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Gefunden wie verloren

Ich lebe wie alle anderen Schafe auch
und gehöre zur Herde.
Manchmal aber
trotte ich auch auf anderen Wegen.
Dann sagt die Herde: „Ein Schaf tanzt aus der Reihe!“

Nein, ich bin nicht trotzig,
ich mag meine Herde!
Aber ich möchte auch mal da hin schauen dürfen,
wo die anderen nicht hinschauen.
Mal die Wege die alle gehen verlassen,
abseits etwas anderes sehen, das ist cool.
Nicht immer nur:
Ihr Trend ist mein Trend,
ihre Mode meine Mode,
ihre Meinung meine Meinung,
ihr Gottesbild mein Gottesbild,
ihr Futter mein Futter.

Aber!
Dass ich damit in die Bibel kommen würde
hätte ich nicht gedacht.
Leider jedoch etwas verkürzt dargestellt, denn da steht:
Verlaufen hätte ich mich, ohne Orientierung
verirrt, und dann fast verloren sei ich gewesen.
Deswegen, nur weil ich mich verirrt hätte,
sei ER mir nachgegangen.

Aus der Ferne mag das so ausgesehen haben,
aber da gibt es noch mehr zu berichtet:
Sicher war ER besorgt,
aber ER pfiff mich nicht einfach zurück.
ER ging mir nach,
auf meinem Weg,
ein ihm unbekannter Weg,
interessiert an dem
was ich im Abseits
wohl „ent – deckt“ haben mag.

ER hat so allen gezeigt:
Bis zu mir,
den anderen Weg eines Schafes,
auch soweit würde ER gehen!
Und ER tat’s, dann gingen wir gemeinsam weiter,
ER und ich, mit meinem Weg
auf unserm Weg und weiter zur Herde.

ER ging mir nach
brachte sich mit
holte mich ein
damit wir einander mitnehmen,
der gute Hirte
und seine Herde.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg), August 2007
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Unsere Herkunft

Herkunftswörterbuch
ernst nehmen:

  • ernst; -er, -este: erheben (gegen), hochhalten, sich dafür einsetzen (kämpfen) Festigkeit.
  • nehmen; du nimmst, er nimmt: Ergreifen, vom Eigenen nehmen und austeilen, aneignen, besitzen, realisierte Beanspruchung.
  • Zusammengesetzt: Eine Haltung, ein Versprechen, ein Wort, eine Erkenntnis, eine Sichtweise, eine Person bzw. eine Situation auf Grund ihrer Selbst dauerhaft und ernsthaft bejahen und dies durch Haltungen vergegenwärtigen.
  • Der Begriff kann sich auch beziehen auf: Ein Vorhaben konsequent durchführen, sich an eigenen Entscheidung messen lassen, keinen Abweichungen erliegen, konsequent handeln, Selbstannahme mit Fremdannahme verbinden.
  • Verbunden mit Nachfolge: Erkanntem / Traditionen / Angenommenem treu bleiben, innere und äußere Bewegung, Kontinuität, dem Vorbild (Vorgänger) gerecht werden wollen, Handeln aus Rücksicht, Nachsicht, Einsicht und Weitsicht, herkunftsbewusst, gemeinschafts- gemeinwohlorientiert. apostolisch, reflexionsfähig, entschieden leben.
  • Sonderregelung: Kann auch als Anspielung auf „den Kopf für seinen Glauben hinhalten“ verwendet werden oder in Verbindung mit „ein Rückgrat haben“.
Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg), August 2007
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Quizfrage

Quizfrage:
Welcher Satz passt in diese Satzfolge nicht hinein?

Der Staat muss mich unterstützen, das ist mein Recht.
Ich bin im Aufsichtsrat, ich verantworte, da sind Zuwendungen legitim.
Ich engagiere mich wie keiner, da mal in die Kasse zu greifen ist doch ok.
Mein Studium hat gekostet, da muss ich besser verdienen.
Titel und Würden machen eben den kleinen finanziellen Unterschied.
Wir haben ein Recht auf einen eigenen Tarifvertrag und mehr Prozente.
Das haben Eltern und Großeltern aufgebaut, das ist Familienbesitz.
Alles versichert, die müssen dafür aufkommen.
Diätenerhöhung, Abgeordnete bleiben so eben unbestechlich.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Das habe ich mir alles zusammengespart, das gehört mir.
Börse ist ja nicht nur Gewinn, ein gewisses Risiko gibt es auch.

1. Preis:
Ein unbequemer Gedanke
2.-12. Preis
Tröstende Geldgeschenke

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Türreigen

Durchgänge, Durchreichen und Durchblicke.
Oft auch offen zu, und zu offen.

Bitte nicht zumachen, Kinderwunsch zur Nacht,
wütend geschlagen, hilfloser Kraftakt,
erwartend davor, weihnachtliche Sehnsucht.

Türen wachsen:
Wenn du jetzt gehst ist die Tür zugeschlagen.
Schließ das ab sonst steht keine Türe dir mehr offen.
Alle Türen hinter sich lassen ist der einziger Weg.
Man sollte sich immer noch eine Türe offen halten.
Verbindungen öffnen Türen.
„Hab mir noch ein Türchen offen gelassen“

Türen eröffnen:
Tür und ankommen
Tür und verloren
Tür und gescheitert
Tür und weiter
Tür und provoziert
Tür und immer wieder und.
Vor der Tür ist hinter der Tür,
und nach der Tür ist vor der Tür.

Türen mahnen:
Wir stehen oft vor Türen,
zielstrebig,
und übersehen Türen
die zu erreichen bedeutet
beliebige Türen auch mal zu zu lassen,
sie offen gestanden zu ignorieren.

Türen sind Löcher:
Türen markieren Wände
und sind letztlich nicht mehr
als mein Loch in der Wand.
Selbst der Himmel hat ein Loch
die Himmelspforte.

Oft reichen Löcher,
Durchlässigkeiten
zwischen allem was wie „mauern“ ist.

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Sei(t)d umschlungen

Sie protestierten gegen alle Tradition,
den Muff unter den Talaren
die Selbstherrlichkeit welcher Klasse auch immer.

Damals: Sohn gegen Vater, Tochter gegen Mutter,
Aufmüpfige gegen Etablierte, Bewahrer gegen Veränderer
Unzufriedene gegen Selbstzufriedene, Beherrschte gegen Mächtige
Jeans gegen Anzug,
eben die für gegen, gegen die, gegen gegen.

Heute:
Über die Pubertät hinaus
gibt es keine Generationenproteste mehr.
Die Generationen liegen beieinander
wie Lamm und Löwe
mit Namen:
Generationenvertrag, Erbengeneration und so.

So können zwischen Kindern und Eltern
nur halblaut Sätze gewechselt werden wie:
„Was verbindet uns?“
Oder:
„Dank euch, es ist ja alles ach so toll in der Welt!“
So spielen Vater und Sohn gemeinsam Tennis oder skaten,
hören fast die gleichen CD`s, absolut tolerant,
Mutter und Tochter shoppen, tragen die gleichen Marken.
Und alle bescheinigen einander
wie cool die jeweils andere Generation doch sei, supi.

Schöne neue Welt,
in der jeder potentielle Protest Gefahr laufen kann
als Mode von allen und jedem nachgeahmt zu werden,
nach dem Motto:
„Cool, kann ja jeder tragen.“

Seid umschlungen Generationen,
es ist ja ach so friedlich,
alle haben Alles richtig gemacht,
Generationenseligkeit.

Heute passt eben
Jackett auf Jeans.

Und trotzdem:
Eine dankbare Nachdenklichkeit
bleibt, wer hinschaut,
dank der verschiedenen Generationen

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Melodie unserer Stadt

Vorbei ist das Rauschen der Wellen, das Rufen der Berge, die sanften Töne sich wiegender Wälder und das Flüstern der Felder. Kurz gesagt: Urlaub vorbei, verklungen die Töne der Mietwelten in Blau, Grün, Weiß und Gelbgold. Und: „Hallo, ich bin wieder da, dein Alltag“.

Das bedeutet aufs Neue den Geräuschen der Stadt ausgeliefert zu sein, die nur schwankend zwischen laut und zu laut auf uns einhämmern. Willkommen in Aachen und seiner Geräuschkulissen quält die Normalität nun die Urlaubsträumer und deren Erinnerung.

Doch unsere sich oft auch laut gebärdende Stadt hat nicht nur lärmende Stimmen. Der, der diese Orte leiserer Stimmen sucht, findet ihr sanftes Spiel mitten im Zentrum unserer Stadt. Besonders um Dom und Rathaus herum plätschern sie vor sich hin, ohne den Stolz einer Fontaine. Die Lokalitäten ihres stillen Treibens sind leicht ausgemacht. Der Marienbrunnen, Puppenbrunnen, Fischpüddelchen, Bahkauf, Elisenbrunnen und Karlsbrunnen. Wassermassen messen hier nicht ihre Kräfte, vielmehr wollen einzelne Tropfen erhört werden. Darin liegt die Kraft ihrer Stimme, ihnen zu lauschen, nahe an sie heran zu treten und ganz sich auf ihr plätscherndes Spiel zu konzentrieren. Es dauert nicht lange und der oft wuselig plärrende Takt unserer Stadt ist machtlos abgesondert durch den aufeinander folgenden Fall der Tropfen, Tropfen auf Tropfen. Versuchen Sie es mal, kommen sie diesen Brunnen nahe, hören Sie hin und lauschen. Mit Ihnen entfaltet unsere Stadt ihre leise Stimme, ungeachtet ob Sie gerade aus dem Urlaub zurück gekommen sind, oder ob Sie ein Daheimgebliebener, ein Tourist oder einfach ein Öcher sind.

Quelle: Aachener Zeitung, 8. August 2007
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Der Sinnmacher

Es war einmal ein suchender Mensch,
der zweifelt so sehr an sich selbst,
dass täglich ihm die Haare zu Berge standen,
keiner seiner Gedanken es bei ihm aushielt
und grüßte man ihn mit Namen,
dann fragt er sich wer gemeint ist.

Seines bisherigen Weges müde begegnet er einem Glückmacher.
Der erzählte:
„Nimm dich einfach nur an, und das Glück ist dein!“
Ich tat’s, und mir standen die Haare zu Berge.

Später liest er von einem Geldmacher.
Der schrieb:
„Entdecke deine Talente und das Geld liegt vor dir auf der Straße!“
Ich tat’s, und mir standen die Haare zu Berge.

An der Straßenecke hört er einen Glaubenmacher.
Der verkündete:
„Geh in dich und du findest Gott!“
Ich tat’s, und mir standen die Haare zu berge.

Im Fernsehen sieht er einen Liebemacher.
Der versicherte:
„Lass alles zu und die Welt wirbelt um dich herum!“
Ich tat’s, und mir standen die Haare zu berge.

Beim Zubettgehen stolpert er über einen Sinnmacher.
Der steht da:
Ihm stehen die Haare zu Berge
und er raufte mir die Haare,
dem suchenden Menschen,
der so sehr an sich selbst zweifelt,
dass täglich ihm die Haare zu Berge standen,
keiner seiner Gedanken es bei ihm aushielt
und grüßte man ihn mit Namen,
dann fragt er sich, wer gemeint ist.

Seines bisherigen Weges müde …

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg), August 2007
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Kleidung den Entblößten

„Barmherzigkeit will ich“
Predigt in den Gottesdiensten am Sonntag, den 5. August in St. Anna

„Kleidung den Entblößten“

Prediger: Christoph Stender, Hochschulpfarrer, Aachen
Lesung: Jes 61, 1-11/Evangelium: Lk 22, 53-61

Ein morgendlicher Gang unter die Dusche oder ein Bad sind alltägliche „Reinigungsrituale“, die in unseren Breiten kaum wirklich auffallen, da sie zu regelmäßig getätigt werden und somit Gewohnheit sind. (Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel)

So ist es selbstverständlich, dass, wenn Sie heute Abend diesen Sonntag oder die vergangenen Tage betreffend gefragt werden, was es denn Besonderes gegeben habe, Sie wohl kaum antworten werden, sich geduscht oder ein Bad genommen, also sich gewaschen zu haben.

Es ist auch Ihnen ein vertrautes Bild: Ihr Badezimmer, Blick in den Spiegel, Zahnbürste, Hahn aufdrehen, die richtige Temperatur ausloten, Shampoo in Reichweite und dann ab in die Wanne oder unter die Dusche. Einzig auf den Akt der kulturbedingten Reinigung bezogen, also auf das Waschen, inszenieren die Menschen in den Bädern Deutschlands täglich meist ein „Einmann- oder ein Einfraustück“. Hände berühren, verteilen so den wohlriechenden Schaum fast streichelnd über das größte Organ des Menschen, seine Haut. Mal genüsslich, mal von fließender Zeit getrieben nähert sich der Badezimmerakt irgendwann dann doch seinem Ende und das Handtuch ist angesagt. Meist routiniert, manchmal auch artistisch wird das Handtuch ergattert, dieses Stück Stoff, das nach jedem solcher Wasserrituale unsere Haut berührt, sie abtrocknet und so das sich Anziehen einläutet, wieder einmal, um dann in angemessener Bekleidung in die kleine Öffentlichkeit unseres Alltags einzutreten, eben wie immer und natürlich gewaschen.

Ortswechsel: Zu Jesu Zeiten gab es besonders in den Städten mit römischem Einfluss eine hohe Badekultur, wenig vergleichbar mit der unsrigen, eben etwas anders, doch sehr effizient. Besonders für einen Juden war die Körperpflege selbstverständlich, unabhängig ob aus der Stadt oder vom Land. Tägliche Waschungen waren Regel, Ritual und Pflicht.

Der durchschnittliche Land- und auch Stadtbewohner zur Zeit Jesu trat allerdings nicht nach dem Bad vor einen Kleiderschrank in dem ungezählte Variationsmöglichkeiten von Kleidungsstücken sich anboten. Die in unserer Zeit häufig gemachte Feststellung vor einem total überfüllten Kleiderschrank zu stehen mit den Worten auf den Lippen: „furchtbar, ich habe nichts mehr anzuziehen“, war den Menschen zu Jesu Zeiten eher fremd.

Ein, den Körper ganz bedeckendes Kleidungsstück, vielleicht auch mal ein zweites waren um 50 n. Ch. die Bekleidungslage eines Normalbürgers, einer Normalbürgerin. Überhaupt war die Ausstattung der Wohn- und Schlafräume eher kärglich und auch die Organisation der Lebensmittel, dessen also was täglich zum Leben benötigt wurde, war ein täglich immer wiederkehrendes alltägliches Geschäft. Manche Menschen waren schon damit überfordert, schafften die nötigsten Besorgungen nur schwer oder gar nicht, beziehungsweise sie wurden ihnen verboten.

Da passierte es, schneller sichtbar in der Gesellschaft als heute, dass Menschen abstürzten und ohne Hemd dastanden, das letzte Hemd abgeben mussten oder des einzigen Rockes entledigt wurden, aus welchen Gründen auch immer. Ohne etwas dazustehen, also nackt, war oft das ganz unten Aufschlagen eines wirtschaftlichen, familiären und/oder sozialen Absturzes. Zur Zeit Jesu waren u. a. diese Menschen für einen solchen Absturz prädestiniert: Kranke, verlassene Ehefrauen, Fremde, Gefangene, Menschen, die unter die Räuber gefallen waren sowie mutmaßlich Besessene. Aber auch jene, die ihr Handwerk nicht mehr ausüben konnten oder durften, waren absturzgefährdet.

In solche Lebenssituationen hinein gehört das an das Evangelium nach Matthäus angelehnte vierte Werk der Barmherzigkeit. Worum geht es in dieser Erzählung. Mit Blick auf das Weltengericht (Jüngstes Gericht) und die abgestürzten Menschen seiner Zeit vor Augen, beschreibt Jesus seinen Zuhörern ihre potentielle Perspektive in Sachen ewiges Leben:
„Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt, denn (…) ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet … (Mt 25,34f).

Im weiteren Verlauf des Evangelientextes drängt sich die wesentliche Erkenntnis der Rede Jesu förmlich auf, und gleichzeitig liegt die daraus zu ziehende Konsequenz für jene auf der Hand, die sich in der Nachfolge Jesu wähnen. Der Hungrige, der Durstige, der Fremde, der Nackte, der Kranke und der Gefangene sind Synonyme für die konkrete Christusbegegnung. Denn wer ihnen zu essen gibt und zu trinken, sie befreit von Fremdheit und Nacktheit oder Kranke und Gefangene besucht, der tut all das ihm, diesem Jesus Christus. „Was ihr getan habt einem von meinen geringsten Brüdern (und Schwestern), das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)

Im Kontext des bisher Gesagten und im Fokus steht heute dieses vierte Werk der Barmherzigkeit: „Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet…“ Das sollte auch schon zur Zeit Jesu wortgetreu und ganz konkret verstanden werden. Denn Nackte, also die in der Gesellschaft Abgestürzten, waren in den Strassen der Städte damals auch schon unübersehbar. Schauen wir in eine ganz normale Stube wie sie zu Jesu Zeiten üblich war und das Verstehen fällt uns leichter. Denn selten hing da in den meist kärglichen vier Wänden ein zweites Gewand am Haken. Ein Gewand hatte seinen Wert und wer nicht anders mehr konnte, der bezahlte mit seinem letzten Stück Stoff. Abgestürzte gehörten da wie selbstverständlich zum Straßenbild: Bettler, Aussätzige, Krüppel, Fremde, Verstoßene, besonders Frauen. Immer wieder trieb diese mutmaßlich bessere Gesellschaft ihre selbst ausgemachten Ausgestoßenen vor sich her und damit oft endgültig in den Abgrund.

Bis hier her ist allerdings noch nicht die ganze Botschaft dieses vierten Werkes der Barmherzigkeit entfaltet: „Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet…“. Denn nackt da zu stehen, aus eigener Kraft sich nicht mehr bekleiden zu können war auch zur Zeit Jesu mehr als einfach nur unbekleidet zu sein, also „nur materiell“ nackt dazustehen. Nackt in der Öffentlichkeit als gescheitert dazustehen, bedeutete damals wie heute fast den Totalverlust der eigenen Kultur, denn plötzlich steht man außen vor, wird zum Fremden vor sich selbst und vor den anderen. Und mit diesem Verlust kommt das gebrandmarkt werden hinzu, spürbar durch die einst eigene aber jetzt durch den Sturz entfremdeter Kultur, und der diese Kultur des Ausgrenzens tragenden Gesellschaft.

Diese andere Art der Nacktheit wird im Evangelium, das wir eben gehört haben, aufgegriffen, mit dem wir einen Ortswechsel vornehmen. Wir finden uns wieder mitten auf einem Platz, hier passiert die Leugnung Jesu durch Petrus. So wird berichtet: „Etwa eine Stunde später behauptete wieder einer: Wahrhaftig, der war auch mit diesem Jesus zusammen; er ist doch auch ein Galiläer. Petrus aber erwiderte: Mensch, ich weiß nicht, wovon du sprichst“. (Lk 22,55ff) Petrus überlässt Jesus der unberechenbaren Gefahr nackt. Zitat: „Den kenne ich nicht!“

In aller Öffentlichkeit leugnet Petrus dreimal: Mit dem habe ich nichts zu tun, wir haben nichts gemeinsam, der ist mir ein Fremder. Petrus entblößt Jesus in dem er ihm mit Worten das Hemd der gemeinsamen Geschichte, der Vertrautheit, des füreinander Verantwortlichseins vom Körper reißt und ihn so isoliert. Jesus ist nackt, weil Petrus die eigene ihn bekleidende Nähe leugnet.

Petrus wird in diesem Evangelium beispielhaft angeführt für die vielen anderen Leugner: Jesus verliert durch die Leugner jeden kulturellen Schutz, das vertraute Umfeld zerbricht, alle Kommunikationsmöglichkeiten sind gekappt, Menschenwürde außer Kraft gesetzt. Jesus ist nackt und so ausgeliefert. Seine Haut kann nun zu Markte getragen werden, freigegeben zur Verletzung bis in den Tod. Es bleibt ein Skandal das Jesus Christus nicht der Letzte sein sollte, dessen Haut zum Schlachten frei gegeben würde.

Zwischenruf: „Petrus und wie sie alle heißen! Jesus war nackt, und die anderen auch, du hast sie gesehen, du siehst sie auch heute noch. Und es ändert sich nichts, sie bleiben Verlierer mit ihren unterschiedlichen Namen und Biographien und stehen immer noch nackt da, es ändert sich nichts, es ändert sich nichts! (Pause)

Und nun, typisch Predigt, die Konsequenzen?
Ja, etwas in dieser Richtung!
Zuerst ein Merksatz: Versuche nicht alle Nackten dieser Welt, deines Landes, deiner Stadt oder in deiner Umgebung bekleiden zu wollen. Nein, nicht weil das wohl eher unmöglich ist, sondern weil die, die alles wollen, letztlich aus der Ohnmacht vor den vielen Nackten dieser Welt das Argument ableiten, gar nichts mehr zu wollen, tatenlos zu bleiben, also keinem auch nur ein Hemd zu reichen.

Und hier nun was zum Anziehen
für die, die spärlich bekleidet bis „nackt“ sind:

Es kleidet, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen und auch mal über sich selbst zu lachen.
Es kleidet, sich der allgemeinen Meinung nicht einfach anzuschließen, sondern sich selbst ein Bild zu machen.
Es kleidet, Fremde nicht auf Grund ihres fremd seins zu beurteilen.
Es kleidet, zu bedenken, dass der, der schon im Dreck liegt, einem selbst nur wenige Schritte voraus sein könnte.
Es kleidet, mit denen nicht zu hart ins Gericht zu gehen, die ihr letztes Hemd oft schuldig selbst verspielt haben und nun auf öffentlichen Bänken Radau machen, saufen, pöbeln und so.
Es kleidet, zu sagen, was gesagt werden muss aber dann, wäre nicht noch eine kleine Chance drinnen?
Kurz gesagt: Es kleidet, ein Hemd zu reichen, so wie es Ihnen möglich ist, und keiner Mode folgend.

Übrigens:

Guten Morgen.
Ich hoffe, Sie werden noch ungezählte solcher Morgen haben, an denen Sie dann wieder in Ihr Bad gehen. Sie wissen schon: der kurze Blick in den Spiegel, Zahnbürste, Haut, Wasser, Berührung, Handtuch und so.

Und ich hoffe für Sie wie für mich, dass wo auch immer, irgendwer „Guten Morgen“ sagt, und ins Bad geht, Sie wissen schon, der kurze Blick in den Spiegel, Zahnbürste, Haut, Wasser, Berührung Handtuch und so.

Und ich hoffe, das dieser Jemand, der den Tag so begonnen hat, etwas in den Händen hält wenn Sie, wenn ich nackt da stehe!

Schluss – Gedanke im Bad:

Es ist dein Bad, und hier sei dir auf den Leib geschrieben:
Die Verletzlichkeit der Anderen ist auch deine Verletzlichkeit.
Mag etwas um deine Haut gelegt sein, um deinen Leib, ein Leibchen.

Diese Predigt wurde im Rahmen der Anna-Woche 2007 in St. Anna, Düren gehalten.

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Bete, dass

Gerade 15 Jahre alt
und hielt diese Worte
von Dag Hammarskjöld in Händen.
Ich verstand sie nicht.

Heute sehe ich täglich
sein Bild und diese Worte
im Regal.
Ich verstehe sie noch immer nicht.

Damals wie heute jedoch
hinterlassen seine Worte
in mir
Ahnung und Gewissheit
verstanden zu sein.

Seine Worte
und so auch mein Gebet:

„Bete,
dass deine Einsamkeit der Stachel werde,
etwas zu finden,
wofür du leben kannst,
und groß genug, um dafür zu
sterben.“

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg), Juli 2007
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Hinhalten

Verletzte
liegen nicht mehr am Wegesrand.
Sie warten,
hoffen, auch manchmal betend,
unter Bettdecken.
Verlieren mit jedem neuen Tag.
Und geschieht dann wieder nichts,
wird ihnen bald die Bettdecke
über den Kopf gezogen werden.

Verletzte allerdings
liegen immer wieder am Straßenrand,
sich verlierend,
Wunder wirkend,
für jene unter Bettdecken,
aber nur wenn Sie sich ausweisen:

„Ja, ich gestatte
das nach der ärztlichen Feststellung
meines Todes
meinem Körper
Organe und Gewebe
entnommen werden.“

Samariter sind Menschen
die hinhalten
was Leben braucht,
nicht was übrig bleibt.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg), Juni 2007
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