Ein Vor-läufiges stolpern
Die Kirchen entdecken verstärkt seit einigen Jahren die zeitgenössische Kunst als neuen Habitus sakraler Bauten. So wandeln sich Kirchenräume für begrenzte Zeit in Ausstellungsflächen, mutieren zu Podien für Kunstaktionen oder bilden eine einzigartige Location für Performances. Künstler werden engagiert, um Altäre, Kirchenfenster und Amben zu gestalten, liturgisches Gerät herzustellen und Kaseln zu kreieren. Vordergründig scheint die Kirche mit der modernen Kunst Hand in Hand daherzukommen. Gerade die Hochschulpastoral, traditionsgemäß moderner Kunst zugewandt, investiert ebenfalls neue Kräfte in diesen Trend. Aber ist das alles deswegen schon Kunst, weil Kunst draufsteht, sie in Kirchen steht oder von Künstlern einfach angedient wird? Wird hier nicht auch manchmal moderne, zeitgenössische Kunst verwechselt mit Kunsthandwerk oder Illustrationskunst?
Passt oder gehört überhaupt moderne beziehungsweise zeitgenössische Kunst, die nie für einen Kirchenraum geschaffen wurde, in solch ein sakrales Ambiente, oder prostituieren sich da wechselseitig Künstler und Kirchen. Ist das die moderne Kunst der Kirche, mit der sie sich zu schmücken meint, die Funktionsgegenstände verziert, Altartische zu Blickfängen macht oder sich als Event in weihrauchgeschwängerter Weite präsentiert. Was haben zeitgenössische Kunst und Kirche, was haben zeitgenössische Kunst und Hochschulpastoral miteinander zu tun?
Diese Fragestellung ist also das primäre Anliegen meiner Ausführungen. Ich möchte Hochschulpastoral aber auch beziehen auf mittelalterliche Kunst, die in vielen Domschatzkammern einer mehr oder minder interessierten Öffentlichkeit dargeboten wird. Nicht nur mit Blick auf Studierende bin ich der Überzeugung, dass mittelalterliche Kunst, in einen sensibilisierenden Kontext gestellt, relevant sein kann für die Antwortsuche der Menschen heute auf seine drängenden Fragen.
Das Problem mit dem „Und“
Mein Anliegen ist es, mich mit dem Thema Hochschulpastoral und Kunst auseinander zu setzen und in nicht klar zu definierenden Gefilden Stellung zu beziehen.
Allein schon das Kopulativ „und“ zwischen den Substantiven Kunst und Hochschulpastoral lässt Spekulationen zu, die sich leicht als Stolpersteine entpuppen könnten. Verrät ein solcher Titel eventuell die Wiederkehr der Vereinnahmung der Kunst von Seiten der Kirche, die sie im 20. Jahrhundert doch endlich entgültig abgeschüttelt hat. Ist es nicht grundsätzlich ein Affront gegen die Kunst, sie mit einem „und“, und somit mit etwas anderem als sich selbst in Verbindung zu bringen, und sie so eventuell ihrer hochgelobten „Zweckfreiheit“ zu berauben?
Muss man nicht grundsätzlich konstatieren, dass der Begriff Hochschulpastoral, der doch auch etwas mit der Verkündigung der Frohen Botschaft, mit Glauben und auch mit sakralen Räumen zu tun hat, sich erfahrungsgemäß nicht wirklich auf Kunst beziehen kann, höchstens auf das religiöse Kunsthandwerk.
Ist die Hochschulpastoral eine Art Avantgarde von Kirche, die den Mut hat, gegen jeden Trend dem Weg zu einer vom Glauben an Gott (als Kirche) geprägten Kunstrichtung das Wort zu geben? Oder will sich Hochschulpastoral mit dem ausgeliehenen Fremdkörper Kunst schmücken, um ihre Begegnungsräume zu kleinen Musetempeln umzufunktionieren nach dem Motto: Kunst ist in, ob in Einkaufsgalerien, Bankhäusern oder Konzernetagen des Managements, warum denn dann nicht auch bei uns!
Soweit seien nur einige potentielle „Problemfelder“ und Fragestellungen angesprochen, die mit dieser Themenstellung assoziiert werden könnten. Aber damit nicht genug. Nähern wir uns dem Wort Kunst als einem Begriff, der im Gegensatz zu einem Synonym für all das steht, was gewollt aber nicht gekonnt wurde, dann stellt sich die Frage: Was ist eigentlich Kunst jenseits subjektiver Festlegung?
Was ist Kunst
Im Folgenden möchte ich zuerst an Hand einiger Nachschlagewerke erste Schwierigkeiten aufzeigen, die das Problem einer verbindlichen Definition des Begriffes Kunst anzeigen. Darauf folgen Aussagen von namhaften Künstlern zum Begriff der Kunst, die Befassung mit einer Sammlung zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, und die Anleihe eines Aspektes kunstphilosophischer Betrachtung, um dann diese Anregungen in einen stolpernden Annäherungsversuch an die Kunst, so wie ich sie gelernt habe, sie zu verstehen, münden zu lassen.
Nachgeschlagen
Im Herder Konversationslexikon von 1905 heißt es zum Stichwort Kunst u. a.: „Kunst (v. können), urspr. jede geschickte und verständnisvolle Betätigung irgend eines Könnens (…) später nam. für die höheren geistigen Tätigkeiten gebraucht (z. B. für die 7 ‚freien Künste‘); seit dem 18 Jh. insbes. für die schönen1 Künste: die planmäßig geübte Bildung schöner Formen zur Weckung ästhetischer Freude. Diesen Zweck erreicht die K. durch verklärende Nachahmung ästhetische reizvoller Naturformen, aber auch durch völlige Neuschöpfung der Phantasie. Die Darstellung des Schönen ist beherrschender Zweck des K.schaffens. (…) Die K. als Selbstzweck (l’art pour l’art), d.h. ohne Rücksicht auf innere Zweckbeziehung u. ethischen Inhalt, ist sachlich unhaltbar und geschichtlich widerlegt (…)“.2
Die Spur, die diese Definition in das beginnende 20. Jahrhundert hinein zieht, legt Wert darauf, den Kunstbegriff mit „Nachahmung ästhetischer reizvoller Naturformen“ zu verbinden, aber lässt auch die „völlige Neuschöpfung der Phantasie“ zu und betont gleichzeitig die Darstellung des Schönen in der Kunst. Eindeutig weist diese Ausführung den reinen Selbstzweck der Kunst zurück. Die stärkste Betonung dieser kurzen Ausführung liegt jedoch auf dem dreimal aufgeführten Begriff: das Schöne.
Die folgenden zwei Artikel sprechen ohne jedwede Qualifizierung der Kunst von dem „durch das menschliche Können Geschaffene“. Wobei der „Kluge“ noch zu betonen sich anschickt, dass die Einengung auf künstlerische Betätigung eine Entwicklung erst seit dem 18. Jahrhundert sei.
So definiert das Fremdwörterbuch von Duden : „Artefact, das: 1. das durch menschliches Können Geschaffene, Kunsterzeugnis. 2. Werkzeuge aus Vorgeschichtlicher Zeit, das menschliche Bearbeitung erkennen lässt.“3
Ähnlich führt der Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, an: „Kunst f.(<9. Jh.). Mhd. kunst, ahd. kunst, as. kunst, kust; wie afr. kunst ein ti-Abstraktion mit Übergangslaut s zu können. Die Einengung auf künstlerische Betätigung und auf den Gegensatz zu Natur ist erst seit dem 18. Jh. ausgeprägt…“4
In allen drei Definitionen finden sich zwei dominante Begrifflichkeiten: Das Schöne, und das durch Können Geschaffene.
Das „Große wissen.de“, ein Bertelsmann Lexikon auf CD Rom, definiert etwas umfangreicher und so weitergehend, auch das Unklare benennend:
„Kunst, im weiteren Sinn ist die Anwendung angeborener oder erworbener Fähigkeiten in hoch entwickelter, spezialisierter Form als „Können“ oder Kunstfertigkeit und das Resultat dieser Betätigung (Kunstwerk), sofern es durchschnittliche Leistungen übersteigt; im engeren Sinn jedes schöpferisch-ästhetische Gestalten und dessen jeweiliges Ergebnis auf den Gebieten der einzelnen Kunstarten und -gattungen. Genauere Definitionen, besonders über das Wesen dieses ästhetischen Schaffens, sind schwierig, da sie von der Beantwortung einer Reihe von Vorfragen abhängen, die die Wurzeln des künstlerischen Tuns, die Definition des Schönen, die Aufgabe der Kunst u. Ä. betreffen. Diese Vorfragen wurden in allen Epochen aufgrund der unterschiedlichen Anschauungen vom Wesen des Menschen verschieden beantwortet (Kunstphilosophie). (…) Die moderne Anschauung ist uneinheitlich: Infolge der Erweiterung des Kunstbegriffs (u. a. durch J. Beuys) sind allgemeinverbindliche Aussagen nicht möglich. Die Gliederung der gesamten Kunstausübung richtet sich einmal nach den Gestaltungsmitteln, mit denen sich der Künstler äußert (z. B. Tonkunst oder Musik, die darstellenden und ausdeutenden Künste des Schauspielers, des Musikers, des Tänzers u. a.), zum andern nach dem Zweck der Kunst (Gebrauchskünste: Architektur, Gebrauchsgrafik, Gartenkunst, Kunstgewerbe; die freien Künste: Malerei, Literatur, Musik).“5
Wesentlich in dieser Ausführung ist die Feststellung, dass Kunst schwierig zu definieren sei, und dass die zeitgenössische Anschauung der Kunst, das Wesen ästhetischen Schaffens, uneinheitlich ist auf dem Hintergrund eines erweiterten Kunstbegriffes. Aber auch diese Ausführungen sprechen das Können und das Schöne an.
Im „Kunstwerk“ festgehalten lässt sich unter dem Strich festhalten: Die zum Beispiel allgemein als Kunstwerk anerkannte „Nachtwache“ von Rembrandt aus dem Jahre 1642 bleibt genauso ein Kunstwerk wie der zwischen 1165 und 1215 geschaffene romanische Schrein Karls des Großen. Die moderne und zeitgenössische Kunst allerdings hat Werke hervorgebracht, die den „klassischen“ Kunstbegriff weiten, und die so nicht mehr einzig „zu messen“ sind an den Kriterien, die die „Nachtwache“ Rembrandts und den Schrein Karls des Großen zur Kunst erhoben.
Künstlerworte
Bei den folgenden „geflügelten Worten“ namhafter Künstler rückt ein weiterer Begriff in den Vordergrund:
„Das Kunstwerk ist das allergrößte Rätsel, aber der Mensch ist die Lösung.“ (J. Boys 1985)
„Ich kenne noch keine bessere Definition für das Wort Kunst als diese: Kunst, das ist der Mensch!“ (V. van Gogh 1879)
„Die Kunst ist die herrlichste Mission des Menschen, da sie die Ausübung des Denkens ist, das versucht die Welt zu ergreifen und sie uns begreifbar zu machen.“ (A. Rodin)
„Der Künstler sollte, als Schöpfer, das ausdrücken, was ihm persönlich ist, alsMensch seiner Zeit, was seiner Epoche eigen ist und als Diener der Kunst, was generell der Kunst eigen ist“. (W. Kandinsky)
In diesen Formulierungen korrespondiert der Mensch unübersehbar mit der Kunst als Lösung der Kunst (Boys), als Definition von Kunst (van Gogh), Kunst als des Menschen Mission zu begreifen (Rodin) und der Mensch (Künstler) als Diener der Kunst. Diese Andeutungen reichen, um zwischen dem Menschen (nicht nur als Künstler sondern auch als „Betrachter“) und der Kunst eine nicht genauer definierte Interdependenz anzunehmen.
Ein vor-sichtiges Resümee
„Solch ein kurzer Aufriss (…) des Kunstbegriffes macht deutlich, wie schwer heute Kunst zu definieren ist. War die Kunst bei Aristoteles kurz gesagt eine Nachahmung der Natur – und auf diesem Weg etablierte sich später das Kriterium für die Kunst, die Schönheit nach dem Vorbild der Natur – so kann heute Kunst nicht mehr eindeutig begriffen werden. Kunst zielt nicht mehr nur darauf ab, das Schöne, Vollkommene, herauszustellen, sondern Sichtweisen auf unsere Existenz zu finden, darzustellen oder anzuregen, die bisher nicht selbstverständlich gewesen sind.“6
Anmerkung: Mit diesen fragmentarischen Ausführungen wollte ich auch den letzten namenlosen Verfechter einer (subjektiv) eindeutigen Kunstdefinition einladen, mit einem nicht mehr zu klärenden Kunstbegriff leben zu können. Aber auch so manchem, dem die Erkenntnis dieser allgemeinen Ausführen schon längstens vertraut sind, möchte ich zu Gunsten eines breiten Kunstverständnisses die möglichen eigenen Kunstvorlieben als eben nur Vorlieben vor Augen halten.
(K)Eine Ahnung von Kunst
Im Vorwort zu „Art at the Turn of the Millennium“ schreiben Uta Grosenick und Burkhard Riemschneider:
„Mit ‚Art at the Turn of the Millennium‘ liegt zum ersten mal ein Buch vor, das die wichtigsten Künstler der achtziger und neunziger Jahre vorstellt. Auf den vorliegenden 576 Seiten präsentieren wir 137 unterschiedliche künstlerische Positionen anhand von über 1200 Abbildungen (…). Wenn in ‚Art at the Turn of the Millennium‘ von zeitgenössischer oder Gegenwartskunst die Rede ist, so meinen wir Künstler, deren bisheriges Gesamtwerk – mit wenigen Ausnahmen – nicht älter als zwanzig Jahre ist, also immer noch einer Entwicklung unterliegt. (…) Die Linse, durch die wir die letzten zwei Jahrzehnte Kunstschaffen betrachten, ist nicht rückwärts, sondern nach vorn, ins nächste Jahrtausend gerichtet. ‚Art at the Turn of the Millennium‘ will die achtziger Jahre nicht historisierend darstellen, sondern deren vielfältige Einflüsse auf die Künstler der neunziger Jahre verdeutlichen. In der Aufarbeitung vergangener Positionen haben diese ein neues künstlerisches Vokabular geschaffen. Wir möchten dem Leser eine Ahnung davon geben, was in den nächsten zehn Jahren auf der Plattform der Kunst passieren kann. An dieser Stelle weisen wir darauf hin, dass wir keine Trends kreieren, sondern bereits vertretene – und seien es auch ganz junge – Positionen vorstellen wollen. Dabei spielen die Galerien, die heutzutage weitgehend die Funktion von Vermittlung neuer Tendenzen übernommen haben, eine zentrale Rolle. Die beschriebenen Richtungen orientieren sich an einer Öffentlichkeit und damit auch an einem – nicht zu ignorierenden – Kunstmarkt. Grundsätzlich haben wir von vornherein in unserer Darstellung auf Wertungen und Einordnungen verzichtet. Dies entspräche einer Betrachtungsweise, die sich mit abgeschlossenen kunsthistorischen Epochen befasst. (…)“7
Dieser Artikel sprich von unterschiedlichen künstlerischen Positionen, von noch nicht abgeschlossenen Gesamtwerken künstlerischen Schaffens, von dem Einfluss der (hier) achtziger Jahre auf das Schaffen der Künstler in den neunziger Jahren, von einem neuen künstlerischen Vokabular aus der Aufarbeitung vergangener Positionen entstanden und von der Ahnung dessen, was in den nächsten 10 Jahren auf der Plattform der Kunst passieren kann. Selbst den Galerien wird eine zentrale Rolle in der Vermittelung neuer Tendenzen in der Kunst zugestanden. Kunst scheint sich irgendwie auch an einer Öffentlichkeit zu orientieren und somit an einem „nicht zu ignorierenden Kunstmarkt“. Auf Wertungen und Einordnungen der hier präsentierten Kunstwerke wird bewusst verzichtet und diese den Kunsthistorikern überlassen, so die Autoren.
Kunst scheint grenzenlos zu werden (geworden zu sein), ohne verbindliche konstituierende Merkmale, frei von zu habenden und handhabbaren Kriterien. Kunst ist einfach da. Das vermeintlich Schöne spielt schon längst keine qualifizierende Rolle mehr. Wer behauptet „Kunst kommt von Können“ begibt sich in den Argumentationsnotstand. Kunst ohne den Menschen ist allerdings nicht vorstellbar. Wer sollte sonst auch hinschauen auf das, was geschaffen wurde!
EIN Minimum
Als eine Minimal-Definition eines erweiterten Kunstbegriffes versucht Reinhold Schmücker, mit Blick auf eine anzunehmende Funktion der Kunst, einen Aspekt herauszustellen, der wie jeder andere Versuch einer fragmentarischen Definition auch streitbar bleiben wird.
„Allen Kunstwerken gemeinsam ist zunächst die Funktion, eine ästhetische Erfahrung hervorzurufen. Ich nenne die Funktion die ästhetische Funktion der Kunst. Unter einer ästhetischen Erfahrung verstehe ich dabei jede kontemplative, auf einen bestimmten Wahrnehmungsgegenstand gerichtete Aufmerksamkeitskonzentration, die um die Gewahrung der Eigenheit dieses Gegenstandes willen erfolgt. (…) Dass jedes Kunstwerk eine ästhetische Erfahrung hervorzurufen vermag, wird nämlich auch derjenige zugestehen, der meine Explikation einer solchen Erfahrung für unzulänglich hält. Weil die Kunst die ästhetische Funktion mit anderen Gegenständen sinnlicher Wahrnehmung, beispielsweise mit der ästhetischen Natur, teilt, ist diese Funktion, obschon sie allen Kunstwerken eignet, für die Kunst nicht konstitutiv. Anders verhält es sich mit einer speziellen ästhetischen Funktion, die man alskunstästhetische Funktion bezeichnen kann, weil sie auf die Eigentümlichkeit der ästhetischen Erfahrung von Kunstwerken Bezug nimmt. Die ästhetische Kunsterfahrung unterscheidet sich nämlich von der ästhetischen Erfahrung anderer Sinnesdinge dadurch, dass sie in ein Verstehen einmünden kann und will. Die kunstästhetische Funktion, eine ästhetische Erfahrung hervorzurufen, die in ein Verstehen einmünden kann und will, ist deshalb für Kunst konstitutiv. Jedes Artefakt, das sie besitzt, ist ein Kunstwerk, wohingegen ein Artefakt, das sie nicht besitzt, kein Kunstwerk sein kann. (…) Der Besitz der allgemeineren ästhetischen Funktion, die von der kunstästhetischen Funktion impliziert wird, ist dagegen nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Zugehörigkeit eines Artefakts zur Klasse der Kunstwerke.“ 8
Die Kernaussage dieser Ausführungen bezieht sich auf die spezielle kunstästhetische Funktion, die eine ästhetische Erfahrung hervorzurufen in der Lage ist, die in ein Verstehen einmünden kann und will. Anders formuliert: Die spezielle kunstästhetische Funktion, die eine allgemeinere ästhetische Funktion impliziert, ist mehr als eine allgemeine Ästhetik die z. B. „Bewunderung“, kontemplatives Verweilen, schöne Anschauung und konzentriertes Eingenommensein hervorruft. Die spezielle kunstästhetische Funktion lässt den Betrachtenden „stolpern“. Oder etwas pointierter formuliert: Kunst ist das gewollte Komma nach dem selbstgesetzten Punkt.
Die Kunst zum Stolpern
Kunst ist nicht mehr nur schön und zeichnet sich auch nicht mehr nur durch ein an Kriterien zu messendes Können aus. Kunst hatte immer das Interesse etwas zu bewirken, z. B. im Staunen über das Schöne zu verharren. Ein erweiterter Kunstbegriff impliziert auch den Anspruch der Wirkung, aber in dem Sinne eines über das Kunstwerk hinausgehende Verstehen.
Kunst muss zum „zweiten Stehenbleiben“ einladen und auffordern. Aber nicht nur in der reinen Anschauung des Geschaffenen, als die Hinnahme ihres Vorhanden seins, sondern auf Grund des Augenblickes inneren Stolperns im Sinne der „speziellen kunstästhetischen Funktion“ (R. Schmücker), die mehr zu verstehen zeigen möchte als ihr anzusehen ist.
Ein nur Vordergründiges über die Äußerlichkeiten des Kunstwerkes Stolpern bedeutet, dass der Betrachtende bei seinen Wahrnehmungen wie Anmut, Aufruhr, Ablehnung, Begeisterung, Enttäuschung, Protest, Ekel, Harmonie, Schönheit, Kritik oder Entsetzen im Schauen auf das Kunstwerk verharren will, darüber hinaus aber die Einladung des Kunstwerkes zur Einlassung bewusst verweigert.
Stolpern heißt den ersten potentiellen Sturz aushalten zu wollen, der mich vom sich annähernden Betrachtenden zum Angeschauten werden lässt. Erst die Anziehung des Kunstwerkes und die Annäherung des Angezogenen lässt erahnen, „was“ innehalten lässt und gleichzeitig weiterführt.
Der subjektiv wahrgenommene äußere Grund des Stolperns kann z.B. im Material, der Technik, der Bewegung, der Zuordnung, der Verfremdung, der Überraschung. der Raumwirkung, der Ausmaße, der Akustik eines Werkes begründet sein. Diese aber lassen sich auch nicht objektiv kategorisieren.
Stolpern, Kriterium für ein Kunstwerk
Die Intention dieses Stolperns ist das sich fallen lassen wollen, also ein Fall (ein Ein-fall). Dieses Fallen verstehe ich als ein „heraus-fallen“ aus der eigenen momentanen Ich – Befindlichkeit, aus Gewohnheiten, Sicherheiten, vorläufigen Erkenntnissen, Gewissheiten, Selbstwahrnehmungen, Urteilen, und Sichtweisen. Das Ziel dieses so verstandenen Heraus-fallens ist, da anzukommen, wo ich noch nicht bin und auch noch nicht war.
Kunstwerke laufen Niemandem hinterher, aber sie können dem Betrachtenden nachgehen. Er entscheidet dann selbst (mit unter in Sekunden), ob er dieses vom Kunstwerk ausgehende Stolpern aushalten möchte und sich in seiner momentanen Selbstbefindlichkeit dem stellt, was ihn hat stolpern lassen, oder ob er sich vom Kunstwerk abwendet und sich so unberührt gibt.
Der „Heraus-fall“ des Betrachters, wenn er in diesem Sinne auch bereit ist zu stolpern, weist über sein „eben-noch-so-gewesen-Sein“ hinaus.
Kunst, die nicht den Anspruch von sich erhebt, Grund des Stolperns zu sein, Kunst die die Kraft zur Veränderung in sich nicht angelegt wissen will, die keine Anfrage ist, nichts in Frage stellt und keine Frage wert ist, ist fragenlose Kunst und somit in meinen Augen fraglos keine Kunst.
Kunstwerke müssen den Betrachter zum stolpern bringen, das ist ihre Intention, die sie zum Kunstwerk macht und werden lässt und ein sie qualifizierendes Merkmal.
Ein Kunstwerk markiert den Punkt seines Daseins aus sich selbst heraus, so wie der Punkt hinter einem abgeschlossenen Satz seinen Abschluss markiert. Gleichzeitig setzt das Kunstwerk aus sich heraus das Komma, das über das Dasein des Kunstwerkes hinaus führen will, so wie das Komma in einem Satz seinen Fortgang markiert. Das Kunstwerk ist der Ineinsfall von „Punkt und Komma“.
Kunstwerke existieren neben anderen Kunstwerken. Gemeinsam kann ihnen ein gleicher Anspruch sein. Kein Kunstwerk allein birgt in sich die Potentialität, den Betrachter endgültig in die Antworten auf all seine lebensrelevanten Fragen heraus stolpern zu lassen.
Leben, wenn es denn als Lebendigkeit gespürt werden will, bleibt ein stolpern wollen (auf die Kunst bezogen) und ein stolpern müssen (auf einschneidende Lebensrealitäten bezogen). Das Kunstwerk birgt (verbirgt) die Sehnsucht des Menschen, hinter dem letzten Stolpern in den großen Sturz nicht bodenlos zu fallen und sie „verkörpert“ die Ahnung dessen.
Was ist Hochschulpastoral
Hochschulpastoral ist ein Tätigkeitsfeld der Seelsorge einer jeden Diözese, dass angesiedelt ist an den Standorten der Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen. Sie zählt nicht explizit zu den Aufgaben einer Pfarrgemeinde. Hochschulpastoral ist den Aufgabenfeldern der sogenannten kategorialen Seelsorge auf Bistumsebene zugeordnet, die sich z.B. auch an Senioren, Gefangene, Angehörige des Militärs, Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, Kranke und Behinderte wendet.
Damit ist aber nicht intendiert, dass diese Personengruppen nicht auch eine Beheimatung in der sogenannten territorialen Seelsorge finden könnten, die auf ein bestimmtes Territorium bezogen eine Pfarrgemeinde ist. Kategoriale Seelsorge ist die die über Pfarrgemeinde hinausgehende Präsenz der Kirche (eines Bistums) in unserer Gesellschaft, die auf Zielgruppen bezogen ist. Dabei steht nicht die Verortung im Vordergrund, sondern die besondere Lebenssituation.
Worte der Bischöfe
In der Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls zur Präsenz der Kirche an den Universitäten und in der universitären Kultur von 1994 wird die Hochschulpastoral als eine besondere Sorge der Bischöfe (Ortsordinarien) hervorgehoben.
Das zweite Vatikanische Konzil hat in seiner Erklärung über die christliche Erziehung „Gravissimum educationis“ eine grundlegende Erklärung zur Hochschulpastoral abgegeben und die Bischöfe beauftragt, für die Hochschulpastoral Sorge zu tragen:
„Weil das Schicksal der Gesellschaft und der Kirche selbst mit der Entwicklung der Hochschulstudenten sehr eng verbunden ist, sollen die Oberhirten der Kirche nicht nur für das geistliche Leben der Studenten an katholischen Universitäten Sorge tragen; sie sollen vielmehr, um die geistliche Bildung aller ihrer Söhne besorgt, nach sachdienlichen Beratungen der Bischöfe darauf achten, dass auch an nichtkatholischen Universitäten katholische Studentenheime und Universitätszentren errichtet werden, in denen sorgfältig ausgewählte und vorgebildete Priester, Ordensleute und Laien der studierenden Jugend dauernde geistliche und geistige Hilfe bieten.“ 9
Der Beschluss der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland von 1976 betont auch die vordringliche Bedeutung der Hochschulpastoral: „Die Hochschulpastoral gehört zu den vordringlichen Aufgaben der Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Daher ist die Arbeit der Hochschulgemeinden zu unterstützen. An der Hochschule verwirklichen die Hochschulgemeinden die Grundfunktionen der Kirche: Glaubensdienst (Verkündigung), Gottesdienst (Liturgie) und Bruderdienst (Diakonie). Es ist ihre Aufgabe, diese in ihrem vollen Umfang zum Maßstab ihrer pastoralen Tätigkeit zu nehmen“. 10
Weiter betont die Synode in ihrem Beschluss „Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich“ unter dem Titel „8. Zur Hochschulbildung und Hochschulpastoral“, dass die Hochschulgemeinden allen, die im Bereich der Hochschule lehren und lernen, umfassend Hilfe leisten soll. Es ist ihre Aufgabe Lehrende und Lernende im Gespräch zu verbinden, Konflikte zu lösen und ihre Mitglieder und Arbeitsgruppen zu verantwortlicher Übernahme von Aufgaben in den Gremien der Hochschule und bei persönlichen wie sozialen Hilfeleistungen zu ermutigen.
Dabei erwartet die Synode von den Hochschulgemeinden, dass sie ihre Arbeit mit Blick auf alle die im Bereich der Hochschule tätig sind gestaltet. Die Bemühungen der Hochschulgemeinden dürfen nicht auf einzelne Gruppen eingeengt werden, sondern müssen alle freien Initiativen und Formen von Zusammenschlüssen berücksichtigen. Auch politische Verantwortung in Hochschule und Gesellschaft ist den Hochschulgemeinden nicht abzusprechen. Einseitige Parteinahmen, so wünscht die Synode, sollen dabei allerdings vermieden werden.
Der kirchliche Auftrag zur Hochschulpastoral wird immer im Kontext der jeweiligen Zeit wahrgenommen. Die Situation der Kirche und der Gesellschaft, die Lage der Studierenden und die Situation der Hochschulen, die öffentliche Meinung und das, was manchmal als „geistige Großwetterlage“ bezeichnet wird, bestimmen wesentlich die Hochschulpastoral mit.11
Soweit einige grundlegende Aspekte der Hochschulpastoral aus der Sicht kirchlicher Dokumente.
Grundvollzüge
Die hier angesprochenen Aspekte zusammengefasst, auf dem Hintergrund der Grundvollzüge christlichen Lebens, lauten: Hochschulpastoral im Kontext globalen Wandels, als die identifizierbare „Präsenz der Kirche an den Hochschulen“, ist ein zentraler Auftrag der Kirche, der als ein Angebot alle in den Hochschulen Handelnde erreichen möchte.
Diese Präsenz bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf die katholischen Studentinnen und Studenten, obwohl sie diese auch in besonderer Weise anzusprechen sucht. Hochschulpastoral will die Lebenssituationen und Lebensbedingungen der Studierenden, die Bedingungen des Studiums, das interreligiöse und interkulturelle Miteinander der in die Hochschullandschaft Involvierten, Forschung, Wissenschaft, und Lehre, sowie die über das Studium hinaus persönlichkeitsbildende Qualifizierungen in den Blick nehmen.
Im Mittelpunkt der Hochschulpastoral steht der Studierende. Er ist, egal welcher Fachrichtung, Nationalität und Religion er sich zuordnet, erster Ansprechpartner pastoralen Handelns. Fundament hochschulpastoralen Handelns, im Sinne der Sorge um das gelingende Leben der an den Hochschulen Tätigen, ist die befreiendende Botschaft Gottes, die uns in Jesus Christus geoffenbart worden ist.
Das Evangelium nach Johannes formuliert diese Botschaft Jesu: „(…) ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10, 10b).
Dieses Gotteswort findet seinen Ausdruck im Menschenwort: in der Beratung und Begleitung von Studierenden und Lehrenden, durch die Feier der Liturgie, in unterschiedlichen Formen der Interaktion zwischen den Religionen, Kulturen und Traditionen, in finanzieller Unterstützung von in Not geratener Studierender, in gemeinsamer Freizeitgestaltung, in einer aktiven Mitverantwortung füreinander, durch die Einmischung in hochschulpolitische und gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse sowie in einer partizipativen Anteilhabe an Entscheidungsprozessen.
Die Option für „Randgruppen“, Benachteiligte, und Vergessene ist für die Hochschulpastoral genauso eine Herausforderung, wie ihre ethische und soziale Einlassung in Forschung, Wissenschaft und Lehre.
Studierende, die nach ihrem Studium in der Regel Entscheidungsträger an den Schaltstellen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Handelns sind, benötigen Lern- und Orientierungsfelder eines gerechten, wertschätzenden und qualifizierenden Miteinanders. Dazu bedarf es einer facettenreichen Persönlichkeitsbildung, zu der u. a. auch die Fähigkeit zu einem interkulturellen Konfliktmanagement gehört sowie ein bodenständiges Selbstwertgefühl.
Als kirchliche Einrichtung, mit Blick auf die zukünftigen beruflichen Tätigkeiten der Studierenden, leistet die Hochschulpastoral einen Beitrag zur interkulturellen, interreligiösen und international geprägten Persönlichkeitsbildung Studierender. Diese anspruchsvolle Anteilnahme an der Entwicklung der Persönlichkeit junger Akademikerinnen und Akademiker kann nur dann gelingen, wenn die Kirche ihre Botschaft einbringt, und somit sich selbst nicht verleugnend auf Grund ihrer Kompetenz dazu beiträgt, dass die Studierenden Beheimatung auch in ihrer eigenen Kultur und Religion (wieder-) finden.
Problemanzeige und Herausforderung
Hochschulpastoral ist von der Kirche ausdrücklich gewollt. Die Kirche wird in unserer Gesellschaft oft aber sehr kritisch bis ablehnend bewertet, und davon bleibt die Hochschulpastoral als Institution der Kirche nicht unberührt.
„Grundlage der Hochschulpastoral aber muss ihre Identifizierbarkeit sein, als ein von der Kirche gewolltes und verortetes Angebot frei von jedem Etikettenschwindel! Aber bisher stößt die Hochschulpastoral auf ein kaum auszurottende Problem. Es gibt in einer breiten Öffentlichkeit das tradierte Bild einer katholischen Kirche, die sich zurückgewandt, introvertiert, unzeitgemäß und arrogant zeigt. Dieses in sich unreflektierte Bild wird in der Regel 1:1 auf die Einrichtungen der Hochschulpastoral übertragen. Näheres Hinschauen führt häufig zu der Erkenntnis, dass dieser Imagetransfer, wenn er in sich denn überhaupt berechtigt ist, auf die Einrichtungen der Hochschulpastoral im Regelfall nicht zutrifft.
Angesichts dieser Erfahrung erscheint es sinnvoll, die Tätigkeitsfelder der Hochschulpastoral in Zukunft noch transparenter zu machen. Eine an sich „fixe Idee“ von einer nutzlosen Kirche in den Köpfen vieler Studentinnen und Studenten sowie Hochschulangehöriger führt zu einem Zerrbild.
Dem ist nachhaltig nur dann etwas entgegenzusetzen, wenn sich Kirche kompetent, selbstbewusst und in ihrer Intention klar präsentiert. Diese Intention wird idealerweise nachvollziehbar in ihren Priestern, den hauptamtlichen Laien und in den verschiedenen Aufgabenfeldern der Hochschulpastoral“12
Hiermit habe ich ein sehr grobes Profil der Hochschulpastoral aufgezeigt, um mit Blick auf mein Thema, die Grundzüge der Hochschulpastoral nicht der Beliebigkeit allgemeiner Vermutung zu überlassen, sondern ihre Dimensionen zumindest anzudeuten.
Das Problem der Identitätsbejahung von Hochschulpastoral in Kirche (als Kirche) und der kritischen Außenansicht von Kirche und somit auch der Hochschulpastoral, habe ich bewusst an das Ende dieser Ausführungen gesetzt. Dieses Problem setzt sich weiter fort zwischen den zeitgenössischen Kunstschaffenden und den zeitgenössischen Vertretern der Kirche. Die „Kirche“ schaut mit Vorbehalten auf zeitgenössische Kunst, so, wie die „Kunst“ mit Vorbehalten auf die zeitgenössische Kirche schaut.
Hochschulpastoral und Kunst
Aus der Mitverantwortung der Hochschulpastoral für die studentischen Lebenskulturen und die Persönlichkeitsbildung der Studierenden, erwächst ihr natürliches Interesse besonders an zeitgenössischer Kunst.
Die Kunst hat die Kraft, für die Sehnsucht der Menschen zu sensibilisieren und sie zu vergegenwärtigen, in einer von Technik, Wirtschaft und Kommunikation dominierten Welt. Kunst reflektiert den Umgang der Menschen untereinander und mit ihrer Umwelt. So konfrontiert Kunst die Menschen mit unbekannten Sichtweisen. Kunst provoziert, die ganze Wahrheit des Menschen auszuhalten (auch in den kleinen Fragment des noch nicht Wahrgenommenen auf das ein Kunstwerk verweisen kann) und nicht nur die seiner Nutzbarkeit. Kunst weitet den Blick auf die Realität hin und macht sich so zur Anwältin der Komplexität menschlichen Daseins.
Besonders in der Phase des Studierens und sich Orientierens steht der Studierende vor der Frage, welche Ziele er in seinem Leben anstreben möchte, beziehungsweise wie sein Leben gelingen kann. Eine sich ständig beschleunigende Zeit macht die Sehnsucht des Menschen nicht vergessen, ein erfüllendes Leben sein eigen nennen zu dürfen. Entscheidende Weichen für ein gelingendes und erfülltes Leben der Studierenden werden in dem Lebensabschnitt des Studiums gestellt. Die Zeit des Studiums ist aber auch ein Chance, für die Mitverantwortung an dem Gelingen des Lebens anderer sensibilisiert zu werden. Gerade für zukünftige Führungskräfte sollte dies ein sie qualifizierender Habitus sein.
In der Begegnung – gerade mit zeitgenössischer Kunst – sehe ich die Herausforderung, sich mit dem eigenen Leben konfrontieren zu lassen im Sinne eines Stolperns.
Der Sinn dieses Stolperns, wie oben ausgeführt, ist das sich-fallen-lassen-wollen, ein-sich-loslassen auf etwas – möglicherweise – nicht Vertrautes hin. Dieses Fallen verstehe ich als ein „heraus-fallen“ aus der eigenen momentanen Ich-Befindlichkeit, aus Gewohnheiten, Sicherheiten, vorläufigen Erkenntnissen, Gewissheiten, Selbstwahrnehmungen, Urteilen, und Sichtweisen. Das Ziel dieses so verstandenen „heraus-fallens“ ist, da anzukommen, wo ich noch nicht bin.
Gerade in der Phase der oft hoch spezialisierten Wissensvermittlung und der ihr entsprechenden Wissensreflexion, sowie der Lebensorientierung Studierender ist dieses Stolpern, in der Auseinandersetzung mit moderner Kunst, nicht als eine zusätzliche Irritation zu diskreditieren. Dieses Stolpern ist eine Chance für den Studierenden sich seiner eigenen Lebenssituation, der Sehnsucht seines Lebens, so wie er es in sich spürt und seines Lebensentwurfes mit offenem Ausgang, zu vergewissern. Auch hier gilt: Leben, wenn es denn als Lebendigkeit gespürt werden will, bleibt ein stolpern wollen (auf die Kunst bezogen) und ein nicht anders können als stolpern zu müssen (auf einschneidende Lebensrealitäten bezogen). Das Kunstwerk birgt (verbirgt) die Sehnsucht des Menschen, hinter dem letzten Stolpern in den großen Sturz nicht bodenlos gefallen zu sein und sie „verkörpert“ die Ahnung dessen.
Kunst, Glaube – Künstler, Kirche
Kunst ist die Auseinandersetzung mit dem Leben in all ihren Dimensionen. Die Kunst kann, den Glauben bewusst in den Blick nehmend, eine nicht zu domestizierende Reformation der göttlichen Offenbarung sein, die in Jesus Christus Fleisch angenommen hat. Kunst hat die Kraft eine Rückschau auf den sich in Jesus Christus offenbarenden Gott zu sein, und so eine Vorausschau auf ein sich wandelndes Leben aus dem Glauben an Gott in Jesus Christus. So ist Kunst auch eine Reflexion des christlichen Glaubens und deren Ausdrucksformen.
Da sich Kunst aber nicht an die Kette legen lässt und ihre Reflexion oft auch sehr kritisch ist wird sie bei denen als ein Dorn im Auge empfunden, die Glauben nur institutionalisiert denken können. Die Institution Kirche aber ist nicht die Wächterin über die moderne Kunst. Im Gegenteil sollte die Institution Kirche wach sein für die künstlerische Wahrnehmung, die oft sehr berechtigt ein Stolperstein ist.
Die Kunst hat aber auch eine ganz klare Grenze, da sie Glauben, das Religiöse, die christliche Offenbarung nicht definieren kann. Das Bild kann mir das Geheimnis der Auferstehung Christi eindrucksvoll vor Augen führen, es kann mich emotional einnehmen ja sogar die Kraft meines Glauben stärken, nie aber diese und andere Wahrheiten des Glaubens umgrenzen.
Auch wenn es in den vergangenen 30 Jahren eine langsamen Annäherung von Kunst und Kirche gegeben hat, die nach dem Krieg von Romano Guardini mitangestoßen wurde, so gibt es noch so manchen zeitgenössischen Künstler der einsehen muss, dass eine permanente Beschimpfung der Kirche weder der Kommunikation zwischen der Kunst und der Kirche dient, noch der Kirche selbst gerecht wird. Auch die Kirche hat sich aus vielen Verkrustungen vergangener Zeiten gelöst, aber um diese Entwicklungen wahrzunehmen müsste der Kritiker sich die Kirche wieder neu anschauen und nicht ein oft fremd produziertes Negativbild von Kirche, heroisch aber unreflektiert, vor sich hertragen.
Hochschulpastoral begegnet der Kunst
Wie begegnet die Hochschulpastoral, wie begegnen Studierende als Adressaten der Hochschulpastoral der Kunst, und wie begegnen die Künstlerinnen und Künstler der Hochschulpastoral? Eine solche Begegnung kann nur vorurteilslos und angstfrei gelingen. Darüber hinaus dürfen weder die Kunstschaffenden noch die Hochschulpastoral (Kirche) den jeweils anderen instrumentalisieren. Künstler sollten der Kunst dienen und so dem Menschen. Sie dienen nicht der Institution Kirche, sondern dem Leben der Menschen, die im Kontext der Hochschulpastoral ihrer Kunst begegnen. So leisten die Künstler durch ihre Kunst in der Institution Kirche dem Menschen einen Dienst. Kunstschaffende bewegt der Mensch, und der bewegt ihre Kunst, die Menschen bewegen will. So sollte ein jedes Kunstwerk an sich relevant sein für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, dem Anliegen der Hochschulpastoral bezogen auf ihre Zielgruppe. Die Verantwortlichen der Hochschulpastoral haben nicht das Recht zu entscheiden, welches Kunstwerk für die Lebensorientierung Studierender angemessen ist und welches nicht. Sie haben wohl die Verpflichtung zu sondieren z.B. situationsorientiert, themenorientiert oder ganz pragmatisch den Gegebenheiten entsprechend.
Zeitgenössische Kunst, die dauerhaft präsent ist kann im Lauf der Zeit zum Einrichtungsgegenstand mutieren. Es ist klug, Kunstwerke ab und zu auch mal zu verhüllen, oder sie ganz den Augen der Öffentlichkeit zu entziehen. So wird es möglich sein, neu Aufmerksamkeit zu wecken und einem Gewöhnungseffekt vorzubeugen.
Gerade bei der Entscheidung, welches zeitgenössische Kunstwerk in sakralen Räume Beheimatung findet soll, sei ein altes kirchliches Motto in Erinnerung gerufen: Für Gott ist nur das Beste gerade gut genug.
Sakrale Räume
Als Begegnungsort von Kunst und Hochschulpastoral werden oft die sakralen Räume gesehen, in denen die Hochschulgemeinden ihre Gottesdienste feiern. Mir geht es in diesem Punkt nicht darum, die Ausstattung dieser Räume, für die oft Künstlerinnen und Künstler bemüht werden. zu qualifizieren. Ich möchte an dieser Stelle dazu einladen in diesen Räumen zeitgenössischer Kunst einen Ort zu geben, der nicht im klassischen Sinn der Liturgie dient, sondern der als zeitlich begrenzter Leihgabe das Recht zugestanden wird, ihrer provozierende Kraft im sakralen Raum entfalten zu dürfen. So kann er auch den Gottesdienstbesucher auf ihm noch wenig vertrauten Wegen herausrufen, Gott zu begegnen.
Gerade das mutmaßlich nicht sakral fixierte Kunstwerk kann Anstoß sein, der Botschaft Gottes entgegen zu stolpern in der stammelnden Kommunikation mit Jesus Christus. Oft sind hier die Berührungsängste sehr groß, aber ich möchte die Schaffenden und die Schauenden einladen „den Eros und die Wucht der Kunst auszuhalten“. 13
Auf den Verkehrswegen
In den Zentren der Hochschulpastoral (Hochschulgemeinden) können die Verkehrswege (wenn angemessen) zu Orten der „stolpernden Begegnung“ mit ausgesuchten Kunstwerken werden. Hier könnte z.B. jungen Künstlern und Künstlerinnen oder Kunststudenten und Kunststudentinnen die Gelegenheit geboten werden, ihrem künstlerischen Schaffen über den Weg zu laufen. An zeitgenössischer Kunst „vorbeikommen zu wollen“, sollte die gestalterische Devise unserer Raumkonzeptionen sein, weil es ja auch in der Hochschulpastoral darum geht, an der Komplexität unseres Lebens und dessen Orientierung nicht vorbeikommen zu wollen: Verkehrswege in den Räumen der Hochschulgemeinden können so zu Kommunikationswegen werden.
Begegnung mit Künstlerinnen und Künstlern
Hochschulpastoral sollte auch vermehrt die Begegnung mit Künstlerinnen und Künstlern suchen. Der Anlass können Ausstellungen, Werkstatt- Atelierbesuche, Performance oder Museumsbesuche sein, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. So können die Bewegtheiten der Kunstschaffenden und der von der Kunst „Angeschauten“ in einen Dialog führen. Einschätzungen, Erlebnisse, Betroffenheiten, Fragen, Verunsicherungen, Träume, Lebensperspektiven, Ängste, Visionen u. v. m., all diese Realitäten und Wahrnehmungen des Lebens der Künstler und der Betrachter können weiterführende Aspekte auf dem Weg zu einem gelingenden Leben sein. Auch hier kann es nicht darum gehen entgültige Antworten zu finden, Übereinkunft zu erzielen oder Lebensrezepte auszutauschen. Aber solche Begegnungen können sensibilisieren für die Sehnsucht des eigenen Lebens und deren Perspektive, sowie für die des Lebens anderer Menschen.
Mit mittelalterlicher Kunst konfrontieren
Abschließend möchte ich exemplarisch noch eine Lanze brechen für die nicht zeitgenössischen Kunstwerke, die in den Schatzkammern unserer Kirchen und Kathedralen aufbewahrt und präsentiert werden. Diese Kunst unterliegt noch eher den Kriterien des Schönen und des Könnens.
Um so gewagter war die Ausstellung „Schatzansichten“ in der Aachener Domschatzkammer, die vorwiegend mittelalterliche Kunst umfasst. Diese meist sakralen Kunstwerke wurden nun mit zeitgenössischer Lyrik kommuniziert, die eigens für diese Exponate verfasst wurde.
Zu dem von mir als so wichtig erachteten Stolpern im Angesicht der Kunst, sei hier eine Anmerkung eines Besuchers zur freien Interpretation zitiert, die während dieser Ausstellung in das dort ausgelegte Gästebuch eingetragen wurde: „Die Ausstellungsstücke14 sind wunderbar, die Pseudolyrik von Christoph Stender ist schrecklich und unpassend“.15 Dieser Eintrag hat mich zuerst sehr geärgert, dann verunsichert und ich fühlte mich auch verletzt. Doch nach längerem Verdauen dieser Worte wurde mir auf Grund dieser Worte klar, mit dieser Ausstellung bist du auf einem guten und richtigen Weg.
Schatzansichten
Im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung zwischen dem Aachener Domkapitel und der Katholischen Hochschulgemeinde Aachen wurde am 29. April die bis zum 1. Juli dauernde Ausstellung „Schatzansichten“ in der Domschatzkammer eröffnet.
In dem Grußwort der die Ausstellung begleitenden Buchveröffentlichung schreiben der Bischof von Aachen, Dr. Heinrich Mussinghoff und der Aachener Dompropst, Dr. Hans Müllejans:
„Der Dom und sein Schatz haben ihren tiefsten Sinn nicht in der Bewunderung, sondern in der Verkündigung des Wortes Gottes: Gottes Wort in Menschen Wort und Gottes Wort in dieser Kunst. Die Botschaft jener Verkündigung auf eine Kurzformel gebracht heißt: Du, Mensch, darfst Gott an deiner Seite wissen und hast mit Ihm eine Zukunft über all dein Stolpern hinaus, selbst über jenen letzten Sturz, den in den Tod. Der Verkündigung dieser Botschaft dient auch die vorliegende Veröffentlichung des Aachener Hochschulpfarrers Christoph Stender. Getragen von dem Glauben an die unverdunkelbare Liebe Gottes, das Geschenk des Lebens, so wie jeder Mensch es in sich spürt, und von seiner Sympathie für die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche, gestaltet Pfarrer Stender ins Wort, was diese Schätze, was der Dom selbst nicht nur Christinnen und Christen verkünden will: Die Botschaft Gottes, an unserer Seite zu sein, da er will, dass das Leben eines jeden Menschen gelingen möge…“ 16
Die Autoren dieses Grußwortes schließen:
„So wünschen wir uns, dass diese „Schatz Ansichten“ dazu beitragen, die Betrachterinnen und Betrachter in der Hoffnung zu stärken, dass uns der Gott der Liebe nicht allein lässt, auch wenn wir uns manchmal fragen: Gott mein Gott, warum glaube ich mich so verlassen?“ 17
Schon dieses Grußwort machte deutlich, dass für die Zeit dieser Ausstellung das Vorzeichen der musealen Konzeption dieser Schatzkammer wesentlich erweitert werden würde. Zu dem historischen Schatz trat nun ein Bekenntnis. Dieses Bekenntnis zum Glauben an Gott und zur Liebe am Leben sollte den historischen Schatz aber nicht in den Schatten stellen. Der Schatz blieb der Vordergrund, das Bekenntnis bildete den Hintergrund. Es ging hier auch nicht darum, die Besucherinnen und Besucher dieser Ausstellung zu missionieren. Ziel der Ausstellung war es, bei Menschen anzuklopfen mit der Bitte, über den Blick auf den Domschatz hinaus, sich selbst in den Blick zu nehmen und so im Entdecken weiter zu schauen. Die Brücke bildeten lyrische Texte, über die der Besucher zu gehen eingeladen war, beim klassischen Exponat beginnend bei sich selber anzukommen. Dazu wurde, durch moderne Medien und andere ansprechende Präsentationstechniken angeregt, der Besucher inspiriert und motiviert. 18
Ein Beispiel:
Eine Vitrine, drei Exponate präsentiert sie, darunter eine Monstranz. geschaffen von Hans von Reutlingen (um 1520), vergoldet. später durch einen Diamantring ergänzt um ein Loch herum in ihrer Mitte, dem Zentrum des Kunstwerkes, aber leer, eben nur noch ein kunstvoll gestaltetes Loch. Die Lunula (Halbmond), die den Zweck hat die Mitte dieses Kunstwerkes zu tragen ist ihres Zweckes beraubt. In ein Museum gehört eben nicht die eucharistischen Gegenwart Gottes in Jesus Christus, uns geschenkt in der Feier der Eucharistie unter der Gestalt eines Stückes Brot (Hostie), das in einer Monstranz gezeigt wird. Sinnloser kann ein Gegenstand nicht da stehen, beraubt um den Grund seiner Existenz, ein Körper ohne Leib, Kunst um ein leeres Loch, würdig einer Vitrine.
Wenige Zentimeter hinter der Monstranz in dieser Vitrine trägt Plexiglas, das am rechten Rand die Konturen dieser Monstranz spiegelnd geschnitten ist, diesen Text:
monstrare
Edel anzuschauen
von Blicken gestreichelt
die ferne Schönheit zu berühren suchen
bist du doch leer und kalt
weil dir fehlt
was dein Körper
zu umfangen
geschaffen ist.
Schönster Körper
edel anzuschauen
mag dich streicheln
bist doch leer und kalt
wenn du durchschaut
nicht mehr als nur
ein Loch umgibst.
Edel anzuschauen
ist jeder Leib
der gestreichelt
mehr zu sehen aufersteht
als wir entdecken:
Welch ein Mensch!
Auf dem Hintergrund der vielen positiven Reaktionen von deutschen wie ausländischen Studierenden, kann die Kritik einer Studentin stellvertretend für viele Besucher genannt werden: „Ich bin anders in diese Ausstellung hineingegangen als herausgekommen, und das macht mich nachdenklich und froh“.
Wenn an den Orten der Hochschulpastoral auch Schatzkammern und Museen vorhanden sind, dann kann ich nur ermutigen diese Gelegenheiten zu nutzen, um mit viel Phantasie, Arbeit und Lust am Menschen, Möglichkeiten des Stolperns zu schaffen.
Mittelalterliche Kunst in mitten zeitgenössischen Fragens
Die Ausstellung „Schatzansichten“ hatte einen Vorlauf von über einem Jahr, und war finanziell nur durchführbar mit Hilfe von Sponsoren, die von der Idee dieser Ausstellung überzeugt waren. Es geht aber auch einige Nummern kleiner. Nun in Auswahl zwei organisierte Berührungen von mittelalterlicher Kunst mit den Lebenswelten Studierender.
„Kunsthistorie, die fesselt … Theologie, die berührt…“
Die Katholische Hochschulgemeinde kann sich glücklich schätzen, nicht nur eine der größten Hochschulgemeinden in Deutschland für ca. 40.000 Studierende zu sein, sondern sie befindet sich auch noch in unmittelbarer Nähe eines kleinen Teiles des Weltkulturerbes. Gemeint ist der Dom zu Aachen und sein Schatz. Neben der karolingischen Pfalzkapelle Karls des Großen und der später angefügten gotischen Chorhalle, die den Karlsschrein und den Marienschrein mit den vier großen Aachener Heiligtümern birgt, gehören zu diesem Erbe u.a. die Heinrichskanzel, das Lotharkreuz, der Barbarossaleuchter, die Pala d’oro, der Karlsthron, die Situla, der Aachenaltar, die Karlsbüste und der Proserpinasarkophag.
Von der Nähe zwischen der Hochschulgemeinde und dem Weltkulturerbe zeugte eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel: „Kunsthistorie, die fesselt … Theologie, die berührt…“
In dieser Veranstaltungsreihe sollte es nicht um staubtrockene Theologie und keimfreie Einordnung historischer Exponate gehen, sondern um den Versuch, in der Begegnung mit dem kunsthistorischen Objekt und seiner kritisch-theologischen Deutung, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in ihren eigenen Biographien anzusprechen.
Dr. Georg Minkenberg, Leiter der Domschatzkammer Aachen und ich empfanden auf einem den Kunstwerken und den Betrachtenden entsprechenden Weg zu sein, und widmeten uns in den folgenden Semestern unter anderen nachfolgenden Themen und Exponaten:
- „Abbilder einer Hoffnung – Einblicke ins Jenseits“, der Proserpinasarkophag und die Karlsbüste
- „Maria von Magdala – Eine Provokation, die eine Gesellschaft an ihre Grenzen führt“, die Abbildungen der Maria von Magdala auf den Altarretabeln
- „Engel mit unterschiedlichen Gesichtern – Projektionen der Gottesbilder ‚ihrer‘ Zeit“, die Engeldarstellungen im Aachener Dom
- „Glaube zwischen Wissenschaft und Anbetung“, der Georgsaltar
- „Leben in Gemeinschaft zwischen Vision und Scheitern“, die Architektur der alten Kapitelanlage
- „Handschriften, ein Lebensgefühl – Zeugnisse vergangener Lebensart“, die historische Kapitelbibliothek
- „Spuren des Islams“, die Zeugnissen dieser Weltreligion in dem Aachener Weltkulturerbe.
So kann es gelingen, aus heutiger Sicht kunsthistorische Zeugen der Vergangenheit davor zu bewahren, nur wertvoll und interessant zu sein, aber nicht lebensrelevant. Dass das gelingt, zeigte das Gespräch im Anschluss an die Betrachtung des Lotharkreuzes in oben genannter Intention, als circa 20 Studierende im Quadrum des Domes bei sommerlichen Temperaturen um die Ampel des alten Kapitelfriedhofes versammelt waren, und eine Studentin engagiert feststellte: „Dieses Kreuz hat etwas mit dem Tod meines Babys zu tun!“ Solche Betroffenheit sollte kein Einzelfall bleiben.
Aktion „Nacht Schatz“ in der Domschatzkammer
Vom Engagement einiger Domführerinnen und Domführer mitgetragen (im Regelfall sind das Studierende der Hochschulen Aachens) setzten wir in dieser bewährten Kooperation zwischen Domschatzkammer und Hochschulgemeinde einen weiteren Akzent. Anlass war ein besonderer Tag für Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen der Heiligtumsfahrt des Jubiläumsjahres 2000. Wir gaben diesem einmaligen Datum, bezogen auf die nächtliche Veranstaltungszeit und den Ort, den Titel „Nacht Schatz“.
Über 600 Besucherrinnen und Besucher erlebten in den späten Stunden dieses Tages die Aachener Domschatzkammer in einem anderen Licht. Die so manchen Aachenern altvertrauten Exponate wurden mit Akzentuierungen versehen, die über die kunsthistorische Bedeutung hinaus eine Anregung darstellten, sich als Besucher selbst vorkommen zu lassen.
Ein Beispiel:
Zu Beginn des nicht geführten Rundganges durch die Schatzkammer begrüßte in dieser Nacht die Besucher eine „sprechende“ Karlsbüste. Vor diese berühmte Karlsbüste (Weltkulturerbe) wurde unübersehbar einen CD Player aufgestellt und auf Endloswiedergabe programmiert.
Hier ein Auszug aus der „kaiserlichen“ Ansprache:
„…Ganz nebenbei bemerkt, die Krone, die ich heute trage, ist später entstanden als mein Kopf, so um 1349.
Manchmal fragt man mich: Warum gibt es dich eigentlich?
Also, das ist gar nicht so leicht zu erklären!
Versuchen wir es mal so!
Wenn sie jetzt alle so ungefähr 2,50 Meter groß wären oder ein kleines Leiterchen zur Hand hätten, dann könnten Sie mir mal auf´s Haupt schauen und würden eine interessante Entdeckung machen! Da ist nämlich ein runder Deckel und darunter ist die Schädeldecke Karls des Großen zu sehen Aber langsam, ich muss etwas weiter vorne anfangen.
Im 12. Jh. wurde das Grab Karls geöffnet und ein Teil seiner Gebeine in den prächtigen Karlsschrein gelegt, der heute im Dom steht. Zugegeben, die Gebeine Karls wurden ganz schön verteilt, eine ganze Menge blieb in Aachen, ein paar Knochen kamen in Kirchenkammern nach Paris und noch an andere Orte.
Der Grund dafür:
Karl war auch noch nach seinem Tod ein wichtiger Mann, den man nicht vergessen wollte. Einige verehrten ihn als Heiligen! Das tun auch heute noch viele Menschen hier in Aachen. Dabei ist Karl gar kein richtiger Heiliger, denn an seinem Todestag feiert niemand Namenstag – so wie das bei anderen Heiligen der Fall ist -. Aber das wissen sie ja bestimmt, oder?
Kennen sie eigentlich ihren Namenspatron, wenn ich das einfach mal so fragen darf?
Was halten Sie davon mal etwas über ihren eigenen Namenspatron nachzulesen, wie er gelebt hat, was er leistete und wie er gestorben ist, das ist oft sehr interessant. Pardon, ich schweife wieder ab, nehmen sie es mir bitte nicht übel.
Also, noch mal zurück zu der Frage, warum die Knochen von Karl dem Großen so wichtig für viele Menschen sind!
Da ist etwas geschehen das Sie selber wohl auch kennen.
Es geht ihnen doch auch manchmal so? Ein ganz, ganz lieber Mensch hat ihnen eine Rose geschenkt oder einen liebevollen Brief geschrieben. Auch wenn dieser Mensch nicht mehr für sie zu erreichen ist und gerade dann, heben sie diesen Brief an einem ganz besonderen Ort auf und die Rose wird gepresst bevor sie ganz vergeht und dann in eine schöne Schachtel gelegt, ins Tagebuch oder an einen für Sie etwas heiligen Ort!
Sie kennen das doch auch, oder?
Und so ähnlich ist das mit den Reliquien von Karl!
An ganz vielen Orten wollte man ihn ganz nahe spüren.
Deswegen war man an seinen sterblichen Überresten sehr interessiert…“
Soweit aus den „Plaudereien“ der Karlsbüste in dieser Nacht, die den Zuhörern unter anderem die Gelegenheit gab, die Bedeutung dieser Büste in Verbindung zu bringen mit dem Umgang der eigenen „modernen“ Heiligtümer.19
Ermutigung
Die Intention der Hochschulpastoral punktuell mit mittelalterlicher Kunst zu verbinden kann spannungsreich sein und hat, so meine Erfahrung, manchen Studierenden im guten Sinne verunsichert, und so ermutigt, über die eigenen Vertrautheiten hinaus zu schauen.
Die Ausstellung „Schatzansichten“ war ein Stolperstein, den wenige Besucher in Gedanken „geworfen haben“, den viele aber aufgehoben haben, um in dieser fragmentarischen Konfrontation sich selbst zu ent-decken, mit offenem Fortgang.
Aber das Miteinander von Hochschulpastoral (Kirche) und zeitgenössischer Kunst, zu dem ich besonders ermutigen möchte, birgt wesentlich mehr Brisanz. Dieses Miteinander bleibt ein „Vor-läufiges stolpern“, und das ist auch gut so, solange gegenseitige Vorbehalte nicht das Fürchten lehren. Gerade zu diesem Miteinander aber möchte ich diejenigen ermutigen, die Hochschulpastoral verantworten und gestalten sowie jene, die Kunst schaffen und verantworten. Kunstwerke zu schaffen kostet sehr viel Kraft, Hochschulpastoral zu gestalten ebenso. Beider Kraft aber lässt den Menschen letztendlich kräftig sein.
1 Die Unterstreichungen sind redaktionell den folgenden drei zitierten Artikeln hinzugefügt.
2 Herders Konversationslexikon Band 5, Herdersche Verlagsbuchhandlung, 1905, Wien, Straßburg, München u. St Louis, S. 323
3 Duden, Fremdwörterbuch, 3. Auflage, Bibliographisches Institut AG, Mannheim, 1974, S. 82
4 Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23., erw. Aufl., Verlag de Gruyter, 1999, S.494
5 Das Große wissen.de Lexikon 2003, Das Große Bertelsmann Lexikon 2003, 2002 Wissen Media Verlag GmbH, Gütersloh/München
6 Vgl. Christoph Stender, Kunst und Technik – Technik und Kunst, technosophischen Seminar „Wir und unsere Welt von morgen“, vom 21.05.2002 – 24.05.2002 in der Malteser Kommende Ehreshoven, Seminarveröffentlichung des Rechen- und Kommunikationszentrums der RWTH Aachen, Hrsg. Prof. Dr. Dieter Haupt
7 Art at the Turn of the Millennium, Hgr. Lars Bang Larsen, Christoph Blasé, Editors Uta Grosenick und Burkhard Riemschneider, Verlag Taschen
8 Reinhold Schmücker, Funktion der Kunst, in: Wozu Kunst?, Hrg. Bernd Kleimann, Reinhold Schmücker, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2001, S. 23f.
9 Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Die Präsenz der Kirche an den Universitäten und in der universitären Kultur, Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Bonn,1994, S. 32
10 Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich, Verlag Herder, Freiburg – Basel – Wien, 1976. S. 543
11 Vgl. ebd., S. 543ff
12 Christoph Stender, Mit Profil und Zukunft, Über die Präsenz der Kirche an den Hochschulen, in: Denken und Glauben, Zeitschrift der Katholischen Hochschulgemeinde für die Grazer Universitäten Nr. 109, Graz, 2000.
13 Friedhelm Mennekes, Das Pathos des Fragens, in: Herderkorrespondenz 11/1998, Verlag Herder, Freiburg, S. 558
14 Gemeint sind die mittelalterlichen Schätze.
15 Gästebuch zur Ausstellung „Schatzansichten“, Domarchiv des Aachener Domkapitels
16 Heinrich Mussinghoff / Johannes Müllejans in: Schatzansichten, Entfesselnde Wortschätze, Hrg. Katholische Hochschulgemeinde Aachen/ Domkapitel Aachen, Verlag Grenzlandecho, 2001, Eupen, S.4
17 ebd.
18 Einen optischen Eindruck dieser Ausstellung und deren Hintergrund vermittelt die Homepage www.christoph-stender.de unter der Rubrik Projekte/Schatzansichten.
19 Eindrücke zu dieser Aktion „Nacht Schatz“ vermittelt die Homepage www.christoph-stender.de unter der Rubrik Projekte/Nacht Schatz.
Der Aufsatz erschien im Herbst 2003 in der Festschrift zum 50. Jubiläum der Katholischen Hochschulgemeinde in Saarbrücken.