Pax Christi schickt Friedenskräfte nach Bosnien-Herzegowina
Christoph Stender, Geistlicher Beirat von Pax Christi im Bistum Aachen und eng verbunden mit Friedensprojekten im ehemaligen Kriegsgebiet von Bosnien und Herzegowina, geht im folgenden Beitrag ganz persönlich der Frage nach, wie es dort nach 1995 weiterging.
Wie eine Geschichte weiter gegangen ist, will man irgendwie immer wissen. Kinder finden es gemein, mitten in der Geschichte nicht weiterzulesen. Und Erwachsene fragen nicht selten: „Wie ist das damals eigentlich weitergegangen?“ Für Bosnien und Herzegowina wird diese Frage eher selten gestellt. Da gibt es kein Medieninteresse mehr selbst Friedensaktivisten verlieren diesen „ehemaligen“ Kriegsschauplatz aus den Augen, weil es weltweit zu viele andere aktive Kriegsschauplätze gibt. Bosnien und Herzegowina – eine scheinbar unendliche Geschichte der Verletzung, des Nicht-verstehen-könnens und der nicht öffentlichen Schuldzuweisung.
der Arbeitssuche, der Identitätsfindung und deren Ausgestaltung. Es ist eine Geschichte des Vergessen-wollens, gleichwohl auch eine Geschichte des Erzählens.
Andreas Günther, Gerold König, Christoph Stender, Kardinal Vinko Pulji? und Annett Werner in Sarajevo im Bischofshaus (v.l.)
Es ist die Geschichte derer, die hineingeboren wurden, eine Geschichte der Religionen, der Macht, des Überlebens. Es ist die Geschichte nach dem Krieg, in der alle hoffen: nach dem Krieg ist nicht vor dem Krieg – egal mit welchen Waffen, und so ist diese Geschichte auch immer eine politische.
Und so sieht diese Geschichte ein Außenstehender, einer der den Krieg nur aus der Entfernung wahrgenommen hat, der an den Folgen nicht gelitten hat, der dort nicht lebt, eben ein Fremder, der nur mal da war – vor wenigen Wochen. Vor, knapp drei Monaten, im Januar, klapprige Landung mit einer zweimotorigen Maschine in Sarajevo, der Direktor des dortigen Caritasverbandes, Don Pero Birki?, holt uns vom Flughafen ab. Fahrt durch die Nacht zu unserem Quartier im Priesterseminar. Dunkelheit mit künstlichen Lichtern gepaart, lässt eine Stadt friedlich erscheinen.
Dann, bei Tageslicht ist auch alles recht freundlich. Nur noch wenige Wunden des Krieges sind im Gesicht dieser Stadt zu finden, äußerlich fast alles ausgeheilt, äußerlich.
Nur wenige Schritte, und wir betreten das Haus, in dem der Bischof des Bistums Sarajevo Kardinal Vinko Pulji? sowie einige Domherren und kirchliche Mitarbeiter wohnen und arbeiten.
Mein Eindruck: Hier ist Begegnung alltäglich und somit Tagesordnung. Der Kardinal erwartet uns. Uns, das sind aus Deutschland Gerold König und ich aus dem Vorstand von Pax Christi Aachen, sowie Annett Werner und Andreas Günther, unsere Friedensfachkräfte.
Kardinal Vinko Pulji? ist gastfreundlich, keine künstliche Etikette, ein herzliches Lächeln, kleine Geschenke: „Darf ich Ihnen etwas anbieten?“, so die verbindliche Geste des Kardinals, und dann geht es ohne Umstände zur Sache.
Nach 90 Minuten Gespräch, in dem der Kardinal auch über die Kontakte zwischen den Orthodoxen, Katholiken, Muslimen und Juden im interreligiösen Rat in Sarajevo informiert, drängt die Zeit, auch wir müssen weiter, denn unser Ziel ist auch und besonders die Stadt Derventa, etwa 100 km entfernt von Sarajevo.
In Derventa leben heute rund 100 Muslime, 300 Kroaten und 4000 Serben.
Bosnien und Herzegowina im Süden von Kroatien. Die Reise führte zunächst nach Sarajevo und von da nach Derventa. Quelle: Globus
Vor dem Krieg war die Bevölkerung um ein Dreifaches größer Tod, Vertreibung und Flucht dünnten die Bewohner dieser Stadt während des Krieges aus. Soweit Menschen überhaupt wieder in ihre Stadt zurückkehren können, bedarf es der Aufarbeitung der Geschichte und weiterer Versuche, die Lebensqualität auch dieser Stadt zu steigern. Zu dieser Geschichte sollen die Aachener Friedensfachkräfte einen kleinen aber nachhaltigen Beitrag leisten.
Kraft und Motivation aus der Geschichte
In Derventa angekommen, geht es kurz ins Hotel; wieder ein unbekanntes Bett, halt zu oft auf Achse, die Stimmung eher verhalten. Doch das sind nur Momente, denn die Spannung, was wird uns Her begegnen, welche Eindrücke werden sich in unsere Erinnerung einbrennen und welche Geschichten werden wir hören, diese Spannung ist Kraft und Motivation.
Unsere Friedensfachkräfte Annett und Andreas empfinden die Ankunft in Derventa aber noch intensiver, ist für die beiden doch mit dieser Stadt ein dreijähriges Bleiben verbunden; sehr bald werden sie also für drei Jahre hier wohnen, leben und arbeiten im Auftrag von Pax Christi Aachen.
Zwei Blicke auf den schon neuen Kirchturm von Derventa: Christoph Stender und Pfarrer Filip Masi?
Der Grund, warum wir gemeinsam nach Derventa gereist sind, ist zum einen, dafür zu werben, dass das Engagement unserer Friedensfachkräfte vor Ort Unterstützung findet; zum anderen sollen aber auch die erforderlichen logistischen Vorbereitungen getroffen werden.
So begegnen wir in Derventa und Umgebung Vertretern von katholischen, muslimischen und serbisch-orthodoxen Gemeinschaften; neben bei gilt es dann auch, Verträge beispielsweise für Wohnungen und Arbeitsräume vorzubereiten. Der Grund, warum Annett und Andreas bleiben werden, hat mit Erinnern, Aufarbeitung und Lebensqualität zu tun. Mit diesen Friedensfachkräften will Pax Christi Aachen einen kleinen Beitrag zur Versöhnung in Bosnien leisten.
Konkret bedeutet das, in Zusammenarbeit beizutragen zum interreligiösen Dialog und zum Umgang mit der gemeinsamen, von unterschiedlichen Religionen geprägten Geschichte der Menschen vor Ort – während und nach dem Krieg, zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen sowie zur konstruktiven Konfliktbearbeitung.
Keine Belehrung und kein Kolonialgehabe
Dieser „Beitrag“ zu einer Befriedung in Europa hat nichts mit Belehrung, Schuldzuweisung oder Kolonialgehabe zu tun. Nein, hier leisten zwei Menschen von außerhalb zusammen mit Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt in aller Zurückhaltung, Identifizierbarkeit und Menschenfreundlichkeit reinen Friedensdienst für die Zukunft, entsprechend dem Auftrag von Pax Christi. Ihre Zielgruppe sind hier vorwiegend Jugendliche, junge Erwachsene und deren Geschichten.
In Derventa wurde die katholische Kirche im Krieg zerstört. Dies trifft auch auf Moscheen und orthodoxe Kirchen hier und im ganzen Land zu. Pfarrer Filip Masi? hat uns zum Sonntagsgottesdienst mit seiner Gemeinde eingeladen.
In der Predigt unterstreicht zweisprachig der Caritasdirektor Don Pero Birki? die Wichtigkeit der Intention von Pax Christi, dass der Friede in Europa eine gemeinsame Sache ist und nicht nur eine lokale. Kriege, die in Europa geführt wurden und werden, hinterlassen Spuren in der ganzen Welt, so wie weltweit jeder Krieg Spuren hinterlässt, auch wenn sie die Allgemeinheit nicht mehr wahrnimmt. Denn wenn ein Teil der Welt verletzt wird, wird Welt, wird die Menschheit als Ganzes verletzt.
Der Gottesdienst ist sehr authentisch, kräftiges Singen, Gebet mit Emotion, „Wir-Gefühl“, gepaart mit einer Portion Freude und vier engagierten jungen Messdienern.
Mut machen für die Zukunft
Zum Friedensgruß geht ein Mann quer durch den „Kellerraum“ Kirche auf unsere Friedensarbeiter Annett und Andreas zu. Er will mit seinem Friedensgruß Mut machen:
„Der Friede sei mit euch, gut dass ihr unsere Geschichte und unsere Zukunft nicht vergesst, willkommen.“
Nach dem Gottesdienst begeben wir uns aus der Kellerkirche hinaus die Treppen hinauf dorthin, wo noch in diesem Jahr Baubeginn für den neuen Kirchenraum sein wird. Auf dem Boden der im Krieg zerstörten Kirche steht heute schon der neue Kirchturm, den man mühelos auch noch einige Meter wachsen lassen könnte. Er ist Platzhalter dafür, dass es hier wieder einen sichtbaren Ort katholischer Frömmigkeit und Liturgie geben wird.
An diesem Ort wird man aber nicht nur den Blick katholisch nach oben ächten können, sondern auch nach rechts und links, dahin wo die anderen Religionsgemeinschaften ihre Feierorte wieder errichten.
Ortswechsel, wieder in Aachen. Für Annett und Andreas nur vorläufig. In der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) sollen sie noch feierlich verabschiedet werden.
Mit dem Segen aus Aachen auf den Weg geschickt
Bei der Aussendungsfeier: Karen Siebert, Leiterin der Bistumsstelle Pax Christi, Annett Werner, Andreas Günther (v.l.)
Mitglieder aus den, unterschiedlichen Pax-Christi-Gruppen im Bistum, aber auch Freundinnen und Freunde der beiden Friedensfachkräfte finden sich ein, um Lebwohl zu sagen. Mit einem Wortgottesdienst beginnt die Aussendungsfeier. „Lass uns in deinem Namen, Herrn die nötigen Schritte tun…“: Mit dieser Liedzeile beginnt die Liturgie. Das Evangelium von der Aussendung der zweiundsiebzig Jünger greift die Intention von Pax Christi auf, sich um des Friedens willen einzumischen. Dann wird es persönlich, Handauflegung, Aussendung.
Und wie geht die Geschichte in Bosnien sowie den angrenzenden Ländern weiter? Eines ist klar Auch die Friedensbewegung Pax Christi aus Aachen wird sich beteiligen an dieser Geschichte.
Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 1. April 2007, S. 12-14