Kirche, im Umbruch den Wandel weiterdenken
Nach dem was eigentlich das Eigentliche, also das Wesentliche ist, wird garantiert immer dann gefragt, wenn sich ein Mangel entweder in der Gestalt einer inhaltlichen Inflation einstellt, oder in der Gestalt geringer werdender finanzieller Mittel.
Organisationen müssen sich spätestens dann nach ihrer Legitimation und Zukunft fragen, wenn sie profillos beliebig zu werden drohen oder sind, also diffus. Dieselbe Frage wird aber auch aus finanziellen Gründen gestellt, wenn nicht mehr geht was mal ging, also pleite. Binnenkirchlich wird aktuell die Frage nach dem Eigentlichen aus beiden genannten Richtungen gleichermaßen gestellt. „Insider“ fragen nach dem Eigentlichen von Kirche auf dem Hintergrund ihres als sicher prognostizierten Profilschwundes. Andere „Insider“ fragen auf dem Hintergrund fehlender Euros, verlustig auf hohem Niveau mit fatalen Folgen.
Dieser doppelte Antwortversuch und die daraus entstehenden Konsequenzen bedeuten eine (radikale und in den Folgen nicht abschätzbare) Veränderung in der Präsenz von Kirche. Der Insider steht gegen den Outsider immer höher im Kurs als der, der das wesentliche verkörpert, ihm sehr nahe steht bzw. ohne den das Wesentliche nicht das Wesentliche sein kann.
Von dieser doppelten Frage, ihren Antworten und den daraus erwachsenden Konsequenzen sind auch die Sakralbauten, primär „herausragende“ Kirchen oder jener umbaute Raum, der sakrales Gerät birgt nicht ausgenommen. Auch hier hat der das Wesentliche verkörpernde Insider Vorrang, obwohl der noch nicht definierte Outsider hier vehement die Bühne betritt.
Der Homo Touristikus
Der Homo Touristikus ist jene Spezies Mensch, die anfällig ist für Museen und somit das Objekt der Begierde eines jeden öffentlichen Museumsmanagements. Auch z.B. Städtepräsentationen definieren sich oft über die Population dieser Spezies und über die Art und Weise wie diese in ihren Zentren rudelt. Hier ist er aber grundsätzlich willkommen, spült er doch Gelder in so manches Säckel.
Bezogen auf sakral in Funktion seiende museumsähnliche Bauten wie Kirchen wird der Homo Touristikus eher mit Vorbehalt betrachtet, kommt er doch nicht um das Wesentliche nachzuvollziehen, sondern die ganzen Hüllen um das von ihm nicht wahrgenommene Wesentliche herum wecken sein Interesse. Bezogen auf kirchliche Schatzkammern ist der Homo Touristikus als Einnahmequelle zwar brauchbar, aber auf den Schatz bezogen ist er bei den harten Insidern eher gebrandmarkt im Sinne von: „Perlen vor die Säue“.
Liturgisch betrachtet kommt der Homo Touristikus zu Tageszeiten an denen das Gottesdienstvolk die begehrten Räume schon längst verlassen hat und nun eher angstvoll den Outsidern zubilligt. Für die Statistik des Religiösen und Kirchlichen sind die Outsider nur indirekt relevant. In Dorfkirchen z.B. sind sie schon mal von willkommen heißendem Interesse. In so mancher Kathedrale werden sie eigentlich als lästig empfunden, stören sie doch die heilige Ruhe. Jedoch auch hier sind sie geduldet als Einnahmequellen an Opferstöcken und Kerzenkassen.
Der Homo Touristikus ist eine Spezies, die in musealen Kontexten stetig auftaucht, um sich immer neu mit der einzigen Existenzberechtigung krönen zu können, die da lautet: „Da war ich auch!“
Und sie kommen
Ca. 400.000 ihrer Gattung kommen z. B. pro Jahr in die Aachener Domschatzkammer.
Hier bestaunen sie, natürlich nicht länger als ca. 8 Sekunden [1] pro Exponat, alles was ihnen als Kunstwerk museal dargereicht wird, getoppt wenn es sich auch noch um Weltkulturerbe handelt, deren letzte Zierde die Auszeichnung ist: „einmalig nördlich der Alpen“.
In Aachen alles zu haben, und so tauchen die Besuchen ein in die das Licht auf den Exponaten konzentrierenden Räume, in denen Kunstwerke wie die Kerlsbüste, das Lotharkreuz, der Aachenaltar, die Monstranz des Hans von Reutlingen oder der Krönungsmantel lichtgedämpft quasi „erscheinen“.
Würde dann aber einer der meist namenlosen „Künstler“ dieser Exponate neben seinem Werk, das Mittelalter verlassend im Hier und Jetzt auftauchen, stehen, wäre er irritiert Künstler genannt zu werden. Denn die heute so hoch gelobte primär sakrale Kunst des Mittelalters wurde nicht von Künstlern geschaffen sondern von Handwerkern die nichts anderes wollten, als zur höheren Ehre Gottes, dem eigenen Broterwerb und der Zufriedenstellung des Auftragsgebers entsprechend etwas Hochwertiges abzuliefern.
Es waren Gebrauchsgegenstände des religiösen Alltags der damaligen Zeit. Das was wir heute als Kunstwerke museal bestaunen oder in Tresoren nur zu besonderen Anlassen den Gläubigen in den Feiern des Glaubens präsentieren, sind Gegenstände „und mehr“, die in der mittelalterlich Lebenswelt ihren Raum in den Kirchen hatten und nie bestimmt waren zur musealen Präsentation.
„Vasa sacra“
Auf den Punkt gebracht heißt das: In der musealen Präsentation der „Vasa sacra“ wird Gerät zur Bewunderung ausgesetzt, das ursprünglich ein Gerät war das das zu bewundernde barg, und so aussetzte.
Besonders deutlich wird das an dem liturgischen Gerät einer Monstranz. Sie ist ein Zeigegerät und nur dafür konstruiert das eucharistische Brot zu präsentieren. Ohne die konsekrierte Hostie, in der die katholischen Christen die Gegenwart Gottes in Jesus Christus verehren, ist eine Monstranz das sinnloseste Gerät das menschliche Intelligenz hervorbringen kann. Eine im Museum präsentierte Monstranz ist ihrem Zweck entfremdet, da sie hier auf ihr „Sein als Gerät an sich zurückgeworfen“ ein nutzloser aber kostbarer Gegenstand ist.
Theologisch – musealer Kerngedanke
Liturgisches Gerät, ob im Mittelalter hergestellt oder aktuell, existiert, weil der sie in der Liturgie verwendende Mensch sich in der Feier des Glaubens über sich selbst hinaus ausstreckt, motiviert von Sehnsucht Hoffnung und gläubiger Gewissheit.
Im konkreten Gebrauch während der Liturgie, als Bestandteil der Liturgie, sind diese Geräte in „Funktion“. Ausgestellt, so eine anders akzentuierte museumspädagogischer Überlegung, gilt es nicht nur das Gerät als Exponat museal zu präsentieren , sondern auch ihre Funktion zu vermitteln, und damit auch auf die Empfindungen und Sehnsüchte der Menschen Bezug zu nehmen, die sie in der Vergangenheit zum Gerät in der Liturgie haben werden lassen.
Bilder einer Ausstellung in Aachen
Allerdings hinter Glas geschützt und klimatisiert flößen diese Exponate dem Betrachter ungeheuren Respekt ein ob ihrer handwerklichen Genialität und künstlerischen Schönheit, sowie ihres hohen Alters.
Gerade aber dieser Respekt, der durch die separierte Aufstellung der Kunstwerke noch verstärkt wird, versperrt dem Besucher den Zugang zu dem, was Menschen nicht nur in damaliger Zeit mit diesen liturgischen Geräten bezogen auf Glauben und Leben verbanden (und verbinden) und so, wie hier präsentiert zum Ausdruck gebracht haben.
So ist das Lotharkreuz Ausdruck der Grenze menschlicher Existenz, die eingeholt ist in der Liebeszusage Gottes an den Menschen, und Wirklichkeit geworden in dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi, der der Mensch damals einfach traute.
Eine Monstranz, die im katholischen Verständnis einen prunkvollen Rahmen dessen bildet, was auf einen Teller gelegt nicht mehr als ein normales Stück Brot zu sein scheint, das aber als die geschenkte reale Gegenwart Gottes in Jesus Christus verstanden und geglaubt, vielen Menschen der damaligen Zeit Kraft gab ihr Leben als von Gott nicht verlassen anzunehmen!
Die Heinrichskanzel, von der seit über tausend Jahren die befreiende Botschaft von Gott in Jesus Christus verkündet wird, und die, „Gottes Wort in Menschen Wort“ die Liebeserklärung Gottes an den Menschen ist. So können wir fortfahren mit der Situla, dem Aachenaltar, der Karlsbüste (Reliquien), dem Gnadenbild in Dom, ja mit all den Prachtstücken eines Domschatzes aber auch mit den weniger populären Sakralgeräten in den Tresoren einer jeden Gemeinde, ob evangelisch oder katholisch.
Schatzansichten
Diesen Titel trug eine Ausstellung, die 2001 in den Domschatzkammer in Aachen zu sehen war.
Der Hintergrund dieser Ausstellung war das Gefühl für die Sehnsucht nach Zukunft, das Leben wollen, der Glaube an Gott, die Hoffnung auf ein unzerbrechliches Leben, der Wunsch nach Selbstannahme, die Frage nach dem Ewigen, die Bitte nach Liebe und in allem die gläubige Verehrung eines spürbaren aber nicht zu habenden Gottes der Menschen damals, greifbar geworden in ihrer Liturgie und den sakralen Geräten damals, unseren heutigen Kunstwerken.
Diese Kunstwerke spiegeln den Kniefall längst verstorbener Menschen wieder vor dem unerreichbaren und unberechenbaren Gott, oft in der Gewandung eines wenig reflektierten Glaubens.
Gleichzeitig lassen sie aber auch den aufgerichteten Menschen vergangener Zeiten spüren, der in solch einzigartigem Können und einer ausgefeilten Ikonographie sich nicht scheute ihrem Gott gefallen zu wollen.
Wenn wir heute in einer beschleunigten Welt und der so genannten postmodernen Zeit ein anderes Selbstverständnis von uns selbst entfaltet haben und somit auch andere Gottesbilder als diese uns vorgängigen Generationen, so stehen wir ihnen in einem nichts nach: Die Sehnsucht nach dem was ist, ohne das es durch Menschenhand geworden ist, dem Verlangen noch dem Göttlichen und damit auch verbunden der Wunsch nach einer unzerbrechlichen Liebe, die jeder menschlichen Erfahrung widerspricht. Trotz dem sehnt sich der Mensch heute noch immer nach vollendeter Liebe, nach geglückter Selbstannahme und Geborgenheit in unwandelbarem Sinn.
Das ist die Hoffnung der Menschen damals wie heute, die auf den Gott unserer aller Vorfahren setzen möchte, dem Gott der von sich im Ersten Testament der Heiligen Schriften sagt „ich bin, ich bin da“ und den wir trotzdem oft meinen schon längst überholt zu haben, nach dem aber auch wir heute noch immer fragen und suchen!
Weltfremd aber wäre, wer nicht auch die ungezählte Menschen im Blick hat die zwar ähnlich Hoffnungen haben wie hier angedeutet, diese aber in keiner Weise mit einem Gott in Verbindung bringen, schon gar nicht mit einem konkreten Gott und für die ein personaler Gott undenkbar ist.
Und so treffen sich in einer Schatzkammer „Insider“ und „Outsider“ , ihre Abgrenzungen werden hier eher fliesender, die etwas sehen wollen, vielleicht auch weiter als nur bis zum Exponat.
Liegt es da fern zu behaupten, dieser Schatz hat auch uns heute mehr zu sagen als nur ein fast keimfreies museales Weltkulturerbe der Menschheit zu sein?
Zerbrechliche Brücken
Aus der Eröffnungsrede: „Ich möchte kleine zerbrechliche Brücken bauen, auf denen sich Menschen diesen erzählenden Kunstwerken mit Hilfe meiner stammelnden Worte anders nähern können als es in der Regel üblich ist, um zu entdecken, das diese von Menschenhand geformten Werke überragenden Könnens ihren Ursprung in den Hoffnungen haben die wir heute mit allen Generationen vor und wohl auch nach uns teilen.“
Diese Texte, die professionell mit Hilfe von Lichtbändern, Fahnen, Wasserspielen, Bildschirmen; Rauminstallationen und verschiedene Schrifttypen an und in Raumelementen präsentiert wurden entstanden in der Betrachtung der Exponate, auf die sie sich in dieser Ausstellung beziehen sollten. Mit dem „betreten“ dieser Textbrücken zwischen Betrachter und Exponat sollte der Betrachter in einer ungewöhnlichen Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk anders bei sich und seinen Fragen wieder ankommen. Die Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung endete mit dieser ungewöhnlichen Hoffnung:
„Ich hoffe trotzdem, das diese Texte eine kleine, wenn auch zerbrechliche Brücke sind, über die Sie gehen können um zu spüren, diese Schätze bergen etwas von dem, was der größte Schatz Gottes, der Mensch selbst in sich trägt, die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben das sich von Gott nicht allein gelassen weiß.
In diesem Sinne gebe ich keine Antworten, sondern ich möchte im besten Sinn des Wortes „provocare“: provozieren, herausrufen.“
Reliquie, eine Provokation
Für den Insider haben Reliquien einen „aufgeklärten“ Wert, anders wohl als im Hochmittelalter. Reliquien und Aachen gehören seit dem frühen 9. Jh. zusammen, greifbar in der Verehrung Kaiser Karls und der alle sieben Jahre stattfindenden Heiligtumsfahrt.
Outsider, also die gefühlsmäßig kompetente aber nicht erhobene Mehrheit des Homo Touristikus, halten Reliquien für dubios und antiquiert.
Dagegen tritt ein Text der Ausstellung aus dem Reliquienraum der Aachener Domschatzkammer an. Gefasste und ungefasste Reliquien, eine ganze Vitrine voll, stellen den Betrachter vor seine Wahrheit. Durch das Glas der Vitrine hindurch und über die Knochen hinweg war dieser Text zu lesen:
Zurück – gelassen für die Zukunft
Reliquien tragen der Zukunft hinterher
was gestern auf das Schöne, Gute und
Gläubige reduziert
vorgestern ein Mensch war
der zurück ließ
was Menschen heute
als Schatz in ihren Herzen bergen
und nun sich verneigen
vor Überresten
die all das nicht mehr sind
was sie zu sein auch nie vorgaben.
Reliquien machen nicht traurig!
Die Visionslosigkeit der Menschen
Reliquien nicht mehr nötig zu haben
macht traurig
weil der Mensch vergessen hat:
Verehrung deutet Leben
das in der Verneigung die Gegenwart überdauert
und so dem Menschen auch heute
die Chance gibt:
Reliquie für die Zukunft zu sein!
Der letzte Satz gekürzt „Reliquie für die Zukunft“ wurde mit einem speziellen Spot auf den Boden dieses Raumes projiziert mit der Folge, dass wer durch diesen Lichtkegel ging auf dessen Rücken oder Brust genau diese Worte sichtbar wurden. So dem Besucher auf den Leib geschrieben „Reliquie für die Zukunft“ zu sein brachten so manchen zum Nachdenken.
Neues Nachdenken in Ihren Kirchen
Mit den ungezählten kleinen und großen Schätzen in unseren Kirchen und jene, die unsere Kirche selber sind, würde eine Chance vertan, wenn sie nicht auch Grund und Gegenüber zerbrechlicher Brücken würden. Denn egal wo christlich sakrales Gerät vorkommt ist ihr Daseinsgrund identisch. Das sollte Gemeinden herausfordern mit ihren Schätzen und deren Botschaften zu wuchern.
Konkret: Erschließen Sie beispielsweise Ihren Kirchenraum und das sakrale Gerät einzig über den Begriff Kommunikation. Was hat das Portal, der Kelch, die Kniebank, der Altar, die Glocken, das Messgewand, die Orgel, das Ambo, der Tabernakel, die Fenster, die Stufen usw. mit Kommunikation. Wer kommuniziert hier und wer nicht und was wird kommuniziert und was auch nicht. Hier können in unterschiedlichen Rollen Gemeindemitglieder, Gäste und der allg. Homo Touristukus vorkommen, und jedes Alter kann etwas dazu beitragen. Das kann Folgen auf einen Willkommensbrief für Neuzugezogene haben, auf einen kleinen mehrfarbigen Kirchenführer, auf den Pfarrbrief bis hin in die Jugendarbeit. Weiter könnte in Ihrer Kirche das Exponat oder der Ort „des Monats“ mit einem erläuternden „Brückentext“ attraktiv hervorgehoben werden.
Das geht aber nur wenn Insider und Outsider mindestens außerhalb der Liturgie gleichermaßen willkommen sind. In einem neu überdachten Umgang mit dem Sakralen liegt die Chance im Blick auf und über das Sakrale hinaus anders bei sich selbst anzukommen. Dazu bedarf es konkreter und begehbarer Brücken die nur aus Kreativität und Mut entstehen können, Gaben Gottes, die nicht zwischen Insidern und Outsidern zerrieben oder in ängstlichen Prinzipien ertränkt werden dürfen.
Anmerkungen:
1 Michael Parmentier. Der Bildungswert der Dinge oder: Die Chancen des Museum. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 1, 2001. S. 39-50. Andere Studien z. B. Prof. Jan Assmann, Ägyptologe Heidelberg kommen zu abweichenden Ergebnissen mit hier 17 Sekunden Verweildauer. In: http://www.uni-heidelberg.de/presse/news06/2602voel.html
Erschienen in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück. J.P. Bachem Verlag GmbH. Dezember 2006, S. 369-373.