www.christoph-stender.de

Ehrungen erzählen von einer Stadt

Ehre, wem Ehre gebührt. Mitten in der Stadt ist das Herz der Fans von Alemannia Aachen aufgegangen und Aachen wurde zu einem „einzigen Traum in Schwarz-Gelb“. Unsere Jungs, endlich Erstligisten und fast zu den Ehren der Altäre erhoben, fast, denn Ihre Konterfeis prangten nicht am Dom, noch nicht, aber am Rathaus, unübersehbar umgeben von Königen und Kaisern, für „Fußballgötter“ fast ein Abstieg. Übrigens: Herzliche Gratulation zum Aufstieg verbunden mit dem Wunsch um spannende Spiele in der kommenden Saison.

Vergangenen Montag nun mussten sie weichen, unsere Helden, wahrscheinlich, um nicht abzulenken von einem, der für seine Leistungen um Europa an selbem Ort geehrt wird, der diesjährige Träger des Karlspreis, Premierminister des Großherzogtums Luxemburg, Dr. Jean-Claude Juncker. Er wird heute im Rathaus geehrt und drumherum gefeiert. Übrigens: Willkommen in Aachen und herzlichen Glückwunsch verbunden mit Dank, Herr Premierminister.

Ja, Aachen ist eine Stadt der Ehrungen, denn hinzukommen noch u. a. Friedenspreise, Karnevalsorden, der Ring der Stadt und Mundartpreis, deren öffentliche Bekanntheit und Außenwirkung im Ganzen sehr unterschiedlich sind.

Ehrungen erzählen aber auch etwas von der Stadt, die sie erweist. Aachen eine Europastadt, Aachen eine Sportstadt, Aachen bemüht sich aber auch, eine Friedensstadt und eine Familienstadt zu sein und zu werden. Gut so, auch damit sollten wir wuchern, Öffentlichkeit schaffen und so auf unsere Stadt und ihre Anliegen und Stärken aufmerksam machen.

Die „logische“ Konsequenz daraus aber ist in meinen Augen zwingend und auch fast greifbar: Ich sehe schon, absehbar, am altehrwürdigen Rathaus die großformatigen Porträts von z. B. 20 besonders engagierten Jugendlichen verschiedener Nationen, die im Sozialen und Karitativen in unserer Stadt ganz vorne gehandelt und nicht nur gespielt haben. Übrigens: Auch ihnen würde ich gerne gratulieren. Ehre, wem Ehre gebührt.

Quelle: Aachener Zeitung, 8.März 2006
In Aufsätze + Artikel, Kolumne in der AZ veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren

Soziale Schieflage wird eklatanter

Viel Lob haben sie aus aller Welt bekommen, „unsere“ Weltreiterspiele. Stolz können und dankbar sollten all jene sein, die zu diesem Erfolg mit beigetragen haben, die Sportler, Organisatoren, die Aachener Bürgerinnen und Bürger und natürlich unsere Gäste, die genau diesen Erfolg in alle Länder tragen.

Und nun erhebt ein Kolumnist die Stimme, ein so genannter Kirchenvertreter. Denkt da doch direkt so mancher: „Bei allem Lob, nun wird der moralische Zeigefinger doch noch nachgereicht, irgendwas war bei den Reiterspielen wohl doch total verwerflich!“

Nein, ein Schelm, wer solches denkt. Denn am großen Lob haben auch die Kirchen einen winzigen Anteil. Nicht nur durch den ökumenischen Eröffnungsgottesdienst und die spirituellen Angebote der Kirchen an den Wegen der Weltmeisterschaft, sondern auch in der kurzen Ansprache zum Beispiel eines Herrn und einer Dame, die irgendwie zusammengehörten, vorgestern nach dem Gottesdienst, und sich bedankten für die ansprechende und würdige Feier mit dem abschließenden Kommentar: „Wir sind wegen der Pferde hier“. Also kein Wehrmutstropfen im Fass des Lobes. Wohl aber ein Zitat aus der Heiligen Schrift: „Alles hat seine Zeit. Weinen hat seine Zeit, und Lachen hat seine Zeit; Klagen hat seine Zeit, und Tanzen hat seine Zeit (nach Prediger 3, 1ff). Schon während der Weltreiterspiele meldeten sich öffentlich eher zaghaft andere Zeiten, kommende Zeiten zu Wort.

Die soziale Schieflage auch in Aachen wird immer eklatanter, Not und Hilfsbedürftigkeit nehmen zu, gerade in jungen Familien. Die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen verliert weiter an Hemmschwelle.

Sicherlich haben die Kommunen nicht alle Macht der Veränderung, aber viele Mittel und Möglichkeiten im Zusammenspiel aller, der leider auch im Schwinden begriffenen sozialen Kräfte, nach besonderer Meisterschaft Ausschau zu halten. Wie war das doch noch mit der Familienstadt Aachen. War?

Quelle: Aachener Zeitung, 8.März 2006
In Aufsätze + Artikel, Kolumne in der AZ veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren

Von der Angst um sich selbst

Du hast Angst,
jeder hat Angst
auch der,
der Angst macht.

Und sie kommt, oft unerwartet, unbegründet, unberechtigt , unfaire und bedroht dich die Angst, Schwester unseres Lebens. Ihr Name: Verlierendes bis verlorenes Leben.

Wenn du Angst vor mir hast, mache ich dir dann Angst. Habe ich Macht in dir Angst zu wecken. Bin ich für dich eine beängstigende Bedrohung, säbelrasselnd nach Schmerz, Zerstörung, Verlust und Einsamkeit lechzend.

Oder bin ich jemandem ähnlich der dir Angst gemacht hat, die jetzt in unserer Begegnung wieder zur gegenwärtigen Angst wird. Also nicht ich mache dir Angst, sondern ein anderer zufällig durch mich, und ist diese Angst noch jung oder schon alt.

Machen nicht doch eher Begegnung mit Menschen dir Angst, einfach das Dasein eines Anderen, eines Gegenübers, das durch seine reine Existenz neben dir eine Bedrohung darstellt. Sie nimmt Raum, sie atmet deine Luft, träumt deine Träume und isst von deinem Teller.

Ist deine Angst fußläufig auf den Wegen, in den Köpfen und hinter den Hecken unserer Gesellschaft anzutreffen. Also die Angst nicht so sein zu dürfen wie du dein Leben in dir spürst, oder die Angst zu versagen, nicht zu entsprechen, schwächer zu sein, nicht „in Takt“ zu leben.

Hast du Angst um etwas herum. Besitzt, hast du vielleicht viel, kann dir viel genommen werden, Güter, Geist, Gedanken, Gedrucktes oder Gefühl.

Du hast Angst,
jeder hat Angst
auch der,
der Angst macht, ja, besonders der.

In der Angst liegt eine tiefe Wurzel der Gewalt. Wer Angst verbreitet will den Nährboden der Gewalt.

Hast du Lust Angst zu verbreiten, oder nur ängstlich zu machen oder auch nur ein bisschen Angstahnung zum Leben zu erwecken, dann bist du Unfriede! Du, konkret Du!

Gegen diese Angst bei jenen die sie machen und haben gibt es nur eine Maßnahme:

Die Botschaft Jesu Christi.
Sie ist das Evangelium von der Befreiung,
der Befreiung des Menschen von der Angst um uns selbst.

Impuls zur Beiratssitzung, 18.02.2006
In Impulse veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren

Geistvolle Räumung

Da sind wir Menschen abhängig von der Natur und müssen uns gleichzeitig vor einigen Phänomenen dieses Lebensraumes schützen, und ihn vor uns. Ein ständiges Thema in fast alten akademischen Disziplinen. Schutzbedürfnis und der Wille des Menschen seinem Gestaltungspotential einen Raum zu geben legitimieren in den Augen der obersten Primaten Naturraum in Kulturraum zu wandeln, und so Natur auch zu vernichten.

Jedoch wer einmal z.B. ein verlassenes Gartenhaus oder eine nicht mehr genutzte Kaserne regelmäßig in den Blick nimmt stellt fest, dass über Jahre hinweg nicht genutzter Kulturraum von den oft unberechenbaren Kräften der Natur wieder zurückerobert wird, nicht jedoch ohne selbst Blessuren davon zu tragen. Der fundamentale Beweggrund Raum „ex Natur“ zu schaffen und zu erhalten entspringt dem Wesen des Menschen etwas anders zu nutzen als vorgefunden, und so Raum zu füllen, wenn im „Extrem“ auch „nur“ mit gewollter Leere.

Sich selbst überlassener „Kulturraum“ hat jedoch seine Existenzbegründung verwirkt, ernanntes Kulturerbe ist da nicht ausgenommen, wenn keiner mehr hinschaut und Raum somit nicht mehr sehenswert ist. Erbe bedarf des Erben und der Erbin!

Das trifft hervorragend auf die Räume zu, die der Schöpfung abgerungen wurden (und werden) um in ihnen den Schöpfer zu loben. Aber nicht primär der Raum dient dem Schöpfer, sondern der sich in ihm versammelnde Gott lobende Mensch. Kirchenräume (Sakralräume) sind kein Gott geschenkter Raum, sondern Ort der Kommunikation zwischen Gott und den Menschen. „Wie kann ich Gott auch nur einen Quadratmeter Raum schenken, wenn er doch selbst der „Auftrageber und Baumeister“ der Potenz umbauten Raumes ist.“ Wer der Natur „sakralen“ Raum abringt, anders als auf den behütenden Wohnraum bezogen, muss sich in ihm exponiert vor dem Schöpfer verneigen, wissend in ein Mehr einzutauchen, das sich im Naturraum nicht offenbaren kann.

Solche exponierten „Gottes – dienst – räume“ sind eine Herausforderung aus Vergangenheit und Gegenwart durch eben die, die sie „begeistert“ entstehen ließen und lassen. Sie geben der „offene Frage“ nach dem Grund des Seins und des Ichseins sowie ihrer Teleologie einen Ort und verorten in der gefundenen Antwort das Anbetungswürdige. Akademische Reflexion muss sich ihrer Profession entsprechend auch um diese raumnummernlosen Räume sorgen, in denen diese Frage veredelt Raum greift, eben geistvolle Räumung!

Erschienen in: irritatio, Informationen und Anregungen für Kirche und Hochschule, 1/2006
In Aufsätze, Aufsätze + Artikel veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Was blieb von der Begeisterung?

Die Begeisterung hält doch noch an! Zumindest bei den Studierenden, denen ich in den letzten Tagen des vergangenen Jahres wie in den wenigen Tagen des neuen Jahres begegnen durfte, und die im August mit dabei waren.

Die Freude in ihren Herzen ist nicht gespielt, dazu bricht sie viel zu spontan immer dann hervor wenn ich die Frage stelle: „Was hat euch in den vergangenen Monaten am meisten in unserer Kirche bewegt?“

Sie waren dabei gewesen, haben gehört, gesehen, gespürt und erfahren. Klar, sie alle waren Engagierte auf dem Weltjugendtag, haben an den Gottesdiensten und den Katechesen teilgenommen und sind dem Heiligen Vater begegnet „wenn oft auch nur aus der Entfernung, deswegen aber nicht weniger herzlich so ihr Kommentar.

Manche werden jetzt meinen diese Studierenden wären besonders konservativ oder hochgradig naiv. Falsch, diese Studierenden, mit denen ich zu diesem Thema gesprochen habe, stehen mit beiden Beinen mitten im Leben, sind engagiert aber auch kritisch und identifizieren sich mit unserer Kirche, von der sie aber auch sagen dass sie nicht mit allem einverstanden sind. Mit der Frage konfrontiert „Was meint ihr denn, was wäre für unsere Kirche in der Zukunft besonders wichtig?“, verblüffte mich die Antwort eines Studenten der Physik besonders. Ohne auch nur mehr als drei Sekunden nachzudenken, antwortete er: „Für unsere Kirche in Zukunft lebenswichtig ist die Sammlung.“

Wer da meint, unsere jungen Mitchristinnen und Mitchristen hätten auch binnenkirchlich nur den ultimativen Event auf der Stirne stehen, der irrt!

Ortswechsel: Die Ortsangabe ist eher verwirrend, sie stehen einfach wieder da, da wo halt Johannes am Vortag auch schon stand, jetzt aber mit zweien seiner Jünger. Jesus kommt vorbei. Johannes zeigt auf ihn und sagt „Seht, das Lamm Gottes“. Darauf folgen diese Jünger Jesus, der schaut sich um und fragt, was sie denn wollten, worauf er die Antwort bekommt: „Wo wohnst du, Meister?“ Jesus bleibt die Antwort nicht schuldig und er erwidert: „Kommt und seht!“

Die hier aus dem heutigen Evangelium geschilderte Begegnung und deren Kommunikationsstruktur münden in die Sammlung, in das Zusammensein von Menschen im Hause Jesu. Dieser Heine Ausschnitt steht aber im Kontext einer größeren Sammlung, nämlich der Sammlung der ersten Jünger durch Jesus. Aus der Einladung Jesu „Kommt und seht“ wurde eine Sammlungsbewegung. Menschen erzählten von ihrer Begegnung mit Jesus und versammelten wiederum hörende Menschen um die Botschaft Jesus. Jesus selbst sammeltwie gehört – auch weiter, begegnete Menschen, so auch dem Simon, den Sohn des Johannes, zu dem er sagt: Du sollst Kephas heißen, Fels (Petrus).

Was ist der Sinn dieser Sammlungaktivität Jesu, von der die Heilige Schrift von unterschiedlichen Erzählorten aus immer wieder berichtet? Jesus sammelt, weil er eine Botschaft hat, die die von ihm Versammelten hören sollen. Und er erhofft von seinen Zuhörerinnen und Zuhörern, dass sie die gesammelte Botschaft „vom Gott an der Seite der Menschen“ auch weiter erzählen. Dieses Prinzip greift Paulus in seinen Briefen mit den Worten auf: „Der Glaube kommt vom Hören.“

Erste Aufgabe der Apostel und ihrer Nachfolger war es, dafür zu sorgen, dass das mit Christus begonnene Erzählereignis nicht abbricht, bis die Botschaft Jesu „vom Gott an der Seite der Menschen“ ganz erfüllt ist.

Diese Botschaft ist in einer neuen Gewissheit mit der Geburt Jesu auf jeden einzelnen Menschen zugekommen, sie hat den Menschen überrascht, der Mensch ist Empfänger, Hörender!

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 15.01.2006
In Aufsätze + Artikel, Glauben heute veröffentlicht | Getaggt , , , | Kommentieren

Kultürchen

Ecksteine und Stolpersteine einer christlichen und muslimischen Zukunft in Deutschland

Der Begriff Kultur wird wie „selbstverständlich“ in vieler Munde geführt, jedoch selten übereinstimmend. So kann Kultur z.B. gewichtet werden (Leitkultur); Kultur aber kann auch befremden (Fremdkultur), Kultur ist Tradition (Kulturgeschichte), sie suggeriert das Schöne (die Kultur schlechthin) und ist politisch in den Griff zu bekommen (Kulturpolitik).
Die Zukunft des Christlichen und des Muslimischen auf deutschem Territorium orientiert sich primär an der Beantwortung der Frage: Wie wird zukünftig Kultur gedeutet, gestaltet und von wem?

Voraussicht aus Einsichten der Geschichte

Die Frage unserer kulturellen Zukunft findet ihre gegenwärtige und zukünftige Antwort auch im Klima der Geschichte „des Fremden“ in unserem Land, Fragmente eines Rückblicks.

Abul Abbas, ein historischer Hoffnungsschimmer

Eine legendäre Reise, von Karl dem Großen angeordnet, führte die fränkischen Edelmänner Landfried und Sigismund sowie den jüdischen Kaufmann Isaak im Jahre 797 nach Bagdad. Knapp fünf Jahre später erreichte eine Karawane im Auftrag des Kalifen von Bagdad Harun al-Raschid Aachen. Das wohl auffälligste Geschenk für Karl und seine Residenz, das bei diesem Gegenbesuch mitgeführt wurde, war ein lebendiger (weißer) Elefant namens Abul Abbas, der die Aachener in ungläubiges Staunen versetzt haben muss.
Hier begegneten sich Menschen aus dem Land der aufgehenden Sonne und dem Abendland, Orient und Okzident „gaben einander die Hand“ unterschiedliche Religionen und fremde Kulturen berührten einander in Aachen und in Bagdad, ohne sich zu bekriegen, und hinterließen Spuren des Wohlwollens, der Bereitschaft voneinander zu lernen in gegenseitigem Respekt.

Quellen der Ängstlichkeit

Die Geschichte lehrt aber auch, dass es eine uralte europäische Ängst gab, die sich bis in das achte Jahrhundert hinein zurückverfolgen lässt. Gemeint sind u. a. die Eroberungszüge der „Sarazenen“, also der Araber, die als eine zentrale Bedrohung des gesamten christlichen Abendlandes eingestuft wurden, wie auch die Belagerungen Wiens durch die Tiirken in den Jahren 1523 und 1683.
Das christliche „Europa“ konnte aber im 17. und 18. Jahrhundert durch die Zurückdrängung des Osmanenreiches langsam wieder aufatmen. Mit der Verdrängung der Türken aus Ungarn durch Prinz Eugen im Jahre 1716 wussten sich die christlichen Völker wieder ein Stück sicherer. Endgültig befriedet, weil allein in den vier Wänden des damaligen Europahauses plus kolonialer Vorgärten, fühlten die Europäer sich mit der Eroberung Ägyptens durch Napoleon im Jahre 1798 und mit der nachtfolgenden Kolonialherrschaft über weite Gebiete des Vorderen Orients.
In solcher Sicherheit sich wiegend konnten die christlichen Völker es sich getrost leisten, das Fremde, den Islam, aus der gefestigten Burg Europas heraus in selbst dosierten „Portionen“ zu betrachten.

Islam zum Kuscheln

Mit der Aufklärung und der Romantik entstand ein neues Orient- und Islambild. 1772 und 1773 wurden in Frankfurt und Halle die ersten deutschen Ubersetzungen des Korans publiziert.
In unserer Phantasie nachhaltig – bis heute der Stoff aus dem phantastische und märchenhafte Bilder gewoben werden – sind die Erzählungen aus „Tausendundeine Nacht“. Mit diesen Geschichte verbinden sich nahezu alle westlich-romantischen Vorstellungen vom Zauber des Orients, wie er in Bagdad „sich verduftete zur Zeit des mächtigen und weisen Kalifen Harun al-Raschid. „Jedoch sind diese Erzählungen eine späte westliche Kompilation aus einem im 10. Jahrhundert entstandenen arabischen Textkorpus, die ihrerseits wiederum die Arabische Literatur beeinflusst.“1

Die Erzählungen aus „Tausendundeine Nacht“ sowie der 1819 von Goethe veröffentlichte „West-östliche Divan“ nahmen dem Orient nun fast ganz seine bedrohlichen Zuge, die in den Köpfen der abendländischen Menschen so viele hässliche Phantasien geweckt hatten. Der Orient wandelte sich nun, im Schutze einer wohltuenden örtlichen Distanz zum Islam, in ein exotisches Reich voller Zauber und verträglich prickelnder Geheimnisse. So verglich Heinrich Heine z. B. den Orient mit der Geliebten, einer wunderschönen Rose.2
Nun schien die westliche Welt selbstbewusst den Islam domestiziert zu haben und konnte sich sogar Orientalistik als wissenschaftliche Disziplin (Disziplinierung) leisten. So war man wohl in der Lage, „den Patienten gründlich [zu] sezieren, ohne befü#rchten zu müssen, dass er zuckt“.3 Eine herzlich anmutende Variante westlichen Kolonialismus.
Dieser Kolonialismus in damaliger Zeit schürte andererseits die reale Angst der Muslime vor der westlichen Welt und ihren angeblich so erhabenen Errungenschaften der Menschlichkeit. So lebten am Ende des 19. Jh. von ca. 300 Millionen Muslimen ca. 160 Millionen unter kolonialer Herrschaft, also nicht frei! Die Unterdrückung war ein Gewand des Westens, das sich hochherrschaftlich über das fremde Land legte.

Ein neues Kapitel: Islam in Deutschland

In den 6Oer/7Oer Jahren des 20. Jh. wandelten sich auf deutschem Boden Distanz und Nähe von Muslimen und Christen. Die anonyme orientalische Romantik bekam nun (neben Gastarbeitern aus anderen Ländern) in den Straßen und Fabriken deutscher Großstädte ein konkretes Gesicht und einen oft unaussprechlichen Namen.
Ausländische Arbeitskräfte wurden – da es in Deutschland zuviel Arbeit für die einheimische Bevölkerung gab – von der Wirtschaft gefordert und von der Politik als so genannte „Gastarbeiter“ präsentiert, die zuerst aus Spanien und Italien kamen, später dann auch aus der Türkei. Die Menschen aus diesen Ländern brachten aber nicht nur ihre Arbeitskraft mit, sondern auch ihre Kultur und – auf die Muslime bezogen – eine in Deutschland damals weitestgehend (noch/wieder) fremde Religion.
Eigentlich sollten diese „Gastarbeiter“ eine zeitlich beschränkte Leihgabe sein, und die von ihnen mitgebrachte – aber nicht erwartete – Kultur sollte im Verliälmis zur „deutschen“ Kultur, wenn überhaupt, dann nicht öffentlich vorkommen. Heute stehen in den größeren Städten unseres Landes neben Kirchen und Synagogen auch Moscheen. Der Einzelhandel wird interkulturell bestritten. Junge Männer und Frauen türkischer Abstammung haben einen deutschen Pass. Die Anzahl ausländischer Studierender an Universitäten und Fachhochschulen beträgt im Schnitt ca. 10%.
Die BRD wird numerisch immer mehr zu einem multikulturellen Faktum inmitten eines wachsenden Europas, was mit Interkulturalität aber nichts zu tun hat.
Die „Gastarbeiter“ vergangener Tage sind heute überwiegend Europäer, oder sie zählen zu den Aspiranten (z. B. Türkei), die auf eine Aufnahme in dieses Bündnis wartend in Verhandlungen stehen.

Kulturelle Konfrontation

Das Mit-, besser Nebeneinander von christlich geprägter deutscher „Ursprungskultur“ und islamisch geprägten Fragmenten „mitgebrachter Kultur“ war nicht als ein Prozess kulturellen Wachsens angelegt.
Viel zu unvorbereitet war die Begegnung der Kulturen jenseits aller Urlaubsnostalgie. So kamen die ersten Berührungen zwischen christlicher und muslimischer Kultur eher einer Verschiebung von kulturellen Kontinentalplatten gleich: Menschen unterschiedlicter Kulturen wuchsen nicht aufeinander zu, sondern sie sahen sich miteinander konfrontiert. So entstanden (und entstehen) Ängste vor dem Unbekannten und mit ihnen auch Vorurteile.
Folge: Sprachlosigkeit wuchs in der Sprachenvielfalt, sozialer und wirtschaftlicher Neid blühten auf Verlustbefüchtungen in unterschiedlichen Lebensbezügen und kulturelle Entwurzelung bei den ausländischen Mitbürgern einerseits sowie kulturelle Unklarheiten bei den deutschen Bürgerinnen und Bürgern andererseits wurden zur Alltagssorge.
Alle betreffend stieg das meist unausgesprochene Bewusstsein eines anhaltenden Mangels an bewusstem gemeinsamem Kulturschaffen.

Fakt aber bleibt: Ein nicht zu übersehender Anteil der Bevölkerung Deutschlands stammt aus anderen Kulturkreisen, und dieser Anteil wird sich zukünftig durch Zuwanderung und EU-Erweiterung eher noch erhöhen.

Die muslimische Kultur ist Realität in Deutschland und somit auch die Frage: Wie weit kann eine teils christlich und postchristlich geprägte Kultur der Deutschen kulturschaffend existieren und auch koexistieren mit den mitgebrachten Kulturelementen unserer muslimischen Mitbürger, die ihrerseits auch nicht homogen sind?
Ist es gewollt, dass diese einander fremden Kulturen gemeinsame „Schnittmengen“ hervorbringen, oder schließt beispielsweise der „Bekenntniskern“ der jeweiligen Religionen, der noch genauer bestimmt werden müsste, ein Zusammenwachsen der Kulturen, ja sogar eine die jeweiligen heiligen Schriften der Religionen akzeptierende Koexistenz aus?

Kultur heißt: Werden um zu sein

Kultur lebt von der Vergegenwärtigung ihrer selbst, im Kultursein, Kulturwerden und Kulturvergehen, und ist deshalb ihrer Zukunft nicht sicher, obwohl fast jedem „kulturellen Augenblick“ der Anspruch innewohnt, ewig, mindestens aber zukünftig sein zu wollen.
Kultur kennt nicht die Ewigkeit des Olymps, sondern „Kultur ist die Fähigkeit der Menschen, ihr gesellschaftliches Dasein in materialer, sozialer und ideeationaler [von der Idee geprägten] Hinsicht zu gestalten.4 Das setzt Interaktion (soziales Handeln) voraus, kreative Beteiligung (Teilhabe an der Gestaltung) und Bedeutungsfülle (Sinngebung und Lebenserhaltung).

Dem diametral gegenüber stehen die selbsternannten „Nachtwächter der Kulturgeschichte“, die ihre „Kultur des Gewohnten“ mit einem Hoheitsanspruch versehen haben, der ausschließlich nur das hinzuzählt, was sie selber kennen und schätzen.
Solche regulativen Eingriffe in das Werden von Kultur gilt es zu entlarven, da sonst die Gefahr besteht, dass ein kulturelles Verharren gegen ein kulturelles Werden durchgesetzt werden kann. Dieses Ansinnen des kulturellen Verharrens nenne ich „Kulturmobbing“.

Kulturmobbing ist die Folge subjektiver Erklärungen dessen, was Kultur ist bzw. zu sein hat, und diese Erklärungen sind gleichzeitig auch Kriterien für die Zukunft kulturellen Werdens. Etabliert werden diese Kriterien dann auch noch z. B. in politischem Gebaren, dem Bemühen um Paragraphen und/oder historischen Anleihen als Instrumenten der Kultursteuerung.

Dieses Kulturmobbing ist letztlich unangemessen und schlechterdings auch unausgewogen, es ist weit entfernt von einem gleichberechtigten Dialog aller Kulturschaffenden.
Kultur hat Vergangenheit, erkannte und verborgene! Menschen werden in Kulturen hineingeboren, sie finden Kultur vor, ob im Orient oder im Okzident, ob in einer selbsternannten „Ersten Welt“ oder einer so genannten „Dritten Welt“. Kultur entsteht, wo der Mensch Natur berührt. So ist Kultur unausweichlich vorhanden.
Die von Menschen geschaffenen Beiträge zu seiner Kultur oder bestimmte kulturelle Abschnitte sind in ihrer Nachhaltigkeit unterschiedlich und so differenziert zu gewichten. Während beispielsweise die Kultur der Griechen im Denken des 21. Jh. noch immer einen Platz hat und so Kultur bis heute beeinflusst, ist dem imperialen Kaisertum der antiken Römerzeit, zumindest im „old Europe“ – abgesehen davor, dass es ein Kapitel der Weltgeschichte ist – gegenwärtig keine aktive kulturelle Bedeutung zuzuordnen. Kultur wandelt sich auch aus Kultur zur Kultur und bedarf, um Gegenwart zu werden oder zu bleiben, immer wieder der Vergegenwärtigung ihrer selbst, also dessen was geworden ist.
Kultur ist immer aber auch Interpretationsangebot von Gegenwart mit dem Ziel der Orientierung in komplexen gesellschaftlichen Strukturen, die individuelle Entscheidungsmöglichkeiten ermöglicht.
Jürgen Habermas merkt an: „Kultur nenne ich den Wissensvorrat, aus dem sich Kommunikationsteilnehmer, indem sie sich über etwas in der Welt verständigen, mit Interpretationen versorgen.“ 5
Den Kulturbegriff nun ergänzt um eine sozialpsychologische Perspektive definiert Alexander Thomas so: „Kultur ist ein universelles für eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft […] tradiert“6
Kultur in Summe: Sie wird im menschlichen Handeln (Kommunikationsinteraktion) immer wieder aus ihrer Vergegenwärtigung heraus sie selbst. So wird sie geschichtlich übermittelt um aufgehoben, entfaltet oder abgebrochen, also gelebt oder nicht gelebt zu werden.

Wer gestaltet Kultur?

Ohne Natur keine Kultur! Ohne Zeit und Raum keine Kultur! Ohne Mensch keine Kultur! Der Mensch ist die „conditio sine qua non“ für das Vorhandensein von Kultur. Kultur ihrerseits kennt kein Kriterium, das einen Menschen an ihrer Teilhabe ausschließt. Der Mensch ist Kulturstifter, er ist kulturschaffend, da wo er lebt.
Ungeachtet der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung Europas bleibt festzuhalten: In Deutschland und in dem politisch definierten Europa leben in den christlich-abendländisch geprägten Gesellschaften und Kulturen neben Christinnen und Christen auch Muslime, Menschen anderer Bekenntnisse sowie Menschen ohne religiöses Bekenntnis.
Die Bedeutung des christlichen Glaubens ist teil der deutschen und europäischen Geschichtsschreibung. Diese Geschichtsschreibung berichtet über den kulturschaffenden Einfluss der christlichen Kirchen und würdigt ihn. Die Würdigung dieses Kulturgutes setzt sich fort im aktiven Zurückgreifen auf dieses Gut im Kulturschaffen der Gegenwart und der Zukunft.
Die diffuse Angst, das Christentum würde gegenwärtig in die Bedeutungslosigkeit abrutschen, ist unbegründet. (Dass sich die Rolle des Christentums in der europäischen Gesellschaft wandelt, steht außer Frage.) Denn nicht nur die Vergegenwärtigung der Geschichte des Christentums ist kulturrelevant, sondern das konkret gelebte Christentum schafft Kultur.
Wenn also Christinnen und Christen sich in der Defensive wiederzufinden meinen, dann kann diese Einschätzung nicht indirekt oder direkt den Muslimen zum Vorwurf machen. Denn ein ausgerollter Gebetsteppich in der Öffentlichkeit ist wohl kaum der Grund dafür, dass bei der Fronleichnamsprozession immer weniger Christen öffentlich Farbe bekennen.
Das Recht der Präsenz gelebten Glaubens in der Öffentlichkeit kommt aber allen Religionen zu, wenn akzeptiert wird, dass alle Menschen einer Gesellschaft Kulturstifter sind.
Dann prägen auch nichtchristliche Religionen die Kultur Deutschlands und Europas in der Weise wie sie konkret gelebt werden, Papst Johannes Paul II. forderte für das zusammenwachsende Europa eneut eine Rückbesinnung auf die moralischen und geistlichen Werte des Christentums. „[…] Die Einheit des Kontinents könne nicht auf Kosten oder gar gegen diese Werte hergestellt werden […].“7 Diese berechtigte Forderung bedarf eben nicht nur der theorethischen Erwähnung, sondern der Relevanz im Leben derer, die für diese Werte eintreten. Ohne aktuelles Bekenntnis geht es eben nun einmal nicht. Ist das, was uns die Muslime so fremd erscheinen lässt, ihr Bekenntnis?

Die Zukunft der Kulturen lernend leben

Weder die Ignoranz des Fremden, die begrenzte halbherzige Duldung alias Toleranz des Ausländers, die Überwindung jedweder Religiösität, das postchristliche Selbstverständnis des Europäers mit hegemonialem Anspruch,8 der Rückzug in Parallelgesellschaften9 noch brutalste Gewalt sind die Bausteine eines Miteinanders in Verschiedenheit.

„Clash of Civilizations“

Der unerhörte Massenmord vom 11. September 2001 wurde federführend von der Regierung der USA unter Präsident Bush jun. und dem Premierminister Großbritanniens Tony Blair zum Anlass genommen, einen Angriffskrieg zuerst gegen Afghanistan zu führen und dann, ohne Zustimmung des Weltsicherheitsrates, entgegen dem Völkerrecht und der Weltöffentlichkeit, den am Massaker des 11. September nicht beteiligten Irak anzugreifen. Weitere Kriege werden jene politischen Haltungen „legitimieren“ die sich (auch weiterhin) orientieren am „Clash of Civilizations“ (Samuel P. Huntington), also dem Zusammenprall der Zivilisationen, und so dem Krieg der Kulturen. Solche Politik besiegelt den Untergang von Kulturen, provoziert terroristische Gegengewalt und kann zum „Ende der Kultur“ schlecht hin führen!

„Dia-logos“

Der Weg in die Zukunft, jenseits der Gewalt, trägt im Sinne des „transparenten Wortes“ den Namen Dialog. Das klingt zum einen nicht sonderlich neu, aber im Sinne einer Forderung ist es das ja auch nicht. Zum anderen werden jene, die den Dialog befürworten, oft der Naivität bezichtigt.
Der notwendige Dialog darf weder der „verlogene Dialog“10 werden, noch ein Dialog nach dem Motto: „Heute schon toleriert?“11 Die Augenhöhe muss stimmen, denn es geht nicht um Kultur contra „Kultürchen“.

Konditionen des Dialogs:

„Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Friede unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagenforschung in den Religionen.“12 Diese von H. Küng angeführte Kurzformel der Grundlage eines Dialoges in der Welt halte auch ich – ergänzt um: Keine Grundlagenforschung der Religionen ohne Respekt vor den Kulturen – für die Denk- und Handlungsoption auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft der Kultur.

Ein solcher Dialog kann nicht ehrlich geführt werden, wenn er aus falsch verstandener Höflichkeit vor dem Gegenüber, heikle kulturund religionsbezogene Fragen nicht stellt oder unangenehme Fakten nicht zulässt 13. In diesem Sinne geht es um einen „unhöfische /unhöflichen“ Dialog.

In diesem Dialog darf es weder eine Tabusierung von Konfliktpotential geben, noch die „Verwischung der Grundsätze“ oder eine „synkretistische Vermischung“.14 Er muss offen und ehrlich sein. „was oft genug aufgrund von Vorurteilen und Zerrbildern des anderen ein Desiderat bleibt“ 15

In diesem Dialog geht es um eine redliche Annäherung und Verständigung, gründend in beiderseitigem Selbstbewusstsein, geführt in Sachlichkeit und Fairness und in dem Wissen um das Trennende wie um das Verbindende. 16 So müssen sich der Islam und das Christentum gegenseitig Rechenschaft darüber geben, wie z. B. der in den Religionen jeweils verankerte missionarische Charakter zu deuten ist.

Im Dialog die Zukunft der Kulturen lernen bedeutet, selbstbewusst Kultur zu schaffen, die aus der Verschiedenheit von Identitäten und der Identität des Gemeinsamen lebt 17 und im Erleben ihrer selbst immer neu zur Kultur wird. Dieses Kulturschaffen (zu dem der anhaltende Dialog gehört) ist ein komplexer Vorgang, in dem Elemente unterschiedlicher Identitätsstiftung ebenso einen Platz haben müssen wie verschiedene religiöse Rituale, uneinheitliche Kleidung mit unterschiedlichen nonverbalen Botschaften verschiedene Gemeinschaftsrituale und Essgewohnheiten.

Zu diesem Dialog gehört auch der Blick auf den unterschiedlichen Zeitgebrauch, „da die Zeit der Eckpfeiler des sozialen Lebens ist […][und die] Zeitvorstellungen eines Volkes einen wertvollen Zugang zur Psyche einer Kultur […][ermöglichen].18

Dieser Dialog bedarf konkreter Haltungen, Fertigkeiten und Motive. Zu ihnen gehören die Überprüfung des eigenen Selbstverständnisses, Grundlagenwissen zu Religionen und Kulturen sowie die Achtung vor der Verschiedenheit. Sprachkompetenz und die persönliche Begegnung zwischen den Menschen sind genauso Grundlage wie die richtige Selbsteinschätzung eigener Unzufriedenheiten und möglicher persönlich empfundener Benachteiligungen.

Der Dialog kann dazu dienen die potentiellen (geschichtlich und biographisch bedingten) Ängste vor dem Anderen zu relativiert oder sogar abzubauen. Es scheint mir unrealistisch zu fordern, irgendwie die Ängste „wegzulegen“ um dann angstfrei den Dialog zu beginnen.

Der Dialog muss weitergeführt werden, wie schon seit einigen Jahren üblich in den offiziellen Strukturen der betroffenen religiösen, politischen und gesellschaftlichen Organisation. Ganz entscheidend für das Zusammenleben aber ist der Dialog vor Ort, in Stadtteilen, Gemeinden, Vereinen und Verbänden, eben da, wo Muslime und Christen sich begegnen müssten.

Das Herz des Dialoges:
Aufrichtigkeit

Die genannten, den Dialog betreffenden Kriterien für den Weg, die „Zukunft der Kulturen lernend zu leben“, garantieren kein Gelingen, aber klären die gegenseitige Ansichtigkeit und „zwingen“ dazu, zumindest für eine Zeit, näher zusammenzurücken. Entscheidend bleibt die Haltung, die diesen Kriterien innewohnt und ihnen vorausgeht: Aufrichtigkeit.

Anmerkungen

1 Georg Minkenberg: Tausendundeine Nacht. In: Ex Oriente. lsaak und der weiße Elefant. Hg. W Dressen, G. Minkenberg A. C. Oellers. Mainz 2003, 134.

Udo Marquardt: Bedrohung Islam? Christen und Muslime in der Bundesrepublik Deutschland. In: Religionsfreiheit gestalten. Herbert Hoffmann (Hg.). Trier 2000, 23f.

3 AaO., 24.

4 Ina-Maria Greverus: Menschsein ist kulturelle Kompetenz. In: Thomas Schreijäck: Menschwerden im Kulturwandel. Luzern 1999, 43.

Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 2. Frankfurt/M 1981, 209.

Alexander Thomas: Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns. In: Ders: Kulturvergleichende Psychologie. Göttingen 1993, 380.

AaO

Vgl.: Britta Baas: Multikulti am Ende? In: Publik Forum Nn 23, 3.12.2004, 27. Die Hegemonie bezieht sich primär auf die Kultur als kulturelle Hegemonie (Gramsci).

Wie der Begriff der Parallelgesellschaft zu verstehen ist, bietet uns selbst der DUDEN keine Sprachanalyse. Suggestiv werden mit diesem Begriff Aus- und Abgrenzung verbunden sowie kaum externe Kommunikationsstrukturen, eigenes Zeichensystem und ergänzender Wertekanon.

10 Titel des „SPIEGEL“ 51/01

11 Titel der „pardon“ 2/05.

12 Hans Küng: Der Islam, München. 2004, 19.

13 Es darf z. B. auch nicht verschwiegen werden, dass es auch blutige Übergriffe von Muslimen auf Christen gibt. Bischof Reinhard Marx (Trier) stellte mit Blick auf die Unterdrückung von Christen in muslimischen Staaten auf dem sechsten deutschafrikanischen Bischofstreffen in Ghana fest, „dass das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Afrika seit den 80er Jahren insgesamt schwieriger geworden sei.“ (Michael Dorndorf, in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen 43/04. 5.)

14 Synkretismus ist unter anderem in der Religionswissenschaft die Bezeichnung für eine Mischung verschiedener Religionen, Philosophien, Weltanschauungen, Kulte, Stilrichtungen und Gedankensysteme, indem Elemente aus verschiedencn schon bestehenden Systemen zu einem neuen System verbunden werden. Das Wort stammt vom Namen der Insel Kreta ab. Plutarch bezeichnete so den Zusammenhalt der Kreter gegen äußere Feinde trotz ihrer sehr unterschiedlichen Kulte.

15 Georges Tammer: Warum der christlich-islamischen Dialog notwendig ist. In: Ursula Spuler Stegemann: Feindbild Christentum im Islam. Freiburg/ Basel/ Wien 2004; 71.

16 vgl. Hans Küng: Der Islam. München, 2004,21.

17 z. B. mit der deutschen Identität kann ich mich auch identisch als Europäer bezeichnen.

18 Robert Levine: Eine Landkarte der Zeit. München, 1998, 26.

Erschienen in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück. J.P. Bachem Verlag GmbH. Januar 2006
In Aufsätze, Aufsätze + Artikel veröffentlicht | Getaggt , , , , , , | Kommentieren

„Ereignisfelder der Bildung“

Raumerlebnisse, Kommunikation und Kunst

Institut für Erziehungswissenschaft
der Universität Bonn,
Lehrstuhl Schulpädagogik
Prof. Dr. Volker Ladenthin

Seminarleiter: Christoph Stender
Dipl. Rel. Päd., Dipl. Theol.
Lehrbeauftragter

Zum Inhalt:

Eine der großen Provokationen der wir uns in der Alltäglichkeit unseres Lebens aber auch in seinem sinnstiftenden Lebensentwurf täglich stellen müssen, ist die Deutung dessen, das uns begegnet. Bildung ist Deutung, nicht Beliebigkeit und gleichzeitig aber auch Schaffung von Deutungsmöglichkeiten. Ereignisfelder dieser Deutungsbildung, die immer auch Kultur schaffen, sind Raumerlebnisse, Kommunikation und Kunst. Sich ihnen praktisch und theoretisch in Ausschnitten anzunähern, auch unter Berücksichtigung der je eigenen Biographie, ist Intention und Lustgewinn dieses Seminars.

Seminareinheiten:

1. Seminareinheit:

Zentrale Methodik zur Themenfindung, Motivation und Einübung des gemeinsamen Stils bei der Erarbeitung der im Seminar angesprochenen Themen und Begriffe

Kurzreferat:
Die Begrifflichkeiten des Titels und deren Intention

Assoziationen zum Seminarraum:

  • Was fällt in Verbindung mit diesem Raum Ihnen ein zu den fünf Begriffen des Themas.
  • Kurzvorstellung der Assiziationen

 

Umsetzen der Begriffe im Seminarraum:

  • drei TN. sind „Gestaltungsmasse“
  • vier TN. sind die Gestalter

 

Findung von Themen für dieses Seminar:

  • Zweiergruppen mit der Frage befassen: Welche Themen, Assoziationen, Bilder, Empfindungen, Informationen, Orte, Situationen…. möchten Sie zum Thema machen?
  • Gehen sie durch die Uni benutzen Sie sich ggf. auch gegenseitig als „Objekt“
  • Dauer der Aktion 30 Min.
  • Gemeinsame Vorstellung und Begründung der „Ergebnisse“
  • Umsetzungsversuch in Themeneinheiten für das Seminar
  • Verteilung der Aufgaben (Teilvorbereitung von Seminareinheiten etc.)
  • Möglich Ortswechsel berücksichtigen
  • Restabsprachen

 

Abschluss:
Offene Fragen, Befindlichkeiten, was noch gesagt werden muss und/oder eine erste Einschätzung von uns in dieser Einheit.

Mögliche schriftliche Themen:

  • Bildung und Raum
  • Bildung und Raum in der Idee des „Kindergartens bei F. Fröbel“ und der Walldorfpädagogik
  • Def. Bildung zu Pädagogik zu Erziehung und Kultur
  • Def. Kunst, Kultur und Bildung
  • Interdependenz von Kunst und Raum
  • Die Neuorientierung der Kunst im 20. Jahrhundert
  • Der Gedanken der Sozialen Kunst (Beuys)
  • Eine Kommunikationstheorie für den Rucksack
  • ………….

 

2. Seminareinheit:
Raumerleben, Grundlagen theoretischer Annäherung

3. Seminareinheit:
Raum und soziale Systeme

4. Seminareinheit:
„Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Paul Watzlawick).
Kommunikation allgemein

5. Seminareinheit:
Kommunikation und (gestalteter) Raum

6. Seminareinheit:
Bildung (bilden), aus angrenzenden Begriffen beschrieben

7. Seminareinheit:
Kunst und so…

In Vorlesungen veröffentlicht | Getaggt | Kommentieren

Impressionen zwischen den Tagen

Es war ein Kurzbesuch, zweiter Feiertag von 16.30 bis 20 Uhr, danach ging sein Zug weiter, geschäftlich nach Brüssel. Recht spontan entschied der Gast aus Peking sich für diesen Aufenthalt mit der Begründung: „Wann kommst du denn schon mal in Aachen vorbei!“ Recht hatte er. Er ist ein ganz netter und bescheidener Mensch, glaubt angeblich an nichts, arbeitet ununterbrochen, und wenn er mal nicht arbeitet, dann stellt er Fragen. Eine bescheidene Frage bestimmte seinen Aufenthalt: „Wie feiert ihr in Aachen eigentlich Weihnachten?“ Er meinte nicht das familiäre Weihnachten, sondern er wollte auf Spurensuche in unserer Stadt gehen, um später zu Hause etwas vom urbanen Weihnachten zu erzählen.

Also gut und ab in den Dom, da steht wenigstens noch die Krippe. Die Pelztiere fand er sehr ansprechend, „besonders das kleine Weiße da oben“. Den Dom hat er früher schon einmal besucht, der sei ja immer so, und schon waren wir wieder auf dem Münsterplatz. Hier stellte er mich vor die Frage, warum Tannen angekettet werden. Ohne rechte Antwort stand ich genauso dumm rum wie diese Tannen.

Die Lichter in den Fenstern waren auf dem Weg zum Katschhof Objekt seiner Begierde. „Lichter sprechen an Weihnachten von Freude und Geborgenheit“, so meine erste Ausführung, die abrupt unterbrochen wurde von seinem begeisterten Ausruf: „Das ist eine Geisterstadt“. Etwas verlegen meinte ich: „Das ist unser Weihnachtsmarkt, aber der ist schon vorbei.“ Sein Kommentar: „Warum heißt der dann Weihnachtsmarkt?“ Ich war schon gespannt, ob er das „Weihnachtsghetto“ auf dem Rathausplatz auch begeistert begrüßen würde, doch es kam anders. „Im Rathaus arbeitet doch der Bürgermeister“; die Korrektur mit Ober- sparte ich mir und bestätigte. „Warum sind dann in den Fenstern keine Lichter, gibt es da keinen Sinn für Freude und Geborgenheit an diesen Tagen?“

Der flüchtige Gruß eines Bekannten gab mir Gelegenheit das Thema zu wechseln. „Also wenn wir noch eine Kleinigkeit essen wollen, dann wird es Zeit.“ Was wird er wohl im Reich der Mitte vom Weihnachten in Aachen erzählen? Oder ist dieser „Kurzbesuch“ nur ein Märchen von „zwischen den Tagen“ in einer Kaiserstadt?

Quelle: Aachener Zeitung, 28. Dezember 2005
In Aufsätze + Artikel, Kolumne in der AZ veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Friedensgedanken zur Menschwerdung

„Menschenskind“, weil du anders bist.

Ich wünsche dir von Herzen und mit Verstand dass du ankommst an dem Ziel deines Hoffens und Glaubens. Auch wenn ich Anderes hoffe und glaube.

Magst auch den Weg zu deinem Ziele finden. Deinen Weg leben in dieser Welt, die auch die meine ist. Ja, deinen Weg wünsch ich dir, auch wenn mein Ziel mir einen anderen Weg weist.

Lass uns gehen, folgend unseren Gewissheiten.
Diesen Gewissheiten, die nie jenseits des an sich selbst Zweifelns lebendig sein können, mitten in einer Welt die wir, du und ich, aus den gleichen anatomisch bestimmbaren Augäpfeln sehen. Augen, die mehr als nur zwei Galerchtkugeln sind, wie auch ein Herz mehr als nur eine Pumpe ist.

Unsere Galertkugeln und Pumpen können nicht mehr in derselben Welt aneinander vorbei existieren, und ihr „Mehr“ berührt sich täglich in Angst, Unsicherheit, kultureller Unterschiedlichkeit und dem vagen Wunsch nach Gemeinschaft. Wir sind auf den verschiedenen, diesen je unseren Weg, unterwegs, ob wir es nun wahrhaben wollen oder hinter „multi kulti“ verblassen lassen.

So mein Wunsch nur im Vorübergehen:

Lass uns auf einem Stein gemeinsam ausruhen, wenn unsere Wege sich berühren, damit sie einander sich berühren, und zueinander sagen, dass deine Hoffnung, dein Glaube und dein Weg nicht der Meine ist. Und meine Hoffnung, mein Glaube und mein Weg nicht der Deine.

Und ich möchte nicht weiter gehen, Menschenskind, ohne dir zugeflüstert zu haben:
„Ich wünsche dir von Herzen und mit Verstand dass du ankommst an dem Ziel deines Hoffens und Glaubens.
Auch wenn ich Anderes hoffe und glaube um anzukommen,
Menschenskind.

Geistliches Wort zur Beiratssitzung, 3.12.2005
In Impulse veröffentlicht | Getaggt , | Kommentieren

Sitzt die Weisheit vor der Tür?

Schön wäre es, wenn die Weisheit vor unseren Haustüren sich tummeln würde, und Sie an einem ganz normalen Morgen nur die Türe öffnen müssten um ihrer habhaft zu sein. Weisheit auf Abruf, ist doch was!
Diese Hoffnung lässt die alttestamentliche Lesung aufkommen. Allerdings ist die Weisheit nicht vorzufinden wie ein begossener Pudel, der gerne ins Trockene möchte, sondern nach der Weisheit muss der Mensch verlangen, so der Literat der Lesung.

Weisheit schmeckt doch irgendwie nach mehr Lebensqualität, danach Konflikte besser zu bewältigen, mehr Durchblick und Einsicht zu haben und gleichzeitig alles mit etwas mehr Gelassenheit zu betrachten.
Aber auch bei dieser „Beschreibung“ der Weisheit muss, wie bei allen anderen auch, immer noch mitgedacht werden: „Und sie ist doch noch ein bisschen mehr, allerdings kaum in Worte zu fassen.“
Im Besitz der Weisheit sein zu wollen ist wohl eher der Wunsch reiferer Menschen, denn fragen Sie mal einen Jugendlichen, ob er mit Weisheit ausgestattet sein will. Vermutlich würde der Sie eher zurückfragen, was das denn sei, oder Ihnen sofort klar machen, dass Raffinesse, Erfolg, Geschicklichkeit, Schnelligkeit oder auch nur das reine Überleben angesagter sind als der Schmuck der Weisheit.

Bleibt doch nachzufragen, auch im Interesse junge Menschen, wie gewandet sich eigentlich diese Weisheit? Der heilige Augustinus (gestorben 28. August 430 in Hippo Regius im heutigen Algerien) sagt von ihr: „Weisheit ist letztlich nichts anderes als das Maß unseres Geistes, wodurch dieser im Gleichgewicht gehalten wird, damit er weder ins Übermaß ausschweife, noch in die Unzulänglichkeit falle. Verschwendung, Machtgier, Hochmut und ähnliches, womit ungefestigte und hilflose Menschen glauben, sich Lust und Macht verschaffen zu können, lassen ihn maßlos aufblähen.“

Okay, soweit so gut, aber was ist dieses „Maß unseres Geistes“ von dem Augustinus spricht, wie wird dieses Maß gemessen? Da hilft uns der alte Aristoteles etwas weiter! Die Mäßigung, also das Maß halten bezieht sich insbesondere bei Aristoteles auf die Lust. Aber bitte nicht falsch verstehen, hier wird der Lust keine Absage erteilt, nur ein zuviel an Lust wird ebenso abgelehnt wie deren Untertreibung. Ihm geht es darum, die Waage zu halten mit dem Ziel, sich ethisch zu verhalten. Die Richtung wird hier etwas deutlicher, aber nicht so richtig.
Sie merken, dass Worte in der Tat Weisheit nicht ganz zu greifen scheinen, so gilt es nun in Sachen Weisheit auch mal zwischen den Worten zu lesen. Versuchen Sie es doch einmal in dieser Geschichte:

Zwei mittellose Menschen sind zu einem Fest geladen. Der eine rafft alles zusammen, was er hat, leiht sich noch einen kleinen Betrag hinzu und kauft sich für das Fest neue Kleidung, die auf den ersten Blick todschick aussieht und qualitativ wertvoll erscheint. So meint er nun sich sehen lassen zu können! Allerdings bleibt ihm nun kein einziger Gent mehr, und so kann er sich die Zahncreme für die vorfestliche Hygieneaktivität nicht mehr leisten. Das Outfit scheint Spitze, aber es riecht hier irgendwie komisch.
Der andere Gast gibt sich mit seinem alten „guten“ Anzug zufrieden, „werd´ schon darinnen aussehen“, so denkt er, und bedecken tut er doch alles Wesentliche, so seine Erkenntnis in Anbetracht eines leeren Geldbeutels. Doch seine letzten Gent investiert er doch in das Fest, Zahncreme muss er noch besorgen, denn schließlich sollen ihn die anderen Gäste gut riechen können.

So, viel einfacher, zugegeben, ist es auch nicht, zwischen den Zeilen lesend der Weisheit auf die Spur zu kommen, oder? Aber nicht vergessen: „Über die Weisheit nachzusinnen ist vollkommene Klugheit“, so der alttestamentliche Literat. Ja, was machen wir denn dann hier! Vielleicht sind wir ja viel klüger, als wir denken, wir, die wir hier über die Weisheit nachsinnen. Aber langsam, vielleicht sollten wir, bevor wir uns von unserer eigenen Klugheit überwältigen lassen, einen Satz von Antoine de Saint-Exupéry beherzigen:
„Wenn es dir gelingt, über dich selbst Gericht zu sitzen, dann bist du ein wirklicher Weiser.“ Wie war das doch mit der „Weisheit vor der eigenen Türe“…?

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 06.11.2005
In Aufsätze + Artikel, Glauben heute veröffentlicht | Kommentieren
© Christoph Stender | Webdesign: XIQIT GmbH
Impressum

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen