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Neid, eine Ortsbestimmung

Meistens fängt Neid mit Wahrnehmungen, konkreter noch mit Feststellungen an: „Der hat was!“ Dann kommt die Analyse: „Der hat was, was ich nicht habe!“ Neid gedeiht auf dem Nährboden subjektiver Wahrnehmungen, die im Vergleich mit anderen Menschen die Annahme befördern, selber Defizite zu haben. Kurz gesagt und wie schon milliardenfach ausgesprochen: „Der hat was, was ich nicht habe.“

So kommt der Neid auf das prächtigste gekleidet daher, nämlich im Gewand des anderen, jenem also, von dem du sagst: „Der hat was, was ich nicht habe.“

Bis hierhin schlummert der Neid eigentlich noch. Richtig wach macht ihn erst die quälende Frage: „Warum hat der, was ich nicht habe?“ Zuerst wird dann die Frage nach der Gerechtigkeit bemüht: „Ob das denn auch gerecht ist, dass der da hat, was ich nicht habe?“

Dann folgt die grundsätzliche Frage nach der Gleichbehandlung: „Wenn der das hat, dann steht mir das doch auch zu, ich habe doch ein Recht darauf, oder nicht?“

Eigentlich, muss man nun annehmen, ist Neid gar nicht vorgesehen. Denn würde das theoretische System der Gleichheit real funktionieren: „Dann hätte ich, was der andere auch hat, oder einen entsprechenden Ausgleich.“

Also, hätten alle, was man haben kann, gleich, dann wäre der Neid ausgerottet. Aber bis hier noch nicht bedacht, bei aller Gleichheit, ist der Unterschied zwischen Menschen bezogen auf ihre Talente, Fähigkeiten und Begabungen.

Aber würden selbst auch diese Gaben gleich verteilt werden, dann behielte Alexander Solschenizyn dennoch recht mit seiner Erkenntnis: „Es gibt immer Leute, die meinen, das Gras auf der anderen Seite des Zaunes sei grüner.“ Und somit bleibt wohl der Nährboden des Neides dieser: „Warum hat der es eigentlich grüner als ich, oder war es blauer?“

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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Kreuzmelodie

† Es ist schwer, für diesen Tod zu danken, bleibst du uns doch ein Mensch, ein Bild des Leidens in unserer Vorstellung, verletzt zum Tod!

† Abgestempelt zum Sündenbock, wollten sie dich opfern. Doch du ließest dich küssen, und brachest auf in deinen Tod, nicht als Opfer durch die anderen, eigensinnig.

† Wie schwer ist es, für diesen Tod zu danken, im Glauben spürend, dass du uns unzerbrechliches Leben, durch unser aller Sterben hindurch, schenken willst!

† Wie schwer bleibt es zu danken, nicht zu wissen, nur zu glauben, weiter zu hoffen, nicht zu sehen, kaum zu spüren, einfach folgend einer Spur, deiner Spur, der das Kreuz vertraut!

Kreuz macht atemlos, allein schon, wenn man es nur denkt!

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Was hast du getan?

Kennen Sie diese Formulierung auch noch aus früheren Tagen?

Für Kinder war und ist sie oft ein dauernder Vorwurf, „was hast du da schon wieder getan?“, der losgetreten wird, natürlich immer wieder von den Älteren. Erstaunt, vorwurfsvoll, entsetzt, verlegen, erschrocken, wütend geben die Stimmen und Stimmungen der Älteren diesem Satz bedrohliche Züge, und Kinder erstarren dann nicht selten nach dem Motto: Ertappt, aber warum eigentlich?

Aber nicht nur aus Kindertagen ist uns diese Formulierung vertraut. Wir selbst sind, älter geworden, auch wieder diejenigen, die fragen: Was hast du getan? Meist vorwurfsvoll gemeint, mahnt diese „Frage“ das Gegenüber zur Reflexion des vorgängigen Verhaltens, will aber eigentlich nur recht bekommen bezüglich der subjektiven Fernanalyse: „Du, ich meine, das war wohl nicht richtig.“

Aber auch wir sind mit unserem Verhalten Adressaten solcher Fragen, die wieder einmal das komplette Spektrum der Meinung der anderen bereithält, von peinlich berührt bis entsetzt. Diese Frage ist wohl nicht auszurotten, da sie an dem vermeintlichen „Interesse“ der anderen klebt, das sie vorgeben an uns zu haben, damit uns keine Fehler unterlaufen, und das natürlich völlig selbstlos.

Aber dieselbe Frage, „was hast du getan?“, kann, aus ganz anderer Perspektive gestellt, in die Tiefe gehen.

Diese Frage in dem Verborgenen der eigenen Persönlichkeit zugelassen, in aller Stille, abgeschieden vom Tagesgeschäft, hat dann nichts mehr von dem Vorwerfen der anderen an sich.

Diese Frage ist dann ein Gedanke der Nacht, nach vergangenem Tag, eben wenn es dunkel ist, die sich dann ganz ohne „Nebengeräusche“ stellt:

Was hast du getan?
Trauen Sie sich diese Frage noch zu?

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„Mag noch einmal schön sein, bitte.“

Das tägliche Telefonat war vereinbart,
wenn es die Situation zuließ.
Dann ging sein Flieger.

Die nächsten Tage:

Hallo, ich bin’s, wie geht es deiner Mutti?
„Sie kann nicht mehr aufstehen,
ich muss etwas gegen die Druckstellen auf dem Rücken tun.“

Hier bin ich wieder, alles beim Alten?
„Nein, sie isst nichts mehr und auch das Trinken wird ihr zur Qual.“

Sorry, es ist heute etwas später geworden, störe ich?
„Nein, sie schläft. Ich bin müde und ständig diese Gedanken, wenn sie nicht mehr da ist.
Dank dir, dass du anrufst.“

Gut, dass es das Handy gibt, bin unterwegs, und was Neues?
„Sie kann kaum noch sprechen,
nun scheint der Tumor ihr Gehirn ganz zu zerdrücken.“

Hei, na?
„Der Statistik gehorcht sie schon seit zwei Jahren nicht.
Aber nun warten wir doch nur noch.
Meld dich morgen wieder.“

Bist du es?
„Ja.
Wir haben ihr die Fußnägel rot lackiert,
das ist ihr Wunsch,
Eneva will jetzt schön sein,
und nun wartet sie,
in Laken gekleidet.“

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Macht spricht an

Da neigt sich die Macht zur Ohnmacht herunter und fragt sie herablassend: „Was kann ich für dich tun?“

Antwortet die Ohnmacht: „Mit dir bin ich, was ich bin, ein Lumpen auf nackter Haut! Ohne dich wäre ich ein prächtiges Gewand, das die Verletzbarkeit des Menschen schmückt. Also: Geh dir aus dem Sinn, damit ich da sein kann!“

Macht fragt nach: „Und was wären du und die Welt, wenn ich mich aus den Köpfen der Menschen schlagen würde?“

„Ohnmächtig wären ich und die Welt“, antwortet die Ohnmacht, „aber niemand würde mich dann noch Ohnmacht nennen.“ Macht fragt weiter: „Und wer würde dich dann beschützen?“

Antwortet die Ohnmacht: „Mit Sicherheit du, nachdem du einen Feind für mich erfunden und ihn gegen mich gedungen hast, damit ich bleibe, was ich immer schon war, ohnmächtig. Denn anders scheint es dich nicht zu geben, als herablassend und die Ohnmacht so an dich bindend!“

Macht erwidert lächelnd: „Mich mag man eben, ich spreche wohl an, besonders die, die ohne sind!“

Reaktion der Ohnmacht: „Deine Macht ist nicht allmächtig, verzeih, wenn Ohnmacht wagt, dir Grenzen zu zeigen. Denn würden sich Menschen, Strukturen und Gesellschaften darauf einigen, dass Lumpen auf der Haut ein prächtiges Gewand wären, du wärest …“

Unterbricht die Macht: „Wolltest du jetzt sagen, ich wäre dann ohnmächtig?“

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Verloren

Verloren, sich verloren fühlen, kennen Sie dieses Gefühl? Oder sind Sie sich selber schon mal verloren gegangen? Haben Sie Verlorenheit mit anderen vielleicht mal erlebt?

Wie würden Sie anfangen davon zu erzählen?

So ungefähr:
Das Schlimmste daran ist nicht, sich verloren zu fühlen, sondern von niemandem verloren worden zu sein. Du bist einfach verloren, aber es hat dich niemand verloren. Du träumst davon, jemand würde bedauern, dich verloren zu haben, aber es bedauert keiner, wie auch, es hat dich ja niemand verloren, du bist es nur. Ja, wenn schon verloren, dann besser von jemandem verloren worden sein, um wenigstens als verloren gegangen da zu sein.

Wer verloren ist, aber nie verloren wurde, der wurde nie gefunden. Nicht wirklich von einem Menschen gefunden worden zu sein, kann zu einem Gefängnis werden, das langsam das eigene Herz einkerkert. Einsamkeit wird diese Härte genannt, die in vergitterten Herzen herrschen kann. Die Einsamkeit kennt eigentlich nur einige wenige Worte, die in etwa so klingen: Du, wo bist du, mein Du?

Doch oft schämt sich die Einsamkeit davor, selbst diese wenigen Worte in den Mund zu nehmen, vielleicht aus Enttäuschung. Übrigens: Da ist Gott auch keine Lösung, aber eine Möglichkeit. Er geht den Verlorenen nach, sagt er. Wie lange? Bis du selber deine Verlorenheit beginnst aufzubrechen, indem du beginnst, dich wieder umzuschauen? Ist seine Herausforderung die, mutig zu machen, sich wieder umzuschauen, Ausschau zu halten? Meint er das, sorgt er sich so?

Und noch während Sie darüber sprechen …

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Das Vor-Wunder

„Die Jünger des Johannes aber holten den Leichnam und begruben ihn. Dann gingen sie zu Jesus und berichteten ihm alles“ (Mt 14,12). Das Ereignis vor dem Wunder: Ein Mord, Enthauptung und zwei Ursachen! Erste Ursache: Ein (entschuldigen Sie) „geiler“ Herrscher (Herrscher, das sind hier Menschen, die andere beherrschen, um sich selber aushalten zu können) wollte ein Mädchen besitzen.

Zweite Ursache: Eine Frau wollte durch Hinterlist und so auf Kosten anderer Macht an sich ziehen. (Das Geschlecht der Personen ist auch hier austauschbar.) Ergebnis: Der Kopf Johannes des Täufers wurde auf einem Silbertablett den Zuschauern (Zuschauer sind hier Menschen, die wegschauen) serviert. Sie kennen solche „Geschichten“?

Jesus war darüber traurig, ihn lähmte das Gehörte, und er wollte sich (in sich) zurückziehen. Doch die Menschen ließen Jesus nicht gehen. Wie er ihnen fast schonungslos ihre eigene Realität vor Augen führte und sie für die Wahrheit „öffnete“, das war faszinierend und gleichzeitig unheimlich. Aber so eröffnete Jesus seinen Zuhörern auch eine neue Sichtweise in ihre Welt: Machtausübung um der Macht willen bringt Menschen um den Verstand, und dann bringen diese andere Menschen um Kopf und Kragen. Das ist brutale Realität!

Die andere Sichtweise allerdings, mächtig sein für die Menschen, lässt Platz für Wunder. Fast wäre es ja gar nicht passiert, hätten die Menschen Jesus aus ihrer Mitte gehen lassen. Aber dieses Wunder konnte geschehen, und es nahm mit ganz einfachen Worten seinen Lauf: „Gebt ihr ihnen …!“ (Mt 14,16)

Merksatz: Nach dem Wunder ist vor dem Wunder.

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… wenn ich mich selbst überschätze, im Kontext dessen was alles gefordert wird …

„Du schaffst meinen Schritten weiten Raum“
Predigt in den Gottesdiensten am Sonntag, den 3. August in St. Anna

„…wenn ich mich selbst überschätze, im Kontext dessen was alles gefordert wird …“

Kerngedanken, Bilder und Ausblicke der Predigt
von Hochschulpfarrer Christoph Stender

Wer vom „Überschätzen“ spricht, der kann vom „Scheitern“ nicht schweigen. Wer aber so auch vom Scheitern sprechen muss, der sollte berücksichtigen, dass das Scheitern zwar jeden treffen kann, aber bei jedem einzelnen sich immer unterschiedlich darstellen wird und die Reaktionen entsprechend auch verschieden sich auswirken. Allgemein verbindliche Gedanken kann es zu diesem Thema in besonderer Weise also nicht geben. Daher ist meine Predigt heute kein geschlossener Entwurf, sondern ich möchte Ihnen Kerngedanken, Bilder und Ausblicke anbieten, die alle nur eine Annäherung sind. Diese Fragmente meiner Predigt sind eine Einladung bei sich selbst und der eigenen Erinnerung neu anzukommen.

Traumnote 1.0 im Abitur. Und Chemie, das war ihr Lieblingsfach, da war sie in jeder Unterrichtsstunde zielsicher, das System hatte sie durchschaut, jede Chemiestunde war für Sie ein gewonnenes Heimspiel. Dass sie Chemie auch studieren würde war spätestens seit der Jahrgangsstufe 11 klar. Und nun war es soweit. Sie loggte sich mit ihrer Matrikelnummer auf der Homepage des Lehrstuhls für angewandte Chemie im Internet ein, suchte nach den Klausurergebnissen, ging das Alphabet nach und sah ihren Namen. Dann geschah, was für die erfolgsgewohnte und selbstbewusste Frau nicht denkbar war. Sie sagte kein Wort und ihre Tränen nahmen ungezügelt ihre Bahnen durchs Gesicht auf den Pulli.

Fast zwei Jahre nach diesem für sie damals unfassbaren Ereignis, kamen ihr noch immer die Tränen, wenn sie von dieser Chemieklausur erzählte, die sie „damals“ nicht bestanden hatte.

Den meisten von uns dürfte klar sein, dass, würden wir uns heute nur vor die Chemieklausur einer 10. Klasse gestellt sehen, wir total überfordert wären. Wir würden das „Spiel“ auch gar nicht erst mitmachen, denn wir wissen: „Ich und Chemieklausur, das überfordert mich mit Sicherheit; und wer will schon als Versager da stehen.“ Wer sich so eindeutig überfordert sieht, der spielt normalerweise nicht mit dem Feuer. Wer überfordert ist, sich so fühlt oder wem die Überforderung prognostiziert wird, der weiß sich in unmittelbarer Nähe eines eigentlich alltäglichen Phänomens: Versagensängste! Solche Ängste allerdings haben oft das Scheitern schon im Schlepptau.

Wer dann in vielen Bereichen seines Lebens „objektiv“ gescheitert ist, den nennt unsere Gesellschaft Verlierer. Und wer verloren hat, der wird meist in unserer Gesellschaft fallen gelassen. Mit Verlieren stellt man nichts dar, so die traurige, am Erfolg orientierte Realität!

„Vornehm“ soziologisch ausgedrückt nennt man das dann einen „sozialen Abstieg“, andere bezeichnen Gescheiterte als Sozialschmarotzer, Penner oder wie auch immer herab-würdigend. Wie schnell man allerdings durch die sozialen Maschen unserer Gesellschaft fallen kann, haben Menschen erfahren müssen, die nie damit gerechnet hätten. So z. B. jene, die durch den Verlust ihrer Arbeit die Schulden bei der Bank nicht mehr begleichen konnten, denen in Folge die Hütte unter dem Hintern weggepfändet wurde, die sich dann als Hartz IV-Empfänger vorfanden und schämten. Viele von diesen Verlierern geht bis heute die Frage nicht aus dem Kopf, ob man an dem allen nicht vielleicht doch selber Schuld sei?

Scheitern aber ist nicht gleich Scheitern und auch das Versagen hat verschiedene Gründe, Facetten und Auswirkungen. Schauen wir noch mal auf die Chemiestudentin mit einem analysierenden Blick.

Eigentlich hat sie sich doch gar nicht überschätzt, sondern sie hat ihre bis dahin gemachte schulische Erfahrung, Chemie einfach drauf zu haben, übertragen auf die Chemieprüfung an der Universität. Diese Annahme aber war falsch, sie hat sich somit objektiv „nur“ geirrt. Subjektiv aber empfindet sie bis heute diesen Irrtum als ihr Versagen. Warum? Sie hat die Leistung nicht erbracht, die sie sonst von sich gewöhnt war. Und sie hat darüber hinaus nicht die Erwartungen bedient, die ihre Umgebung aufgrund ihrer bisherigen Erfolge hätte erwarten können. Aus der Perspektive der Eigen- und der Fremderwartung ist sie gescheitert. Ist sie nun gescheitert, oder hat die Perspektive und damit die Einschätzung nicht gestimmt. Die Begriffe Scheitern und Perspektive sind eng miteinander verknüpft. In der Analyse und der Planung unseres Handels ist die richtige Einschätzung der Perspektiven ein wesentlicher Schritt. Die realistische Einschätzung ist für das Management des eigenen Lebens evident, egal welchen Beruf ich erlerne, welches Studium ich anstrebe oder was auch immer Schwerwiegendes ich ansteuere.

„Manchmal muss man auch mal ein bisschen mehr fordern, das spornt an und hat noch keinem geschadet“. Solche und ähnlich klingende Sätze, auch als pädagogische Maßnahme verstanden, sind bekannt. Und es ist ja auch nicht von der Hand zu weisen, dass besondere Herausforderungen im Menschen Fähigkeiten und Talente wecken und veredeln können. So wollen Kinder z. B. besondere Herausforderungen meistern, um Anerkennung zu erfahren dafür, etwas Besonderes geschafft zu haben. Wer aber der Meinung ist „einen Menschen auch mal an seine Leistungsgrenze stoßen lassen zu wollen“, sollte sich ehrlich Rechenschaft darüber abgeben, wessen Interessen er verfolgt, eigene oder die des Betroffenen?

Man will mit anderen mithalten können! Dieser Meinung ist im Grunde eine große Mehrheit in unserer Gesellschaft. Dem Anderen sichtbar in etwas nachstehen, egal ob es nun Klamotten sind, Freizeit möglichkeiten oder Erlebnisse, das findet kaum einer wirklich gut. Der Grund: Man möchte in seinem Segment der Gesellschaft angesehen sein. Gemeint ist da nicht wirklich die Hochglanzgesellschaft, die uns oft in Medien präsentiert eher zum Träumen verführt. Nein, gemeint ist diese ganz normale Gesellschaft, mit der Sie und ich täglich so ganz allgemein zu tun haben: Kollegen, Nachbarn, Schule, Kegelklub, Bistro, Sportverein, Stammtisch, Pfarrgemeinde, Clique,…. eben was uns so umgibt, wenn uns denn da etwas umgibt.

Hand aufs Herz! Wollen Sie nicht auch hie und da mithalten können, um das Gefühl zu haben „ebenbürtig“ mit dabei zu sein, einfach dazu zugehören. Das ist doch einfach auch normal! Aber kennen sie nicht auch das Gefühl, wie schwierig das manchmal sein kann, meistens dann, wenn es auch nicht ganz billig ist, mit dazu zu gehören. Aber ist das noch normal?Und beschleicht Sie da nicht auch manchmal die Sorge, um mithalten zu können, sich selbst überschätzen zu müssen. Diese Sorge, die dann bis zur konkreten Angst heranwachsen kann! Sich selbst überschätzen, haben Sie damit Erfahrung gemacht? Kennen Sie das, sich selbst überschätzt zu haben, oder auch überschätzt worden zu sein, und dann eine Bauchlandung gemacht zu haben, vorsichtig formuliert. Und dann, kennen Sie das, vielleicht etwas verloren zu haben, weil Sie gescheitert sind, etwas endgültig nicht mehr erreichen zu können, vielleicht einen Jemand, eine Beziehung, sich selbst, den Glauben an sich, oder alles zusammen – einfach weg. Verbinden Sie mit überfordert- und/oder gescheitert sein Bilder aus ihrer Kindheit oder Bilder, die mit Schule, Ausbildung, Familie, Beruf, Freundeskreis, Vater, Mutter und Großeltern, Partnerschaft, Visionen und Träumen, Gottesbildern und Geheimnis etwas zu tun haben. Diese Bilder, die von Überforderung und Scheitern erzählen.

„Du schaffst meinen Schritten weiten Raum!“ So die Erfahrung der Menschen, die vor uns dem Gott getraut haben, den wir in Jesus Christus heute als unseren Gott bekennen. Diese Erfahrung machen und machten glaubende Menschen in sehr unterschiedlichen Gesellschaftsformen damals wie heute. Gott ist „Weite“ und diese Weite ist eine „Gesetzmäßigkeit“ Gottes. Wer sich auf ihn einlässt, der erfährt Weite, so die Erfahrung. Sich auf ihn einlassen bedeutet ihm zu vertrauen, ihm zu glauben. Glauben aber bedeutet mit Herz und Verstand begriffen zu haben, dass die Erlösung durch Christus mitten in unserer Welt heute schon greift und wirkt, nämlich da, wo Menschen sich befreit wissen von „der Angst um sich selbst“. Gottes Weite erleben wir da, wo wir uns befreien lassen „von der Angst um uns selbst“, diese Angst, die ständig nichts anderes im Blick hat als dieses „sich breitmachende Etwas, dass sich „Ich“ nennt“.

Aber was bedeutet diese von Gott geschenkte und im Glauben angenommene Weite mitten im Leben, in Ihrem, meinem, hier und jetzt? Welche Perspektive eröffnet sie, was haben wir von dieser Weite, was ist sie wert?

  • Nichts, wenn sie am Vorgartenzaun der Erwartungen und Vorstellungen anderer endet.
  • Nichts, wenn wir uns einspannen lassen in und für ein System, das nur noch am Limit scheint existieren zu können, und noch immer nicht begriffen hat, genau da auch zu scheitern.
  • Nichts, wenn wir uns auf eine selbst gebaute Insel in uns und so an der Welt vorbei zurückziehen, und meinen mit dieser Gesellschaft nichts am Hut zu haben, weil ja alles ach so schlecht ist.
  • Nichts, wenn wir weiter das Gesellschaftsspiel mitmachen, uns ständig und überall mit Anderen vergleichen und messen zu wollen, nur weil wir noch immer nicht einsehen können, letztlich im Vergleich mit anderen doch immer nur der Verlierer zu sein, weil es da immer einen gibt der schöner, wichtiger, anerkannter, schlauer und was auch immer ist.
  • Nichts, wenn wir immer noch meinen, alles sei irgendwie machbar, bei uns vor der Haustüre und in der großen weiten Welt und lustig uns verlassen auf den unbegrenzten Fortschrittsglauben, der unsere Kindeskinder auffressen wird.

Nichts haben wir von dieser Weite, wenn wir ihr nicht Platz machen, wenn die Weite Gottes in uns nicht Raum greifen kann, wenn die Weite scheitert an unserer Kleingeistigkeit, wenn Weite nicht gesellschaftsfähig ist weil sie Kraft zur Veränderung birgt. Wenn Weite in unseren Vorstellungen von Heute eingekerkert bleibt, dann dürfen wir uns zumindest darüber freuen nicht mehr auf Bäumen zu sitzen, und mehr noch, im Donner eines Gewitters, auch nicht mehr Gottes vernichtende Stimme zu hören meinen. Gottes Weite und Sie, seine Weite in Ihrem Leben, Gottes Weite in unserem Leben. Was hat diese Weite, die Jesus gelebt hat und an der er auch vordergründig gescheitert ist, mit unserem Leben zu tun. Was hat diese Weite in uns zu suchen. Sie hat in uns etwas zu suchen und auch eine wirkliche Chance dann, wenn wir sie etwas finden lassen wollen. Und die Weite Gottes in uns etwas finden lassen wollen, könnte mit diesen Worten beginnen, wenn Sie wollen:

Schenke mir eine gute Verdauung,
Herr, und auch etwas zum Verdauen.
Schenke mir die Gesundheit meines Leibes,
mit dem nötigen Sinn dafür,
ihn möglichst gut zu erhalten.
Schenke mir eine heilige Seele,
Herr, die das im Auge behält,
was gut ist und rein,
damit sie im Anblick der Sünde
nicht erschrecke,
sondern das Mittel finde,
die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.
Schenke mir eine Seele,
der die Langeweile fremd ist,
die kein Murren kennt und kein
Seufzen und Klagen,
und lass nicht zu,
dass ich mir allzu viel Sorgen mache
um dieses sich breitmachende Etwas,
dass sich „Ich“ nennt.
Herr schenke mir Sinn für Humor,
gib mir die Gnade,
einen Scherz zu verstehen,
damit ich ein wenig Glück kenne
im Leben und anderen davon mitteile.
Amen.

Thomas H. B. Webb (GL Nr. 8/3)

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Perlen unter Christen

Er wuchs auf in zwei Welten, empfand beide aber als eine Welt, als seine Heimat. Denn die Eltern verkörperten je die christliche und die muslimische Welt. Seine Eltern passten zusammen und diese zwei Welten so auch. „Nein, das habe ich mir nicht eingebildet“, sagt er im Rückblick. „Die Herzlichkeit meiner Eltern, ihre Weitsicht und ihre gegenseitige Wertschätzung ließen beide Welten selbstverständlich sein, auch wenn meine Eltern ihre Liebe füreinander verloren haben und sie nun geschieden leben.“

Im Studium pflegte er gefühlvoll seine beiden Welten weiter und besuchte freitags die Moschee und am Sonntag ging er in den katholischen Gottesdienst.

Doch dann geschah es an einem ganz normalen Tag. Unerwartet blühte ein Gedanke in ihm auf: „Ich möchte ganz dazugehören!“ Ali hat Pech: schwarze Haare, einen dunklen Teint und starken Bartwuchs. Er meint, ein längerer Bart würde ihm gut stehen, aber mehr als einen Fünf-Tage-Bart trägt er nicht mehr, die Leute schauen einfach komisch, so seine Erfahrung.

Ganz dazuzugehören bedeutet: sich entscheiden wollen. Das ist ihm klargeworden. Aber die Vergangenheit seiner „zweier Welten“ würde er nie verleugnen, geringschätzen oder relativieren. Sie waren das Fundament, um sich zu entscheiden, und er hat sich „f ü r etwas entschieden, aber nicht g e g e n etwas“. Das geht? Ali meint, das geht!

Warum er sich so entschieden hat, diese Frage stellte er im Gespräch selber, um sie dann auch gleich zu beantworten: „Weil ich angenommen wurde. Die sind für mich da ohne Wenn und Aber. Jetzt möchte ich auch etwas zurückgeben, das ist mein Schatz.“ Zugegeben, sein Schatz hält dem Vergleich mit Himmelreich und Perle nicht stand, und spektakulär ist die Geschichte auch nicht. Ali hat einfach seine Perle unter Christen gefunden, sie aufgehoben und seitdem hat er einen Taufnamen, Damian! Schön, dass es in unseren Reihen noch Perlen gibt.

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Unkraut denkt über Unkraut* nach

Unkraut!
Sein Geburtsdatum ist nicht bekannt, vermutet wird es zwischen 7 und 10 n. Chr. Er war ein gebildeter Mann, dieser Sohn vermögender jüdischer Eltern, ausgestattet mit römischen Bürgerrechten. Er gehörte der jüdischen Gruppe der Pharisäer an und war so etwas wie ein Laientheologe. Weil er die aufkommende junge christliche Gemeinschaft für eine abweichlerische Sekte hielt, bekämpfte er sie bis aufs Blut. Er konnte wohl nicht anders. Gestorben ist er zwischen 60 und 68 n. Chr. in Rom als Apostelfürst, und auch Sie kennen ihn!

Unkraut!
Er wurde 1181 geboren. Betuchte Eltern waren Garant einer sicheren Zukunft. Fromm und gottesfürchtig war seine Familie. „Aber wie konnte er nur so aus der Reihe tanzen?“, klagten seine Angehörigen. Das mit den Stoffballen, die er sich aus dem Lager des Vaters „geliehen“ hatte, um das Kirchlein zu renovieren, das wäre sicher schon in Ordnung gegangen, Eltern vergeben ja gerne. „Aber nackt vor dem Bischof und den Leuten dazustehen, um Kleidung wie Erbe abzulegen, der Freiheit zuliebe, wie konnte er uns das antun?“ Er starb 1226 in dem Ort in dem er auch geboren wurde, Assisi, als Heiliger verehrt, und auch Sie kennen ihn!

Unkraut!
Aufgewachsen in den 70ern oder so am Rhein. Mäßiger Schüler mit guter Kinderstube. Gerufen wurde er Guber. Warum? Keine Ahnung. Seine Kumpel hatte er sich nicht gut ausgesucht, die schlugen sich sogar und klauten, sagt man. Alle hatten damals ein treffendes Wort für die: Abschaum! Aber „Guber“ gibt es noch, mitten in unserer Kirche, mit Titel, immer mal ein bisschen anders. Dass es ihn gibt, tut nicht allen, aber einigen Menschen sehr gut, sagt man, und auch Sie kennen ihn!

Unkraut sind Menschen einer ungewollten Begleitvegetation, anzutreffen in Kulturpflanzenbeständen und Gartenanlagen, die aus dem Samenpotenzial des Bodens oder durch Lufttransfer ungewollt entstehen. „Es ist zu nichts nütze, also lästig, und damit unerwünscht.“ So sagt man. Und Sie?

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