Bildung ist in aller Munde. Die Ergebnisse der OECD Studie PISA 2000 (PISA Program for International Student Assessment) haben besonders das Volk der Dichter und Denker aufgeschreckt, das sich im darauf folgenden und bis heute anhaltenden konkreten Leidensprozess am Versagen ihrer deutschen Bildung vertreten lässt durch ihr gehobenes Bildungsmanagement in Schulen und Hochschulen, Ministerien sowie Verbänden.
So stellte der deutsche Kanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung in der 242. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Juni 2002 die verblüffende Frage, „warum ein Land mit der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung und der kulturellen Tradition Deutschlands nicht in der internationalen Spitzengruppe mithält.“
Die Folge waren und sind eine Flut von Antwortversuchen unterschiedlicher Personen und Einrichtungen, wie man unser ach so marodes Bildungssystem erneuern könne. Hier zwei Beispiele:
Stichwort Sinnlichkeit
„Der Musikpädagoge von der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, Professor Hans Günther Bastian, sagte: „Kinder sind voller Sinne. Sie erleben zu lassen, heißt, sie leben zu lassen.“ Nach den schlechten Pisa-Ergebnissen bräuchten die Schüler nicht noch mehr Deutsch, Mathe oder Englisch, sondern: die Musik. Der Pisa-Test habe zwar nur rationale Fähigkeiten erfasst und sich nicht auf ästhetische Bildung bezogen. Jedoch hätten Länder, die mehr Wert auf sinnliche Erfahrungen legten, auch im Pisa-Test besser abgeschnitten.“
Stichwort Leistungstest
Der Präsident der Berliner Freien Universität forderte anonyme Leistungstests für Grundschüler, um eine falsche Empfehlung für die weitere Schullaufbahn zu verhindern. Er sagte der Berliner Zeitung am 29.01.04: „Nur mit anonymen Diagnosen, die nicht von den Klassenlehrern, sondern von unbeteiligten Dritten gestellt werden, ist ein vernünftiges Urteil über die Fähigkeiten des Schülers möglich.“ Hintergrund ist das Ergebnis des Grundschulvergleichs der Bundesländer, wonach jeder zweite Schüler in der vierten Klassen eine falsche Schulempfehlung erhält […].
Die Bildungselite unseres Landes macht aber nicht nur Vorschläge zur partiellen Erneuerung des deutschen Schul- und Bildungssystems, sondern es sind auch immer noch genug Euro vorhanden, um weiter Studien in Auftrag zu geben. Nach PISA folgte PISA-E, PISA II, und auf Länderebene innerhalb der BRD erblickten IGLU und IGLU/E die weit verbreitete Unfähigkeit in unseren Klassenzimmern.
Zwei der jüngsten Reaktionen auf IGLU:
Bremen: „Nach dem schlechten Abschneiden Bremens beim nationalen Grundschultest IGLU verlangt Bildungssenator Willi Lemke (SPD) von den Lehrern mehr Leistung. „Es geht darum, einen besseren Unterricht zu machen“, sagte er am Donnerstag. Zugleich machte er seine politische Zukunft von einer Verbesserung der Situation abhängig […]“
Berlin: „Nach „Deutschland sucht die Super-Universität“ heißt es jetzt: Deutschland sucht die Super-Grundschule. Aus dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Grundschulvergleich von sechs Bundesländern gehen Baden-Württemberg, Bayern und Hessen als „Sieger“ hervor: Ihre Schüler lesen besser als die Pennäler in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg oder in Bremen. Der Stadtstaat ist Schlusslicht, seine Grundschulkinder lesen schlechter als die in Island und in Rumänien. Ein Fünftel kann Texte nicht zusammenhängend erfassen. Eine Expertenkommission soll jetzt die Ursachen für das schlechte Abschneiden der Schüler finden […]“
Deutschland will in allem, mit allem und durch alles Synonym für nur eine einzigartige Größe sein, den Superstar. Der wird nun in Deutschland an allen Ecken gesucht, selbst in Sachen Bildung. Da bleibt nicht aus, dass die Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn auch ihren Beitrag leisten will und fünf „Super“ Elitehochschulen mit entsprechenden Sondermitteln ködern oder besser ausloben möchte. Da kommt einfach genial der Vorschlag von Prof. Dr. Burkhard Rauhut, Rektor der RWTH Aachen, daher, der mit Blick auf Synergien Super mit Super kombiniert, und schlüssig folgend den Vorschlag macht, „man solle eine Elite-Universität ausrufen, in der Daniel Küblböck Rektor wird.“ Über diese Vorschläge hinaus sind alleine im Monat Januar 2004 48 Artikel zum Thema PISA and Friends über den Ticker der dpa gegangen.
Auffallend ist, dass in keinem dieser Artikel die Frage aufgegriffen wird, was Bildung ihrem Wesen nach ist, welches Ziel Bildung verfolgt und wie sich Bildung und Kultur zueinander verhalten bzw. verhalten sollen. Es macht den Anschein, dass eine grundlegendere Diskussion zum Thema Bildung im Kontext der Politik unbequem werden könnte, weil in der Diskussion aufgedeckt werden würde, dass sich ein von der Wirtschaft dominierter Bildungsbegriff in Deutschland bereits etabliert hat. Denn wenn von der Befähigung durch Bildung die Rede ist, dann werden häufig im selben Atemzug Markt, Konkurrenz und der Standort Deutschland genannt. Anders gesagt: „Bildung wird mit marktgängigem Wissen gleichgesetzt“.
Das Volk der Jäger und Sammler stolpert immer dann über die Bildung, wesenhaft die eigene, wenn sie mit Finanzen in Verbindung gebracht wird. Da wo die Gelder knapper werden, taucht in quasi mystischer Verwandtschaft und ontischer Abhängigkeit der Begriff des Sparens auf, der nur ein einziges Synonym hat, nämlich den Begriff der Bildung.
Ganz anders jedoch ist die Ausnahme. Hier bedient man sich der Vorsilbe „super“, und dann ist Bildung in besonderer Weise bezuschussungsfähig, aber nur für die Superstars des Fachwissens auf handverlesenen Super-Universitäten.
Eine demokratische Gesellschaft ist in Zeiten knapper werdender Mittel und großer sozialer Spannungen und Herausforderungen „nicht nur auf ‚Menschen als Humankapital‘, sondern auch auf ‚Menschen, die zu Gemeinschaft und Solidarität‘ fähig sind“ angewiesen.
Es besteht notwendig eine grundsätzliche Differenz zwischen Ökonomie und Bildung, zwischen Geld und Geist, zwischen Marktprozessen und Lernprozessen. Nur so kann Bildung in dem großen Kontext einer immer interkultureller werdenden Kultur ansatzweise vom Diktat der Ökonomie verschont bleiben. Hierfür muss in der aktuellen Diskussion um das Thema Bildung eingestanden werden, diese Forderung muss Gesichter bekommen.
„Allgemeinbildung“ reduziert sich immer mehr in die Spezialisierung von Fachwissen. So verliert Bildung ihren das Fächerwissen notwendig übersteigenden und somit verbindenden Horizont.
Bildung an den Hochschulen wird ebenso eingeführt auf die Vermittlung technisch – naturwissenschaftlicher Fach- bzw. Basiskompetenzen. So wird Hochschulbildung immer mehr zu einer beliebigen Ansammlung von voneinander unabhängigen Fragmenten angelernten Wissens.
Die Studienzeit wird immer stärker reglementiert (z.B. Studienkonten, Gebühren für Längerstudierende), und somit wird der Leistungsdruck erhöht. In Folge werden die Zeiten immer geringer, in denen der Lebensunterhalt durch Studierende erworben werden kann, mit der Folge wirtschaftlicher Probleme, besonders bei ausländischen Studierenden.
Soziales, kirchliches und gesellschaftliches Engagement stehen sowieso nicht hoch im Kurs, doch selbst für den interessierten Studierenden bleibt kaum Zeit, seine Mitverantwortung für die Gesellschaft zu vertiefen.
Die jüngsten öffentlichen finanziellen Entwicklungen führt auch die katholische Kirche in massive Nöte. Deshalb sehen sich die Verantwortungsträge genötigt, die Präsenz der Kirche an den Hochschulen an vielen Hochschulstandorten in Deutschland massiv zu kürzen. So drohen weitere Orte der Kommunikation, Beheimatung und der Begleitung für Studierende verloren zu gehen, an denen es um Geist, Solidarität, Lernprozesse, Bekenntnisse und Werte, also um Bildung geht.
Jene gesellschaftlichen Kräfte, die Bildung mitverantworten, so auch die Kirchen, müssen sich den aktuellen Fragen stellen. Der falsche Weg ist es, weiter Einrichtungen zu schließen oder massiv zu reduzieren, in denen Antwortversuche auf die aktuellen Fragen erfolgreich gestaltet werden:
- Wie sieht ein zukünftiges Studium angesichts der skizzierten Entwicklung aus?
- Wie kann ein Studium in Zukunft gelingen, ohne immer mehr den Menschen zurückzulassen?
- Welchen Herausforderungen sehen sich Einrichtungen gegenüber, die sich dafür engagieren, dass Studierende sinnvoll, wertorientiert und erfolgreich ihren Studienabschluss erreichen?
- Wo „bleiben“ die Studierenden, die an ihrem Studium scheitern?
Hochschulpastoral: Existentielles
Fragment im Kulturschaffen und der Gestaltung von Bildung an deutschen Hochschulen.
Die Hochschulpastoral im Sinne einer konkreten Präsenz der Kirche an den Hochschulen, und mit ihr die Orte ihres Handelns (Katholische Hochschulgemeinden [KHG], Katholische Studierendengemeinde [KSG]) lassen sich nicht als Bildungseinrichtungen mit studentischem Weiterbildungsprogramm definieren, die auf die Zielgruppe der Studierenden hin kurrikulares Wissen und die entsprechenden Fertigkeiten vermitteln.
Die Orte der Hochschulpastoral sind keine Akademie, keine Bildungszentren und auch keine Seminarbetriebe. Das Kurrikulum der KHG ist nicht ein wie auch immer definiertes Soll der Wissensvermittlung. Das Kurrikulum der KHG ist der Mensch. Die Biographie von Studierenden, ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Lebenssituationen, Lebensentwürfe und das Unwägbare eines jeden neuen Tages, das ist das Kurrikulum der Hochschulpastoral.
Aus diesen mit unter täglich sich verändernden Vorgaben des Lebens, den Standards, die das erfahrene Leben bisher schon geschrieben hat und die christliche Botschaft, die wir als katholische Kirche verkörpern wollen, lebt die Hochschulpastoral.
Das ist unser bischöflicher Auftrag, als katholische Kirche, durch Studierende und Hauptamtliche an den Hochschulen präsent zu sein. Das Kurrikulum ist der Mensch, die Gangart das christliche Bekenntnis. So haben wir Anteil daran, primär mit Studentinnen und Studenten, aus unterschiedlichen Nationen und Völkern, Traditionen und Religionen, Kultur zu gestalten.
Präsenz der Kirche an den Hochschulen bedeutet kulturschaffend zu sein. Oder anders gesagt: Bildung ist die kontinuierliche und so zustandslose „Menschwerdung des Menschen“, die als gemeinsam Verfügbares Kultur „entlässt“.
Erschienen in: ziel-lebensqualität, Nr.1/2004, S. 4