestreichelt
die ferne Schönheit zu berühren suchen
bist du doch leer und kalt
weil dir fehlt
was dein Körper
zu umfangen
geschaffen ist.

Schönster Leib
edel anzuschauen
mag dich streicheln
bist doch leer und kalt
wenn du durchschaut
nicht mehr als nur ein
Loch umgibst.

Edel anzuschauen
ist jeder Leib
gestreichelt
mehr zu bergen
als wir sehen:

Welch ein Mensch!

1 Stender, Christoph, Schatzansichten. Entfesselnde Wortschätze (Eupen 2001).

Erschienen in: Himmel auf Erden? Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des Vereins für christliche Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen e.V., hrsg. von Dominik M. Meiering und Karl Schein, Köln 2003. (S. 210-222)
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Hochschulpastoral und Kunst

Ein Vor-läufiges stolpern

Die Kirchen entdecken verstärkt seit einigen Jahren die zeitgenössische Kunst als neuen Habitus sakraler Bauten. So wandeln sich Kirchenräume für begrenzte Zeit in Ausstellungsflächen, mutieren zu Podien für Kunstaktionen oder bilden eine einzigartige Location für Performances. Künstler werden engagiert, um Altäre, Kirchenfenster und Amben zu gestalten, liturgisches Gerät herzustellen und Kaseln zu kreieren. Vordergründig scheint die Kirche mit der modernen Kunst Hand in Hand daherzukommen. Gerade die Hochschulpastoral, traditionsgemäß moderner Kunst zugewandt, investiert ebenfalls neue Kräfte in diesen Trend. Aber ist das alles deswegen schon Kunst, weil Kunst draufsteht, sie in Kirchen steht oder von Künstlern einfach angedient wird? Wird hier nicht auch manchmal moderne, zeitgenössische Kunst verwechselt mit Kunsthandwerk oder Illustrationskunst?

Passt oder gehört überhaupt moderne beziehungsweise zeitgenössische Kunst, die nie für einen Kirchenraum geschaffen wurde, in solch ein sakrales Ambiente, oder prostituieren sich da wechselseitig Künstler und Kirchen. Ist das die moderne Kunst der Kirche, mit der sie sich zu schmücken meint, die Funktionsgegenstände verziert, Altartische zu Blickfängen macht oder sich als Event in weihrauchgeschwängerter Weite präsentiert. Was haben zeitgenössische Kunst und Kirche, was haben zeitgenössische Kunst und Hochschulpastoral miteinander zu tun?

Diese Fragestellung ist also das primäre Anliegen meiner Ausführungen. Ich möchte Hochschulpastoral aber auch beziehen auf mittelalterliche Kunst, die in vielen Domschatzkammern einer mehr oder minder interessierten Öffentlichkeit dargeboten wird. Nicht nur mit Blick auf Studierende bin ich der Überzeugung, dass mittelalterliche Kunst, in einen sensibilisierenden Kontext gestellt, relevant sein kann für die Antwortsuche der Menschen heute auf seine drängenden Fragen.

Das Problem mit dem „Und“

Mein Anliegen ist es, mich mit dem Thema Hochschulpastoral und Kunst auseinander zu setzen und in nicht klar zu definierenden Gefilden Stellung zu beziehen.

Allein schon das Kopulativ „und“ zwischen den Substantiven Kunst und Hochschulpastoral lässt Spekulationen zu, die sich leicht als Stolpersteine entpuppen könnten. Verrät ein solcher Titel eventuell die Wiederkehr der Vereinnahmung der Kunst von Seiten der Kirche, die sie im 20. Jahrhundert doch endlich entgültig abgeschüttelt hat. Ist es nicht grundsätzlich ein Affront gegen die Kunst, sie mit einem „und“, und somit mit etwas anderem als sich selbst in Verbindung zu bringen, und sie so eventuell ihrer hochgelobten „Zweckfreiheit“ zu berauben?

Muss man nicht grundsätzlich konstatieren, dass der Begriff Hochschulpastoral, der doch auch etwas mit der Verkündigung der Frohen Botschaft, mit Glauben und auch mit sakralen Räumen zu tun hat, sich erfahrungsgemäß nicht wirklich auf Kunst beziehen kann, höchstens auf das religiöse Kunsthandwerk.

Ist die Hochschulpastoral eine Art Avantgarde von Kirche, die den Mut hat, gegen jeden Trend dem Weg zu einer vom Glauben an Gott (als Kirche) geprägten Kunstrichtung das Wort zu geben? Oder will sich Hochschulpastoral mit dem ausgeliehenen Fremdkörper Kunst schmücken, um ihre Begegnungsräume zu kleinen Musetempeln umzufunktionieren nach dem Motto: Kunst ist in, ob in Einkaufsgalerien, Bankhäusern oder Konzernetagen des Managements, warum denn dann nicht auch bei uns!

Soweit seien nur einige potentielle „Problemfelder“ und Fragestellungen angesprochen, die mit dieser Themenstellung assoziiert werden könnten. Aber damit nicht genug. Nähern wir uns dem Wort Kunst als einem Begriff, der im Gegensatz zu einem Synonym für all das steht, was gewollt aber nicht gekonnt wurde, dann stellt sich die Frage: Was ist eigentlich Kunst jenseits subjektiver Festlegung?

Was ist Kunst

Im Folgenden möchte ich zuerst an Hand einiger Nachschlagewerke erste Schwierigkeiten aufzeigen, die das Problem einer verbindlichen Definition des Begriffes Kunst anzeigen. Darauf folgen Aussagen von namhaften Künstlern zum Begriff der Kunst, die Befassung mit einer Sammlung zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, und die Anleihe eines Aspektes kunstphilosophischer Betrachtung, um dann diese Anregungen in einen stolpernden Annäherungsversuch an die Kunst, so wie ich sie gelernt habe, sie zu verstehen, münden zu lassen.

Nachgeschlagen

Im Herder Konversationslexikon von 1905 heißt es zum Stichwort Kunst u. a.: „Kunst (v. können), urspr. jede geschickte und verständnisvolle Betätigung irgend eines Könnens (…) später nam. für die höheren geistigen Tätigkeiten gebraucht (z. B. für die 7 ‚freien Künste‘); seit dem 18 Jh. insbes. für die schönen1 Künste: die planmäßig geübte Bildung schöner Formen zur Weckung ästhetischer Freude. Diesen Zweck erreicht die K. durch verklärende Nachahmung ästhetische reizvoller Naturformen, aber auch durch völlige Neuschöpfung der Phantasie. Die Darstellung des Schönen ist beherrschender Zweck des K.schaffens. (…) Die K. als Selbstzweck (l’art pour l’art), d.h. ohne Rücksicht auf innere Zweckbeziehung u. ethischen Inhalt, ist sachlich unhaltbar und geschichtlich widerlegt (…)“.2

Die Spur, die diese Definition in das beginnende 20. Jahrhundert hinein zieht, legt Wert darauf, den Kunstbegriff mit „Nachahmung ästhetischer reizvoller Naturformen“ zu verbinden, aber lässt auch die „völlige Neuschöpfung der Phantasie“ zu und betont gleichzeitig die Darstellung des Schönen in der Kunst. Eindeutig weist diese Ausführung den reinen Selbstzweck der Kunst zurück. Die stärkste Betonung dieser kurzen Ausführung liegt jedoch auf dem dreimal aufgeführten Begriff: das Schöne.

Die folgenden zwei Artikel sprechen ohne jedwede Qualifizierung der Kunst von dem „durch das menschliche Können Geschaffene“. Wobei der „Kluge“ noch zu betonen sich anschickt, dass die Einengung auf künstlerische Betätigung eine Entwicklung erst seit dem 18. Jahrhundert sei.

So definiert das Fremdwörterbuch von Duden : „Artefact, das: 1. das durch menschliches Können GeschaffeneKunsterzeugnis. 2. Werkzeuge aus Vorgeschichtlicher Zeit, das menschliche Bearbeitung erkennen lässt.“3

Ähnlich führt der Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, an: „Kunst f.(<9. Jh.). Mhd. kunst, ahd. kunst, as. kunst, kust; wie afr. kunst ein ti-Abstraktion mit Übergangslaut s zu können. Die Einengung auf künstlerische Betätigung und auf den Gegensatz zu Natur ist erst seit dem 18. Jh. ausgeprägt…“4

In allen drei Definitionen finden sich zwei dominante Begrifflichkeiten: Das Schöne, und das durch Können Geschaffene.

Das „Große wissen.de“, ein Bertelsmann Lexikon auf CD Rom, definiert etwas umfangreicher und so weitergehend, auch das Unklare benennend:

„Kunst, im weiteren Sinn ist die Anwendung angeborener oder erworbener Fähigkeiten in hoch entwickelter, spezialisierter Form als „Können“ oder Kunstfertigkeit und das Resultat dieser Betätigung (Kunstwerk), sofern es durchschnittliche Leistungen übersteigt; im engeren Sinn jedes schöpferisch-ästhetische Gestalten und dessen jeweiliges Ergebnis auf den Gebieten der einzelnen Kunstarten und -gattungen. Genauere Definitionen, besonders über das Wesen dieses ästhetischen Schaffens, sind schwierig, da sie von der Beantwortung einer Reihe von Vorfragen abhängen, die die Wurzeln des künstlerischen Tuns, die Definition des Schönen, die Aufgabe der Kunst u. Ä. betreffen. Diese Vorfragen wurden in allen Epochen aufgrund der unterschiedlichen Anschauungen vom Wesen des Menschen verschieden beantwortet (Kunstphilosophie). (…) Die moderne Anschauung ist uneinheitlich: Infolge der Erweiterung des Kunstbegriffs (u. a. durch J. Beuys) sind allgemeinverbindliche Aussagen nicht möglich. Die Gliederung der gesamten Kunstausübung richtet sich einmal nach den Gestaltungsmitteln, mit denen sich der Künstler äußert (z. B. Tonkunst oder Musik, die darstellenden und ausdeutenden Künste des Schauspielers, des Musikers, des Tänzers u. a.), zum andern nach dem Zweck der Kunst (Gebrauchskünste: Architektur, Gebrauchsgrafik, Gartenkunst, Kunstgewerbe; die freien Künste: Malerei, Literatur, Musik).“5

Wesentlich in dieser Ausführung ist die Feststellung, dass Kunst schwierig zu definieren sei, und dass die zeitgenössische Anschauung der Kunst, das Wesen ästhetischen Schaffens, uneinheitlich ist auf dem Hintergrund eines erweiterten Kunstbegriffes. Aber auch diese Ausführungen sprechen das Können und das Schöne an.

Im „Kunstwerk“ festgehalten lässt sich unter dem Strich festhalten: Die zum Beispiel allgemein als Kunstwerk anerkannte „Nachtwache“ von Rembrandt aus dem Jahre 1642 bleibt genauso ein Kunstwerk wie der zwischen 1165 und 1215 geschaffene romanische Schrein Karls des Großen. Die moderne und zeitgenössische Kunst allerdings hat Werke hervorgebracht, die den „klassischen“ Kunstbegriff weiten, und die so nicht mehr einzig „zu messen“ sind an den Kriterien, die die „Nachtwache“ Rembrandts und den Schrein Karls des Großen zur Kunst erhoben.

Künstlerworte

Bei den folgenden „geflügelten Worten“ namhafter Künstler rückt ein weiterer Begriff in den Vordergrund:

„Das Kunstwerk ist das allergrößte Rätsel, aber der Mensch ist die Lösung.“ (J. Boys 1985)

„Ich kenne noch keine bessere Definition für das Wort Kunst als diese: Kunst, das ist der Mensch!“ (V. van Gogh 1879)

„Die Kunst ist die herrlichste Mission des Menschen, da sie die Ausübung des Denkens ist, das versucht die Welt zu ergreifen und sie uns begreifbar zu machen.“ (A. Rodin)

„Der Künstler sollte, als Schöpfer, das ausdrücken, was ihm persönlich ist, alsMensch seiner Zeit, was seiner Epoche eigen ist und als Diener der Kunst, was generell der Kunst eigen ist“. (W. Kandinsky)

In diesen Formulierungen korrespondiert der Mensch unübersehbar mit der Kunst als Lösung der Kunst (Boys), als Definition von Kunst (van Gogh), Kunst als des Menschen Mission zu begreifen (Rodin) und der Mensch (Künstler) als Diener der Kunst. Diese Andeutungen reichen, um zwischen dem Menschen (nicht nur als Künstler sondern auch als „Betrachter“) und der Kunst eine nicht genauer definierte Interdependenz anzunehmen.

Ein vor-sichtiges Resümee

„Solch ein kurzer Aufriss (…) des Kunstbegriffes macht deutlich, wie schwer heute Kunst zu definieren ist. War die Kunst bei Aristoteles kurz gesagt eine Nachahmung der Natur – und auf diesem Weg etablierte sich später das Kriterium für die Kunst, die Schönheit nach dem Vorbild der Natur – so kann heute Kunst nicht mehr eindeutig begriffen werden. Kunst zielt nicht mehr nur darauf ab, das Schöne, Vollkommene, herauszustellen, sondern Sichtweisen auf unsere Existenz zu finden, darzustellen oder anzuregen, die bisher nicht selbstverständlich gewesen sind.“6

Anmerkung: Mit diesen fragmentarischen Ausführungen wollte ich auch den letzten namenlosen Verfechter einer (subjektiv) eindeutigen Kunstdefinition einladen, mit einem nicht mehr zu klärenden Kunstbegriff leben zu können. Aber auch so manchem, dem die Erkenntnis dieser allgemeinen Ausführen schon längstens vertraut sind, möchte ich zu Gunsten eines breiten Kunstverständnisses die möglichen eigenen Kunstvorlieben als eben nur Vorlieben vor Augen halten.

(K)Eine Ahnung von Kunst

Im Vorwort zu „Art at the Turn of the Millennium“ schreiben Uta Grosenick und Burkhard Riemschneider:

„Mit ‚Art at the Turn of the Millennium‘ liegt zum ersten mal ein Buch vor, das die wichtigsten Künstler der achtziger und neunziger Jahre vorstellt. Auf den vorliegenden 576 Seiten präsentieren wir 137 unterschiedliche künstlerische Positionen anhand von über 1200 Abbildungen (…). Wenn in ‚Art at the Turn of the Millennium‘ von zeitgenössischer oder Gegenwartskunst die Rede ist, so meinen wir Künstler, deren bisheriges Gesamtwerk – mit wenigen Ausnahmen – nicht älter als zwanzig Jahre ist, also immer noch einer Entwicklung unterliegt. (…) Die Linse, durch die wir die letzten zwei Jahrzehnte Kunstschaffen betrachten, ist nicht rückwärts, sondern nach vorn, ins nächste Jahrtausend gerichtet. ‚Art at the Turn of the Millennium‘ will die achtziger Jahre nicht historisierend darstellen, sondern deren vielfältige Einflüsse auf die Künstler der neunziger Jahre verdeutlichen. In der Aufarbeitung vergangener Positionen haben diese ein neues künstlerisches Vokabular geschaffen. Wir möchten dem Leser eine Ahnung davon geben, was in den nächsten zehn Jahren auf der Plattform der Kunst passieren kann. An dieser Stelle weisen wir darauf hin, dass wir keine Trends kreieren, sondern bereits vertretene – und seien es auch ganz junge – Positionen vorstellen wollen. Dabei spielen die Galerien, die heutzutage weitgehend die Funktion von Vermittlung neuer Tendenzen übernommen haben, eine zentrale Rolle. Die beschriebenen Richtungen orientieren sich an einer Öffentlichkeit und damit auch an einem – nicht zu ignorierenden – Kunstmarkt. Grundsätzlich haben wir von vornherein in unserer Darstellung auf Wertungen und Einordnungen verzichtet. Dies entspräche einer Betrachtungsweise, die sich mit abgeschlossenen kunsthistorischen Epochen befasst. (…)“7

Dieser Artikel sprich von unterschiedlichen künstlerischen Positionen, von noch nicht abgeschlossenen Gesamtwerken künstlerischen Schaffens, von dem Einfluss der (hier) achtziger Jahre auf das Schaffen der Künstler in den neunziger Jahren, von einem neuen künstlerischen Vokabular aus der Aufarbeitung vergangener Positionen entstanden und von der Ahnung dessen, was in den nächsten 10 Jahren auf der Plattform der Kunst passieren kann. Selbst den Galerien wird eine zentrale Rolle in der Vermittelung neuer Tendenzen in der Kunst zugestanden. Kunst scheint sich irgendwie auch an einer Öffentlichkeit zu orientieren und somit an einem „nicht zu ignorierenden Kunstmarkt“. Auf Wertungen und Einordnungen der hier präsentierten Kunstwerke wird bewusst verzichtet und diese den Kunsthistorikern überlassen, so die Autoren.

Kunst scheint grenzenlos zu werden (geworden zu sein), ohne verbindliche konstituierende Merkmale, frei von zu habenden und handhabbaren Kriterien. Kunst ist einfach da. Das vermeintlich Schöne spielt schon längst keine qualifizierende Rolle mehr. Wer behauptet „Kunst kommt von Können“ begibt sich in den Argumentationsnotstand. Kunst ohne den Menschen ist allerdings nicht vorstellbar. Wer sollte sonst auch hinschauen auf das, was geschaffen wurde!

EIN Minimum

Als eine Minimal-Definition eines erweiterten Kunstbegriffes versucht Reinhold Schmücker, mit Blick auf eine anzunehmende Funktion der Kunst, einen Aspekt herauszustellen, der wie jeder andere Versuch einer fragmentarischen Definition auch streitbar bleiben wird.

„Allen Kunstwerken gemeinsam ist zunächst die Funktion, eine ästhetische Erfahrung hervorzurufen. Ich nenne die Funktion die ästhetische Funktion der Kunst. Unter einer ästhetischen Erfahrung verstehe ich dabei jede kontemplative, auf einen bestimmten Wahrnehmungsgegenstand gerichtete Aufmerksamkeitskonzentration, die um die Gewahrung der Eigenheit dieses Gegenstandes willen erfolgt. (…) Dass jedes Kunstwerk eine ästhetische Erfahrung hervorzurufen vermag, wird nämlich auch derjenige zugestehen, der meine Explikation einer solchen Erfahrung für unzulänglich hält. Weil die Kunst die ästhetische Funktion mit anderen Gegenständen sinnlicher Wahrnehmung, beispielsweise mit der ästhetischen Natur, teilt, ist diese Funktion, obschon sie allen Kunstwerken eignet, für die Kunst nicht konstitutiv. Anders verhält es sich mit einer speziellen ästhetischen Funktion, die man alskunstästhetische Funktion bezeichnen kann, weil sie auf die Eigentümlichkeit der ästhetischen Erfahrung von Kunstwerken Bezug nimmt. Die ästhetische Kunsterfahrung unterscheidet sich nämlich von der ästhetischen Erfahrung anderer Sinnesdinge dadurch, dass sie in ein Verstehen einmünden kann und will. Die kunstästhetische Funktion, eine ästhetische Erfahrung hervorzurufen, die in ein Verstehen einmünden kann und will, ist deshalb für Kunst konstitutiv. Jedes Artefakt, das sie besitzt, ist ein Kunstwerk, wohingegen ein Artefakt, das sie nicht besitzt, kein Kunstwerk sein kann. (…) Der Besitz der allgemeineren ästhetischen Funktion, die von der kunstästhetischen Funktion impliziert wird, ist dagegen nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Zugehörigkeit eines Artefakts zur Klasse der Kunstwerke.“ 8

Die Kernaussage dieser Ausführungen bezieht sich auf die spezielle kunstästhetische Funktion, die eine ästhetische Erfahrung hervorzurufen in der Lage ist, die in ein Verstehen einmünden kann und will. Anders formuliert: Die spezielle kunstästhetische Funktion, die eine allgemeinere ästhetische Funktion impliziert, ist mehr als eine allgemeine Ästhetik die z. B. „Bewunderung“, kontemplatives Verweilen, schöne Anschauung und konzentriertes Eingenommensein hervorruft. Die spezielle kunstästhetische Funktion lässt den Betrachtenden „stolpern“. Oder etwas pointierter formuliert: Kunst ist das gewollte Komma nach dem selbstgesetzten Punkt.

Die Kunst zum Stolpern

Kunst ist nicht mehr nur schön und zeichnet sich auch nicht mehr nur durch ein an Kriterien zu messendes Können aus. Kunst hatte immer das Interesse etwas zu bewirken, z. B. im Staunen über das Schöne zu verharren. Ein erweiterter Kunstbegriff impliziert auch den Anspruch der Wirkung, aber in dem Sinne eines über das Kunstwerk hinausgehende Verstehen.

Kunst muss zum „zweiten Stehenbleiben“ einladen und auffordern. Aber nicht nur in der reinen Anschauung des Geschaffenen, als die Hinnahme ihres Vorhanden seins, sondern auf Grund des Augenblickes inneren Stolperns im Sinne der „speziellen kunstästhetischen Funktion“ (R. Schmücker), die mehr zu verstehen zeigen möchte als ihr anzusehen ist.

Ein nur Vordergründiges über die Äußerlichkeiten des Kunstwerkes Stolpern bedeutet, dass der Betrachtende bei seinen Wahrnehmungen wie Anmut, Aufruhr, Ablehnung, Begeisterung, Enttäuschung, Protest, Ekel, Harmonie, Schönheit, Kritik oder Entsetzen im Schauen auf das Kunstwerk verharren will, darüber hinaus aber die Einladung des Kunstwerkes zur Einlassung bewusst verweigert.

Stolpern heißt den ersten potentiellen Sturz aushalten zu wollen, der mich vom sich annähernden Betrachtenden zum Angeschauten werden lässt. Erst die Anziehung des Kunstwerkes und die Annäherung des Angezogenen lässt erahnen, „was“ innehalten lässt und gleichzeitig weiterführt.

Der subjektiv wahrgenommene äußere Grund des Stolperns kann z.B. im Material, der Technik, der Bewegung, der Zuordnung, der Verfremdung, der Überraschung. der Raumwirkung, der Ausmaße, der Akustik eines Werkes begründet sein. Diese aber lassen sich auch nicht objektiv kategorisieren.

Stolpern, Kriterium für ein Kunstwerk

Die Intention dieses Stolperns ist das sich fallen lassen wollen, also ein Fall (ein Ein-fall). Dieses Fallen verstehe ich als ein „heraus-fallen“ aus der eigenen momentanen Ich – Befindlichkeit, aus Gewohnheiten, Sicherheiten, vorläufigen Erkenntnissen, Gewissheiten, Selbstwahrnehmungen, Urteilen, und Sichtweisen. Das Ziel dieses so verstandenen Heraus-fallens ist, da anzukommen, wo ich noch nicht bin und auch noch nicht war.

Kunstwerke laufen Niemandem hinterher, aber sie können dem Betrachtenden nachgehen. Er entscheidet dann selbst (mit unter in Sekunden), ob er dieses vom Kunstwerk ausgehende Stolpern aushalten möchte und sich in seiner momentanen Selbstbefindlichkeit dem stellt, was ihn hat stolpern lassen, oder ob er sich vom Kunstwerk abwendet und sich so unberührt gibt.

Der „Heraus-fall“ des Betrachters, wenn er in diesem Sinne auch bereit ist zu stolpern, weist über sein „eben-noch-so-gewesen-Sein“ hinaus.

Kunst, die nicht den Anspruch von sich erhebt, Grund des Stolperns zu sein, Kunst die die Kraft zur Veränderung in sich nicht angelegt wissen will, die keine Anfrage ist, nichts in Frage stellt und keine Frage wert ist, ist fragenlose Kunst und somit in meinen Augen fraglos keine Kunst.

Kunstwerke müssen den Betrachter zum stolpern bringen, das ist ihre Intention, die sie zum Kunstwerk macht und werden lässt und ein sie qualifizierendes Merkmal.

Ein Kunstwerk markiert den Punkt seines Daseins aus sich selbst heraus, so wie der Punkt hinter einem abgeschlossenen Satz seinen Abschluss markiert. Gleichzeitig setzt das Kunstwerk aus sich heraus das Komma, das über das Dasein des Kunstwerkes hinaus führen will, so wie das Komma in einem Satz seinen Fortgang markiert. Das Kunstwerk ist der Ineinsfall von „Punkt und Komma“.

Kunstwerke existieren neben anderen Kunstwerken. Gemeinsam kann ihnen ein gleicher Anspruch sein. Kein Kunstwerk allein birgt in sich die Potentialität, den Betrachter endgültig in die Antworten auf all seine lebensrelevanten Fragen heraus stolpern zu lassen.

Leben, wenn es denn als Lebendigkeit gespürt werden will, bleibt ein stolpern wollen (auf die Kunst bezogen) und ein stolpern müssen (auf einschneidende Lebensrealitäten bezogen). Das Kunstwerk birgt (verbirgt) die Sehnsucht des Menschen, hinter dem letzten Stolpern in den großen Sturz nicht bodenlos zu fallen und sie „verkörpert“ die Ahnung dessen.

Was ist Hochschulpastoral

Hochschulpastoral ist ein Tätigkeitsfeld der Seelsorge einer jeden Diözese, dass angesiedelt ist an den Standorten der Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen. Sie zählt nicht explizit zu den Aufgaben einer Pfarrgemeinde. Hochschulpastoral ist den Aufgabenfeldern der sogenannten kategorialen Seelsorge auf Bistumsebene zugeordnet, die sich z.B. auch an Senioren, Gefangene, Angehörige des Militärs, Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, Kranke und Behinderte wendet.

Damit ist aber nicht intendiert, dass diese Personengruppen nicht auch eine Beheimatung in der sogenannten territorialen Seelsorge finden könnten, die auf ein bestimmtes Territorium bezogen eine Pfarrgemeinde ist. Kategoriale Seelsorge ist die die über Pfarrgemeinde hinausgehende Präsenz der Kirche (eines Bistums) in unserer Gesellschaft, die auf Zielgruppen bezogen ist. Dabei steht nicht die Verortung im Vordergrund, sondern die besondere Lebenssituation.

Worte der Bischöfe

In der Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls zur Präsenz der Kirche an den Universitäten und in der universitären Kultur von 1994 wird die Hochschulpastoral als eine besondere Sorge der Bischöfe (Ortsordinarien) hervorgehoben.

Das zweite Vatikanische Konzil hat in seiner Erklärung über die christliche Erziehung „Gravissimum educationis“ eine grundlegende Erklärung zur Hochschulpastoral abgegeben und die Bischöfe beauftragt, für die Hochschulpastoral Sorge zu tragen:

„Weil das Schicksal der Gesellschaft und der Kirche selbst mit der Entwicklung der Hochschulstudenten sehr eng verbunden ist, sollen die Oberhirten der Kirche nicht nur für das geistliche Leben der Studenten an katholischen Universitäten Sorge tragen; sie sollen vielmehr, um die geistliche Bildung aller ihrer Söhne besorgt, nach sachdienlichen Beratungen der Bischöfe darauf achten, dass auch an nichtkatholischen Universitäten katholische Studentenheime und Universitätszentren errichtet werden, in denen sorgfältig ausgewählte und vorgebildete Priester, Ordensleute und Laien der studierenden Jugend dauernde geistliche und geistige Hilfe bieten.“ 9

Der Beschluss der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland von 1976 betont auch die vordringliche Bedeutung der Hochschulpastoral: „Die Hochschulpastoral gehört zu den vordringlichen Aufgaben der Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Daher ist die Arbeit der Hochschulgemeinden zu unterstützen. An der Hochschule verwirklichen die Hochschulgemeinden die Grundfunktionen der Kirche: Glaubensdienst (Verkündigung), Gottesdienst (Liturgie) und Bruderdienst (Diakonie). Es ist ihre Aufgabe, diese in ihrem vollen Umfang zum Maßstab ihrer pastoralen Tätigkeit zu nehmen“. 10

Weiter betont die Synode in ihrem Beschluss „Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich“ unter dem Titel „8. Zur Hochschulbildung und Hochschulpastoral“, dass die Hochschulgemeinden allen, die im Bereich der Hochschule lehren und lernen, umfassend Hilfe leisten soll. Es ist ihre Aufgabe Lehrende und Lernende im Gespräch zu verbinden, Konflikte zu lösen und ihre Mitglieder und Arbeitsgruppen zu verantwortlicher Übernahme von Aufgaben in den Gremien der Hochschule und bei persönlichen wie sozialen Hilfeleistungen zu ermutigen.

Dabei erwartet die Synode von den Hochschulgemeinden, dass sie ihre Arbeit mit Blick auf alle die im Bereich der Hochschule tätig sind gestaltet. Die Bemühungen der Hochschulgemeinden dürfen nicht auf einzelne Gruppen eingeengt werden, sondern müssen alle freien Initiativen und Formen von Zusammenschlüssen berücksichtigen. Auch politische Verantwortung in Hochschule und Gesellschaft ist den Hochschulgemeinden nicht abzusprechen. Einseitige Parteinahmen, so wünscht die Synode, sollen dabei allerdings vermieden werden.

Der kirchliche Auftrag zur Hochschulpastoral wird immer im Kontext der jeweiligen Zeit wahrgenommen. Die Situation der Kirche und der Gesellschaft, die Lage der Studierenden und die Situation der Hochschulen, die öffentliche Meinung und das, was manchmal als „geistige Großwetterlage“ bezeichnet wird, bestimmen wesentlich die Hochschulpastoral mit.11

Soweit einige grundlegende Aspekte der Hochschulpastoral aus der Sicht kirchlicher Dokumente.

Grundvollzüge

Die hier angesprochenen Aspekte zusammengefasst, auf dem Hintergrund der Grundvollzüge christlichen Lebens, lauten: Hochschulpastoral im Kontext globalen Wandels, als die identifizierbare „Präsenz der Kirche an den Hochschulen“, ist ein zentraler Auftrag der Kirche, der als ein Angebot alle in den Hochschulen Handelnde erreichen möchte.

Diese Präsenz bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf die katholischen Studentinnen und Studenten, obwohl sie diese auch in besonderer Weise anzusprechen sucht. Hochschulpastoral will die Lebenssituationen und Lebensbedingungen der Studierenden, die Bedingungen des Studiums, das interreligiöse und interkulturelle Miteinander der in die Hochschullandschaft Involvierten, Forschung, Wissenschaft, und Lehre, sowie die über das Studium hinaus persönlichkeitsbildende Qualifizierungen in den Blick nehmen.

Im Mittelpunkt der Hochschulpastoral steht der Studierende. Er ist, egal welcher Fachrichtung, Nationalität und Religion er sich zuordnet, erster Ansprechpartner pastoralen Handelns. Fundament hochschulpastoralen Handelns, im Sinne der Sorge um das gelingende Leben der an den Hochschulen Tätigen, ist die befreiendende Botschaft Gottes, die uns in Jesus Christus geoffenbart worden ist.

Das Evangelium nach Johannes formuliert diese Botschaft Jesu: „(…) ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10, 10b).

Dieses Gotteswort findet seinen Ausdruck im Menschenwort: in der Beratung und Begleitung von Studierenden und Lehrenden, durch die Feier der Liturgie, in unterschiedlichen Formen der Interaktion zwischen den Religionen, Kulturen und Traditionen, in finanzieller Unterstützung von in Not geratener Studierender, in gemeinsamer Freizeitgestaltung, in einer aktiven Mitverantwortung füreinander, durch die Einmischung in hochschulpolitische und gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse sowie in einer partizipativen Anteilhabe an Entscheidungsprozessen.

Die Option für „Randgruppen“, Benachteiligte, und Vergessene ist für die Hochschulpastoral genauso eine Herausforderung, wie ihre ethische und soziale Einlassung in Forschung, Wissenschaft und Lehre.

Studierende, die nach ihrem Studium in der Regel Entscheidungsträger an den Schaltstellen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Handelns sind, benötigen Lern- und Orientierungsfelder eines gerechten, wertschätzenden und qualifizierenden Miteinanders. Dazu bedarf es einer facettenreichen Persönlichkeitsbildung, zu der u. a. auch die Fähigkeit zu einem interkulturellen Konfliktmanagement gehört sowie ein bodenständiges Selbstwertgefühl.

Als kirchliche Einrichtung, mit Blick auf die zukünftigen beruflichen Tätigkeiten der Studierenden, leistet die Hochschulpastoral einen Beitrag zur interkulturellen, interreligiösen und international geprägten Persönlichkeitsbildung Studierender. Diese anspruchsvolle Anteilnahme an der Entwicklung der Persönlichkeit junger Akademikerinnen und Akademiker kann nur dann gelingen, wenn die Kirche ihre Botschaft einbringt, und somit sich selbst nicht verleugnend auf Grund ihrer Kompetenz dazu beiträgt, dass die Studierenden Beheimatung auch in ihrer eigenen Kultur und Religion (wieder-) finden.

Problemanzeige und Herausforderung

Hochschulpastoral ist von der Kirche ausdrücklich gewollt. Die Kirche wird in unserer Gesellschaft oft aber sehr kritisch bis ablehnend bewertet, und davon bleibt die Hochschulpastoral als Institution der Kirche nicht unberührt.

„Grundlage der Hochschulpastoral aber muss ihre Identifizierbarkeit sein, als ein von der Kirche gewolltes und verortetes Angebot frei von jedem Etikettenschwindel! Aber bisher stößt die Hochschulpastoral auf ein kaum auszurottende Problem. Es gibt in einer breiten Öffentlichkeit das tradierte Bild einer katholischen Kirche, die sich zurückgewandt, introvertiert, unzeitgemäß und arrogant zeigt. Dieses in sich unreflektierte Bild wird in der Regel 1:1 auf die Einrichtungen der Hochschulpastoral übertragen. Näheres Hinschauen führt häufig zu der Erkenntnis, dass dieser Imagetransfer, wenn er in sich denn überhaupt berechtigt ist, auf die Einrichtungen der Hochschulpastoral im Regelfall nicht zutrifft.

Angesichts dieser Erfahrung erscheint es sinnvoll, die Tätigkeitsfelder der Hochschulpastoral in Zukunft noch transparenter zu machen. Eine an sich „fixe Idee“ von einer nutzlosen Kirche in den Köpfen vieler Studentinnen und Studenten sowie Hochschulangehöriger führt zu einem Zerrbild.

Dem ist nachhaltig nur dann etwas entgegenzusetzen, wenn sich Kirche kompetent, selbstbewusst und in ihrer Intention klar präsentiert. Diese Intention wird idealerweise nachvollziehbar in ihren Priestern, den hauptamtlichen Laien und in den verschiedenen Aufgabenfeldern der Hochschulpastoral“12

Hiermit habe ich ein sehr grobes Profil der Hochschulpastoral aufgezeigt, um mit Blick auf mein Thema, die Grundzüge der Hochschulpastoral nicht der Beliebigkeit allgemeiner Vermutung zu überlassen, sondern ihre Dimensionen zumindest anzudeuten.

Das Problem der Identitätsbejahung von Hochschulpastoral in Kirche (als Kirche) und der kritischen Außenansicht von Kirche und somit auch der Hochschulpastoral, habe ich bewusst an das Ende dieser Ausführungen gesetzt. Dieses Problem setzt sich weiter fort zwischen den zeitgenössischen Kunstschaffenden und den zeitgenössischen Vertretern der Kirche. Die „Kirche“ schaut mit Vorbehalten auf zeitgenössische Kunst, so, wie die „Kunst“ mit Vorbehalten auf die zeitgenössische Kirche schaut.

Hochschulpastoral und Kunst

Aus der Mitverantwortung der Hochschulpastoral für die studentischen Lebenskulturen und die Persönlichkeitsbildung der Studierenden, erwächst ihr natürliches Interesse besonders an zeitgenössischer Kunst.

Die Kunst hat die Kraft, für die Sehnsucht der Menschen zu sensibilisieren und sie zu vergegenwärtigen, in einer von Technik, Wirtschaft und Kommunikation dominierten Welt. Kunst reflektiert den Umgang der Menschen untereinander und mit ihrer Umwelt. So konfrontiert Kunst die Menschen mit unbekannten Sichtweisen. Kunst provoziert, die ganze Wahrheit des Menschen auszuhalten (auch in den kleinen Fragment des noch nicht Wahrgenommenen auf das ein Kunstwerk verweisen kann) und nicht nur die seiner Nutzbarkeit. Kunst weitet den Blick auf die Realität hin und macht sich so zur Anwältin der Komplexität menschlichen Daseins.

Besonders in der Phase des Studierens und sich Orientierens steht der Studierende vor der Frage, welche Ziele er in seinem Leben anstreben möchte, beziehungsweise wie sein Leben gelingen kann. Eine sich ständig beschleunigende Zeit macht die Sehnsucht des Menschen nicht vergessen, ein erfüllendes Leben sein eigen nennen zu dürfen. Entscheidende Weichen für ein gelingendes und erfülltes Leben der Studierenden werden in dem Lebensabschnitt des Studiums gestellt. Die Zeit des Studiums ist aber auch ein Chance, für die Mitverantwortung an dem Gelingen des Lebens anderer sensibilisiert zu werden. Gerade für zukünftige Führungskräfte sollte dies ein sie qualifizierender Habitus sein.

In der Begegnung – gerade mit zeitgenössischer Kunst – sehe ich die Herausforderung, sich mit dem eigenen Leben konfrontieren zu lassen im Sinne eines Stolperns.

Der Sinn dieses Stolperns, wie oben ausgeführt, ist das sich-fallen-lassen-wollen, ein-sich-loslassen auf etwas – möglicherweise – nicht Vertrautes hin. Dieses Fallen verstehe ich als ein „heraus-fallen“ aus der eigenen momentanen Ich-Befindlichkeit, aus Gewohnheiten, Sicherheiten, vorläufigen Erkenntnissen, Gewissheiten, Selbstwahrnehmungen, Urteilen, und Sichtweisen. Das Ziel dieses so verstandenen „heraus-fallens“ ist, da anzukommen, wo ich noch nicht bin.

Gerade in der Phase der oft hoch spezialisierten Wissensvermittlung und der ihr entsprechenden Wissensreflexion, sowie der Lebensorientierung Studierender ist dieses Stolpern, in der Auseinandersetzung mit moderner Kunst, nicht als eine zusätzliche Irritation zu diskreditieren. Dieses Stolpern ist eine Chance für den Studierenden sich seiner eigenen Lebenssituation, der Sehnsucht seines Lebens, so wie er es in sich spürt und seines Lebensentwurfes mit offenem Ausgang, zu vergewissern. Auch hier gilt: Leben, wenn es denn als Lebendigkeit gespürt werden will, bleibt ein stolpern wollen (auf die Kunst bezogen) und ein nicht anders können als stolpern zu müssen (auf einschneidende Lebensrealitäten bezogen). Das Kunstwerk birgt (verbirgt) die Sehnsucht des Menschen, hinter dem letzten Stolpern in den großen Sturz nicht bodenlos gefallen zu sein und sie „verkörpert“ die Ahnung dessen.

Kunst, Glaube – Künstler, Kirche

Kunst ist die Auseinandersetzung mit dem Leben in all ihren Dimensionen. Die Kunst kann, den Glauben bewusst in den Blick nehmend, eine nicht zu domestizierende Reformation der göttlichen Offenbarung sein, die in Jesus Christus Fleisch angenommen hat. Kunst hat die Kraft eine Rückschau auf den sich in Jesus Christus offenbarenden Gott zu sein, und so eine Vorausschau auf ein sich wandelndes Leben aus dem Glauben an Gott in Jesus Christus. So ist Kunst auch eine Reflexion des christlichen Glaubens und deren Ausdrucksformen.

Da sich Kunst aber nicht an die Kette legen lässt und ihre Reflexion oft auch sehr kritisch ist wird sie bei denen als ein Dorn im Auge empfunden, die Glauben nur institutionalisiert denken können. Die Institution Kirche aber ist nicht die Wächterin über die moderne Kunst. Im Gegenteil sollte die Institution Kirche wach sein für die künstlerische Wahrnehmung, die oft sehr berechtigt ein Stolperstein ist.

Die Kunst hat aber auch eine ganz klare Grenze, da sie Glauben, das Religiöse, die christliche Offenbarung nicht definieren kann. Das Bild kann mir das Geheimnis der Auferstehung Christi eindrucksvoll vor Augen führen, es kann mich emotional einnehmen ja sogar die Kraft meines Glauben stärken, nie aber diese und andere Wahrheiten des Glaubens umgrenzen.

Auch wenn es in den vergangenen 30 Jahren eine langsamen Annäherung von Kunst und Kirche gegeben hat, die nach dem Krieg von Romano Guardini mitangestoßen wurde, so gibt es noch so manchen zeitgenössischen Künstler der einsehen muss, dass eine permanente Beschimpfung der Kirche weder der Kommunikation zwischen der Kunst und der Kirche dient, noch der Kirche selbst gerecht wird. Auch die Kirche hat sich aus vielen Verkrustungen vergangener Zeiten gelöst, aber um diese Entwicklungen wahrzunehmen müsste der Kritiker sich die Kirche wieder neu anschauen und nicht ein oft fremd produziertes Negativbild von Kirche, heroisch aber unreflektiert, vor sich hertragen.

Hochschulpastoral begegnet der Kunst

Wie begegnet die Hochschulpastoral, wie begegnen Studierende als Adressaten der Hochschulpastoral der Kunst, und wie begegnen die Künstlerinnen und Künstler der Hochschulpastoral? Eine solche Begegnung kann nur vorurteilslos und angstfrei gelingen. Darüber hinaus dürfen weder die Kunstschaffenden noch die Hochschulpastoral (Kirche) den jeweils anderen instrumentalisieren. Künstler sollten der Kunst dienen und so dem Menschen. Sie dienen nicht der Institution Kirche, sondern dem Leben der Menschen, die im Kontext der Hochschulpastoral ihrer Kunst begegnen. So leisten die Künstler durch ihre Kunst in der Institution Kirche dem Menschen einen Dienst. Kunstschaffende bewegt der Mensch, und der bewegt ihre Kunst, die Menschen bewegen will. So sollte ein jedes Kunstwerk an sich relevant sein für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, dem Anliegen der Hochschulpastoral bezogen auf ihre Zielgruppe. Die Verantwortlichen der Hochschulpastoral haben nicht das Recht zu entscheiden, welches Kunstwerk für die Lebensorientierung Studierender angemessen ist und welches nicht. Sie haben wohl die Verpflichtung zu sondieren z.B. situationsorientiert, themenorientiert oder ganz pragmatisch den Gegebenheiten entsprechend.

Zeitgenössische Kunst, die dauerhaft präsent ist kann im Lauf der Zeit zum Einrichtungsgegenstand mutieren. Es ist klug, Kunstwerke ab und zu auch mal zu verhüllen, oder sie ganz den Augen der Öffentlichkeit zu entziehen. So wird es möglich sein, neu Aufmerksamkeit zu wecken und einem Gewöhnungseffekt vorzubeugen.

Gerade bei der Entscheidung, welches zeitgenössische Kunstwerk in sakralen Räume Beheimatung findet soll, sei ein altes kirchliches Motto in Erinnerung gerufen: Für Gott ist nur das Beste gerade gut genug.

Sakrale Räume

Als Begegnungsort von Kunst und Hochschulpastoral werden oft die sakralen Räume gesehen, in denen die Hochschulgemeinden ihre Gottesdienste feiern. Mir geht es in diesem Punkt nicht darum, die Ausstattung dieser Räume, für die oft Künstlerinnen und Künstler bemüht werden. zu qualifizieren. Ich möchte an dieser Stelle dazu einladen in diesen Räumen zeitgenössischer Kunst einen Ort zu geben, der nicht im klassischen Sinn der Liturgie dient, sondern der als zeitlich begrenzter Leihgabe das Recht zugestanden wird, ihrer provozierende Kraft im sakralen Raum entfalten zu dürfen. So kann er auch den Gottesdienstbesucher auf ihm noch wenig vertrauten Wegen herausrufen, Gott zu begegnen.

Gerade das mutmaßlich nicht sakral fixierte Kunstwerk kann Anstoß sein, der Botschaft Gottes entgegen zu stolpern in der stammelnden Kommunikation mit Jesus Christus. Oft sind hier die Berührungsängste sehr groß, aber ich möchte die Schaffenden und die Schauenden einladen „den Eros und die Wucht der Kunst auszuhalten“. 13

Auf den Verkehrswegen

In den Zentren der Hochschulpastoral (Hochschulgemeinden) können die Verkehrswege (wenn angemessen) zu Orten der „stolpernden Begegnung“ mit ausgesuchten Kunstwerken werden. Hier könnte z.B. jungen Künstlern und Künstlerinnen oder Kunststudenten und Kunststudentinnen die Gelegenheit geboten werden, ihrem künstlerischen Schaffen über den Weg zu laufen. An zeitgenössischer Kunst „vorbeikommen zu wollen“, sollte die gestalterische Devise unserer Raumkonzeptionen sein, weil es ja auch in der Hochschulpastoral darum geht, an der Komplexität unseres Lebens und dessen Orientierung nicht vorbeikommen zu wollen: Verkehrswege in den Räumen der Hochschulgemeinden können so zu Kommunikationswegen werden.

Begegnung mit Künstlerinnen und Künstlern

Hochschulpastoral sollte auch vermehrt die Begegnung mit Künstlerinnen und Künstlern suchen. Der Anlass können Ausstellungen, Werkstatt- Atelierbesuche, Performance oder Museumsbesuche sein, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. So können die Bewegtheiten der Kunstschaffenden und der von der Kunst „Angeschauten“ in einen Dialog führen. Einschätzungen, Erlebnisse, Betroffenheiten, Fragen, Verunsicherungen, Träume, Lebensperspektiven, Ängste, Visionen u. v. m., all diese Realitäten und Wahrnehmungen des Lebens der Künstler und der Betrachter können weiterführende Aspekte auf dem Weg zu einem gelingenden Leben sein. Auch hier kann es nicht darum gehen entgültige Antworten zu finden, Übereinkunft zu erzielen oder Lebensrezepte auszutauschen. Aber solche Begegnungen können sensibilisieren für die Sehnsucht des eigenen Lebens und deren Perspektive, sowie für die des Lebens anderer Menschen.

Mit mittelalterlicher Kunst konfrontieren

Abschließend möchte ich exemplarisch noch eine Lanze brechen für die nicht zeitgenössischen Kunstwerke, die in den Schatzkammern unserer Kirchen und Kathedralen aufbewahrt und präsentiert werden. Diese Kunst unterliegt noch eher den Kriterien des Schönen und des Könnens.

Um so gewagter war die Ausstellung „Schatzansichten“ in der Aachener Domschatzkammer, die vorwiegend mittelalterliche Kunst umfasst. Diese meist sakralen Kunstwerke wurden nun mit zeitgenössischer Lyrik kommuniziert, die eigens für diese Exponate verfasst wurde.

Zu dem von mir als so wichtig erachteten Stolpern im Angesicht der Kunst, sei hier eine Anmerkung eines Besuchers zur freien Interpretation zitiert, die während dieser Ausstellung in das dort ausgelegte Gästebuch eingetragen wurde: „Die Ausstellungsstücke14 sind wunderbar, die Pseudolyrik von Christoph Stender ist schrecklich und unpassend“.15 Dieser Eintrag hat mich zuerst sehr geärgert, dann verunsichert und ich fühlte mich auch verletzt. Doch nach längerem Verdauen dieser Worte wurde mir auf Grund dieser Worte klar, mit dieser Ausstellung bist du auf einem guten und richtigen Weg.

Schatzansichten

Im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung zwischen dem Aachener Domkapitel und der Katholischen Hochschulgemeinde Aachen wurde am 29. April die bis zum 1. Juli dauernde Ausstellung „Schatzansichten“ in der Domschatzkammer eröffnet.

In dem Grußwort der die Ausstellung begleitenden Buchveröffentlichung schreiben der Bischof von Aachen, Dr. Heinrich Mussinghoff und der Aachener Dompropst, Dr. Hans Müllejans:

„Der Dom und sein Schatz haben ihren tiefsten Sinn nicht in der Bewunderung, sondern in der Verkündigung des Wortes Gottes: Gottes Wort in Menschen Wort und Gottes Wort in dieser Kunst. Die Botschaft jener Verkündigung auf eine Kurzformel gebracht heißt: Du, Mensch, darfst Gott an deiner Seite wissen und hast mit Ihm eine Zukunft über all dein Stolpern hinaus, selbst über jenen letzten Sturz, den in den Tod. Der Verkündigung dieser Botschaft dient auch die vorliegende Veröffentlichung des Aachener Hochschulpfarrers Christoph Stender. Getragen von dem Glauben an die unverdunkelbare Liebe Gottes, das Geschenk des Lebens, so wie jeder Mensch es in sich spürt, und von seiner Sympathie für die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche, gestaltet Pfarrer Stender ins Wort, was diese Schätze, was der Dom selbst nicht nur Christinnen und Christen verkünden will: Die Botschaft Gottes, an unserer Seite zu sein, da er will, dass das Leben eines jeden Menschen gelingen möge…“ 16

Die Autoren dieses Grußwortes schließen:

„So wünschen wir uns, dass diese „Schatz Ansichten“ dazu beitragen, die Betrachterinnen und Betrachter in der Hoffnung zu stärken, dass uns der Gott der Liebe nicht allein lässt, auch wenn wir uns manchmal fragen: Gott mein Gott, warum glaube ich mich so verlassen?“ 17

Schon dieses Grußwort machte deutlich, dass für die Zeit dieser Ausstellung das Vorzeichen der musealen Konzeption dieser Schatzkammer wesentlich erweitert werden würde. Zu dem historischen Schatz trat nun ein Bekenntnis. Dieses Bekenntnis zum Glauben an Gott und zur Liebe am Leben sollte den historischen Schatz aber nicht in den Schatten stellen. Der Schatz blieb der Vordergrund, das Bekenntnis bildete den Hintergrund. Es ging hier auch nicht darum, die Besucherinnen und Besucher dieser Ausstellung zu missionieren. Ziel der Ausstellung war es, bei Menschen anzuklopfen mit der Bitte, über den Blick auf den Domschatz hinaus, sich selbst in den Blick zu nehmen und so im Entdecken weiter zu schauen. Die Brücke bildeten lyrische Texte, über die der Besucher zu gehen eingeladen war, beim klassischen Exponat beginnend bei sich selber anzukommen. Dazu wurde, durch moderne Medien und andere ansprechende Präsentationstechniken angeregt, der Besucher inspiriert und motiviert. 18

Ein Beispiel:
Eine Vitrine, drei Exponate präsentiert sie, darunter eine Monstranz. geschaffen von Hans von Reutlingen (um 1520), vergoldet. später durch einen Diamantring ergänzt um ein Loch herum in ihrer Mitte, dem Zentrum des Kunstwerkes, aber leer, eben nur noch ein kunstvoll gestaltetes Loch. Die Lunula (Halbmond), die den Zweck hat die Mitte dieses Kunstwerkes zu tragen ist ihres Zweckes beraubt. In ein Museum gehört eben nicht die eucharistischen Gegenwart Gottes in Jesus Christus, uns geschenkt in der Feier der Eucharistie unter der Gestalt eines Stückes Brot (Hostie), das in einer Monstranz gezeigt wird. Sinnloser kann ein Gegenstand nicht da stehen, beraubt um den Grund seiner Existenz, ein Körper ohne Leib, Kunst um ein leeres Loch, würdig einer Vitrine.

Wenige Zentimeter hinter der Monstranz in dieser Vitrine trägt Plexiglas, das am rechten Rand die Konturen dieser Monstranz spiegelnd geschnitten ist, diesen Text:

monstrare

Edel anzuschauen
von Blicken gestreichelt
die ferne Schönheit zu berühren suchen
bist du doch leer und kalt
weil dir fehlt
was dein Körper
zu umfangen
geschaffen ist.

Schönster Körper
edel anzuschauen
mag dich streicheln
bist doch leer und kalt
wenn du durchschaut
nicht mehr als nur
ein Loch umgibst.

Edel anzuschauen
ist jeder Leib
der gestreichelt
mehr zu sehen aufersteht
als wir entdecken:

Welch ein Mensch!

Auf dem Hintergrund der vielen positiven Reaktionen von deutschen wie ausländischen Studierenden, kann die Kritik einer Studentin stellvertretend für viele Besucher genannt werden: „Ich bin anders in diese Ausstellung hineingegangen als herausgekommen, und das macht mich nachdenklich und froh“.

Wenn an den Orten der Hochschulpastoral auch Schatzkammern und Museen vorhanden sind, dann kann ich nur ermutigen diese Gelegenheiten zu nutzen, um mit viel Phantasie, Arbeit und Lust am Menschen, Möglichkeiten des Stolperns zu schaffen.

Mittelalterliche Kunst in mitten zeitgenössischen Fragens

Die Ausstellung „Schatzansichten“ hatte einen Vorlauf von über einem Jahr, und war finanziell nur durchführbar mit Hilfe von Sponsoren, die von der Idee dieser Ausstellung überzeugt waren. Es geht aber auch einige Nummern kleiner. Nun in Auswahl zwei organisierte Berührungen von mittelalterlicher Kunst mit den Lebenswelten Studierender.

„Kunsthistorie, die fesselt … Theologie, die berührt…“

Die Katholische Hochschulgemeinde kann sich glücklich schätzen, nicht nur eine der größten Hochschulgemeinden in Deutschland für ca. 40.000 Studierende zu sein, sondern sie befindet sich auch noch in unmittelbarer Nähe eines kleinen Teiles des Weltkulturerbes. Gemeint ist der Dom zu Aachen und sein Schatz. Neben der karolingischen Pfalzkapelle Karls des Großen und der später angefügten gotischen Chorhalle, die den Karlsschrein und den Marienschrein mit den vier großen Aachener Heiligtümern birgt, gehören zu diesem Erbe u.a. die Heinrichskanzel, das Lotharkreuz, der Barbarossaleuchter, die Pala d’oro, der Karlsthron, die Situla, der Aachenaltar, die Karlsbüste und der Proserpinasarkophag.

Von der Nähe zwischen der Hochschulgemeinde und dem Weltkulturerbe zeugte eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel: „Kunsthistorie, die fesselt … Theologie, die berührt…“

In dieser Veranstaltungsreihe sollte es nicht um staubtrockene Theologie und keimfreie Einordnung historischer Exponate gehen, sondern um den Versuch, in der Begegnung mit dem kunsthistorischen Objekt und seiner kritisch-theologischen Deutung, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in ihren eigenen Biographien anzusprechen.

Dr. Georg Minkenberg, Leiter der Domschatzkammer Aachen und ich empfanden auf einem den Kunstwerken und den Betrachtenden entsprechenden Weg zu sein, und widmeten uns in den folgenden Semestern unter anderen nachfolgenden Themen und Exponaten:

  • „Abbilder einer Hoffnung – Einblicke ins Jenseits“, der Proserpinasarkophag und die Karlsbüste
  • „Maria von Magdala – Eine Provokation, die eine Gesellschaft an ihre Grenzen führt“, die Abbildungen der Maria von Magdala auf den Altarretabeln
  • „Engel mit unterschiedlichen Gesichtern – Projektionen der Gottesbilder ‚ihrer‘ Zeit“, die Engeldarstellungen im Aachener Dom
  • „Glaube zwischen Wissenschaft und Anbetung“, der Georgsaltar
  • „Leben in Gemeinschaft zwischen Vision und Scheitern“, die Architektur der alten Kapitelanlage
  • „Handschriften, ein Lebensgefühl – Zeugnisse vergangener Lebensart“, die historische Kapitelbibliothek
  • „Spuren des Islams“, die Zeugnissen dieser Weltreligion in dem Aachener Weltkulturerbe.

So kann es gelingen, aus heutiger Sicht kunsthistorische Zeugen der Vergangenheit davor zu bewahren, nur wertvoll und interessant zu sein, aber nicht lebensrelevant. Dass das gelingt, zeigte das Gespräch im Anschluss an die Betrachtung des Lotharkreuzes in oben genannter Intention, als circa 20 Studierende im Quadrum des Domes bei sommerlichen Temperaturen um die Ampel des alten Kapitelfriedhofes versammelt waren, und eine Studentin engagiert feststellte: „Dieses Kreuz hat etwas mit dem Tod meines Babys zu tun!“ Solche Betroffenheit sollte kein Einzelfall bleiben.

Aktion „Nacht Schatz“ in der Domschatzkammer

Vom Engagement einiger Domführerinnen und Domführer mitgetragen (im Regelfall sind das Studierende der Hochschulen Aachens) setzten wir in dieser bewährten Kooperation zwischen Domschatzkammer und Hochschulgemeinde einen weiteren Akzent. Anlass war ein besonderer Tag für Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen der Heiligtumsfahrt des Jubiläumsjahres 2000. Wir gaben diesem einmaligen Datum, bezogen auf die nächtliche Veranstaltungszeit und den Ort, den Titel „Nacht Schatz“.

Über 600 Besucherrinnen und Besucher erlebten in den späten Stunden dieses Tages die Aachener Domschatzkammer in einem anderen Licht. Die so manchen Aachenern altvertrauten Exponate wurden mit Akzentuierungen versehen, die über die kunsthistorische Bedeutung hinaus eine Anregung darstellten, sich als Besucher selbst vorkommen zu lassen.

Ein Beispiel:
Zu Beginn des nicht geführten Rundganges durch die Schatzkammer begrüßte in dieser Nacht die Besucher eine „sprechende“ Karlsbüste. Vor diese berühmte Karlsbüste (Weltkulturerbe) wurde unübersehbar einen CD Player aufgestellt und auf Endloswiedergabe programmiert.

Hier ein Auszug aus der „kaiserlichen“ Ansprache:

„…Ganz nebenbei bemerkt, die Krone, die ich heute trage, ist später entstanden als mein Kopf, so um 1349.

Manchmal fragt man mich: Warum gibt es dich eigentlich?
Also, das ist gar nicht so leicht zu erklären!
Versuchen wir es mal so!
Wenn sie jetzt alle so ungefähr 2,50 Meter groß wären oder ein kleines Leiterchen zur Hand hätten, dann könnten Sie mir mal auf´s Haupt schauen und würden eine interessante Entdeckung machen! Da ist nämlich ein runder Deckel und darunter ist die Schädeldecke Karls des Großen zu sehen Aber langsam, ich muss etwas weiter vorne anfangen.

Im 12. Jh. wurde das Grab Karls geöffnet und ein Teil seiner Gebeine in den prächtigen Karlsschrein gelegt, der heute im Dom steht. Zugegeben, die Gebeine Karls wurden ganz schön verteilt, eine ganze Menge blieb in Aachen, ein paar Knochen kamen in Kirchenkammern nach Paris und noch an andere Orte.

Der Grund dafür:
Karl war auch noch nach seinem Tod ein wichtiger Mann, den man nicht vergessen wollte. Einige verehrten ihn als Heiligen! Das tun auch heute noch viele Menschen hier in Aachen. Dabei ist Karl gar kein richtiger Heiliger, denn an seinem Todestag feiert niemand Namenstag – so wie das bei anderen Heiligen der Fall ist -. Aber das wissen sie ja bestimmt, oder?

Kennen sie eigentlich ihren Namenspatron, wenn ich das einfach mal so fragen darf?
Was halten Sie davon mal etwas über ihren eigenen Namenspatron nachzulesen, wie er gelebt hat, was er leistete und wie er gestorben ist, das ist oft sehr interessant. Pardon, ich schweife wieder ab, nehmen sie es mir bitte nicht übel.

Also, noch mal zurück zu der Frage, warum die Knochen von Karl dem Großen so wichtig für viele Menschen sind!

Da ist etwas geschehen das Sie selber wohl auch kennen.
Es geht ihnen doch auch manchmal so? Ein ganz, ganz lieber Mensch hat ihnen eine Rose geschenkt oder einen liebevollen Brief geschrieben. Auch wenn dieser Mensch nicht mehr für sie zu erreichen ist und gerade dann, heben sie diesen Brief an einem ganz besonderen Ort auf und die Rose wird gepresst bevor sie ganz vergeht und dann in eine schöne Schachtel gelegt, ins Tagebuch oder an einen für Sie etwas heiligen Ort!
Sie kennen das doch auch, oder?
Und so ähnlich ist das mit den Reliquien von Karl!
An ganz vielen Orten wollte man ihn ganz nahe spüren.
Deswegen war man an seinen sterblichen Überresten sehr interessiert…“

Soweit aus den „Plaudereien“ der Karlsbüste in dieser Nacht, die den Zuhörern unter anderem die Gelegenheit gab, die Bedeutung dieser Büste in Verbindung zu bringen mit dem Umgang der eigenen „modernen“ Heiligtümer.19

Ermutigung

Die Intention der Hochschulpastoral punktuell mit mittelalterlicher Kunst zu verbinden kann spannungsreich sein und hat, so meine Erfahrung, manchen Studierenden im guten Sinne verunsichert, und so ermutigt, über die eigenen Vertrautheiten hinaus zu schauen.

Die Ausstellung „Schatzansichten“ war ein Stolperstein, den wenige Besucher in Gedanken „geworfen haben“, den viele aber aufgehoben haben, um in dieser fragmentarischen Konfrontation sich selbst zu ent-decken, mit offenem Fortgang.

Aber das Miteinander von Hochschulpastoral (Kirche) und zeitgenössischer Kunst, zu dem ich besonders ermutigen möchte, birgt wesentlich mehr Brisanz. Dieses Miteinander bleibt ein „Vor-läufiges stolpern“, und das ist auch gut so, solange gegenseitige Vorbehalte nicht das Fürchten lehren. Gerade zu diesem Miteinander aber möchte ich diejenigen ermutigen, die Hochschulpastoral verantworten und gestalten sowie jene, die Kunst schaffen und verantworten. Kunstwerke zu schaffen kostet sehr viel Kraft, Hochschulpastoral zu gestalten ebenso. Beider Kraft aber lässt den Menschen letztendlich kräftig sein.

1 Die Unterstreichungen sind redaktionell den folgenden drei zitierten Artikeln hinzugefügt.

2 Herders Konversationslexikon Band 5, Herdersche Verlagsbuchhandlung, 1905, Wien, Straßburg, München u. St Louis, S. 323

3 Duden, Fremdwörterbuch, 3. Auflage, Bibliographisches Institut AG, Mannheim, 1974, S. 82

4 Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23., erw. Aufl., Verlag de Gruyter, 1999, S.494

5 Das Große wissen.de Lexikon 2003, Das Große Bertelsmann Lexikon 2003, 2002 Wissen Media Verlag GmbH, Gütersloh/München

6 Vgl. Christoph Stender, Kunst und Technik – Technik und Kunst, technosophischen Seminar „Wir und unsere Welt von morgen“, vom 21.05.2002 – 24.05.2002 in der Malteser Kommende Ehreshoven, Seminarveröffentlichung des Rechen- und Kommunikationszentrums der RWTH Aachen, Hrsg. Prof. Dr. Dieter Haupt

7 Art at the Turn of the Millennium, Hgr. Lars Bang Larsen, Christoph Blasé, Editors Uta Grosenick und Burkhard Riemschneider, Verlag Taschen

8 Reinhold Schmücker, Funktion der Kunst, in: Wozu Kunst?, Hrg. Bernd Kleimann, Reinhold Schmücker, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2001, S. 23f.

9 Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Die Präsenz der Kirche an den Universitäten und in der universitären Kultur, Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Bonn,1994, S. 32

10 Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich, Verlag Herder, Freiburg – Basel – Wien, 1976. S. 543

11 Vgl. ebd., S. 543ff

12 Christoph Stender, Mit Profil und Zukunft, Über die Präsenz der Kirche an den Hochschulen, in: Denken und Glauben, Zeitschrift der Katholischen Hochschulgemeinde für die Grazer Universitäten Nr. 109, Graz, 2000.

13 Friedhelm Mennekes, Das Pathos des Fragens, in: Herderkorrespondenz 11/1998, Verlag Herder, Freiburg, S. 558

14 Gemeint sind die mittelalterlichen Schätze.

15 Gästebuch zur Ausstellung „Schatzansichten“, Domarchiv des Aachener Domkapitels

16 Heinrich Mussinghoff / Johannes Müllejans in: Schatzansichten, Entfesselnde Wortschätze, Hrg. Katholische Hochschulgemeinde Aachen/ Domkapitel Aachen, Verlag Grenzlandecho, 2001, Eupen, S.4

17 ebd.

18 Einen optischen Eindruck dieser Ausstellung und deren Hintergrund vermittelt die Homepage www.christoph-stender.de unter der Rubrik Projekte/Schatzansichten.

19 Eindrücke zu dieser Aktion „Nacht Schatz“ vermittelt die Homepage www.christoph-stender.de unter der Rubrik Projekte/Nacht Schatz.

Der Aufsatz erschien im Herbst 2003 in der Festschrift zum 50. Jubiläum der Katholischen Hochschulgemeinde in Saarbrücken.
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Bildung, Kommunikation und religiöse Kunst im musealen Kontext

Institut für Erziehungswissenschaft
der Universität Bonn,
Lehrstuhl Schulpädagogik
Prof. Dr. Volker Ladenthin

Proseminar im WS 2003/2004

Christoph Stender, Dipl. Rel. Päd., Dipl. Theol., Lehrbeauftragter
Teilnehmer: max. 50 Studierende
Scheinrelevant
Raum: siehe Aushang

Das Ausgangsphänomen:

Eine Person steht vor einem Exponat (Kunstwerk)! Täglich zu beobachten in Museen, Domschatzkammern, Kunsthallen, Kirchen und Galerien.

Die Fragestellungen:

Was zeichnet das Artefakt aus ein exponiertes zu sein? Was „geschieht“ zwischen Betrachter und Objekt? Findet eine Kommunikation zwischen ihnen statt? Wie wirkt das Exponat? Auf welchem Bildungshintergrund kann der Betrachte dem Artefakt „gerecht“ werden? Besonders mit Blick auf die religiösmotivierte mittelalterliche Kunst bezogen ist nach dem Verbleib der Intention derer zu fragen, die ein Artefakt geschaffen haben. Welche Zielsetzung verfolgt der Aussteller (die Institution) der ein Objekt exponiert, und mit der Art und Weise wie er das Exponat präsentiert?

Weiterführende Fragestellung:

Welche gesellschaftlich sinnenfällige Intention könnten im Besonderen Domschatzkammern/Dommuseen zukünftig in der Kunstlandschaft haben?

1. Einheit

Einführung in die Intention des Seminars.
Titel: „Bildung zwischen Körperkunst und Damenwahl.“
Die Diskussion um den Bildungsbegriff in der gegenwärtigen Erziehungswissenschaft, und das Selbstverständnis des Menschen heute ein gebildeter zu sein.
Fokus: (nachhaltige) Bildung (und Natur), Wissen, Kultur, Werteentwicklung.

2. Einheit

Titel: „Religiosität hat was – und Kunst kommt von Können.“
(Christliche) Religiosität und (mittelalterliche) Kunst im Kontext des Fragens der Menschen heute nach Sinn.
Fokus: Religion, Christlicher Glaube, mittelalterliche Kunst, zeitgenössische Kunst, Sinn.

3. Einheit

Titel: „Was guckst du …, oder hast du was gesagt.“
Subjekt – Objekt Beziehung im musealen Kontext, eine ungleichzeitige Kommunikation?
Fokus: Subjekt und Objekt, Kommunikation, Deutungen von Ort und Raum.

4. Einheit

Titel: „Das Artefakt, nicht für das Museum geschaffen.“
Museale Konzeptionen: Bildungsmonologe als gelehrte Beschäftigung in postchristlichen Pseudo-Kathedralen?
Fokus: Museumspädagogik in Grundlagen, Konzeptionen deutscher Domschatzkammern/Dommuseen und deren kritisch Hinterfragung.

5. Einheit (Exkursion)

Titel: „Die Domschatzkammer in Aachen und eine Reminiszenz an die Ausstellung ‚Schatzansichten‘.“
Die Konzeption der Aachener Domschatzkammer (Weltkulturerbe) und deren Irritation als Kommunikationsansatz.
Fokus: Aachener Domschatz, Konzeption mit Wechselausstellung, die Ausstellung „Schatzansichten“ und deren Intention.

6. Einheit

Titel: „Domschatzkammern der Zukunft: Räume in denen es mehr zu erfahren gibt als zu sehen ist!“
Ansätze zu einem erweiterten Bildungsauftrag in einer ständig sich beschleunigenden Zeit, bezogen auf Bildung, Kommunikation und „religiöse“ Kunst.
Fokus: Kommunizierte und kommunizierende Kunst, Beschleunigung von Zeit und deren Entschleunigung, Vision einer neuen Fassette des Bildungsauftrags von Domschatzkammern.

7. Ergänzende Einheit

Titel: „Eine Domschatzkammer im Experiment“
Die Ergebnisse und Anregungen aus diesem Seminar besonders aus den Einheiten 4., 5. und 6. sollen in Form eines theoretischen Experimentes auf die Aachener Domschatzkammer (vor Ort) übertragen werden.
Fokus: Konzeptionelle und technische Innovationen.

Termine:

Das Proseminar finde jeweils freitags von 14.00 Uhr – 17.00 Uhr statt.

1. Einheit 07.11.2003
2. Einheit 21.11.2003
3. Einheit 05.12.2003
4. Einheit 19.12.2003
5. Einheit 09.01.2004 (Exkursion nach Aachen)
6. Einheit 23.01.2004
7. Einheit 06.02.2004 (Exkursion nach Aachen)

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Mehr Ehrlichkeit gefragt

Dein Ja sei ein Ja und dein Nein sei ein Nein (Mt 5,37)! Wie schön wäre es, wenn das auch für die Worte unserer Politikerinnen und Politiker gelten würde.

Es ist mittlerweile nämlich unerträglich geworden, täglich solchen Sprüchen ausgesetzt zu sein wie: „Wir müssen den Rahmen schaffen für mehr Beschäftigung und Wachstum“.

Seit Jahren hören wir diese Leier von allen Parteien, gepaart mit Sparaufrufen. Das Wachstum aber dümpelt weiter kurz vor einer Rezession, die Zahl der Arbeitslosen steigt, und selbst der Kanzler, der sich messen lassen wollte an der sinkenden Arbeitslosigkeit, kokettiert schon mit seiner möglichen dritten Kandidatur.

Dass gespart werden muss, dürfte allen klar sein! So komponiert denn auch die große Politik auf Bundes- und Länderebene gleich täglich mehrere neuer Strophen ihrer Hymne an das Sparen.

Alle Reformvorschläge gleichen einer unendlichen Geschichte, vorgetragen auf dem Niveau „Deutschland sucht den Superstar“ und sie haben eines nur gemeinsam: Sie müssen als sozial, ausgewogen und somit gerecht verkauft werden, sonst würden sie das erste Casting schon nicht bestehen.

Da aber keiner unserer Politiker den Stuhl in seinem Parlament verlieren möchte, der auf den Brettern steht die ihre Welt bedeuten, schicken sie sich immer wieder an den selben Refrain zu zwitschern, wie sozial gerecht doch ihre Strophe vom Sparreigen eigentlich sei.

Angeblich sozial gerecht bedeutet aber bei vielen Sparvorschlägen, von allen Bürgern dasselbe nehmen zu wollen, ungeachtet dessen was sie besitzen. Eine Nullrunde bei den Renten bedeutet für den einen Rentner das 10 Cent Stück nun mindestens dreimal umdrehen zu müssen.

Andere Rentenempfänger lassen sich von ihrer nächsten Kreuzfahrt deswegen sicherlich nicht abschrecken. Studiengebühren werden von dem einen Studenten locker mit einer Pobacke aus Papas Brieftasche abgesessen, für den anderen bedeutet das, ein Studium kommt nicht mehr in Frage.

Andererseits: Ist es sozial gerecht, als arbeitsloser Akademiker eine Tätigkeit beim Grünflächenamt einer Stadt als unzumutbar abzulehnen, während andere Menschen – ohne je ein Studium absolviert zu haben – diese Arbeit über Jahre hinaus verrichten.

Ist es mit Blick auch auf die Zukunft unserer Gesellschaft sozial gerecht, nicht nur in den Bereichen der außerschulischen Jugendbildung zu streichen, sondern Kultur und Bildung allgemein als Streichpotenzial zu betrachten.

Wäre es nicht zukunftsweisender mit Blick auf unsere Kinder und jungen Erwachsenen, dem Grundkapital einer jeden Gesellschaft, sich auch die Frage zu stellen, wofür wollen wir sparen, und nicht nur woran müssen wir sparen.

Die Bürger und Bürgerinnen nur vordergründig gerecht zur Kasse zu bitten, um diffuse Löcher im Staatshaushalt zu stopfen, steigert weiteren Unwillen und fördert Schwarzarbeit und Steueramnesie.

Ein klares und verlässliches Ja für die Familien und unsere junge Generation, ein Ja zu Kultur, Bildung und Wissenschaft täte gut und dazu wäre auch ich bereit einen zusätzlichen Beitrag als Bürger zu leisten.

Wir brauchen auf den politischen Bühnen keine inszenierten, selbstverliebten Stars, wir brauchen Menschen deren Worte ehrlich sind, wegweisend, realitätsbewusst und verlässlich.

Quelle: Aachener Zeitung, 08.10.2003.
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Die große Sehnsucht nach Liebe

Da sprach Gott, der Herr: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht“ (Gen 2,18). – Der Beginn des Buches Genesis überliefert uns in den Worten unserer Urahnen, wie unser Schöpfer die Welt erschafft und all das, was ist. Ein Paradies legte Gott seinem Geschöpf zu Füßen. Aber er wusste auch, dass der Mensch dieses Paradies so lange durchqueren würde, bis er findet, was er existenziell sucht. So schenkt Gott von Anfang an dem Menschen ein gleichwertiges Gegenüber, die Erfüllung seiner Sehnsucht, den Menschen an seiner Seite. Mit der Erschaffung des Menschen schuf Gott das Du.

Immer wieder sucht der Mensch nach seinem Du. Rein statistisch hat er weltweit die Möglichkeit unter über sechs Milliarden Menschen sein Du zu finden. Jedes Jahr kommen auf mich etwa 80 junge Paare zu, die ihr Du gefunden haben. Sie bitten um die priesterliche Assistenz wenn sie, sich das Sakrament der Ehe stiftend, einander sagen: Ich meine dich ganz, ich meine einzig dich, ich meine dich mein Leben lang, sei mein Du. Und obwohl diese jungen Menschen um die Scheidungsrate in Deutschland von 50 Prozent wissen, glauben sie dennoch, ihre Liebe könne nichts erschüttern.

Sie schauen über den bevorstehenden Augenblick der Hochzeit hinaus in die den Menschen verändernde Zukunft und trauen trotzdem ihren Gefühlen bis in alle Ewigkeit: Dich meine ich, auch wenn du älter wirst, wenn der Lack ab ist und die ersten Falten die Stirn haben, sich auf der selben zu zeigen. Dich meine ich im Versagen, in der Krankheit, im Verfall, egal wie die Zukunft dich mir offenbaren wird, sei immer mein Du.

Diese Vision ist bei manchem Paar, das ich auf dem Weg zur Hochzeit begleitet habe, Jahre später gescheitert. Trotzdem habe ich auch morgen nicht das Recht, an der Liebe jener Menschen zu zweifeln, die wieder sagen werden: Unsere Liebe kann nichts erschüttern. Selbst jene Menschen, die das Scheitern ihrer Ehe oder Freundschaft kaum überwunden haben, treibt die selbe Sehnsucht weiter nach diesem geliebten verlässlichen Du, die oft auch die Suche ist nach dem liebesfähigen, verlässlichen Ich.

Die Bibel erzählt auch von der Zufriedenheit Gottes mit seinem Werk. Gott ist einverstanden auch mit der Sehnsucht des Menschen, weil sie nun, Dank seiner Schöpferkraft, im anderen Menschen Erfüllung finden kann. Konnten sich Adam und Eva eigentlich nacheinander sehnen, waren sie ineinander verliebt? Auswahl hatten sie ja keine, da Gott selbst ihr Gegenüber bestimmte. Ist sich die Menschheit ihrer Sehnsucht nach Liebe nicht erst bewusst geworden durch den Ungehorsam dieses ersten Paares der Schöpfung gegen Gott? Die tiefe Sehnsucht des Menschen nach Liebe ist einhergegangen mit seiner Erkenntnis, durch den Sündenfall, ein nackter Mensch zu sein. Deswegen lautet die Bitte der Liebenden: Leg deinen Leib als Mantel mir um. Jede Liebe muss bangen verloren zu gehen. Keiner kann sich der Liebe eines anderen Menschen sicher sein.

Die Sehnsucht des Menschen, nicht allein bleiben zu wollen, seine Suche nach dem geliebten Du birgt einzig die Möglichkeit tiefster Verletzung. Auch jene, die in einer gelungenen Liebe den Augenblick größten Glückes festhalten möchten, wissen um deren Vergänglichkeit. Nur die Erinnerung kann solche Momente festhalten. Liebe möchte immer über sich selbst hinausgreifen in das Meer und Mehr der Liebe. So bleibt die Liebe immer eine Erfahrung der Gottesnähe und gleichzeitig der Gottesferne. Wer einen Menschen wirklich liebt, wird immer neu ein Prädikat Gottes entdecken, die Treue.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 5.10.2003
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Die Ehre sich zu engagieren

Sie sind noch immer zur Stelle, und das schon seit zehn Jahren und länger. Sie engagieren sich, packen richtig an und bekommen darüber hinaus, ohne sich zu beklagen, kein Geld für ihr Engagement.

Sie haben auch noch Freude an dieser Arbeit, die so genannten Ehrenamtlichen. Einige von ihnen, Ehrenamtliche des Kinderschutzbundes und des DRK, wurden in den vergangenen Tagen für ihre Verdienste ausgezeichnet.

In Kirchen, Vereinen, Hilfswerken und Verbänden engagieren sich freiwillig, auch in Aachen, ungezählte Menschen quer durch alle Altersschichten und Kulturen. Ihr Motiv:

Der Dienst am Menschen, und ein kleines Dankeschön. Am Ehrenamt misst sich die gesellschaftliche und soziale Einstellung der Bürgerinnen und Bürger auch unserer Stadt. Sie sind Gradmesser dafür, wie Menschen auf Menschen schauen.

Doch dieses freiwillige Engagement ist in Gefahr. Immer weniger Menschen finden die Zeit, sich für andere einzusetzen. Mitunter werden die uneigennützigen Helferinnen und Helfer belächelt, weil sie – anstatt Knete zu machen – sich beispielsweise mit sozial schwächeren Mitmenschen abgeben.

Doch zunehmend lauert auch eine andere Gefahr – die der Vereinnahmung. Mit den geringer werdenden Mitteln in Kirchen- und Stadtkassen werden zunehmend hauptamtliche Stellen in sozialen und kulturellen Bereichen gekürzt.

Die Kirchen konzentrieren sich immer stärker auf das so genannte «Eigentliche», das binnenkirchliche, wobei trefflich darüber zu streiten wäre, was denn eigentlich das Eigentliche des Auftrages der Kirchen ist.

Diese Konzentration aber wird zur Folge haben, dass die Aufgaben, die bisher von Hauptamtlichen erfüllt wurden, zunehmend auf die Schultern derjenigen umgewälzt werden, die sich sowieso schon reichlich engagieren, die Ehrenamtlichen.

So läuft das Ehrenamt zukünftig Gefahr zur Kompensation dessen zu werden, was bisher bezahlte Arbeit war. Dem wird die Frage folgen: Warum sollen wir heute umsonst tun, was gestern noch bezahlt wurde.

Wenn das Ehrenamt nicht die freiwillige Zugabe engagierter Menschen zu einem ausgewogenen sozialen Miteinander bleibt, sondern durch Instrumentalisierung in Versuchung geführt wird, verliert es seine Intention und wird in Folge uninteressant.

Zukunft hat das ehrenamtliche Engagement, im Sinne von es ist eine Ehre sich freiwillig zu engagieren, nur dann, wenn es eine gesellschaftlichen Aufwertung und somit einer stärkeren Anerkennung erfährt.

Das Ehrenamt muss bleiben, was es ist, eine Qualität, die den ehrt, der es ausführt, und so eine gesellschaftsrelevante Kompetenz.

Dieses Engagement muss auch in Zukunft von hauptamtlichem personalen Angebot gestützt und gefördert werden.

Dazu bedarf es eines gewandelten Selbstverständnisses dessen, was heute als gesellschaftlicher Erfolg gewertet wird. In der Manier eines Skatspielers, die ein Werbeslogan aufgegriffen hat, dürfen die Trümpfe in unserer Gesellschaft nicht heißen: Mein Haus, mein Auto, mein Swimmingpool. Sondern: Mein Haus, mein Auto, mein ehrenamtliches Engagement.

Quelle: Aachener Zeitung, 30.07.2003.
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Leiden Jesu – Botschaft zur Hoffnung

Anna-Woche 2003 in Düren zum Thema
„Weil Gott unsere Hoffnung ist – Hoffen wider alle Hoffnung“

Als ich in den vergangenen Tagen ein gotisch anmutendes Kreuz aus dem Nachlass meiner Eltern in meiner Aachener Wohnung aufhängte, sagte ein Bekannter: „Das ist aber ein wunderschönes Kreuz.“

In der Tat ist der in seinen Proportionen ausgewogene Korpus ästhetisch sehr ansprechend. Der Künstler hat durch sein Talent in der Holzschnitzkunst jedoch streng genommen unseren Blick betrogen. Im Vordergrund steht nicht mehr das Ereignis der Kreuzigung eines Menschen, sondern deren künstlerisch gelungene Darstellung. Kunst kann Brutalität ästhetisieren, (es ist aber nicht ihr Ziel) wenn der Betrachter bei einem vordergründigen Hinschauen stehen bleiben will, und sich nicht dem eigentlichen Ereignis, der grausamen Tötung des Menschen Jesus von Nazaret nähern will. Wir lassen unseren Blick auch gerne betrügen durch das geschönte Abbild des Brutalen, da wir Menschen eher dazu neigen Brutalität und Gewalt in unseren persönliche Bezügen nicht sehen zu wollen. Viele Kreuzesdarstellungen in Kirchen und Wohnungen und an hervorgehobenen Orten sind so harmonisiert, dass sie die grausame Folterung, die Jesus am Kreuz ertragen musste reduzieren auf das Stilleben „toter Mann und Holz“.

Darüber hinaus haben wir uns so sehr an das Kreuz in unserer Umgebung gewöhnt, das wir es anschauen wie jedes andere beliebige Bild oder Werbeplakat. Der Skandal des Kreuzes, diese Blutpresse, der brutale Mord, der Karfreitag des Kreuzes Jesu wird kaum noch vergegenwärtigt. Wir leben harmonisch mit dem Kreuz ebenso wie mit dem Webeplakat einer Versicherungsgruppe.

Mit der Tatsache, dass wir die Schwere des Kreuzes, die Brutalität des Sterbens Jesu Christi nur schwer ertragen können geht die Frage einher: Wieso musste Jesus so grausam sterben? Ist ein solches Verrecken wirklich notwendig gewesen, um den Menschen den Glauben an seine Erlösung zu schenken. Hätte Jesus nicht auch im Bett sterben können? Warum wählte Gott diesen unmenschlich anmutenden Weg der Erlösung über das Kreuz?

Was will Gott eigentlich von und für uns Menschen. Hätte Gott den Menschen perfekt erschaffen. so währe der Menschheit viel Kummer, Ärger und Gewalt erspart geblieben. Perfekt, heil, und unantastbar aber ist einzig Gott allein. Der Mensch ist eben nicht perfekt zu haben. Anders kann es den Menschen nicht geben. Der Mensch, als nach dem Bilde Gottes geschaffen, ist nicht perfekt, da er nicht Gott ist. Wäre er perfekt, dann wäre er Gott, aber nicht mehr Mensch, denn es gäbe den Menschen nicht. Nur aus Gott heraus und auf ihn hin kann es etwas anderes geben als das was Gott selbst ist, aber immer nur als das von Gott gewollte Andere, den Menschen, die ganze Schöpfung. Die Existenz des Menschen ist nur nicht perfekt zu haben. Wir können uns also bei Gott nicht darüber beklagen, dass er den Menschen nicht perfekt, sprich fehlerlos geschaffen hat. Einzig beklagen könnten wir bei Gott darüber, warum er den Menschen überhaupt geschaffen hat. Doch hätte er uns nicht geschaffen, dann gäbe es das Leben, dann gäbe es die Welt, dann gäbe es all das nicht was ist.

Einzig existent wäre nur Gott, der in sich ruht, aber niemand würde es wissen. Gott hat, aus seinem vom Menschen nicht nachvollziehbaren Ratschluss, die Schöpfung und in ihr den Menschen werden lassen.

Der Mensch ist da!
Und was soll der Mensch mit seinem Dasein?
Er soll sein Dasein gestalten.
Das nennt man leben, der Mensch soll leben.

Mit dem Augenblick, in dem der Mensch sich der Tatsache bewusst wurde dass er lebt, begann er über seine Vergänglichkeit zu stolperte. Leben heißt vergänglich leben. Anders ist das Leben des Menschen nicht zu haben, nur als vergängliches Dasein. Wäre der Mensch aus sich heraus unvergänglich, dann wäre er auch anfangslos, dann aber wäre er Gott, und somit wäre er nicht Mensch. Die Existenz des vergänglichen und nicht perfekten Menschen gründet in der Tatsache nicht wie Gott zu sein, also Mensch.

Der Mensch aber stolperte nicht nur über seine Vergänglichkeit, sondern er spürte auch einen anderen Menschen lieben zu können, gleichzeitig konnte er ihn aber auch töten, wenn er stärker oder listiger als sein Mitmensch war.

So spürte der Mensch Hass, Liebe, Freundschaft Trauer, Wut, Verzweifelung, Machtgier, Einsamkeit, eben all das, was der Mensch bis heute spürt. Der Mensch lernte den Boden zu bearbeiten, Felder zu bestellen, Kriege zu führen und Folterinstrumente zu bauen, er errichtet aber auch Schulen, Krankenhäuser, Bordelle und Gerichte, er entfaltete die Wissenschaft, baute Sozialsysteme auf und erfand die Bank und die Börse. So lernte er zu betrügen, zu lügen, auszubeuten, zu stehlen und zu verschenken, einzukaufen, zu vererben und vieles mehr, eben all das was wir bis heute auch können. Der Mensch schlug im Lauf der Zeit nicht mehr seinen Gegner einfach tot, nein, er verlängerte seinen Arm und baute A-, B-, und C-Waffen, nannte das ganze dann später den chirurgischen Krieg, und war mit sich wieder im Reinen. Zwischendurch verliebte sich der Mensch auch immer mal wieder, und stellte sich der Frage:“ Woher komme ich und wohin gehe ich“, und einige fragten auch weiter: „Und was ziehe ich dazu an“?

Eine besondere Frage wird immer mal wieder auf ganz hohem oder auch auf sehr niedrigen Niveau gleichzeitig gestellt: „Was macht das ganze, was macht das Leben eigentlich für einen Sinn?“ Zwischendurch meinte der Mensch aber auch immer mal wieder er sei Gott, und fuhr lustig fort den Planeten Erde zu ruinieren.

Und irgendwann machte der Mensch eine große Entdeckung: Er war nicht nur nicht perfekt, er war auch nicht nur vergänglich, plötzlich hatte der Mensch auch noch Angst um sich selbst und fragt nach dem Sinn des Ganzen. Der Mensch lernte so sein Leben zu lieben und gleichzeitig an seinem Leben zu leiden. Das ist bis heute so geblieben.

Jesus hat sich dieses Lebens der Menschen angenommen, er hat alles durchlebt, beziehungsweise ist von alle dem bedroht worden, was das Leben der Menschen zwischen Licht und Dunkelheit ausmacht. Ihm ist auch das grausamste nicht erspart geblieben was der Mensch zu tun in der Lage ist, zu morden. Jesus hat all das was das Leben in seinen Grundzügen ausmacht an seinem eigenen Leib erlebt, selbst Vergänglichkeit und Gotteszweifel. Weil er in seinem Leib alles berührt hat was den Menschen angeht, kann er in seinem Leib auch alles retten was den Menschen berührt. Gott hat den Menschen an seinem eigenen Sohn bis zum Äußersten gehen lassen, damit an ihm, durch seinen Leib alles heil werden kann, selbst das äußerste des Menschen, der Tod.

Leiden Jesu – Botschaft zur Hoffnung? Ja, weil im Leiden Jesu auch der letzte Winkel menschlichen Denkens und Handeln von Jesu Leben von seinem Leib berührt worden ist, und so von Gott, der einzig heilen kann!

Nicht Gott ist brutal, sondern das, was wir aus der Schöpfung Gottes zur Realität gemacht haben ist oft sehr brutal. Diese Realität, unsere Realität heute kennt aber neben ihrer brutalen Seite auch Liebe, Zärtlichkeit, Mitmenschlichkeit, Vergebung unendlich viel Gutes. Die gelebte Brutalität in all seinen unterschiedlichen Ausprägungen ist die tiefste Schuld des Menschen. An ihr konnte Gott in Jesus Christus auf seinem Weg der Menschwerdung, Auferstehung und Himmelfahrt nicht vorbeischauen. Denn dieser Weg war der Weg der Rettung des Menschen, der Weg der Befreiung aus der Vergänglichkeit, aus der Sinnlosigkeit, aus der Angst des Menschen um sich selbst.

Das Kreuz spiegelt, zu was der Mensch fähig war und auch heute noch sein kann.
Das Kreuz spiegelt, was Gott dem entgegensetzt.
In der Brutalität des Kreuzes ist dem Menschen heil wiederfahren.
Jedes Kreuz, dem wir begegnen will uns mahnen: Mensch du bist zu weit gegangen!
Jedes Kreuz. dem wir begegnen will unserer Hoffnung stärken: Mensch ich bin dir nachgegangen! Und auch heute gehe ich dir nach in allen Fassetten deines Lebens, um deines Heiles willen.

Diese Predigt wurde im Rahmen der Anna-Woche 2003 in St. Anna, Düren gehalten.

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Ist doch nur ’ne Kleinigkeit

Wie konnte das gelingen? Wieso reichte die Kleinigkeit von fünf Gerstenbroten und zwei Fischen eines kleinen Jungen aus, um so viele hungrige Menschen zu sättigen. Begann die große Menschenmenge, die sich um Jesus versammelt hatte, doch plötzlich in ihren Taschen zu suchen mit dem Erfolg, dass die gefundenen und verteilten Brotkrusten eines Jeden auch den sättigten, der wirklich nichts dabei hatte? Oder bleibt die Brotvermehrung doch ein Geheimnis, ein Wunder? Unbezweifelt ist die einmalige Wirkfähigkeit Jesu Christi, und sie lässt sich nicht auf das reduzieren, was sich der Mensch vorstellen kann.

Die theoretische Auseinandersetzung mit diesem Ereignis aber bringt uns nicht wirklich weiter, wenn wir daran interessiert sind, was dieses Evangelium für unseren Glauben heute bedeuten kann. Daher zurück zum Evangelium: Die Menschenmenge, die Jesus begleitete, hatte Hunger. „Gebt ihr ihnen zu essen“ so die Aufforderung Jesu. Die prompte Reaktion der Jünger: „Wie sollen wir so viele Menschen sättigen, nicht einmal 200 Denare würden ausreichen“ Wie lächerlich muss da der Hinweis auf diesen kleinen Jungen und seine Tagesration für seine Familie geklungen haben! Fünf Brote und zwei Fische, das reicht schon gar nicht. Alles scheint einfach zu wenig zu sein.

Eine solche Prognose hören wir besonders in unseren Tagen immer häufiger. Es reicht nicht, es ist zuwenig, das langt doch nie und nimmer. Viele Menschen in unsere Gesellschaft beginnen den Tag mit der Einstellung: Was ich habe, was ich einem anderen Menschen geben kann, und was ich bin, es ist immer zu wenig.

Bezogen auf die Entwicklung unserer Sozialsysteme haben besonders geringer verdienende Menschen mit Kindern die berechtigte Sorge, irgendwann reicht es wirklich nicht mehr aus, der Lebensunterhalt steht auf der Kippe. Diese Ängste will ich nicht klein reden. Auch kirchliche Einrichtungen müssen erkennen, dass spätestens mit dem Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform die Mittel nicht mehr reichen, um all die Dienste zu finanzieren, die die Kirche bisher in unserer Gesellschaft geleistet hat. Mit Blick auf den uns bisher vertrauten Lebensstandard reichen die Mittel des Gemeinwohls eben nicht mehr aus. Wir werden unsere Erwartungen korrigieren müssen und teilweise tiefer in die Taschen greifen. Zukünftig wird es noch mehr soziale Verlierer in unserer Gesellschaft geben. Das ist eine neue Herausforderung in Sachen Solidarität, besonders für die besser Gestellten unserer Gesellschaft.

Doch im Evangelium geht es nicht primär darum, die großen Probleme der damaligen Zeit zu lösen, sondern es geht um eine „Kleinigkeit“, Menschen etwas zu essen zu geben. Kleinigkeiten reichen immer aus. Zum Beispiel die Kleinigkeit, einem anderen Menschen einen Gefallen zu tun, die Kleinigkeit einer „unnützen“ Freude. Eine ältere Dame – sie hat einen Krieg erlebt, Zerstörung, Wiederaufbau, Wirtschaftswachstum, Ölkrise, eine ständig sich wandelnde Welt – erzählte mir: „Wissen Sie, ich habe nie viel gehabt, aber immer wieder verloren. In der Straße, in der ich wohne, werfe ich manchmal Nachbarn einen Riegel Schokolade in den Briefkasten mit einem lieben Gruß. Irgendwann sprechen sie mich dann an und sagen: Das habe ich noch nicht erlebt, aber ich habe mich sehr gefreut.“

Antwort: Ist nur ’ne Kleinigkeit. „Seitdem gehen wir nicht mehr schweigend aneinander vorbei“ so ihre Anmerkung. Kleinigkeiten: Fünf Brote, zwei Fische und ein Schokoriegel reichen auch heute nicht aus, die anstehenden Probleme zu lösen, sie reichen jedoch weiter, sie reichen zum Menschen!

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 27.7.2003
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Hildegard von Bingen

„Es ist nach zwölf, Gedanken zum Frieden“

Unter diesem Titel veranstaltete die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) in Aachen am Mittwoch den 4. Juni 2003 ihre 19. Friedenswache.

Begonnen hat die KHG diese Friedenswache, eine Idee von Studierenden, am 19. Januar 2003, und sie sollte jeweils mittwochs als ein kleines, aber deutliches Zeichen gegen den drohenden Irakkrieg fortgesetzt werden.

Die Besucherinnen und Besucher dieses „Augenblickes gegen Gewalt“ mussten, wie alle anderen Kriegsgegner auch, die Tatsache des Irakkriegs hinnehmen. Dieser Krieg ist (fast) vorbei, aktuelle Kriege und die Bedrohung durch neue Kriege aber bleibt bestehen. So bleiben diese „Gedanken zum Frieden“ mindestens bis zum Weltfriedenstreffen, das vom 7. September bis zum 9. September in Aachen stattfinden wird, ein nicht ganz stiller Protest für den Frieden in unserer Welt.

Offizielle Vertreter sowie Studierende der verschiedenen Weltreligionen, Künstler, Kulturschaffende und Verantwortungsträger der Gesellschaft haben aus ihrer Perspektive Gedanken zum Frieden mit den Anwesenden geteilt.

Der folgende Beitrag zu einem Lied der heiligen Hildegard von Bingen und deren Interpretation war Inhalt der 19. Veranstaltung in dieser Reihe:

Hildegard von Bingen

Über das für die damalige Zeit ungewöhnlich lange Leben der Ordensfrau und Mystikerin Hildegard von Bingen (1098 – 1179) gäbe es viel zu berichten. Eine ihrer herausregenden Talente war die Predigt, eine Reflexion der Heiligen Schrift auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen. Hildegard war keine Predigerin der fromme Sprüche, sondern sie widmete sich, wie man heute sagen würde, den tagespolitische Ereignisse, und schreckte in der damaligen Klarheit ihrer Worte nicht vor den Autoritäten aus Kirche und Gesellschaft zurück.

Fragment eines Liedes der heiligen Hildegard:

Dieser Gesang, der sechzigste in der Folge der Lieder, handelt von der Vorausschau Gottes, der „urewig jedes Geschöpf hat erschaut“. Dieses „Wissen im Herzen der Gottheit“ ist das Wunder vor der Schöpfung. Aus ihm entspringt auch der Mensch als Abbild der Schöpfung. Mit Hildegards Worten: „Denn Gott, da er blickte ins Antlitz des Menschen, den er gebildet, er sah all sein Werk insgesamt in dieser Menschengestalt.“ Dann greift der Text die Formulierung des Anfangs auf: „O quam mirabilis est praescientia“. (O, wie wunderbar ist der Hauch, der Geist, der so den Menschen erweckte.)

Auszug aus dem Originaltext, in lateinischer Sprache gesungen von H. R. Dageförde, Aachen.

„Wie wunderbar ist doch das Wissen im Herzen der Gottheit,
das urewig jedes Geschöpf hat erschaut!
Denn Gott, da er blickte ins Antlitz des Menschen,
den er gebildet,
er sah all sein Werk insgesamt
in dieser Menschengestalt.
Wie wunderbar ist dieser Hauch,
der also den Menschen erweckte.“

Interpretation:

„Wie wunderbar ist doch das Wissen im Herzen der Gottheit“.
Alles, was im Werden der Schöpfung geworden ist und wird ist das Wissen im Herzen Gottes allewig!
Alles, was dem Herzen der Gottheit entsprungen ist, ist das Sein des Existenten: Welt, Firmament, Gestirn, Milchstraße das All, unendliches Alles!

Im Menschen sah er sein Werk insgesamt. In seinem Antlitz spiegelt sich das unendliche Alles des göttlichen Herzens.

Der Mensch ist der liebevolle Gärtner, Abbild Gottes, der gerufen ist zu pflegen, zu ordnen, werden zu lassen was das Herz Gottes hervorgebracht, allewiglich. Im Herzen Gottes gibt es kein Unkraut, kein „das Fremde will ich nicht“, keine „höherstehende Kultur“, keine bedrohende und drohende Religion, kein „dein Gesicht du Mensch ist nicht geladen“, keinen Abfall.

Im Ausgebreiteten Herzen Gottes, dem „Alles Ist“, ist der Mensch der Entdecker, der „in Allem Ist“ die Spur des Herzens Gottes zu finden gerufen ist.

Warum aber lässt Gott den Menschen suchen? Warum sehnt sich der Mensch danach zu finden? Warum bleibt der Mensch nicht das Geschöpf des Anfangs? Weil der Mensch entschlossen hat sein Ich gegen das Andere zu entfalten, hinaus aus dem „insgesamt“, denn er hörte das „nur mein Herz“ immer kräftiger schlagen, und es schlug kräftiger, und schlug , und schlug, und erschlug das Andere, das nicht ich. Das Herz Gottes, das in Allem Ist, wurde zur Reminiszenz, beliebiger Zuschlag .

Der Mensch hörte seinen Herzschlag, seinen Herzschlag, seinen Herzschlag: Mein Land. Seinen Herzschlag. Mein Vieh. mein Wasser, mein Besitz. Einen Herzschlag. Meine Logik, mein Wissen, meine Stadt, meine Nation. Einen Herzschlag. Mein Himmel. Ein Weg zur himmlischen Ewigkeit, mein Weg. Mein Vorgarten: Platz für nur mein Auto.

Gottes Herzschlag begann vor so viel „mein“ zu verklingen, und stirbt ungezählte Tode im Herzen anderer Menschen, die schwächer wurden im Ausgrenzenden mein, mein, mein und noch mal mein. So war nicht ein Land, nein Länder wurden. So war nicht ein Volk, nein Nationen wurden. So war nicht ein Fluss, nein Flüsse wurden. So war nicht ein Bekenntnis, nein Religionen wurden.

So war nicht ein Gott, insgesamt!
Denn es entstanden Macht und Unterdrückung. Trennung, Zersplitterung, Vereinzelung, Habsucht. So wird und wurde ein nicht mehr „insgesamt“ geboren. Glücklich aber war der Mensch noch immer nicht.

Und Gott schenkte eine Schrift. Und eine zweite. Und eine dritte Schrift, damit die Menschen, aus der Trennung, hier im Jenseits des Insgesamt den richtigen Weg zurück zum „Allewigen“ finden.

Und damit jeder erkenne:
Gott ist der Weg zurück, zum Insgesamt, dem Herzen Gottes, der Friede ist, der Alles ist.

Alles Ist im Antlitz des Menschen:
„Wie wunderbar ist dieser Hauch,
der also den Menschen erweckte.“

Friede,
weil alle
insgesamt!

„Wie wunderbar ist dieser Hauch,
der also den Menschen erweckte.“

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