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Ach, den kenne ich

Ist das der Christus, den wir kennen? - Studie zum Turiner Grablinnen (Leichentuch I) von Herbert Falken (1973). Foto: Katalog

Warum sollte es Jesus anders ergehen als vielen seiner Zeitgenossen bzw. wie so manchem Menschen heute auch? Warum sollte er verschont bleiben von den täglichen kleinen Machtausübungen der lieben Mitmenschen, die vorgeben, von einem irgendetwas zu wissen. Warum sollte nicht auch er Opfer werden, wenn andere sich mit fraglichen Informationen über einen erheben und behaupten: „Ja, den kenne ich!“?

Es ist wichtig, jemanden zu kennen, Kenntnisse zu haben, sich auszukennen in bestimmten Situationen. Kenntnisse erleichtern uns die Orientierung in der Gesellschaft und entlasten den Alltag. Würden wir unsere Kenntnisse immer wieder vergessen, so müssten wir uns täglich neu die Kenntnisse und Fertigkeiten erwerben, die wir benötigen, um den neuen Tag zu managen, eigentlich jedoch ein Ding der Unmöglichkeit. Besonders zwischen-menschlich ist es sehr wichtig, Kenntnisse voneinander zu haben. Sie ermöglichen Vertrauen, Sicherheit und Geborgenheit und sie sind sogar dann notwendig, wenn man den anderen „mal auf den Arm nehmen will“.

Doch nicht selten hat die Behauptung, jemanden zu kennen, einen eher negativen Beigeschmack.

Denn die Aussage „ja, den kenne ich“ meint nicht immer: „Ach, dieser Mensch ist einfach toll, eine Bereicherung, freundlich, großzügig und einfach liebenswert.“

Es klingt eben oft ganz anders: „Also, den kenne ich ganz genau, ich weiß, wie der gestrickt ist, ich kenne die Leichen, die er im Keller hat, also wisst ihr, der ist ja …“

Hier meint „kennen“: jemanden im Griff zu haben, ihn mit der eigenen Vorstellung beherrschen zu wollen und gefügig zu halten durch all das, was man vorgibt von ihm der Öffentlichkeit noch preisgeben zu können.

„Kennen“ fordert hier, dass der andere so zu sein hat, wie es der vorgibt, der meint, einen zu kennen. Jemanden „kennen“ will nicht, dass der, den man vorgibt zu kennen, sich verändert, also aus dem selbst gestrickten Raster ausschert. So kommt die Behauptung „ich kenne dich“ einem Urteilsspruch gleich.

Konkret: Nehmen wir uns ernst und seien wir ehrlich: Diese „Art“, einen Menschen zu „kennen“, kennen wir doch auch.

Wenn wir uns nachhaltig der Frage „glauben heute“ auf dem Hintergrund einer Kernaussage dieses Evangeliums stellen, die da lautet „diesen Jesus kennen wir doch“, dann gilt es erst einmal zu akzeptieren, dass wir solche Feststellungen auch kennen, die in ihrer Intention, sagen wir mal zurückhaltend, eher eingefärbt sind.

Mit dieser Annahme soll kein moralischer Zeigefinger erhoben werden nach dem Motto: „Ach, wie schlecht der Mensch doch wieder einmal zu sein scheint“. Nein, ich möchte einfach nur fragen, ob uns nicht eventuell etwas verloren geht, wenn wir diesem „ach, den kenne ich“ vorschnell auf den Leim gehen.

Der Umgang, den Jesus im heutigen Evangelium erfährt, stellt uns vor Augen, wie der Reichtum des Menschen abhanden kommen kann, oder besser erst gar nicht entdeckt wird, wenn man auf einem „den kenne ich“ beharrt. Bezogen auf diesen Ausschnitt aus dem Leben Jesu, lautet hier der Verlust auf den Punkt gebracht: Christus. Für die, die Jesus von klein auf kannten, war Jesus Jesus und dabei sollte es bitteschön auch bleiben, Veränderung unerwünscht, man „kennt ihn ja schließlich und endlich“.

Diese Menschen im Umfeld Jesu liefen Gefahr, dass ihnen der Sohn Gottes, das Wort des Vaters, der Heiler und Heiland, eben der ganze Christus, unbekannt blieb.

Aktuell stellt sich die Frage für uns: Wollen wir eine andere Sicht, eine Veränderung unserer Ansicht bezogen auf unser Gegenüber wahrhaben, oder ist der potenzielle Reichtum in der Veränderung unseres Gegenübers unerwünscht nach dem Motto: „Bleib einfach, wie ich dich kenne.“ Mit Gegenüber meine ich jedoch nicht nur die uns vertrauten Menschen wie Familie, Freunde, Kolleginnen und Kollegen oder jene Menschen, die wir einfach im Vorübergehen in irgendwelche Schubladen stecken. Mit Gegenüber meine ich auch unser Christus- und Gottesbild. Also, was meinen Sie, Veränderung gewünscht oder bleibt es bei „Lass doch, ich kenne dich.“?

Übrigens: Finden Sie es nicht auch manchmal recht bedenklich, wenn Ihre Bekannten Jahr für Jahr immer wieder sagen: „Du hast dich gar nicht verändert, ganz der Alte.“? Wünschen wir uns nicht manchmal auch zu hören: „Mensch, du hast dich aber verändert“?

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 13.08.2006
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In wandelnden Zeiten

„Seht das Zelt Gottes unter den Menschen“ –
Annaoktav 2006 in Düren

„In wandelnden Zeiten“

Zur Skulptur der „Annaselbdritt“
in der Pilgerkapelle von St. Anna, 6. August 2006
Evangelium: Mk 9,2-10

Starr ihr Blick, muskulös der Körper, scharf das Gebiss. Unerwartet schaut die berühmteste Schlange der Welt Eva ins Auge, und unsere Geschichte mit der Erbschuld nimmt ihren Lauf. Aber schauen wir zuerst einmal auf den Anfang dieses Dramas. Adam und Eva, Sinnbild für den Menschen in Diversität, haben das goldene Los gezogen. Ein ganzes Paradies ist ihnen anvertraut, also Genuss pur, Belastung gegen Null und fast grenzenlos ist ihr Handlungsspielraum, wäre da nicht dieser Baum.

Mitten im Paradies stand dieser Apfelbaum, der die Unantastbarkeit der Souveränität Gottes symbolisierte und beanspruchte. Dieser Baum war tabu, er sollte Adam und Eva nie gehören können. Dieser geheimnisvolle Baum allerdings weckte selbst im Paradies schon Begehrlichkeiten und warf die Frage auf: Verbirgt sich hinter der Unantastbarkeit dieses Baumes etwa unendliche Macht die man an sich reißen könnte?

Und so sind wir wieder angekommen bei dieser Schlange, die in Eva und mit ihr in Adam den Größenwahn weckte, der bis heute in den Köpfen der Menschen umhergeht, nämlich immer wieder Macht an sich zu reißen über Land und Menschen herrschen zu wollen. „Nimm den Apfel von diesem verbotenen Baum“ so die Versuchung „und du wirst wie Gott sein, allmächtig!“ Sprach die Schlange und verschwand und der Mensch fiel darauf rein, eitel wie er bis heute ist, nahm den Apfel.Damit trat der Mensch die Unantastbarkeit Gottes mit Füßen und verweigerte Gott seine Immunität. Der Mensch wollte alles haben, ein Gott sein, das Andere und den Anderen immer wieder besiegen, um Besitzer zu sein. Machtgeilheit führte zum Sturz in auch heute noch unbekannte Abgründe, das Paradies aufs Spiel gesetzt ging verloren, die Weite des irdischen Himmelsgarten wandelte sich für den Menschen in eine verzweifelte Angst um sich selbst. „Und der Mensch sah dass er nackt war!“ und er erschreckte bis ins Mark, nachhaltig bis heute spürbar.

Der Fall des Menschen in Adam und Eva gehört zu Ihrer, gehört zu unserer aller Geschichte, ob uns das passt oder nicht. Denn unsere Geschichte beginnt nicht irgendwie subjektiv vielleicht bei unseren Urgroßeltern oder ein paar Generationen davor, deren Namen wir meistens schon längst vergessen haben.

Nein, unsere Geschichte beginnt mit den ersten Gedanken der Menschheit und zu ihr gehören alle Geschichten um den Menschen seither.

Eine manchmal etwas kuriose Spezies unter den Menschen, der Adel, pflegt das Erbe seiner Herkunft, indem er auf Ahnentafeln seine Vorfahren zurückverfolgt bis er an einer besonders großen Persönlichkeit in der Geschichte anlangt, um dann besonders stolz mit diesem Familienangehörigen auf sich selbst zu sein. Mag ja stimmen, aber selbst seine Familienbande reichen weiter zurück als er historisch belegen kann, wie auch die unsrige die eben bis hinein in das verlorene Paradies reicht.

Wir sind alle die eine Schöpfung, weltweit, ob lebend oder schon verstorben. So wie alle Völker zu der einen Menschheitsfamilie gehören, so gehören auch alle ihre wohlwollenden wie auch ihre egoistischen und fatalen Taten zu unserer gemeinsamen Geschichte. Dieses Faktum begreifen wir beispielhaft wieder neu unter dem Begriff der Folgenabschätzung, greifbar in der globalen Umweltverschmutzung und des daraus entstehenden weltweiten Klimawandels. Die Handlungen des einzelnen Menschen haben letztlich Auswirkungen auf alle und sind so Bestandteil der Geschichte der einen Menschheit.

Ob Jude, Christ oder Muslim, uns gemeinsam sind z.B. die Väter und Mütter des „Alten Testamentes“. Mit der Taufe gehören die Christinnen und Christen zu der großen Familie die sich auf Christus beruft, in dem Gott alles geschaffen hat. Wir sind sein wanderndes Volk auf Erden, seine Gemeinde, verteilt über alle Kontinente, eine Kirche.

Unsere gemeinsame Geschichte, also die Sammlung der Biographien aller Menschen egal welcher Hautfarbe und Religion, nimmt ihren Anfang im verloren gegangenen Paradies. Konkret bedeutet das: Auch wir hier in diesem Gottesdienst sind miteinander verwandt, uns verbindet die eine Geschichte. Wie schrecklich mag so mancher nun denken, der sich hier jetzt eher zögerlich umschaut: „Das soll alles im weitesten Sinne meine Verwandtschaft sein?“ Und die ernüchternde Antwort: „Ja, ob gelegen oder ungelegen“, schauen Sie sich ruhig einmal um.

Diese Zusammengehörigkeit, die auch eine Abhängigkeit voneinander beinhaltet, kennt unterschiedliche Bewusstseinsformen in Vergangenheit und Gegenwart. So z. B. in der entfernteren Geschichte, als Königreiche um des Friedens willen miteinander verbunden wurden durch die Verheiratung ihrer Königskinder, keine Liebesheirat sondern Staatsräson.

Aktuell, heutig, ist dieses „Wir – Bewusstsein“ zwar etwas präsenter, jedoch wackelt dieses Zusammengehörigkeitsgefühl beträchtlich. Z. B. im „Generationen Vertrag“ auf die Renten bezogen, im Solidaritätspakt die Krankenversicherung betreffend oder in der besonders ökologisch akzentuierten Forderung: “ …so handeln, damit wir unseren Kindern und Kindeskindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen.“

Es ist alternativlos konsequent, dass wir stringenter realisieren nicht nur auf den Inseln zu leben, die da heißen: Familie, Düren, Dürener Land, NRW, Deutschlands und vielleicht noch Europas zu leben. Unser Lebensraum ist eine Realität des Ganzen , die Summe der Realitäten in dieser Welt, die alle unwiderruflich miteinander verknüpft sind. Diese unsere Realität und alle anderen Realitäten auf dieser Welt haben ihren gemeinsamen Anfang im verlorenen Paradies, aber genau das verbindet die Realität aller Generationen untereinander gestern, heute und zukünftig!

Dieses Ausrufezeichen (!) versinnbildlicht Annaselbdritt, Kategorie der figuralen Darstellung Annas, Marias und Jesu. Mutter Anna sitzend, ihrem Schoße nahe stehend ihre Tochter Maria, auf dem Arm Mariens ihr Sohn Jesus, der Christus. Heilsgeschichte der Welt aus christlicher Sicht, drei Biographien, drei Generationen, Wandel der Zeiten, eine Geschichte und nur so Realität. Welche Realität aber führt uns die Darstellung der Annaselbdritt vor Augen? Die Realität des Lebens und Überlebens in Generationen und gleichzeitig deren Strategie. Das klingt sehr minimalistisch und wenig romantisch. Doch wir müssen uns auch hier immer wieder darüber bewusst werden, das wir nackt sind, raus dem Paradies: Los Paradies, los.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
wir kommen nicht umhin festzustellen:

Jeder von uns ist mit seiner Geburt erst einmal Erbe, wir erben Welt und den Umgang mit ihr durch unsere Vorfahren, also erben wir auch Geschichte (Übrigens auch belastete Geschichte, angefangen mit dem Sündenfall, über die Kriege und Weltkriege, hin zum 11. September und aktuell der Krieg im Heiligen Land.) Wir erben Fertigkeiten wie wir Natur nutzbar machen oder bewältigen können und so schaffen wir Kultur. Wir erben und gleichzeitig vererben wir wieder, leben ist erben und gleichzeitig heißt leben vererben. Wir finden uns mit der Geburt in einer Generation vor und bilden eine neue Generation. Anders ist Welt nicht zu haben als in der Verwiesenheit der Generationen aufeinander. Besonders der neuzeitliche immer noch mal freiere Geist unserer Gesellschaft legt keinen gesteigerten Wert auf die Verwiesenheit der Generationen untereinander. Autonomie, Egozentrik, Selbstverwirklichung und individuelles Wohlbefinden werden weiterhin allen Ortes propagiert als die Erlösung vom Wir zum Ich. „Annaselbdritt“ ist der stille Protest gegen verlorene Generationen bzw. einen Generationenkrieg, der seine Sprengkraft aus dem reinen Ego, dem dominierenden Ich bezieht. „Annaselbdritt“ steht für das gestaltete Wir und Miteinander der Generationen. Sie ist Modell einer Generationengesellschaft, die gemeinsam zurück schaut, die hin schaut und die in die Zukunft schaut.

„Annaselbdritt“ ist eine Provokation weil sie den Respekt der Generationen untereinander bedingungslos fordert. Keine Generation wäre auch nur annähernd intelligent zu nennen, wenn sie sich über eine andere Generation lustig macht, oder sich ihr gegenüber erhabener fühlt. Sie missachtet so ihre eigene Geschichte und läuft Gefahr selbst einmal zu einer missachteten Generation zu gehören.

Mit Blick auf die Generation der älteren Menschen: 
Sie sind die reichste Generation. Reich an Erfahrung aber nicht bezogen auf die rein subjektiv gemachten Erfahrungen eines jeden einzelnen, sondern bezogen auf die vergleichbaren Erfahrungen, die nur in der gemeinsamen Rückschau als Reichtum und somit als Wert erkannt werden können. Sie, die älteren Menschen, Sie werden mir doch zustimmen wenn ich sage, dass Gemeinschaft, Verantwortung füreinander, Dankbarkeit, Rücksicht, Lebensliebe und Bescheidenheit letzten Endes am weitesten tragen und noch weiter, wenn dieser Reichtum eingebettet ist in Gottvertrauen und Respekt vor dem Schöpfer.

Mit Blick auf die junge Generation: 
Genieß dein jung sein mit Herz. Richtig cool drauf bist du aber erst dann, wenn du geschnallt hast: Erwachsen werden bedeutet, dass ausschließlich du selbst dir die Fertigkeiten erwerben musst die du brauchst, um deine Zukunft so zu gestalten das du eine Chance hast in ihr zufrieden sein zu können. Das bedeutet nicht schon jetzt den Weg in die eigene Zukunft ganz konkret kennen zu sollen, aber es bedeutet eine Vision von sich selbst zu haben, die mit dem eigenen Vornamen beginnt und nicht mit Superman oder so. Feeten, rummachen, und 24 Stunden abhängen kann mal ganz nett sein aber das sind Zeitfresser, bringen für die Zukunft nicht wirklich was und sind somit uncool.

Mit Blick auf die mittlere Generation: 
Akzeptieren Sie wofür Sie einst selbst gekämpft haben, damals, als Sie die junge Generation noch selbst gewesen waren, nämlich ernst genommen zu werden. Begleiten sie die junge Generation, auch wenn Sie selbst in bestimmten Situationen anders entscheiden würden. Ihre physische und geistige Präsenz ist entscheidend für die Entfaltung junger Menschen. Gängelung und ständige Bevormundung jedoch sind zerstörerisch. Halten Sie die Versprechen die Sie anderen Menschen gegeben haben, aber nehmen Sie sich selbst nicht immer so ernst und so unendlich wichtig. Und, was wäre eigentlich Ihr Wunsch woran sich Ihre Hinterbliebenen erinnern sollten, wenn sie abgetreten sind, hoffentlich auf den Weg in den Himmel.

Mit Blick auf alle Generationen:
Jede Generation darf sich beschenkt wissen durch den Reichtum den die jeweils anderen Generationen darstellen, ob nun in reiner Freude darüber das es die andere Generationen überhaupt gibt, ob dadurch das man von ihnen lernen kann, mit Respekt ihnen begegnet, oder einfach nur dankbar ihnen gegenüber zu sein. So müssen die unterschiedlichen Generationen untereinander Kommunikation betreiben, um sich selbst entfalten zu können, aber auch um den Reichtum ihrer selbst für die jeweils anderen Generationen gegenwärtig zu halten. Der Respekt vor den jeweils anderen Generationen aber hat noch einen viel tieferen Grund. Gott schlägt immer neu sein Zelt unter den Menschen auf, weil er von dem Wandel der Zeiten und mit ihr vom Wandel der Generationen weiß. In seiner Hand liegt unsere einmalige, unverwechselbare, und unwiederbringliche Zeit, die in allen Generationen ihre Bahn nimmt, und geronnen in Erinnerung die eine Geschichte der Generationen mit oder auch „ohne“ bekanntem Gott darstellt. Gott will nicht dass die Zeit festgehalten wird, eingesperrt in drei Hütten wie die Jünger es sich auf dem Berg Tabor gewünscht hatten. Nein, er will mit seinem wandernden Volk, unseren Generationen auf dem Weg von Leben zu Leben sein. (GL S. 639, 1. u. 5. Str.)

Diese Predigt wurde im Rahmen der Anna-Woche 2006 in St. Anna, Düren gehalten.

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„Frontgroup“

Religionslehrer, die neue „Frontgroup“ auf der Bühne einer abtretenden Pastoral

Es bleibt weiter gefährlich, denn:
Der Glaube kommt vom Hören
(Vgl. Römerbrief 10,17)

Verlustanzeige

Die Zahl der aktiven Priester in den Gemeinden nimmt primär durch Verrentung und Tod kontinuierlich ab, von Nachwuchs weit und breit nur ganz kleine Spuren. Die anderen pastoralen Berufe (Zugang über das Diplom FH in Religionspädagogik, den Würzburger Fernkurs oder das Diplom in Theologie) sind als dauerhaft berufliche Perspektive auch nicht mehr sonderlich attraktiv, zumal sie zu bezahlen den Bistümern das Geld ausgeht, faktisch mit der Konsequenz eines Einstellungs- und Wiederbesetzungsstopps in einigen Bistümer.

Aber auch jene gehen verloren, die als Küsterinnen und Küster oder als Organistinnen und Organisten mit einem oft nur geringen Beschäftigungsumfang besonders Kindern und jungen Erwachsenen in der Ministrantenbegleitung oder der musikalischen Gottesdienstgestaltung ein wenig vom Glauben so ganz nebenbei mitgegeben haben. Sie kommen einfach nicht mehr vor aufgrund von Kündigungen und/oder Zusammenlegung von Gemeinden, denen Schließung, Umwidmung oder Verkauf von Gotteshäusern und Gemeinderäumen folgen.

Viele bischöfliche, teils auch verbandliche Bildungshäuser für Jugendarbeit und Erwachsenenbildung haben aus finanziellen Gründen dicht machen müssen, aber auch Hochschulgemeinden werden geschlossen oder zurückgefahren, und die Präsenz der Ordensgemeinschaften verliert sich auch immer mehr in die Verborgenheit kleiner ordensinterner Altenheime und Sterbestationen, jenseits und vergessen von einer Öffentlichkeit, in der auch die Ordensfrauen und Ordensmänner über Generationen hinweg besonders auch in der Jugendbildung und Seelsorge oft segensreich gewirkt haben.

Diese Liste des Verlustes und des Abbruchs, und im Vergleich zu den „fetteren“ Jahren muss man das auch so beim Namen nennen dürfen, ließe sich durchaus noch weiter komplettieren.

Schmale Aussichten

Die Beurteilung dieser hier nur rudimentär skizzierten Situation reicht von „Katastrophe“ bis hin zu „einmaliger Chance“ (gesund schrumpfen). Die dann folgenden Empfehlungen angesichts dieser Situation sind so vielfältig wie jene, die sich mit Lösungsperspektiven finanzieller, pastoraler, theologischer, demographischer oder soziologischer Art zu Wort melden.

Schließlich tauchen über der so tiefer gelegten Wasseroberfläche pastoralen Handelns auch Stimmen mit formalisierten Sprechblasenerkenntnissen auf wie: „Wir müssen uns auf das Wesentliche beschränken“ oder „Weniger ist auch mehr“!

Solche Ratschläge besagen doch, dass man in Zeiten finanzieller Fülle Unwesentliches im pastoralen Kontext ermöglicht hat, das jetzt einfach nur, da ja unwesentlich, gelassen werden kann.

Dass solche angebliche Folgeerkenntnis jene verletzt und vor massive soziale Probleme stellt, die diese heute „überflüssigen“ Dienste hauptamtlich und ehrenamtlich in der Vergangenheit geleistet haben, darf nicht einfach nur als Kollateralschaden bezeichnet werden.

Darüber hinaus beinhalten diese simplen und oft mit heißer Nadel gestrickten „neuen Heilslehren der Pastoral“ vom „Gesundschrumpfen“ und dem „sich auf das Wesentliche beschränken“ kein zukunftsweisendes Konzept pastoralen Handelns, beziehungsweise lassen eher einen Ideologieverdacht befürchten. Solche und ähnliche oft leichtfertig dahingesagten Äußerungen fördern nur noch tiefer und so nachhaltiger den Frust vieler Menschen in und mit unserer Kirche.

Die neue „Frontgroup“

Explizit dem Wesen der Pastoral der Zukunft nachzuspüren ist nicht Thema dieses Artikels. Allerdings befasst sich dieser Artikel auf dem Hintergrund des oben Ausgeführten mit einer bekannten, aber zukünftig (nicht durch Einsparung oder Streichung) sich wandelnden Facette der Pastoral. Denn diese aktuelle Entwicklung in der Gemeindepastoral, der kategorialen Seelsorge, den Kirchengemeinden und Bistümern, dieser dramatisch auf uns einstürzende Umbruch von einer nicht mehr zu finanzierenden Pastoral der Vergangenheit in eine ungewisse Pastoral der Zukunft, werfen nun ihre Schatten auf den dann wohl letzten Ort der flächendeckenden strukturellen Präsenz des Christlichen.

Denn ungeachtet dessen, was wer, wie auch immer, zukünftig als das pastoral Wesentliche definiert, bleibt uns nichts anderes übrig als zu akzeptieren, dass die „großen“ Religionsgemeinschaften nach diesen Umbrüchen nicht mehr in der Fläche unserer Gesellschaft vorkommen werden, auch wenn der Schein ihrer selbst aus der Vergangenheit noch diffus in diese Zukunft hinein schimmern wird.

Wie schon gesagt: Priester, Ordensangehörige sowie hauptamtlich tätige pastorale Laien und andere kirchliche Dienst gehören am Beginn des 21. Jh. einer aussterbenden Spezies an.

Und siehe: Da leuchtet nun in Sachen „Flächenpräsenz des Katholischen“ eine altbekanntes Licht neu auf, das des schulischen Religionsunterrichts (RU) und mit ihm der Religionslehrer (RL) und die Religionslehrerin (RL).

Damit sind aber nicht die verbleibenden Priester oder Laien im hauptamtlichen pastoralen Dienst gemeint, die nun neuerdings die Schule als ihr liebstes Feld pastoralen Handelns entdeckt hätten. Nein, diesbezüglich herrscht diesen Personenkreis betreffend primär wohl auch weiterhin vornehme Zurückhaltung.

Gemeint ist der ganz normale, allgemeine RL. Ihm wird zukünftig im flächendeckenden Schwund der bisherigen kirchlichen Vertreterinnen und Vertreter das verstärkte Interesse gelten, da er noch (staatlich) bezahlbar ist und der RU noch mehr oder weniger (landesbedingt) unumgänglich für die Schüler bis zum 14. Lebensjahr [1] sein wird.

Es gehört also keine besonders prophetische Gabe zu der Erkenntnis, dass die RL die neue kirchliche „Frontgroup“ auf der zunehmend sich verdunkelnden Bühnen der öffentlichen Wahrnehmung von Kirche sein werden, und hoffentlich auch sollen.

Eine neue Wertschätzung

Es sieht ganz so aus, als dass es eine neue Wertschätzung des RL geben wird, quasi eine Renaissance. Mit Wertschätzung und Anerkennung sind in der Regel die RL im Vergleich „neben“ den pfarrgemeindlich hauptamtlichen Laien und den Priestern von Seiten der Oberen ob ihres Einsatzes in der Vergangenheit nicht überschüttet worden.

Der RL war eben da, und da auch gewollt. Die hauptamtlich pastoral Tätigen aber waren (immer irgendwie mehr, so sagt man) mitten drin und so näher dran am pastoralen Herzstück, der Gemeinde.

Phänomenologisch wird sich dieses Bild in der Zukunft gravierend ändern! Der RL wird weiterhin da sein, und sollte mehr denn je gewollt sein. Die zukünftig noch (hauptamtlich) pastoral Tätigen werden bei den verbleibenden „Gutgläubigen“ mitten drin sein, und mit ihnen außen vor, mitten in der Gesellschaft.

Gerufen (notwendig) und gesandt (qualifiziert)!?

Dieser Wandel ausbildungstechnisch formuliert lautet: Mit dem Schwund derer, die neben ihrer universitären Ausbildung und auch noch nach der Ausbildung aufwendig außeruniversitär begleitet wurden, den heute in der Pastoral tätigen Klerikern und hauptamtlichen Laien, ist zukünftig nun denen neues Augenmerk zu widmen, die bisher besonders in der Ausbildungsphase neben dem Studium, aber auch danach, im Vergleich eher auf sich selbst angewiesen waren, und es oft auch noch sind, den RL.

Das Fortbildungsangebot für RL ist bisher, den Schwerpunktsetzungen der Diözesen entsprechend, primär ausgerichtet gewesen auf das Profil eines Inhaltsvermittlers (methodisch wie didaktisch). Der RL wird auch in Zukunft ein Wissensvermittler sein, wesentlich (und primär) aber wird er zunehmend ein Glaubensverkünder sein müssen, besser: sein sollen oder auch sein dürfen.

Gerade auf diese Aufgabe der Glaubensverkündigung im Unterricht, in einem multikulturellen und multireligiösen Schulumfeld, das zunehmend sprachloser und gewaltbereiter wird, und im Kleinen widerspiegelt, was unsere Gesellschaft im großen Ganzen ist, nämlich religiös „unmusikalisch“ aber nicht uninteressiert, muss der RL umfassender auf seine Rolle auch parallel zum Studium vorbereitet werden.

Die Verantwortung dafür obliegt in besonderer Weise auch denen, in deren Auftrag (Missio canonika) und an deren Amte anteilig die RL den RU erteilen, den Bischöfen.

Aber stopp: Der RL explizit Glaubensverkünder an den Schulen? Geht das? Darf das sein?

Schüler und RL

In vielen Gesprächen mit Studierenden, auch im Rahmen der Begabtenförderung, haben mir junge Erwachsene mit Blick auf ihre religiöse Biographie häufig von der positiven Rolle des RU und ihrer RL berichtet.

Mir selbst, an unterschiedlichen Schultypen fünf Jahre lang mit bis zu 14 Wochenstunden tätig gewesen, wurde Jahre später, als aus den Schülern und Schülerinnen auch Studierende wurden, manchmal gesteckt: Ja, Sie waren für mich als Religionslehrer sehr wichtig.

Natürlich wurde in vielen dieser Gespräche der RL auch nicht erwähnt, nicht immer nur weil vergessen, sondern oft wohl auch weil besser verschwiegen.

Soweit in formloser Reduktion eine subjektive Wahrnehmung den RU betreffend. [2]

Hier objektiv komplettierend wird in Dokumenten der Deutschen Bischöfe sehr pointiert die Rolle des RU und der RL unterstrichen:

So formuliert, allen bekannt, die Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland 1974 in dem Beschluss über den Religionsunterricht in der Schule: „Religionsunterricht soll zu verantwortlichem Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion und Glaube befähigen.“ (Religionsunterricht 5. 29)

Die Befähigung zum Glauben als Ziel des Religionsunterrichtes, die über das „verantwortliche Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion“ (Religionsunterricht 5. 29) hinausgeht, wird als anzustreben benannt. [3]

Also nicht nur die intellektuelle (kognitive) Vermittlung des Wissens über die Religion (im Sinne einer Religionskunde) wird als Unterrichtsziel benannt und somit in die Mitverantwortung des RL gelegt, sondern auch eine (mindestens) adäquate Reaktion der Pädagogin /des Pädagogen auf die aus der Wissensvermittlung potentiell entstehenden lebensrelevanten Fragen und deren Konsequenzen die „unterrichteten“ Schülerinnen und Schüler betreffend.

Die deutschen Bischöfe fragen in ihrer Verlautbarung über die bildende Kraft des Religionsunterrichtes stringent und differenziert weiter: „Wie können sie (die RL) Auskunft geben von dem Grund, auf dem sie stehen, von dem sie sieh gehalten wissen, der über alle Befürchtungen hinweg Zuversicht gibt, der zureicht für das Wagnis, andere Freiheit auch gegen sich aufkommen zu lassen, sie anzuerkennen, sich für sie verletzbar zu machen, sich ihr anzuvertrauen?“ (Bildende Kraft, 61).

Die Antwort auf diese Frage, die kurz gesagt die Frage nach dem Zeugnis des Glaubens im Religionsunterricht [4] ist, lautet in diesem Dokument: „(Sie kann) in der Schule und im Religionsunterricht (nur) durch die Individualität überzeugender Lehrerinnen und Lehrer und durch den Verweis auf die konkrete Glaubensgemeinschaft der konfessionellen Kirche erschlossen werden.“ (Bildende Kraft, 61).

RL vermitteln einerseits Wissen die Religion betreffend, aber ,sie sind auch gefordert, von ihrem Glauben als katholische Christinnen und Christen Zeugnis zu geben, weil das sich selbst zum Glauben Verhalten von dem Inhalt des Vermittelten letztlich nicht zu trennen ist. RL müssen sich verhalten zu der von ihnen weitergegebenen Botschaft Jesu Christi.

Eltern, Schüler und der Staat

Die Sehnsucht in unserer Gesellschaft nach Religion steigt. Religion oder so ein bisschen Spiritualität, oder einfach nur ein Gefühl für „dieses irgendwie dahinter“. Ob das nun Gott oder Rieseneichhörnchen genannt wird, ist nicht von Belang, so irgendwas dahinten ist eben gemeint, diffus mysteriös mit etwas geteiltem Schauer auf dem Rücken.

Die klassischen „Religionsvertreter“ unserer Kirchen müssen diese Sehnsüchte betreffend feststellen, dass Kirche mit dieser neuen (alten) Sehnsucht als ehemaliger Alleinanbieter heute eher weniger gemeint ist, ungeachtet dessen, dass die katholische Kirche auf solche oft sehr diffuse religiöse „zu sehen-Süchte“ in ihrer Palette keine Angebote hat. Der katholische Glauben ist konkret und vernünftig und keine Antwort auf das in sich Diffuse.

Um so mehr liegt die Frage das Fach Religion betreffend auf der Hand, ob Schüler und indirekt auch deren Eltern noch in die Verlegenheit gebracht werden dürfen (wollen), sieh mit einer potentiell zum Glauben anstiftenden, eindeutig christlichen Botschaft, die auch noch vernünftig ist, konfrontieren lassen zu wollen. Was bedeutet, dass es hier um mehr gebt als nur um eine „private“ Schule, die als ihr heraushebendes „Plus“ noch eine gesellschaftsregelnde moralische Orientierung mit Auswahlcharakter neben den üblichen Fächern zu bieten hat.

Somit kann aber auch wieder neu die (alte) Frage (z. B. der liberalen Kräfte in unserem Land) gestellt werden, ob der „tendenziell neutrale“ deutsche Staat, seine (christlichen) Wurzeln nicht verleugnend, RU weiter ermöglichen soll, wissend, dass sich nicht nur Schüler von der Botschaft Jesu Christi im RU auch anstecken lassen könnten.

Anmerkung am inneren Rand der Sache

Wenn der RL z. B. im RU die Bergpredigt Jesu auch nur vorliest läuft er Gefahr, dass die von Jesus überlieferten Worte etwas beim Schüler bewegen, zum klingen bringen könnte, einfach so.

An diese mögliche Konsequenz anknüpfend sei hier nur erinnert an ein Wort des Apostel Paulus, der in seinem Brief an die Römer (10,17) unterstreicht „Der Glaube kommt vom Hören“. Ergo: Wer vom christlichen Glauben erzählt (z. B. der RE im RU), muss damit rechnen, das „seine Erzählung“ nicht nur den Charakter einer Information hat sondern auch die Potenz beinhaltet, zum Glauben zu (ver)führen.

Dem vorausgehend: Wenn eine gesellschaftliche Struktur dem RE es ermöglicht, hier (beispielsweise) in der Schule vom Glauben (ganz unabhängig welche Religion gemeint ist) zu erzählen, dann muss diese Konsequenz mindesten auch einkalkuliert werden.

Rechenschaft des Glaubens

Auf diesem Hintergrund formulieren die Bischöfe in der Verlautbarung „Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen“, auch den Anspruch der Schülerinnen und Schüler, zu „wissen, wie die Religionslehrerin oder der Religionslehrer persönlich zum christlichen Glauben und zur Kirche stehen“ (Herausforderung. 5. 34). Und weiter optionieren die Bischöfe, „dass die Religionslehrerin oder der Religionslehrer einen eigenen Standpunkt bezieht und für diesen auch eintritt“ (Herausforderung. 5. 34).

Das im Grundgesetz verankerte Recht auf konfessionellen RU schreibt fest, dass es in unserem RU nicht primär um Religionskundeunterricht (objektiv kritische Information über die Religionen) geht, sondern um Religionsunterricht, der sich nicht neutral der Religion gegenüber verhalten kann. Damit einher geht die entscheidende Frage, die nicht nur im Kontext universitärer Qualifikation für das Fach Religion zu beantworten ist:

Wie werden die RL Rechenschaft über ihren Glauben im RU den jungen ihnen anvertrauten Menschen geben können?

Doch bei diesen und den sich daraus ergebenden weiterführenden Überlegungen muss durchsichtig bleiben, dass es immer um einen Religionsunterricht geht muss, der den gesetzlichen Ansprüchen der Beschulung in unserem Land auch weiterhin entspricht und somit keine“ gemeindliche Katechese, kein Kommunionsunterricht und keine Firmvorbereitung oder ähnliches darstellt oder sogar ersetzt.

Der RL ist aus Sicht der Kirche und der Staatstragenden mutiert, wenn er auf die Praktizierbarkeit des Katholischen ausgerichtet ist und nicht auf die Reflexion der religiösen Dimension des Menschen.

Falsche Lösungen

Der RU an den Schulen, die Schulpastoral, die pfarrgemeindliche Katechese, die kategoriale Seelsorge und weitere hier jetzt nicht benannte Felder pastoralen Handelns in einem Bistum bilden zusammen das große Thema der Pastoral, das – primär durch die finanziellen Einbrüche genötigt – neu beackert werden muss.

Die beschriebenen heutigen und zukünftigen Herausforderungen (Chancen) des RU und derer, die als RL vor Ort bestehen müssen, sind aber nur ein Thema der Pastoral, wohl zugehörig zu dem Gesamtthema der Pastoral eines Bistums. Somit jedoch irrt, wer nun den RU als die Lösung aller pastoralen Probleme betrachtet und den RL als den neuen Messias auferstanden aus den leeren Kassen feiert.

Die Notwendigkeit, nicht nur den RU neu zu wertschätzen, sondern den angehenden RL adäquat, das Studium begleitend, auf seine Aufgabe vorzubereiten, gründet letztlich in den stets geringer werdenden Ereignisfeldern, in denen junge Menschen auf ihre Frage nach dem Religiösen, dem Glauben und Gott ein intelligentes und herzliches Antwortangebot bekommen.

Das alles war doch schon allen klar, oder?

Wem sagt dieser Artikel eigentlich etwas Neues? (Zu erinnern ist übrigens auch so manche Zeile wert.) Ich denke eine berechtigte Frage, denn immer und überall, ob nun in Gemeinden, den Schulen selbst, von Eltern, Bischöfen, und selbst von manchen, die sich selbst als ungläubig bezeichnen, ist zu vernehmen, dass der RU wichtig ist.

Auch wenn hier jetzt nicht zu klären ist, welchen Anspruch diese Personen und Gruppen mit dem RU verbinden, fühlen sich viele der zukünftigen RL mit der zukünftigen Herausforderung des RU überfordert.

So ist es unüberhörbar, wenn Referendare und Lehramtsanwärter, die neben Religion noch ein oder zwei weitere Fächer in ihrem Programm haben, nicht nur in ihren internen Kreisen feststellen: Ich bin auf all das nicht vorbereitet.

Der RL, eine Investition in den Menschen

Kirche ist apostolisch, klug und am Puls unserer Gesellschaft wenn sie neu (mehr) in die RL und somit in den RU und dann letztlich und wesentlich in die jungen Menschen investiert.

Ich beziehe dieses Mehr an Investition, das ich primär auf die Adresse unserer Bischöfe hin formuliere, nicht auf die Theologie an den Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen.

Sondern es ist dringend notwendig, neben der Ausbildung im Studium, das Studium „ergänzend“, den Lehramtsanwärtern professionelle Begleitung anzubieten.

In vielen Bistümern geschieht das schon im Ansatz in den so genannten Mentoraten für Lehramtsanwärter und Lehramtsanwärterinnen mit dem Fach Religion. Solche Mentorate müssen geschaffen bzw. in ihrem Programm überprüft werden, ob sie der Situation des RU entsprechend die RL qualifizieren, den jungen Menschen gerecht werdend im bischöflichen Auftrag RU erteilen zu können, und das nicht nur mit fachlicher Kompetenz, sondern auch mit Freude und Herz.

Mentorat, Lösungsansatz und Herausforderung

In das Programm eines solchen Mentorats sollten beispielhaft zum Standard gehören:

  • Gemeindepraktika
  • Exerzitien/Rekreation
  • Meditation
  • Interkulturelle und interreligiöse Begegnung
  • Liturgie/Sakramente
  • Gemeinschaftsbildende Aktivitäten wie Exkursionen
  • Theologie übergreifende und verbindende Themenangebote
  • Persönliche spirituelle Begleitung
  • Supervision (besonders für Referendare/innen)
  • Gesprächsmöglichkeiten dem „Forum Internum“ entsprechend
  • Kommunikationstraining
  • „Sprachkurse“ für das Religiöse

Das konkrete Konzept eines Mentorats muss den Anforderungen des jeweiligen Bistums und des Studienstandortes entsprechend vor Ort entwickelt und nach Probephasen auch ggf. korrigiert werden.

Ein Mentorat braucht darüber hinaus einen eindeutigen identifizierbaren Ort, sprich eigene Räumlichkeiten und eine Sekretariatsstruktur. In die Zukunft zu investieren heißt in diesem Falle aber auch, wache und qualifizierte Priester sowie Diplomtheologen/-innen gezielt mit der Realisierung eines Mentorats zu beauftragen.

Schluss: Schülerpech?

Begegnet ein ganz wacher und netter, friedfertiger Schüler nach seinem Schulwechsel in eine Höhere Schule einem Lehrer, der auch das Fach Religion unterrichtet.

„Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber können Sie mir mehr über Religion und Glauben erzählen als ich im Internet finden kann?“ fragte der Schüler. „Nein“, antwortete der Pädagoge, „ich kann Ihnen auch nur die Mathematik der Religion übermitteln“. „Schade“, meinte der Schüler, „aber im Mathematikunterricht hat meine Lehrerin alles daran gesetzt die Begeisterung für Mathematik in mir zu wecken, damit ich im Internet danach suchen werde.“

Literaturangabe:

Berufsbild: Die deutschen Bischöfe – Kommission für Erziehung und Schule, Nr. 3, 1983. Zum Berufsbild und Selbstverständnis des Religionslehrers.

Bildende Kraft: Die deutschen Bischöfe, Nr. 56, 1996. Die bildende Kraft des Religionsunterrichtes.

Herausforderung: Die deutschen Bischöfe, Nr. 80, 2005. Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen. Religionsunterricht: Beschluss der Gemeisamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland 1974. Der Religionsunterricht in der Schule.

Anmerkungen:

1    Ab dem 14. Lebensjahr erwerben die Schülerinnen und Schüler (in der Regel) in Deutschland die uneingeschränkte Religionsmündigkeit. Sie beinhaltet das Recht, aus der bisherigen Religionsgemeinschaft auszutreten, aber auch das Recht, sich einer anderen Religionsgemeinschaft anzuschließen. Auch eine Abmeldung vom schulischen Religionsunterricht durch den Schüler selbst ist ab diesem Zeitpunkt (nicht in allen Bundesländern) möglich.

2    Solche Erfahrungen gibt es auch bezogen auf Priester und andere pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber genau die Möglichkeit, solche Erfahrungen zukünftig machen zu können reduzieren, sich zunehmend auf die Präsenz von RL im RU, und immer weniger auf Priester und hauptamtliche Laien.

3    Ein Religionslehrer, dem zuerst daran gelegen ist, den Glauben für seine Schüler lebensbedeutsam werden zu lassen und sie zu verantwortlichem Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion und Glaube zu befähigen, kann das nicht ohne ein fundiertes theologisches Wissen. (Berufsbild, 6)

4    Die Frage nach der Spiritualität des Religionslehrers, wie sie in der Verlautbarung der deutschen Bischöfe-Kommission für Erziehung und Schule, Nr. 6, 1987 explizit betrachtet wird, unterstreicht den die Wissensvermittlung ergänzenden Auftrag.

Erschienen in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück. J.P. Bachem Verlag GmbH. Juli 2006, S. 207-213.
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Planspiel Heiliger Geist

Durch den Empfang des Geistes in Taufe und Firmung sind wir hineingenommen in die Beziehung von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Foto: Klaus Herzog

Weckt der Heilige Geist Ihr Interesse? Sagt Ihnen das Thema Segen zu? Wären Sie bereit, sich der Dreifaltigkeit unseres Gottes zu stellen?

So nett habe ich vor drei Wochen die gut 60 jungen Erwachsenen einer Gemeinde bei Aachen nicht gefragt.

Das war so: Der Pfarrer sowie die Katecheten der dortigen Firmlinge hatten mich zu einem Jugendgottesdienst eingeladen, mit dem sich die Firmbewerber auf ihre zwei Wochen später stattfindende Firmfeier mit unserem Bischof einstimmen wollten.

Das Thema Segen sollte in diesem Gottesdienst eine besondere Bedeutung haben, so ihr Wunsch. Wie sollte ich aber diesen jungen Menschen den Begriff Segen erschließen, ohne vom Geist Gottes zu sprechen? Über den Heiligen Geist aber können wir nur versuchen nachzudenken, wenn die Dreifaltigkeit Gottes mit in den Blick genommen wird. Und das alles in nur einer Predigt?

Dieser Gedanke beschäftigte mich auch noch während des Einzugs am Beginn der Liturgie. Als mir dann mit der Begrüßung und liturgischen Eröffnung die freundlichen und wachen Jugendlichen gegenüberstanden, war für mich klar: Segen, Heiliger Geist und Trinität, diese Themen konnten wir nur gemeinsam erschließen, und das taten wir, nach dem Evangelium, einfach so, ohne höflich nachzufragen.

Rechts, vierte Bank in der Mitte, mit Ende des Evangeliums schien der junge Mann sich auf ein Nickerchen einzurichten. „Wie heißen Sie?“ Antwort: „Johannes.“ Ich fragte Johannes, ob er Berührungsängste habe, er verneinte. „Johannes, an wie viele Götter glauben Sie?“ Ohne Zögern: „An einen Gott.“ Kein Widerspruch, jedoch spannend wurde es, als allen klar war, dass wir doch noch am Beginn der Feier gemeinsam sprachen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Das klingt eindeutig nach mehr und bedarf der Klärung. „Johannes, kommen Sie bitte mal nach vorne. Sie sind jetzt Gott Vater. Ihr Kumpel übernimmt den Job des Heiligen Geistes, und Sie, okay, Tanja, Sie sind Gott Sohn.“

So standen unsere drei „Gottheiten“ nebeneinander im Mittelschiff der Kirche. Zwischenruf: „Nur nebeneinander, nein, die müssten einen Kreis bilden.“ Gefordert und sofort umgesetzt. „Aber das sind ja noch immer drei …“ Ich konnte den Satz nicht beenden, weil souverän, cool und ganz pragmatisch einer einwarf: „Die müssen eben näher aneinander ran.“ Absolute Stille, kein Getuschel, kein verlegenes Lachen. Und die drei umklammerten sich, drückten sich mit ihren Körpern und aller Kraft aneinander um „ein Gott zu werden“.

– Ihnen wurde klar: Gott ist Beziehung in unvorstellbarer Dichte. Gott ist Kommunikation in unvorstellbarer Intensität. Gott ist – mit sich selbst identisch – ständig im anderen seiner selbst.

Die nächste Aktion war zwingend. Wenn Gott uns an Pfingsten seinen Geist sendet, dann bedeutet das, dass wir mit dem Empfang des Geistes in Taufe und Firmung hineingenommen sind in diese Beziehung, die Gott selber als der Dreifaltige ist. Entsprechend nahm „unsere“ Trinität im Gottesdienst diese Herausforderung an. Der Kumpel von Johannes, unser „Heiliger Geist“ weitete die „göttliche Umarmung“, indem er durch den Mittelgang ging bis zum Ausgang der Kirche. Dort drehte er sich um und breitete seine Arme in Richtung „Gott Vater und Gott Sohn“ aus, die weiter vor dem Altar stehen blieben. Durch diese Weitung der Trinität waren nun alle im Gottesdienst, die dazwischen saßen, mit hineingenommen in unsere „göttliche Beziehung“. Im Klartext: Gott weitet seine Beziehung, die Gemeinschaft seiner selbst auf uns Menschen hin aus, die wir durch Taufe und Firmung unwiderruflich Gezeichnete des göttlichen Geistes werden. Lächelnde, verstehende Gesichter. Jetzt sind wir beim Thema Segen angekommen. Gesegnet sind die, die hineingenommen sind in die Beziehung, die Gott selbst ist, seine göttliche Liebe. Segnen heißt, die Geborgenheit in Gott einem anderen anzuvertrauen und so zuzumuten. Zum Segen werden die, die von ihrem Gesegnet-Sein nicht schweigen und die Frage wagen: Interessiert Sie der Heilige Geist?

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 04.06.2006
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Dem „Wir“ zum Trotz

Wir,
wir wünschen uns Frieden.

Wir,
das sind wir hier an diesem Tisch,
Pax Christi.

Wir,
das sind die Mächtigen unserer Stadt, ihre Arbeitslosen, die Hartz vier Menschen, die
Wohnungslosen, der „normale“ Bürger, Gastarbeiter und Asylsuchende, Wohnungsbesitzer.

Wir,
das sind Parteien, soziale Schichten, Milieus, Berufsgruppen, Gewerkschaften, Analphabeten,
gesellschaftliche Gruppen, Religionen, Kirchen.

Wir,
das sind Landschaften, Länder, Völker, Staaten, Nationen, Kulturen, Geschichte, Demokraten,
Diktatoren, Monarchen, Netzwerke, Organisationen, Raumstationen.

Wir,
das ist das Vorhandensein von Menschen, wo und wie auch immer,
die wollen, einfach nur wollen:
Das, einfach nur das oder dieses, Bodenschätze, Wasser, Sand. Oder einfach alles, nur
verschiedenes, Sicherheit, weniges, Öl, das andere. Wollen, Rechte, nicht verhungern, Wissen,
Macht, ein Dach über dem Kopf, ein Medikament, Ruhe.
Wir bedeutet wollen!

Wollen,
wollen ist aber immer nur gegen Etwas, jemanden oder das da zu wollen! Selbst der Frieden will
gewollt sein, gegen irgendwen, irgendetwas, irgendwo und irgendwann.

Und die, die immer wieder aufrufen für den Frieden gegen etwas zu sein, gegen wen, gegen wo,
gegen wie, gegen hier und gegen da, die müssen sich sagen lassen
wie auch ich letztlich meinem Gott sage:

Wenn du, mein Gott von mir verlangst für dich gegen das Leben eines anderen Menschen etwas
zu wollen,
nur weil ich meine das du es willst, dann muss ich dich verlassen.

Bleibt die Erkenntnis:
Würde das Wollen des Menschen abgeschafft, währe trotzdem nie Frieden, denn wer würde ihn
wollen?

Wir müssen Frieden also weiter wollen,
gegenjedes Wollen.

Paradox!

© Christoph Stender. Impuls zur Beiratssitzung von Pax Christi am 20.05.2006 in Aachen
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Freiwillig Lebenslänglich

Taufe, Firmung, Kommunion und Wiedereingliederung – Eine Standortbestimmung

Sie ist sicher, ihr Gefühl ist klar, sie will jetzt diesen Schritt setzen, kein Vertun und kein Zurück. Ihre Bitte: „Ich möchte getauft werden“. Susann, 29 Jahre, Kauffrau. Er studiert Religion auf Lehramt, Jan, 24 Jahre. Ihm ist neu, und auch anders bewusst geworden, dass Glaube und Entscheidung zusammen gehören und dazu auch eine gewisse „Öffentlichkeit“. Seine Bitte: „Ich möchte gefirmt werden.“ „Bei euch bin ich geborgen, der Gottesdienst gibt mir Kraft, darf ich dazu gehören?“ Melanie, Studentin, 25 Jahre. Ihre Bitte: „Ich möchte übertreten in die katholische Kirche.

Drei von Sieben, denn Martin, Siegfried, Jessica und Annene Christin gehören auch zu der Katechetengruppe der katholischen Hochschulgemeinde (KHG) in Aachen, in der sich Studierende, junge Erwachsene teilweise schon ein Jahr intensiv mit ihrem Glauben in der katholischen Kirche auseinandersetzen.

Sie alle verbindet aktuell die Bitte, ein Sakrament zu empfangen. Im Hochschulgottesdienst bekamen sie jetzt eine Antwort, konkret, in Gemeinschaft und doch mit dem Potential auch mal einsam zu bleiben.

Vor Ort: Andere krakseln an diesem Abend waghalsig an irgendwelchen Hausfassaden hoch, um Maibäume zu positionieren, oder tanzen schon in den Mai. Während dessen füllt sich der Hochschulgottesdienst in St. Nikolaus in der Fußgängerzone ungewöhnlich früh. 200 Studierende und Angehörige der Katechumenen lassen etwas von dem Gefühl spüren, das Martin in der Partnerschaft mit seiner Verlobten überzeugend erfahren hat, und das mit dazu beigetragen hat, dass er sich heute firmen lässt. „Welches Gefühl das war“ fragen Sie. Das Gefühl: Glaube macht stark, nicht nur für den Augenblick, sondern auch für ein Morgen.

Trompetenklänge, Klavierspiel und Sologesang machen zum Einzug deutlich: Hier findet ein besonderer Gottesdienst statt. Klar, jeder Gottesdienst ist etwas Besonderes, da Gott uns Menschen berührt im Wort und in der Eucharistie. Christus ist die zentrale Gottesvermittelung auf uns Menschen hin, verdichtet in den Sakramenten. Und genau darum geht es an diesem Abend. Dieser Gottesdienst ist für diese jungen Erwachsenen ein Event mit Gott. Und das Evangelium vom Tage passt frapierend in ihre Erlebniswelt.

Aufhänger: Kurz nach der Auferstehung Jesu. Ort: unwichtig. Akteure: Jesus und seine Jünger. Situation: Der Auferstandene begegnet seinen Jüngern. Die meinen einen Geist zu sehen und haben Angst. Jesus versucht sie zu überzeugen, dass er, der Auferstandene ein Mensch aus Fleisch und Knochen ist, und lebt. Doch die Jünger zweifeln. Ende!

In dieser Szene kommen auch die konkreten Themen der jungen Menschen vor: Der lebendige Christus. Jüngerschaft. Aus Glauben befreit von der Angst um sich selbst. Zwischen Zweifel und Zeugnis. Kirche gleich „Gottes Zelt auf Erden“ und „ein Haus voll Glorie schauet“. Doch das waren nicht nur einfach Themen, die irgendwann erledigt waren, weil sie ausreichend erörtert wurden. Mit diesen Themen wussten sich die Katechumenen auf dem richtigen Weg.

Das sie mit solchen Gedanken nicht in den allgemeinen Trends liegen, ist allen Beteiligten klar. Das, was angeblich alle toll finden, spielte hier einfach keine Rolle. Hier war auch keine Gesellschaftskritik angesagt, und Politikschelte war ebenfalls kein Thema. Hier spielte nur die Entscheidung dieser sieben Menschen eine Rolle: „Wir setzen ein Zeichen, das Gott mit uns setzt.“

Weiter im Gottesdienst: St. Nikolaus, eher eine Baustelle als ein in sich geschlossener liturgischer Raum. Doch die Gerüste stören nicht wirklich, sie haben etwas von „schon fertig und doch noch im Werden“, ein Bild, das auf die Bedeutung der Sakramente verweisen kann. Der sichtbare und hörbare Augenblick der vermittelnden Kommunikation zwischen Gott in Jesus Christus und dem Menschen im Sakrament ist kaum da, und dann auch schon wieder weg. Bevor sich nun aber die Spendung der Taufe, die Aufnahme in die katholische Kirche und die Spendung der Firmung ereignen, stehen alle auf und verbünden sich gemeinsam im Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott…“.

Dann, die Blickrichtung ändert sich; nicht mehr das Ich aufgehoben im Wir steht im Mittelpunkt. Fast einsam: „Susann, ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Absolute Stille, Sekunden plätschert leise das Wasser und wieder Stille. Dieser Augenblick, es sind nur wenige Sekunden, für ein ganzes Leben lang, nicht umkehrbar nur verschweigbar.

Amen, ja so sei es, Gott sei Dank

Anschließend wird es wieder etwas formaler. Wie schon vor Taufe und Firmung, wird auch vor der Konversion das Dokument vorgelesen, das den Hochschulpfarrer ermächtigt, ausnahmsweise im Auftrage des Bischofs zu handeln und Melanie in die Kirche aufzunehmen. Nun folgt wieder nur ein Augenblick, ein Händedruck, ein „herzlich willkommen in der Gemeinschaft der Katholischen Kirche“. Und im Hintergrund wieder nur Stille, keine Nebengeräusche, nur Konzentration.

Bei ihren Namen gerufen, durchbrechen die Stille wenige Worte, und wohlriechendes Öl erstaunt sieben Nasen: „Sei besiegelt mit der Gabe Gottes, dem Heiligen Geist.“ Darauf folgt nur ein Wort aus dem Munde des nun Gefirmten: „Amen“. Und ihren Gesichtern ist es anzusehen, sie meinen auch was sie da sagen: Ja, so sei es, Gott sei Dank!

Die Stille schwindet, sie wird eingetaucht in Worte, die Frieden wünschen und Umarmungen die verletzbar machen könnten. Doch die Angst, die der Mensch um sich selbst hat, scheint hier vergessen. Lächelnde Gesichter, sie wirken befreit, ein Augenblick Erlösung mitten in der Normalität einer Mainacht. Die Trompete, das Klavier der Sopran, auch draußen, vor der Kirchentüre wird man sie hören. Aber wissen die Passanten draußen, was diese Klänge zum klingen bringen und warum? Wissen sie von dem Ereignis in der Kirche, wollen sie es wissen? Susann, getauft und gefirmt, Melanie in die Kirche aufgenommen und gefirmt sowie Martin, Siegfried, Jessica und Anne Christin gefirmt, diese Sieben werden nicht verschweigen was sie gehört und erlebt haben, Gott helfe ihnen. Sie werden ihre Zugehörigkeit zur katholischen schen Kirche nicht unter den Tisch fallen lassen, sie werden versuchen, Evangelium zu leben, so wie sie es im Glaubensbekenntnis gemeinsam bekannt haben: Ihre Botschaft in Kurzform lautet: „Gott hat mich berührt, dazu stehe ich, freiwillig lebenslänglich“.

Fürbitten, aus der Liturgie mitten in unsere Welt

Aus diesem Grund richteten die Gefirmten ihre und die Blicke der mit ihnen feiernden Gemeinde durch das fürbittende Gebet der Liturgie nun mitten in unsere Welt: Auf die Krisenherde dieser Erde, zu den gesellschaftlich und strukturell Benachteiligten, in die Familie, zu den Verstorbenen, und in der Kollekte ging es auch an die eigene Geldbörse, um Studierenden in finanziellen Schwierigkeiten unter die Arme zu greifen.

So wurde auch das Schlusslied fast zum Programm. „Und bis wir uns wieder sehen, halte Gott dich fest in seiner Hand…“ Aufbruch ist angesagt; Sakramente sind auch Standortbestimmungen stimmung mitten in unserer Gesellschaft auf dem Weg.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 14.05.2006
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Bildung und deren Vermittlung

Weltkulturerbe, eine museumspädagogische und kommunikative Provokation

Institut für Erziehungswissenschaft
der Universität Bonn,
Lehrstuhl Schulpädagogik
Prof. Dr. Volker Ladenthin

Seminarleiter: Christoph Stender
Dipl. Rel. Päd., Dipl. Theol.
Lehrbeauftragter

Zielsetzung:

Weltkulturerbe, konkret der Aachener Dom und sein Schatz, hat eine Intention. Diese gilt es zu erschließen, um sie dann in der direkten sowie der indirekten Vermittelung zu entfalten. Die dabei beabsichtigte Wirkung auf die Betrachtenden ist ebenso von Interesse wie deren potentiellen Reaktionen. Die Teilnehmenden sind gleichermaßen Betrachtende und Gestaltende, und übernehmen für je ein Exponat eine „Exponatpatenschaft“, die der exemplarischen Verdeutlichung und Annäherung dient.

1. Seminareinheit (5. Mai 2006, 12.00 – 15.00 Uhr)

1. Teil: Einführung
Einführung in die Bedingungen, Ziele und Methode des Seminars.

2. Teil: Grundbegriffe
Erste Klärung der Grundbegriffe Weltkulturerbe, Bildung und Museumspädagogik.

2. Seminareinheit (19. Mai 2006, nach Vereinbarung )

Exkursion: Aachener Dom
1. Einführung in das Weltkulturerbe
2. Führung in Anlehnung einer „neuen Generation“ des Guide
3. Festlegung der jeweiligen „Exponatpatenschaften“ (Vorarbeit für 3. Seminareinheit)

3. Seminareinheit (2. Juni 2006, 12.00 – 15.00 Uhr )

1.Teil: „Exponatpatenschaften“
Präsentation der jeweiligen „Exponatpatenschaften“ durch die Studierenden (historisch, funktional).

2.Teil: Vordergründiges Bildungsmoment
Gemeinsame Erschließung der exponatbezogenen (vordergründigen) Bildungsmomente auf dem Hintergrund der bisherigen Präsentation.

4. Seminareinheit (16. Juni 2006, 12.00 – 15.00 Uhr)

1. Teil: Neue museumspädagogische Aspekte
Ausstellung, Schatzansichten
Guide, Domgefühl und Schatzansichten

2. Teil: Museumspädagogische Intention
Museale Didaktik
Museale Methodik

5. Seminareinheit – Puffer – (23. Juni 2006,12.00 – 15.00 Uhr)

Ergänzende Grundlagen
Erweiterter Diskussionsraum
Kreativer Gestaltungsraum

6. Seminareinheit (30. Juni 2006, nach Vereinbarung)

Exkursion: Aachener Dom
1. Vertiefung der neuen museumspädagogischen Aspekte
2. Bedeutungsgeschichtlicher, sozialer und psychologischer Kontext der „Exponatpatenschaften“ (hintergründiges Bildungsmoment)
3. Ansätze einer kommunikativen (Erzähl-) Kultur zwischen Exponat und Betrachter. (Dazu gehören auch die Exponate, die nicht in den Rang einer „Exponatpatenschaften“ gelangt sind, verbunden mit der Frage: Was wollen wir über diese Exponate wissen, was macht an ihnen neugierig.)

7. Seminareinheit (7. Juli 2006, 12.00 – 15.00 Uhr)

1.Teil: „Exponatpatenschaften“
Präsentation der jeweiligen „Exponatpatenschaften“ durch die Studierenden mit Blick auf das vordergründige Bildungsmoment (historisch, funktional) und das hintergründige Bildungsmoment (bedeutungsgeschichtlich, sozial, psychologisch).
2. Teil: Neue museale Aspekte (Visionen)
Exponat und Botschaft, neue Aspekte einer musealen Präsentation und Kommunikation (Bildung und deren Vermittlung).
3. Teil: Reflexion des Seminars

Allgemeine Hinweise:
Teilnehmerbeschränkung: max. 12 Studierende.
Teilnahmeschein: Erstellung einer schriftlichen Arbeit (ca. 2 Seiten).
Benoteter Seminarschein: Erstellung einer erweiterten schriftlichen Arbeit (ca. 10 Seiten).
Schriftliche Arbeiten: Alle schriftlichen Arbeiten sind im Verlauf des Seminars abzugeben.
Teilnahmedauer: Bei den 7 Seminareinheiten von je drei Zeitstunden (14tägig) müssen mindestens 6 Einheiten besucht werden. Sollte diese Teilnahme nicht gewährleistet sein, kann kein Schein ausgehändigt werden. Bei beiden Exkursionen ist Präsenzpflicht.
Anmeldung: Sekretariat des Institutes für Erziehungswissenschaft
Scheinerwerb:

Disziplinübergreifend:
Diese Veranstaltung ist anrechenbar für Studierende des Zentrums für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Bonn.

Veranstaltungszeiten jeweils von 12.00 – 15.00 Uhr, bzw. bei den zwei Exkursionen nach Vereinbarung:
05. Mai 2006
19. Mai 2006
02. Juni 2006
16. Juni 2006
23. Juni 2006
30. Juni 2006
03. Juli 2006

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Gottes Zelt auf Erden

Zur Taufe

Wort, das tröstet und befreit: Ich taufe dich im Namen des Vaters und des
Sohnes und des Heiligen Geistes.

Berührung, die einen neuen Horizont öffnet:
Haut, wohlriechendes Öl, Haut.

Gemeinschaft, Kirche die dich umgibt:
Komm, sei willkommen wie du bist.

Gott schlägt sein Zelt auf Erden auf in
Worten, Berührungen und Gemeinschaft.

© Christoph Stender 2006
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Dein Gott hat sich für dich entschieden

Erinnerung: Dieser blöde Zettel, Beispiel preußischer Genauigkeit, den ich schweißgebadet und total verunsichert damals, an diesem Donnerstag vor dem „schönsten Tag in meinem Leben“ in Händen hielt. Aber so einfach nur cool hielt ich, hielten wir damals nicht diese Auflistung unserer (angenommenen) Sünden in Händen, vielmehr verteidigten wir sie vor den Begehrlichkeiten der stärkeren „Beichtkollegen“.

Nicht selten machten sich diese vermeintlich Stärkeren eine Freude daraus, dem Schwächsten kurz bevor er den Beichtstuhl erreichte seinen Zettel noch abzujagen, um dann die dort aufgeführten Sünden allen Kommunionkindern genüsslich zu präsentieren, die ihrerseits erleichtert waren nicht selbst Opfer des „Sündenklaus“ geworden zu sein.

Wirklich sicher vor dem „Zettelraub“ war man erst im Beichtstuhl, aber genau dort kamen neue Probleme auf den jugendlichen Pönitenten zu.

Relativ unproblematisch war die Beichte dann, wenn auf dem Beichtzettel der Mist stand den ich auch tatsächlich gemacht hatte.

Also: Als Kinder zankten wir uns, waren ungehorsam, hatten Freude an Süßem und mit den Hausaufgaben haben wir es auch nicht immer ganz ernst genommen. Geklaut? Stimmt, haben wir, habe auch ich.

Aber jede Woche aufs Neue beichtfähige Fehler gemacht zu haben, die Gott zutiefst verletzten, da konnten wir nicht regelmäßig mithalten, so „schlecht“ waren wir, war auch ich damals nicht.

Somit fanden sich auch auf meinem Beichtzettel „Sünden“ wieder, die ich gar nicht begangen hatte. Aber irgendwas musste ich dem Pfarrer beichten, damit er mir im Namen Gottes ´was zu vergeben hatte.

Es mag nun dumm klingen, aber als Kind habe ich nicht verstanden, warum der große Gott durch die Verfehlungen der Kinder so aus dem Häuschen zu bringen war und ich ihn nur mit größter Anstrengung – Beichte in Sündenbekenntnis, Reue, Buße und Bereitschaft zur guten Tat – und priesterlicher Hilfe beruhigen konnte? Ich bin wohl eines der Kinder der 70er, denen nachhaltig nicht mehr vermittelt wurde als die Schwere der persönlichen Sündenlast und deren „Entledigung“, sprich Beichte. Die Botschaft des heutigen Evangeliums ist in meiner Kindheit auf der Strecke geblieben:

„Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet…“

Als Kind hätte ich mich damals mit dieser Botschaft auf der sicheren Seite gewusst, denn mein Kinderglaube war durch nichts zu erschüttern, bedingungslos und kindlich real.

In der Liturgie zum Beispiel tat ich als Messdiener alles für ihn, aber auch in der verbandlichen Jugendarbeit Verantwortung zu übernehmen war für mich damals ein „Gottesdienst“ in dem ich, zugegeben, auch Anerkennung erfuhr. – Aktuell!

Die Botschaft Gottes am heutigen Fastensonntag lautet: Geliebter Mensch, du musst mich, deinen Gott nicht gnädig stimmen. Versuche nicht mich von dir zu überzeugen oder gar dich vor mir zu profilieren. Denn erinnere dich: „Ich, dein Gott, ich habe mich schon längst für dich entschieden!“

Heute, als Erwachsener, kommen mir angesichts meiner Enge, meines Fehlverhaltens und somit meiner Sündhaftigkeit die Tränen, wenn ich in meinen Worten diese Liebeserklärung Gottes wiederholend flüstere: „Ich, dein Gott, ich habe mich schon längst für dich entschieden!“ Einzig die Tatsache, dass Gott sich für uns entschieden hat, läst uns nackt dastehen, wenn wir wieder einmal unser Handeln haben bestimmen lassen von Egoismus, Habsucht, Selbstherrlichkeit, Macht, Gewalt und Lüge. Kurz: Wenn wir wieder einmal vergessen, verdrängen, verschweigen, unterschlagen haben bei unserem Namen eine Gabe Gottes zu sein, auch Du!

Er hieß Jürgen, ich war Kaplan, Samstag, er in „meinem“ Beichtstuhl, in Gesprächen was es heißt, „von Gott geliebt zu sein“, waren wir ein Stück gemeinsam auf dem Weg, bis er in diesem Beichtgespräch sagte: Christoph, du Priester. Und nun wollte er „allein, nackt“ vor Gott stehen.

„Ego te absolvo“, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Es war in meinen Worten, fast gestammelt, die Botschaft Gottes, die einen jungen Mann, ich nenne ihn mal Jürgen, glücklich machten.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 26.03.2006
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Des Streikes lange Schatten wirken

Kompromiss noch nicht gefunden! Ergo: Die Beschäftigten im Klinikum verleihen ihren Forderungen Nachdruck und streiken in der vierten Woche. Streik ist keine harmonieorientierte Kommunikationsfigur, Streik will Druck ausüben. Dieser Druck wird aufgebaut, wenn z. B. die bestreikte Einrichtung in ihrer Funktion beeinträchtigt wird, um nicht mehr angemessen funktionieren zu können.

Auf Grund des aktuellen Streikes im Klinikum stellt Professor Dr. Karl Zilkens fest dass die Funktion dieser Einrichtung nun nicht mehr geregelt sei, zum Nachteil der Patienten. Der Streikleiter Stefan Jungheim dagegen behauptet, es gäbe keine Notsituation im Klinikum, was die Folgerung zulässt, dass das Klinikum seiner Intention entsprechend funktioniert, also den Patienten voll und ganz gerecht wird.

Wenn Herr Jungheim Recht hat, dann frage ich mich, ob die Funktionen der Streikenden, die Funktionen also, die momentan nicht zur Verfügung gestellt werden, überhaupt zum Funktionieren eines Krankenhauses wesentlich beitragen und wenn nicht, ob sie dann nicht grundsätzlich verzichtbar sind.

Hat Herr Zilkens Recht, dann tragen die Funktionen der Streikenden, die sie aktuell nicht zur Verfügung stellen, zum Funktionieren bei und somit kann das Klinikum nicht patientengerecht funktionieren.

Meine Frage zielt nicht auf Lohngerechtigkeit und Lohnsicherheit ab, sondern ich frage ob dieser Streik nicht doch (ungewollt) auf dem Rücken der Kranken ausgetragen wird, so wie ein Gesundheitssystem oft auf dem Rücken der „Gesunden“ (Klinikpersonal) ermöglicht wird.

Oder ist Streik ein (ungewolltes) Instrument zur Optimierung der Funktionen eines Krankenhauses und in Folge Grund zur Personalreduzierung? Den Streikenden letztlich gilt die Frage: Wem wird nachhaltig dieser Streik nützen und/oder schaden.

Quelle: Aachener Zeitung, 8.März 2006
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