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Eine Investition in Aachens Mitte

Circa 800.000 €, und viele Aachener Bürger werden wieder geteilter Meinung sein. Die einen werden diese Investition in das lokale Umfeld von Dom und Schatzkammer für unangemessen halten, andere diese befürworten. Wenn es um Investitionen, also erst einmal um Ausgaben geht, gerade in klammen Zeiten, kann man unterschiedlicher Meinung sein, muss sie aber wohl bedenken.

Also: Investition wofür? Aachen ist eine Stadt die besonders auch auf Besucher angewiesen ist. Einerseits hat die Stadt etwas zu zeigen, das sich anzuschauen lohnt, und dafür sind auch Touristen nun einmal notwendig. Darüber hinaus möchte z.B. der Einzelhandel dass Gäste auch etwas zurücklassen und meinen damit nicht ihren Müll sondern ihr Geld. Aus diesem Grund wird wohl in diesem Jahr wieder ein neues, lang ersehntes Einkaufszentrum (An St. Adalbert) entstehen, in dem dann der Aachener und seine Gäste irgendwann die Gelegenheit haben Geld zu lassen. Doch Aachen ist nicht nur Shopping, Aachen steht auch für Kultur und dafür stehen auch der Dom und seine Schatzkammer. Und genau dort soll investiert werden!

Wie die AZ in ihrer Ausgabe vom 16. Januar berichtete, sollen mittels Information und Kommunikation ein Teil der jährlich über 1 Millionen Dombesucher in einem neuen „Dom – Center“ vorab empfangen werden. Ziel dieser neuen Einrichtung sei es durch vorhergehende Einstimmung die Verweildauer der Besucher im Dom zu reduzieren, um so die schädlichen Oxidationsvorgänge einzuschränken, die durch die Schar der atmenden Dombesucher bisher entstehen.

Die Fachleute werden da hoffentlich Recht behalten, was den Schutz des Gebäudes angeht, aber: Wird nun in diesem neuen „Dom – Center“ der Tourist dann vor betreten des Doms mit Infos über die Domschätze konkreter informiert sein, wird er in Folge nicht, so meine Frage, auch im Dom genauer hinschauen wollen, was längeres Verweilen bedeuten würde? Und mehr noch: Eine gute Kommunikation im Vorfeld der Kunstobjekte und ihrer auch gesellschaftlichen und religiösen Bedeutung wäre eine Chance den Schatz unserer Stadt nicht nur als sehenswert zu vermitteln, sondern auch als verstehenswert, und das könnte wiederum die Verweildauer der Besucher verlängern. Das böte aber die Möglichkeit für Touristen, sich mit der kulturellen Botschaft des Domes intensiver auseinandersetzen zu können. Dies aber wiederum wäre ein Beitrag zu nachhaltiger Bildung, und dafür soll doch besonders investiert werden als eine langfristige – lebenslange Investition, sagt auch die lokale Politik.

Gratulation dem Domkapitel, der Bistumsleitung, den sie beratenden Damen und Herren und den „Europamitteln“ für dieses Engagement. Diese Investition ist nicht nur eine kulturelle, sondern hoffentlich auch eine in die Sehnsucht der Menschen auch über sich hinaus schauen zu dürfen, und das mit dieser Perspektive: Es ist sinnvoll und lebensrelevant sich mit dem christlichen Glauben, unserem Kulturgut auseinander zu setzen, und dafür stehen der Dom und unser Schatz!

Quelle: Aachener Zeitung, 24. Januar 2009
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Weihnachten – eine Frage der Bildung?

Die Krippenszene des Evangelisten Lukas und deren spätere Ausdeutung lässt diese einfache Frage zu. Denn mit Lukas sind an der Krippe präsent: Ochs und Esel, also die dem Menschen untergeordnete Tierwelt. Maria, die junge wohlerzogene Frau und neben ihr Josef, der einfache Zimmermann. Hirten mit ihren Schafen und einem „Leben aus dem Rucksack“. Heilige Könige aus verschiedenen Ländern und Kontinenten und mit ihnen eine Kultur zwischen Krone und Turban.

Lässt sich also daraus schließen, dass es schon an der Krippe ein Bildungsgefälle gab? Und gilt das nicht auch noch heute? Auch heute schauen unterschiedliche Kompetenzen auf das Ereignis Krippe!

Kinder mit ihrem klaren Blick für die – für ihre – Wirklichkeit. Erwachsene als ungelernte Arbeiter, Hartz-IV-Empfänger, Bildungsbürger, Theologen, Großverdiener, irgendwie normale Durchschnittsbürger, oder zwischen allen einfach nur der, der ein Obdachloser genannt wird.

Ist mit ihnen auch heute Bildung der Schlüssel, Weihnachten, Menschwerdung Gottes, die Heilige Nacht zu entschlüsseln? Bedeutet mehr Bildung mit Blick auf die Ankunft Gottes mehr verstehen, und weniger Bildung weniger verstehen?

Ist die Bildung in unseren Tagen also (immer noch oder wieder) Zugangscode zu dem Heiligen in unserer Welt?

An dieser Stelle gebührt dem Evangelisten Lukas ein schlichter Dank. Hat er uns doch mit seinen Worten ein Bild gezeichnet, eine Abbildung dessen geschaffen, das vor dem menschlichen Auge entstehen lässt und verstehen lässt, was der Mensch bei aller Bildung sich selber nicht schaffen kann, ein Bild aus der Bildlosigkeit.

Und so stehen vor einem einfachen Bild, einer Krippe mit Kind, Maria und Joseph, Ochs und Esel, inmitten der Welt zwischen Hirten und Königen, von Krone bis Turban der Mensch heute, der, spürt er noch genug Leeraum in sich, einer Krippe Platz geben kann.

Die Krippe und in ihr das Kind verbinden die Blicke all derer, die sich von den Augen eines Kindes durchblicken lassen, sich von dem Göttlichen in den Blick nehmen lassen. Das hat zur Folge: Die Menschwerdung Gottes lähmt Bildung, wenn sie einfach nur in Menschen den Durchblick ermöglicht auf das, was der Mensch sich selbst nicht geben kann, Heilige Nacht, das Dahinter einer sichtbaren Welt.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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Artgerechte Haltung und Präsentation sakraler Kunst

Von sehenswert zu verstehenswert,
museales Vermitteln zwischen Betrachter und Exponat

0. Kunst

Kunst ist im Kommen! Kunst wird in Deutschland wie in ganz Europa verstärkt zur Kenntnis genommen! Kunst ist ein Markt! Kunst ist ein Medium! Kunst ist ein Lebensgefühl! Kunst ist „eben“ da, verantwortet!

Einerseits ziehen Sonderausstellungen unterschiedlicher Größe bzw. Museumsevents zunehmend Menschen an. (Ausstellungen überbieten sich in Umfang oder Spezialisierung: „799 Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn“ 1999 in Paderborn, „Krönungen“ 2000 in Aachen, „Europas Mitte um 1000“ von 2000 bis 2002 in Budapest, Krakau, Berlin, Mannheim, Prag und Bratislava, „Ex Oriente“ 2003 in Aachen, „MoMA“ 2004 in Berlin, „Canossa“ 2006 in Paderborn, „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ 2006 in Magdeburg und Berlin, „Eine Liebe – Max Klinger und die Folgen“ 2007 in Leipzig und Hamburg usw.) Andererseits wandert zu immer höheren Preisen Kunst über Auktionen (aber auch dunkler) in private Wände. („Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner im November 2006 versteigert für 30 Millionen Euro, „Porträt der Adele Bloch-Bauer“ von Gustav Klimt im Oktober 2006 versteigert für 135 Millionen Dollar usw.)

Diese Phänomene sagen etwas aus über die „Strahlkraft“ von Kunst. Sie sagen aber noch nichts aus über die Aussagekraft der Kunst und darüber welche Motive leiten, so das Kunst zunehmend in bestimmten Milieus unserer Gesellschaft zur Kenntnis genommen wird und mehr. Auch ist Kunst nicht gleich Kunst was den ihr zugesprochenen Anspruch betrifft wahrgenommen, präsentiert bzw. vermittelt zu werden. Aber Kunst ist eben da und da, oder eben auch nicht! Deshalb ploppen zum Thema „Artgerechte Haltung und Präsentation sakraler Kunst“ hier automatisch Felder auf wie Museumspädagogik, Erziehungswissenschaft und Schule, Jugendbildung sowie Pastoraltheologie, die im Folgenden unterschiedliche bedient werden.

1. Am Anfang stand der Kelch da

Unabhängig Ihrer eigenen Überzeugung oder Gläubigkeit ist überliefert:
Bevor Jesus, der nach Tod und Auferstehung als Christus und später auch als der Sohn Gottes bekannt wurde, die für das Christentum bis heute zentralen Worte sprach: „…Trinkt alle daraus das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden…“ (Mt 26. 27f)1, stand schon zum Mahl bereit ein Trinkgefäss da.

Mit der Entstehung und Verbreitung des Christentums nahm auch die Häufigkeit ihrer – die (Haus) Gemeinden konstituierende – Abendmahlsfeiern (auch Gedächtnisfeiern oder Eucharistiefeiern genannt) zu und mit ihnen auch die Anzahl der dazu benötigten Kelche.

Der „Urkelch“, das Gefäß also, das Jesus zum Abendmahl benutzte, der damals als Trinkgefäß bereitstand und als solcher auch genutzt wurde, hat einen einmaligen Wert (Erinnerungswert). Weil er jedoch nicht mehr nachweisbar vorhanden ist, entstanden um ihn Mythen und Sagen, und besonders die Erzählung vom heiligen Gral fand in dem „Urkelch“ begründenden, aber auch immer neu wiederbelebenden Nährboden.

Wie dem „Urkelch“ kommen allen von Anfang an in der Eucharistie benutzten Kelchen die hervorhebende Bedeutung zu, nicht einfach nur ein profanes Trinkgefäß bzw. ein Brotgefäß zu sein, sondern ein „sakrales Gefäß“. Denn sie haben aufgenommen den in der Gemeinschaft der Glaubenden von Christus selbst (personifiziert durch den handelnden Priester) in der Kraft des heiligen Geistes gewandelten eucharistischen Wein, das Blut Christi. Ebenso das gewandelte Brot, den Leib Christi, beides die ungebrochene Kommunikation zwischen Gott und Mensch, und so in die Ewigkeit hinein aufgehobener Augenblick.

Primär deshalb, und nicht etwa aufgrund der materialen Gestaltung, kommt diesem liturgischem Gerät (Vasa Sacra) immer schon diese besondere Bedeutung zu, die eine entsprechend würdigende Handhabung zur Folge hat (haben sollte). Im Lauf der Geschichte verfügten die Gemeinden in oft sehr unterschiedlich gestalteten und zugeordneten Räumlichkeiten, die der Eucharistiefeier dienten nicht mehr nur über einen Kelch und eine Patene, sondern die Anzahl der Malgeräte und auch weiterer sakraler Gegenstände2 nahm in erster Linie mit der Zunahme der Liturgien selbst zu, bzw. mit der Entstehung weiterer Gottesdienstorte wie Kirchen, Klöster und Kapellen.

„Nur ist dieses Zahlenverhältnis von Kirchengebäuden und zugehörigen Vasa sacra niemandem bewusst, denn die letzteren sind nicht so augenfällig wie die Kirchengebäude, da die Geräte, ständig in Sakristeien und Tresoren verborgen, nur bei den Gottesdiensten verwendet werden und nur dabei auch zu sehen sind.“ (Fritz S. 14)

Weitere Situationen führten in der Geschichte gleichfalls zu einer Zunahme des liturgischen Gerätes. So z. B. ein zahlenmäßiger Anstieg der Gottesdienste aufgrund neuer Kirchenfeste, gewandelter Frömmigkeitsformen oder der Einführung neuer Gedenktage (Totengedenken, Heiligengedenken etc.).

Aber auch höherwertige Möglichkeiten der Materialverarbeitung, Wandel der Moden und Geschmäcker, Stiftungen und Spenden zu besonderen Anlässen trugen ihrerseits zu einer „Inflation“ des Gerätes bei.

Ebenfalls aber wurde Sakrales Gerät zu allen Zeiten auch „entsorgt“. Wo aber verblieb das aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr genutzte sakrale Gerät, wenn es zum Beispiel einer „neuen Mode“ weichen musste, zu schlicht schien für den Gebrauch in der Eucharistiefeier oder auch zu pompös bzw. defekt war?

Eine kaum zu beziffernde Anzahl liturgischer Geräte verschwand in dunklen Kanälen der Geschichte, ob nun eingeschmolzen, vergraben, zweckentfremdet, untergegangen oder wie auch immer verschollen. Gerade im 20. Jahrhundert gingen so manche sakrale Geräte und ebenfalls auch ausgemusterte liturgische Gewänder als gute Gabe in die Missionen der „Dritten Welt“.

Aber trotzdem verfügt auch heute noch fast jede Sakristei über einen kleinen Kirchenschatz in den oberen oder hinteren Schränken verborgen aufgehoben oder intern präsentiert. Denn von nicht mehr genutztem Altargerät sich rigoros zu trennen ist schwierig, oft auch tabuisiert aufgrund von Gefühlen und Traditionen.

Immer wieder aber wurde liturgisches Gerät auch exponiert, also als besonders erhaltenswert eingestuft und aus dem Gebrauch heraus in den musealen Kontext überführt. So avancierten viele sakrale Geräte auf Grund ihres Alters, ihres materiellen Wertes und ihrer Gestaltung zum Kunstwerk, anfänglich erst nur aufbewahrt, später gesammelt und heute museal präsentiert!

2. Aufheben, sammeln, museal präsentieren

Mit der stetig zunehmenden Ausdifferenzierung des menschlichen Lebens in den vergangenen Jahrtausenden, ordnete der Mensch zunehmend bestimmten Orten in seiner Umgebung unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen zu. Neben den Orten einer alltäglichen Ordnung, an denen z.B. gekocht, geschlafen und gearbeitet wurde, gab es auch Orte der gehobenen Ordnung, die in erster Linie der Verehrung der Götter dienten oder der Beisetzung von Verstorbenen.

Um nur ein zeitnahes Beispiel zu nennen sei hingewiesen auf die vor zwei Jahren von Archäologen in Eulau bei Naumburg in Sachsen-Anhalt gefundene, einzigartig exponierte steinzeitliche Grabanlage aus der Epoche der Schnurkeramik, die vor ca. 4400 Jahren dort angelegt wurde3 und einmal mehr die Besonderheit bestimmter Orte für die Organisation menschlichen Lebens rückblickend belegt.

Je mehr sich die Notwendigkeit der Bewältigung und Gestaltung des Lebens durch den Menschen im Laufe der Zeit ausdifferenzierte, umso mehr Orten wies der Mensch bestimmte und besondere Ordnungen zu. Diese Orte sollen dem Menschen helfen grundlegend seinen Alltag zu ordnen, um ihn dadurch im Alltag vom Alltag zu entlasten. So entstanden unterschiedliche Orte, die z. B. der Lagerung von Speisen dienten, deren Zubereitung sowie deren Verzehr. Andere Orte dienten und dienen bis heute der Kommunikation, der Repräsentanz, der Pflege, der Aussonderung, des Rückzugs, der Aufbewahrung, der Produktion, dem Ackerbau, der Verehrung und dem Kultus, um nur einige zu nennen.

Das Sammeln im engeren Sinne nimmt da seinen Anfang, wo im Kultraum bestimmte Gegenstände nicht wegen ihres pragmatischen Nutzens aufbewahrt wurden, sondern weil ihnen magische und/oder symbolische Bedeutsamkeit zugesprochen wurde.

Da der Mensch spätestens mit seiner „Selbst – bewusst – Werdung“ begann Dinge aufzuheben, ob nun Gegenstände der pragmatischen Alltagbewältigung, Dinge die der Erinnerung dienten oder schmückendes Stückwerk, so schaffte er sich auch besondere Orte des Aufhebens und Bewahrens. Zielgerichtet aufgehoben und gesammelt wird aber erst seit circa vier- bis fünftausend Jahren, so z. B. Schrifttafeln und Schriftrollen. Beispielsweise mit der Erfindung des Buchdrucks nahmen auch die Sammlungen von Büchern in Bibliotheken zu. Zu den wohl ältesten Bibliotheken der Welt gehört der Grundstock der heutigen Nationalbibliothek in Prag. Ihre Gründung kann man mit dem Jahr 1366 verbinden, in dem Karl der IV. der Universität von Prag mehrere Kodizes schenkte.

Der Inbegriff des Sammelns ist heute verbunden mit dem Begriff und dem Ort des Museums. Ursprünglich bezeichnet Museum (von griechisch mouse?on bzw. lateinisch museum: „Musensitz“) eine Sammlung künstlerischer oder wissenschaftlicher Exponate. Die Geschichte der modernen Kunstsammlungen beginnt in Italien mit der Frührenaissance des 14. Jahrhunderts. Es wurden ordnend Sammlungen von Antiken, Münzen, Kameen sowie Werken zeitgenössischer Kunst der jeweiligen Epochen angelegt. So entstanden an den Höfen des gehobenen Adels umfangreiche Kunstkammern und bedeutende Kunstsammlungen, die aber eher nur den privilegierten Menschen zugänglich waren und weniger breiteren Bevölkerungsgruppen.

Mit dem Übergang vom 18. ins 19. Jh. verloren die fürstlichen Kunstkammern an Bedeutung und das bürgerliche Museum prägte sich langsam aus. „Das British Museum geht schon ins 18. Jahrhundert zurück, das Musée Napoléon wurde 1803, die Nationalgalerie in London 1838 gegründet.“ (Vieregg S. 27) Seit dem 18. Jahrhundert werden auch die Gebäude so bezeichnet, in denen Sammlungen für die Öffentlichkeit zugänglich ausgestellt wurden. Wurde zunächst nur „Gleichartiges“ dort aus der Zerstreuung zusammengetragen präsentiert, entfaltete sich das explizite Sammelinteresse, und darüber hinaus wandelte sich das Museum Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr zu einem Ort der wissenschaftlichen Erforschung musealer Exponate. In den sechziger Jahren entstanden in vielen Museen Zusatzabteilungen für Museumspädagogik, die Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bis heute einen spezifischen Zugang zu den Kunstwerken ermöglichen sollen.

Vier Grundaufgaben dient auch heute noch das Museums, welche es gleichzeitig aber auch existentiell legitimieren: Sammeln, forschen, erhalten und präsentieren. Und weiter nimmt das vordergründige Paradoxon seinen Lauf: „Exponate werden aus dem Verkehr gezogen und trotzdem gewartet“ (Pomian S. 17)

3. Schatzkammern heben Schätze auf

Unter dem Oberbegriff Museum vereinen sich ganz unterschiedliche Sammlungen und Methoden, diese zu präsentieren. Auf den ersten fachlichen Blick und sicherlich auch aus der Perspektive der meisten ihrer Besucher können die so genannten Schatzkammern dazu gezählt werden, in denen sakrales Gerät und religiös motivierte Kunst zusammentragen und museal präsentiert werden.

Ihrer Entstehung voran geht jedoch nicht wie beim „herkömmlichen Museum“ das gezielte Sammeln von Exponaten, sondern das Aufheben von nicht mehr oder kaum noch benutztem sakralen Gerät und religiösem Bildwerk.

Räumlich gesehen sind die Schatzkammern den Sakristeien der Kirchen entwachsen, welche ein Aufbewahrungsort der aktiv benötigten sakralen Geräte waren, bzw. ein Ankleidungs- und Vorbereitungsort für die primären Akteure in den Liturgien. Neben den Schatzkammern, die heute oft in räumlicher Nähe zu Kathedralen und Domen zu finden sind, verfügen weiterhin auch die „einfachen“ Kirchen über eine Sakristei, die in erster Linie auch weiterhin der Vorbereitung auf den Gottesdienst dient. Also: Nicht das Sammeln von kunstvoll gestalteten und wertvoll bestückten Gegenständen war das Ziel, sondern die Schatzschränke und Schatzkammern wurden nötig, um wertgeschätztes und wertvolles jedoch aus dem liturgischen Gebrauch ausrangiertes liturgisches Gerät (fachgerecht) aufzuheben. Der Wandel war so vollzogen, was einst noch einen Gebrauchswert hatte hat nun einen Tauschwert. 4

An diesen Orten fanden dann auch jene, einstmals mit „Nichts“ aufzuwiegenden Reliquienbehältern Asyl, die der Verehrung durch die Gläubigen in aufgeklärter Zeit nicht mehr dienen konnten, sollten oder auch durften. Schatzkammern bewahren sakrales Gerät und religiös motiviertes Bildwerk das nie dafür geschaffen und bestimmt wurde einfach nur aufgehoben zu werden, sondern dazu geschaffen wurde in Aktion hinweisend gebraucht zu werden, was es nur museal ausgestellt nicht mehr „leisten“ kann. Doch darf heute bei der zweckentfremdeten musealen Präsentation dieser „Gerätschaften“ mehr erwartet werden als das, dass sie einfach nur „gewichtet herumstehen“?

Und was erwartet der Besucher, dem z.B. liturgische Rieten und Gebräuche eher fremd sind, oder der, der besonderen Wert legt auf seine passive Religionsfreiheit (im öffentlichen Raum)?

4. Museen dienen

Ob man sich nun in einer Bildergalerie, einem Museum einer Schatzkammer, einer Pinakothek oder sonst einem umbauten Raum befindet in dem Kulturgut bekannter Weise museal behandelt wird, in jedem Falle geht der Besucher davon aus, dass dort etwas ausgestellt wird, also das es etwas zu sehen gibt.

Ein leeres Museum ist eigentlich zwecklos, eigentlich. Auch wenn es in einem Museum etwas zu lernen, zu verstehen oder zu kombinieren gäbe, zuerst will der allgemeine Besucher etwas sehen, das es in seiner normalen Umgebung so nicht oder nicht mehr zu sehen gibt!

Nachdem der Besucher also das klassische Prozedere Kasse, Garderobe, (Toilette), Kartenkontrolle absolviert hat, betritt er in der Regel einen Ausstellungsraum, deren Inhalt seine Erwartung bedient, nämlich hier etwas in den Blick nehmen zu können für das er sich auch weitestgehend entschieden hat, spätestens während er sich der Kasse näherte. Mit dem ersten als solches ausgemachten Ausstellungsstück ereignet sich dann möglicher Weise ein „Zwischen“ von Exponat und Gegenüber. Während das Exponat in der Regel nur aktiv als Werkfakt da steht, also aktiv sich nicht verhalten kann, hat ihm gegenüber der Besucher (dem Museumskonzept entsprechend) unterschiedliche Möglichkeiten sich zu verhalten. Hier tut sich ein Spektrum von Verhaltensmöglichkeiten auf beginnend bei einem gleichmäßigen und selbst entschiedenen Schlendern von Exponat zu Exponat, über ein Hopping zu dem immer wieder nächsten, augenfällig erscheinenden – oder auch besonders positionierten – Ausstellungsstück, bzw. der geführten Begehung zu besonders aussagekräftiger Kunst, bis hin zu einer angeleiteten Aktion, methodisch didaktisch ausgereizt vor ausgesuchtem Kunstwerk.

So ganz „passiv“ sind die Exponate, besser jene, die sie im musealen Kontext positioniert haben, aber auch nicht. Verfremdungen, Lichtverhältnisse, der Raum, die Beschaffenheit von Vitrinen und Sicherheitsvorkehrungen sowie die Präsentationsdichte etc. spielen für das Gesehenwerden eines Exponates durch das potentielle Gegenüber eine wesentliche Rolle. Der Betrachter soll eben hinschauen, dazu ist er ja auch gekommen, und sehen, vielleicht aber auch erkennen, verinnerlichen, durchdringen, verstehen, „berühren“ (vielleicht) …?

Noli me tangere, aber berühre mich nicht! Dies ist eine fast selbstverständliche Verhaltensweise der meisten derer, die ein Museum oder ähnliche Ausstellungsorte besuchen. Mit dem Begriff Sammeln und der Präsentation von Sammlungen im öffentlichen Raum scheint diese Haltung einherzugehen. Abgesehen von einigen wenigen museumspädagogischen Konzepten z. B. in Naturkundlichen Museen oder in Technikmuseen, die vorsehen ausgewählte Exponate ausdrücklich zu berühren, ist doch meistens Zurückhaltung angesagt, will man doch das Gesammelte auch erhalten.

Nur wenige weltweit bekannte Kunstwerke wie z.B. die Petrusstatue im Petersdom zu Rom sind so „hart gesotten“ ständiger Berührung stand zu halten. Doch auch die Petruszehe des linken Fußes der Statue wird daran glauben müssen wenn das mit der Berührung so weiter geht. Darf Kunst also auch vergehen, durch Gebrauch verbraucht werden?

5. Es ist – geschaffen zum Gebrauch

Die meisten zu Kunstwerken erhobenen Vasa Sacra wurden nie dazu geschaffen normal angefasst zu werden, sollten sie doch eher von den Blicken der (frommen) Betrachter gestreichelt werden.

Sie anzufassen war oft nur „geweihten“ Händen vorbehalten.

Diese Tatsache darf auch für die Funktionsbestimmung von sakralem Gerät nicht übersehen werden, denn keines der heute unter musealen Bedingungen ausgestellten Kleinodien z. B. mittelalterlichen Handwerkes ist jemals dazu geschaffen worden, hinter Glas den Blicken heutiger Betrachter und Betrachterinnen museal feil geboten zu werden.

Was heute bei konstanter Temperatur aufgehoben und gelangweilt oder begeistert angeschaut werden darf, waren ursprünglich keine Kunstwerke, sondern von besonders begabten Handwerkern gestaltete Gegenstände, die in erster Linie für den liturgischen Gebrauch bestimmt waren. Ihre außergewöhnliche und aufwendige Gestaltung lag nicht in dem Bestreben der Schaffenden, von ihrer Nachwelt Künstler genannt zu werden, sondern in der Tatsache, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dem gerecht zu werden, der erstes Ziel allen liturgischen Handelns war und ist: Der verehrenswürdige Gott, der als ein anwesender und somit für die Existenz des Menschen als ein relevanter Gott erfahren wurde. So, also ursprünglich bezogen hatten diese Kultgegenständes wertschätzende, hinweisende, erzählende, bergende und dienende Funktionen. Eine Monstranz zum Beispiel diente während einer Prozession dazu, auf das Zentrum des christlichen Eucharistieverständnisses, die Gegenwart Jesu Christi im eucharistischen Brot hinzuweisen.

Die Karlsbüste, heute in der Domschatzkammer des Aachener Doms museal präsentiert, diente im Sinne der mittelalterlichen Reliquienverehrung der „Begegnung“ mit dem verstorbenen und lokal als Heiligen verehrten Kaiser Karl. Verehrende Berührung wurde gewollt und ersehnt. Retabeln hatten die Funktion, den Gottesdienstbesuchern im Verlauf einer sprachlich für sie oft nicht nachzuvollziehenden Liturgie (der lateinischen Sprache waren oft selbst die Priester nicht mächtig), das Mysterium des Lebens, Sterbens und der Auferstehung Jesu Christi im Bild zu vergegenwärtigen. Diese Bildretabeln dienten einem elementaren Wesenszug der christlichen Gemeinden, nämlich dem eine Erzählgemeinschaft zu sein, wenn nicht im allgemeinverständlichen Wort dann doch im gemeinsam angeschauten Bild.

So dienten diese Gegenstände dem Erzählen und der religiösen Sinnorientierung. Sie waren in gleicher Weise aber auch hinweisende Zeichen, vergewissernde Anschauungsobjekte, Schmuck für das nicht Fassbare und Blickfang für das Verehrungswürdige „hinter“ dem sakralen Gegenstand. Diese Gegenstände sind keine Dekoration, sie verweisen auf den Horizont der Antwortfindung des (damaligen) Menschen, bezogen auf seine existenziellen Fragen, wie die nach dem Woher und Wohin des Lebens, die der Bedeutung von Leiden, Schmerzen und Liebe, und nicht zuletzt auch der nach dem Tod und der ewigen Wahrheit.

Dem liturgischen Gerät voraus ist also das (der) ganz Andere, die einmalige Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Ihr entspringen der Glaube und seine Ausdrucksformen. Dem Glauben immer wieder voraus geht das Hören auf die Erzählung der Offenbarung, Gotteswort in Menschenwort. Der Glaube und seine Praxis -in der Überlieferung weitergegeben- lässt Glaubenstradition entstehen. Dazu gehören auch die den Glauben zum Ausdruck bringende Gottesdienstformen und die ihnen sinnenfälligen Kulte sowie deren liturgischen Geräte und Gewandung. Ohne Vollzug sind die liturgischen Geräte an dieser Bestimmung gemessen sinnlos und so wertlos für das liturgische Erleben der Gemeinde.

Aber ursprünglich in der Liturgie verwendet und ihr dann entzogen, haftet diesen Geräten (nicht unbedingt nur aus der Perspektive derer, die sich am Kult beteiligten) etwas an, etwas Sakrales eben, sind diese vasa sacra doch mit etwas „Übernatürlichem“ in Berührung gekommen. Dies wird auch heute oft noch empfunden, ohne dass magische Kräfte beschworen werden sollen. Vielmehr kommt hier noch etwas „zum Tragen“ das mittelalterlich bis in die Neuzeit hinein auf Kirchengüter bezogen so formuliert wurde: “ Was Gott einmal übereignet war, gehörte ihm für immer.“5 (Angenendt S. 381) Aber weniger die Besitzstandwahrung Gottes „sein“ sakrales Gerät betreffend ist Grund für den Verbleib liturgisch „ausrangierten“ Gerätes in musealem Kontext. Das Material aus dem sie gefertigt sind und die Kunsthandwerklichkeit derer die sie „geschaffen“ haben sind heute, wie schon angedeutet, der primäre Grund sie museal zu präsentieren, nicht mehr.

6. Vom „es ist sehenswert“ zum „es ist verstehenswert“

Der amerikanische Philosoph Nelson Goodman vertrat in der Diskussion um die Positionierung der Museen in den 1990ern Jahren die Auffassung, „das Museum sei ein Schutz vor Blindheit“6

Bezogen auf die Funktion des Museums heute vertritt Michael Eissenhauer, Präsident der Interessenvertretung der Museen, dem Deutschen Museumsbund, mit anderen Worten einen sehr ähnlichen Standpunkt:

„Die Museen sind Erinnerungsmaschinen, große Erinnerungsarchive, die – ähnlich wie Archive, in denen schriftliche Zeugnisse aufbewahrt werden – die Zeugnisse unserer kulturellen Vergangenheit bewahren. Eine Erinnerungsmaschine, mit der wir im Stande sind uns zu vergewissern, aus welcher Vergangenheit wir kommen, welche Kulturleistungen unsere Geschichte hervorgebracht hat, es dient der Orientierung, es dient der Bildung.“7

Kurz gesagt: Museen sind Merkposten der Bildung, das kulturelle Gedächtnis unserer Gesellschaft. Sie dienen der Orientierung und Klarsicht. Ein besonderer Beitrag diese Intention zu stärken ist der 1977 vom internationalen Museumsrat ausgerufene „Museumstag“. Im Interview mit Eissenhauer zum Museumstag 2004 hebt dieser hervor:

„Unsere Museen sind schließlich keine reinen „Objektspeicher“, vielmehr setzen sie sich in einem umfassenderen Sinne als Vermittler kultureller Werte ein. Mit dem diesjährigen Motto „Kulturelle Tradition als lebendiges Erbe“ rücken vor allem die „nicht greifbaren“ Traditionen, also Sprachen und Mundarten, regionales Handwerk, Spiele, Musik, Tänze oder Gebräuche, in das Blickfeld der Öffentlichkeit.“8

Damit ist unterstrichen dass es nicht ausreicht die Sachhinweise eines Exponates auszuweisen wie z.B. Entstehungszeit und Raum, Material, Titel, Verarbeitung oder Vergleichsstücke. Denn auch die Tradition des Exponates in der es steht und mit ihr auch das „nicht greifbare“ gehören präsentiert! Ausgestellt gehört somit nicht nur das „Sehenswert“, sondern auch das „Verstehenswert“.

Diese Intention fördert auch die UNESCO, wenn sie aus dem was z.B. ursprünglich mal in Deutschland Nationalerbe genannt wurde auswählt und weltweit aus allen Nationen ebenso besonders erhaltenswerte Kulturgüter auszeichnet mit dem Titel Weltkulturerbe. Schützenswert ist hier nicht nur das „materielle“ Objekt, sondern auch das „immaterielle“ Erbe der Menschheit, wie Zeugnisse von Gebräuchen und Ritualen, Musik, Theater, Tanz, Quellentexte, Literatur etc.9

7. Schatzkammern = Verstehenswert

Das gilt in hervorragender Weise für die (Dom) Schatzkammern. Denn das dort auf das Maß eines Exponates reduzierte und aus seiner natürlichen Umgebung entfernte sakrale Gerät und Bildwerk muss orientiert werden um im Sehen und Verstehen der Betrachter zurück weisen zu können über sich selbst hinaus. So ist es dem Betrachter möglich aus der Rücksicht den Blick zu schärfen für die durch das Ausstellungsstück eventuell ermöglichte Aussicht.

Im Vergleich zu einem Dinosaurier, einem ausgestopften Rieseneichhörnchen, einer Versteinerung oder eines aufgespießten Schmetterlings, die ebenfalls aus ihrem ursprünglichen Kontext entfernt wurden um museal präsentiert zu werden, hat liturgisches Gerät und Kirchenausstattung eine nicht vergleichbare, da transzendente Aussagekraft.

Darüber hinaus stellen Schatzkammern keine „ausgestorbene“ Spezies welcher Art auch immer aus. Ausgestellt werden ja Gegenstände, die meist noch voll „funktionsfähig“ sind, und deren Nachfahren oft in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ausstellungsort noch einen „Dienst“ tun.

Dieser Umstand verpflichtet in besonderer Weise dazu, an Hand der Exponate eine aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein präsente Kultur an diesem Ort nicht zu verschweigen.

Sakrales Gerät museal präsentiert ist nur dann „wirklich da“, wenn es in seinen originären Bezügen zu „Wort kommt“ und nicht nur auf Handwerk, Material und Alter reduziert wird. Klar sollte aber immer bleiben: Schatzkammern sind keine Kirchen (und umgekehrt)! Es darf aber auch nicht vergessen werden, dass mit dem, was kirchliche Domschatzkammer zu bieten haben, nicht neutral umgegangen werden kann. Denn die Besucher einer Schatzkammer bringen (noch) verschiedene Deutungsmuster in ihren Hinterköpfen mit, auf Grund derer sie die in den Blick genommenen Exponate versuchen zu deuten, zuzuordnen und/oder zu identifizieren.

Nur welche Deutungsmuster von den Besuchern mitgebracht werden und in wie weit sie den Exponaten entsprechen bleibt dahingestellt. Anzunehmen ist allerdings: Da das Allgemeinwissen über den christlichen Glauben und seine rituellen Ausdrucksformen schwindet, scheinen auch die Deutungsmuster der Besucher, zusammengestellt aus Resterinnerungen und medialer Kommunikation, eher rudimentär bis falsch zu sein. Trotzdem, auch in einer Schatzkammer muss gewährleistet bleiben, dass die Exponate auf den Betrachter „wirken“ können. Das schließt aber nicht aus den Besucher auch „hinzuweisen“, damit er ansichtig des Exponates von einem sehenswert zu einem verstehenswert gelangen kann und so selbst auch mitgenommen wird.

Doch was ist wenn der Besucher davon gar nichts wissen will? Wenn er einfach nur mal so „neutral“ schauen möchte, er mal eben nur um Kunst zu konsumieren gekommen ist und auf Tiefgang hinter dem zu Sehenden keine Lust hat?

Soll man dann nicht doch besser wieder die Schwelle für weniger gebildete und interessierte Menschen höher legen, sprich den Zugang erschweren um den Tempel Museum rein zu halten von den „Banausen“. Also wie es mal war: Einlass nur für Privilegierte, auch mit Hund erwünscht!

Solche Einstellung provoziert die Frage, welche Rücksicht ist eigentlich maßgebend? Die punktuelle oft einer situativen Stimmung unterworfene Verfasstheit der Besucher, oder die Verantwortung gegenüber der Geschichte eines jeden Exponates?

Diesbezüglich hat die Museumspädagogik die Aufgabe, zu versuchen, der Befindlichkeit des Besuchers gerecht zu werden und ihn zu motivieren um die „Kommunikation“ zwischen ihm, dem Betrachter und dem ihm präsentierten Exponat zu optimieren.

Der Begriff „Kommunikation“ impliziert hier aber auch das „Recht“ des Exponates dass über es Rechenschaft abgelegt wird.

Beides ist nicht zu trennen, darf aber auch nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sakralgeräte ohne ihren Kontext und ihrer Bedeutungsgeschichte museal zu präsentieren ist bezogen auf Kulturvermittlung nicht nur eine sehr fragwürdige Präsentationsform, sondern fördert einen konsumierenden Materialismus, der das Haben eines Museums bedient, nicht aber das Sein dessen, was ein Museum „hat“.

8. Vermittle! Ein Schlüsselbegriff.

Kommen wir zurück zu dem Gegenstand, der am Beginn dieser Ausführungen im Mittelpunkt steht, der Kelch. Junge Menschen können oft mit diesem Begriff Kelch noch etwas anfangen, sollte aber eine Deutung des Wortes doch fehlen, dann helfen Begriffe wie Pokal oder Becher um die Funktion erschließen zu können, die einem Kelch zukommt, nämlich ein Trinkgefäß zu sein. Ist nun ein solcher Kelch in einem Museum ausgestellt, dann erschließt sich seine Funktion durch Anschauung, auch wenn die Gestaltung verglichen mit heute allgemein üblichen Trinkgefäßen eher auffällig ist.

Bis hierher bedarf es keiner besonderen Vermittlung. Aber ist bis hierher auch schon alles darüber gesagt, weshalb dieser Kelch museal präsentiert wird? Gerade wegen der auffälligen Gestaltung, könnte man schließen, sei er museal exponiert. Aber wird das dem Anspruch gerecht, dass über das Ausgestellte auch Rechenschaft abzulegen ist, damit das Exponat mehr ist als nur ein gespeichertes Objekt in einem Objektspeicher? Hier kommt ein zentraler und zukunftsweisender Schlüsselbegriff der Museumspädagogik zum tragen: Vermitteln!

Vermitteln klingt vordergründig erst einmal recht unspektakulär und langweilig, schwingen doch solche Begriffe mit wie auf etwas zeigen, hinführen, aufmerksam machen, erklären, interessieren, näher bringen, belehren, veranschaulichen oder entfalten.

Auf das Exponat und sein „Gegenüber“ bezogen, also in einer normale Museumssituation, geht es mit der Vermittlung allerdings um alles, denn es geht um das Exponat sowie um seinen Betrachter, und somit um alles was ein Museum einer allgemeinen Öffentlichkeit zu bieten hat, spektakilär! Anders formuliert: Es geht darum, entweder nur einen Kelch gesehen zu haben, oder mit dem Kelche eine „Geschichte“ erleben zu können, die geeignet wäre ganz konkrete Anknüpfungspunkte an die eigene Biographie zu ermöglichen.

9. Anknüpfungspunkte: Assoziationen zu Kelch

Hier nur einige wenige Assoziation zum Thema Kelch, die z.B. die Art einen Kelch im musealen Kontext zu präsentieren und zu kommunizieren beeinflussen könnten: Kelche dieser Art standen auf Tischen, auf Altären in Kirchen, Klöstern und winzigen Kapellen. Kelche stehen an diesen Orten auch noch heute, täglich in jeder europäischen Stadt. Sie werden gebraucht!

Die Geschichte des Kelches an solchen Orten beginnt vor über 2000 Jahren. Sie beginnt an einem einfachen Tisch, der bereitet wurde für Menschen. Dann wurden Menschen von einem Mann namens Jesus von Nazareth eingeladen, an ihn einen Stuhl zu rücken. Die Menschen kamen gerne, und sie waren willkommen so wie sie Platz genommen haben. Sie aßen miteinander, erzählten, achteten aufeinander und plötzlich ergriff dieser Jesus das Wort und erzählte an diesem Tisch von dem was ihm schon sehr bald widerfahren würde. So brach an diesem Tisch Zukunft an. Er erzählte eine ganz neue Geschichte, seine Geschichte, eine die so bisher an keinem Tisch dieser Welt je gehört war.

Mit dieser Geschichte, dem Vorgriff aus der Gegenwart in die Zukunft die mit dem Erzählen auch schon begann, erahnten die, die sich Zeit und um den Tisch Platz genommen haben, worum es an diesem Tisch gehen würde. Sie bekamen ein Gefühl für diese neue noch nie da gewesene Qualität einer Kommunikation. Immer noch stand dieser Kelch da. Ein neues Zeitalter ihres Miteinander war dramatisch angebrochen. An diesem Tisch ging es nun nicht mehr nur um Essen und Trinken, sondern es ging um das eine Leben, ja das nackte Überleben derer die diese Augenblicke um diesen Tisch versammelt lebten. An diesem Tisch wird diese Kommunikation zum Lebensmittel, an diesem Tisch gereicht, erlebt aus einem Becher getrunken, von einer Schale genommen. Miteinander essen wurde hier zu einer Kommunikation die weit über das hinausreichte was gesagt, gereich, geteilt und ausgetauscht wurde. An diesem Tisch begann ein Traum: „Einen Tisch träume ich, unendlich in allen Dimensionen, ungezählten Menschen bietet er Platz, an dem Hände sich berühren, Blicke sich treffen und Worte Antworten hören. Einen Tisch träume ich, der selber allen Gastgeber ist, jeder – so gewollt – wie Platz genommen, und von jedem willkommen geheißen. Einen Tisch träume ich an dem kein Mund leer und trocken bleibt. Worte werden gereicht, Lieder gesungen zum Geschenk und an dem ein Stück Brot und ein Schluck Wein satt machen auch für das morgen, irgendwann mit Dir.

Ich träume ein Mahl das trägt, und das von allen Gesichtern dieser Welt lebt. Ein Krümel die Welt sättigt und einen Schluck Wasser spüren lässt, dass einer aller Gastgeber ist!“10 Und er nahm den Kelch und reichte ihn…

Ein Kelch hinter Glas präsentiert erzählt all das nicht! Von sich aus gibt er all das nicht preis, deshalb bedarf es der Vermittelung. Denn Horizonte würden verloren gehen, wenn solche Assoziation, die ein solcher Kelch zulässt, und die einen solchen Kelch zulässt, verschwiegen würde!

10. „Schatzansichten“ vermitteln11

„Schatzansichten“ hieß eine Ausstellung die 2001 in der Domschatzkammer in Aachen zu sehen war. Ihr Ziel war es, den dort ausgestellten Exponaten ihren Hintergrund zurück zu geben, also von sehenswert zu verstehenswert. Der Anlass für diese Ausstellung war das Gefühl für die Sehnsucht nach Zukunft, das Leben wollen, den Glaube an Gott, die Hoffnung auf ein unzerbrechliches Leben, den Wunsch nach Selbstannahme, die Frage nach dem Ewigen, die Bitte nach Liebe und in allem die gläubige Verehrung eines spürbaren aber nicht zu habenden Gottes der Menschen damals, greifbar geworden in ihrer Liturgie und den sakralen Geräten wie sie sie damals genutzt haben: Unsere heutigen Kunstwerke hinter Glas.

– Damals wie heute eine gemeinsame Sehnsucht

Diese Kunstwerke spiegeln den Kniefall längst verstorbener Menschen wieder vor dem für sie unerreichbaren und unberechenbaren Gott, oft in der Gewandung eines wenig reflektierten Glaubens.

Gleichzeitig lassen sie aber auch den aufgerichteten Menschen vergangener Zeiten spüren, der in solch einzigartigem Können und einer ausgefeilten Ikonographie sich nicht scheute, ihrem Gott gefallen zu wollen. Wenn wir heute in einer beschleunigten Welt und der so genannten postmodernen Zeit ein anderes Selbstverständnis von uns selbst entfaltet haben und somit auch andere Gottesbilder als diese uns vorgängigen Generationen, so stehen wir ihnen in einem nicht nach: Die Sehnsucht nach dem was ist, ohne das es durch Menschenhand geworden ist, dem Verlangen noch dem Göttlichen und damit auch verbunden der Wunsch nach einer unzerbrechlichen Liebe, die jeder menschlichen Erfahrung widerspricht.

Trotz dem sehnt sich der Mensch heute noch immer nach vollendeter Liebe, nach geglückter Selbstannahme und Geborgenheit in unwandelbarem Sinn und Sein. Das ist die Hoffnung der Menschen damals wie der heute, die auf den Gott unserer aller Vorfahren setzen möchte, dem Gott der von sich im Ersten Testament der Heiligen Schriften sagt „ich bin, ich bin da“ (Vgl. Ex 3, 14) und den wir trotzdem oft meinen schon längst überholt zu haben, nach dem aber auch heute noch immer Menschen fragen und suchen!

Weltfremd aber wäre, wer nicht auch die ungezählte Menschen im Blick hat die zwar ähnlich Hoffnungen haben wie hier angedeutet, diese aber in keiner Weise mit einem Gott in Verbindung bringen, schon gar nicht mit einem konkreten Gott und für die ein personaler Gott undenkbar ist. Und so treffen sich in einer Schatzkammer „Insider“ und „Outsider“, ihre Abgrenzungen werden hier eher fliesender, die etwas sehen wollen, vielleicht auch weiter als nur bis zum Exponat. Liegt es da fern zu behaupten, dieser Schatz hat auch uns heute mehr zu sagen als nur ein fast keimfreies museales Weltkulturerbe der Menschheit zu sein?

– Zerbrechliche Brücken

Aus der Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung: „Ich möchte kleine zerbrechliche Brücken bauen, auf denen sich Menschen diesen erzählenden Kunstwerken mit Hilfe meiner stammelnden Worte anders nähern können als es in der Regel üblich ist, um zu entdecken, dass diese von Menschenhand geformten Werke überragenden Könnens ihren Ursprung in den Hoffnungen haben die wir heute mit allen Generationen vor und wohl auch nach uns teilen.“

Diese Texte, die professionell mit Hilfe von Lichtbändern, Fahnen, Wasserspielen, Bildschirmen; Rauminstallationen und verschiedene Schrifttypen an und in Raumelementen präsentiert wurden entstanden in der Betrachtung der Exponate, auf die sie sich in dieser Ausstellung beziehen sollten. Mit dem „betreten“ dieser Textbrücken zwischen Betrachter und Exponat sollte der Betrachter in einer ungewöhnlichen Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk anders bei sich und seinen Fragen wieder ankommen. Die Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung endete mit dieser ungewöhnlichen Hoffnung:

„Ich hoffe das diese Texte eine kleine, wenn auch zerbrechliche Brücke sind, über die Sie gehen können um zu spüren, diese Schätze bergen etwas von dem, was der größte Schatz Gottes, der Mensch selbst in sich trägt, die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben das sich von Gott nicht allein gelassen weiß.

In diesem Sinne gebe ich keine Antworten, sondern ich möchte im besten Sinn des Wortes „provocare“ provozieren, herausrufen.“

– Reliquie, eine aktuelle Provokation

Für den Insider haben Reliquien einen „aufgeklärten“ Wert, anders wohl als im Hochmittelalter. Reliquien und Aachen gehören seit dem frühen 9. Jh. zusammen, greifbar in der Verehrung Kaiser Karls und der alle sieben Jahre stattfindenden Heiligtumsfahrt mit ihren vier großen Heiligtümern. Outsider, also die gefühlsmäßig kompetente aber nicht erhobene Mehrheit des Homo Touristikus, halten Reliquien für dubios und antiquiert. Dagegen tritt ein Text der Ausstellung aus dem Reliquienraum der Aachener Domschatzkammer an. Gefasste und ungefasste Reliquien (hier Knochen), eine ganze Vitrine voll, stellen den Betrachter vor eine auch ihn selbst irgendwann mal erreichende Wahrheit, die dann auch seine Wahrheit ist. Durch das Glas der Vitrine hindurch und über die Knochen hinweg war folgender Text auf einer großen weißen Stoffbahn (Leichentuch) zu lesen:

Zurück – gelassen für die Zukunft

Reliquien tragen der Zukunft hinterher
was gestern auf das Schöne, Gute und Gläubige reduziert
vorgestern ein Mensch war
der zurück ließ
was Menschen heute
als Schatz in ihren Herzen bergen
und nun sich verneigen
vor Überresten
die all das nicht mehr sind
was sie zu sein auch nie vorgaben.

Reliquien machen nicht traurig!

Die Visionslosigkeit der Menschen
Reliquien nicht mehr nötig zu haben
macht traurig
weil der Mensch vergessen hat:
Verehrung deutet Leben
das in der Verneigung die Gegenwart überdauert
und so dem Menschen auch heute
die Chance gibt:
Reliquie für die Zukunft zu sein! 12

 

– Auf den Leib projiziert

Der letzte Satz gekürzt „Reliquie für die Zukunft“ wurde mit einem speziellen Spot auf den Boden des Raumes projiziert13 mit dem Erfolg, dass wenn ein Besucher durch diesen Lichtkegel ging diese Worte auf seinem Rücken oder der Brust erschienen. So war für Momente dem Besucher auf den Leib geschrieben „Reliquie für die Zukunft“ zu sein. Er, eine Reliquie für die Zukunft? Eine Irritation! Eine Provokation!

11. Vermitteln für die Zukunft

Vermittlung bleibt eine wesentliche Kommunikationsform unserer Gesellschaft insofern die Weitergabe von (exponierten) Kulturgütern auch weiterhin als identitätsstiftend betrachtet wird.

Vermitteln bedeutet im musealen Kontext konkret Interesse am Besucher zu haben, und dieses Interesse auch entfalten zu wollen14. Vermittlung zu wollen, und diese auch experimentell zu entfalten, ist, bezogen auf Schatzkammern eine Leitungsentscheidung. Diese sollte konsequent in das grundlegende Konzept einer wie auch immer gearteten musealen Präsentation eingebunden sein.

Aber auch mit Blick auf die vielen Exponate, die in ganz normalen Kirchen Land auf Land ab zu finden sind, ist Voraussetzung für deren Vermittlung sie sichtbar werden zu lassen und ihre „Geschichten“ zu wollen, um dann ggf. auch unkonventionelle Wege zu gehen um diese zu veröffentlichen. Das Thema Vermittlung allgemein auf die Kirche und ihre Schätze bezogen ist auch ein spezielle Zukunftsfrage und somit eine der Existenzfragen der Präsenz von Kirche.

Vermittlung bedarf der Kreativität und Kreativität bedarf eines gewissen Freiraumes. In Freiräumen kann Wandel geboren werden. Wandel aber ist ständig einer Bedrohung ausgesetzt, der Ängstlichkeit derer die „wachen“ und meinen immer nur „das Beste“ zu wollen. Ihnen müssten die Augen aufgehen angesichts der Kunstschätze und der damit verbundenen Möglichkeiten, anstelle sie aus gutmeinender aber falscher Sorge zu verschließen und zu verschweigen.

Auf zukünftige Generationen hin zu vermitteln ist eine Verpflichtung die sich aus dem Erbe ergibt das Wir geerbt haben, Weltkulturerbe. Und Wir das sind die, die heute über Vermittlung nachdenken (oder leider auch nicht).

Denn so lange irgendwo permanent museal ein Kelch ausgestellt wird, gilt auch weiterhin: „Am Anfang stand der Kelch da…“ (Siehe 1. Kapitel)


1 Vgl.: Mk 14. 24ff, Lk 22. 20ff, 1. Kor 11. 25ff

Ziborium, Patene, Monstranz, Pyxis, Reliquienbehälter, Ostensorium, Peristerium, Custodia, Aspergill (Weihwasserwedel), Ölgefäß etc.

3 Quelle: http://www.stern.de/wissenschaft/mensch/:Eulau-Steinzeit-Friedhof/544653.html, 10. 11. 2007, 17.45 Uhr.

Vgl.: Vieregg, Hildegard. Museumswissenschaften, 2006. S.17

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass „gottgeweihte Kirchen“ und die dazugehörenden Besitzungen sowie Mönche und Ordensfrauen aus dem „Besitzstand“ Gottes nicht entlassen werden konnten, wohl aber sakrales Gerät profanisiert werden konnte um dann aus dem Erlös des eingeschmolzenen und verkauften Materials den Armen zu geben.

Andreas Blühm, James M. Bradburne. Vorwort in: Impressionismus, Wie das Licht auf die Leinwand kam. Ausstellungskatalog Wallraf-Richaetz-Museum & Fondation Corboud, Köln, 29. Februar – 22 Juni 2008.

Michael Eissenhauer im Interview mit Anette Schneider in „Deutschlandradio Kultur Zeitreisen“: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/zeitreisen/581070/, vom 5.11.2007 (15. Mai 2008, 19.00 Uhr)

8http://www.museumstag.de/contenido/cms/MuseumsMagazin_PDF/MM_Interwiev1.pdf, 29.05. 2008 18.20 Uhr.

Vgl.: Vieregg, Hildegard. Museumswissenschaften, 2006. S.32.

10 Vgl.: Stender Christoph, Schatzansichten. Grenzecho Eupen, 2001. S. 37

11 Bildmaterial zu dieser Ausstellung ist im Internet zu finden unter: http://www.christoph-stender.de/projekte/schatzansichten.html

12 Stender, Christoph. Schatzansichten. Grenzecho Eupen, 2001. S. 53.

13 Entsprechende Ansicht findet sich im Internet unter: http://www.christoph-stender.de/projekte/rundgang15.html.

14 Aus dieser Intention heraus sind folgende Publikationen entstanden: Stender, Christoph. Pilgern ist Leben, Vom Glauben erzählt aus dem Aachener Dom. Einhard Verlag, 2007. Stender, Christoph. Wenn Träume landen, Der Aachener Dom belichtet in Wort und Bild. Einhard Verlag, 2006. Stender, Christoph, Domgefühl und Schatzeinsichten. Einhard Verlag, 2005.

 

Literatur:

Angenendt, Arnold. Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Wissenschaftliche Buchgemeinschaft, 1997

Fritz, Johann Michael. Das evangelische Abendmalgerät in Deutschland. Evangelische Verlagsanstalt, 2004

Pomian, Krzysztof. Der Ursprung des Museums. Klaus Wagenbach Verlag, 1998

Stender, Christoph. Schatzansichten. Grenzecho Eupen, 2001

Vieregg, Hildegard Katharina. Museumswissenschaften. Wilhelm Fink Verlag (UTB), 2006

Veröffentlichung in „Engagement“, Aschendorff Verlag, 4. Quartal 2008.
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Danach der mir voraus

Einfach nur unvoreingenommen da sein zu wollen, geht nicht. Wer da ist, der ist auch schon (vor) eingenommen von denen, die vor einem da sind. Denn egal zu welchem Zeitpunkt, an welchem Ort oder von welchem Gedanken angetan, uns voraus war immer schon mindestens einer da. Das ist so! Den findet jeder von uns, ob er das nun will oder nicht, nur so ist Dasein möglich! Ja selbst der erste Mensch auf dem Mond konnte sich nicht wirklich sicher sein, ob da nicht doch schon einer vor ihm da war, oder? Mit Sicherheit! Und wir selbst sind die, die in diesem System von „davor und danach“ aufgehen, denn wir sind jene, die denen vorausgehen, ohne die, die „Nachkommen“ nicht da wären. Jeder muss sich wohl in eine Schlange stellen, sich einordnen und das nicht nur vor Kassen.

Und so bleibt die Frage, auf wen ich schauen will: Auf den, dem ich nachgehe, also dem, der vor mir steht? Auf mich selbst, der Dazwischen? Oder auf den, der mir nachsteht, der nach mir kommt? Und so geschaut, gibt es auch nur ein zentrales Generationenthema: Können die davor, die jetzt und die danach einander sich lassen? Rückblick: Dieser Christus hatte Glück, denn der, der vor ihm da war, schaute auf ihn, der nach ihm kam und nicht auf sich selbst. Johannes investierte alles, was er war und vor Jesus wurde, in den, der nach ihm kam, in diesen Jesus, und zeigte so von sich weg auf ihn.

Johannes war wer! Er hatte Format, weil er mutig genug war, auf den zu verweisen, der nach ihm kommen sollte, und mit dem mehr kam, als Johannes bieten konnte. Johannes muss das wohl gelernt haben durch die, die wiederum ihm selbst vorausgingen.

Generation zu sein, das hat was, wenn wir auf jene zurückschauen, die vor uns waren, kritisch und dankbar, und auf jene die nach uns kommen, hoffnungsvoll, und auf uns selbst, nicht allzu geduldig. Kurzfassung: Generationalität ist der Grund, auf einer Erde zu überleben mit Blick auf den, der …!

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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Der Zauber des geschriebenen Wortes

Die Idee lag schon in den Wehen, als die ersten Zeuginnen und Zeugen noch erzählten. Erzählen zu wollen und auch nicht anders zu können, damals, war der Nährboden dieses Zaubers vom Beginn des aufgeschriebenen Wortes.

Von Mund zu Mund gaben sie weiter, in ihren Worten, was sie gehört und gesehen hatten. Mal waren sie gestammelt, dann wieder verkündet, herausposaunt oder hinter vorgehaltener Hand nur anvertraut.

Alltagsgeschwätzigkeit damals erstarrte im Atem derer, die ihr Wort gaben, obwohl sie von dem sprachen, was in Worte kaum zu fassen war und ist. Denn unaussprechlich ist, wenn Gott den Menschen berührt!

Aber der Berührte kann nicht anders, als nach Worten zu suchen und mit ihnen zu ringen, um zum Ausdruck zu bringen das Erlebte. Weil, verschwiege er das Erlebte, die Begegnung mit Gott würde ihn ersticken lassen an nicht gefundenen Worten.

Was mag der Evangelist Markus empfunden haben, als er begann, das Gehörte zu befreien von der Vorläufigkeit menschlichen Atems in das geschriebene Wort?

Die Sehnsucht ist es, dass nichts von der Berührung verloren gehe, keines seiner Worte, keine seiner Gebärden, auch wenn in Worten nicht zu halten ist, was geschah. Doch kein Wort ist vergebens, ob gelesen oder in den Mund genommen, wenn es wirkt. Dieser Zauber des Anfangs, einfach nicht schweigen zu können und dann ein Stück Papier heranzuziehen …

Danke Markus!

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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Christkönig – die eine Frage

Bist du hungrig?
Sorry, aber das ist keine Einladung zum Essengehen, wir kennen uns doch gar nicht.

Bist du hungrig?
Das ist auch nicht die Antwort auf die Frage an der Straßenecke: „Haste mal etwas Kleingeld für mich.“

Bist du hungrig?
Ist auch nicht die Standardfrage an den Filius beim Shoppingmarathon samstags in der City, die für ihn nur ein Ziel hat: den Hotdog.

Bist du hungrig?
Darauf zielt auch nicht die Lautsprecherdurchsage ab, die jeden Tag pünktlich um 11.22 Uhr durch Altenheime in Deutschland säuselt: „Liebe Heimbewohner, das Mittagessen ist bereitet!“

Bist du hungrig?
Meint auch nicht abgezappelte und verschwitzte Typen, die bei der Wochenendparty so um 23 Uhr gemeint sind mit der Frage: „Wo steht eigentlich der Salat, den du mitgebracht hast?“

Bist du hungrig?
Ist ebensowenig am optisch schon übersättigenden Büfett die Feststellung derer, die auch zukünftig dafür kräftig zahlen werden.

Bist du hungrig?
Das ist die Frage. Selbst das Abendmahl, zu dem Jesus einlud und einlädt, es sollte und soll nicht Mägen füllen. Jesus, der Christus, ruft die Menschen nicht, um ihre Bäuche zu füllen, sondern um sie ein für alle „Mahle“ zu sättigen, um sie zu übersättigen mit all dem, was uns so satt sein lässt, um dann Unerwartetes aufzutischen, fast beiläufig, sich selbst.

Die Frage an Christkönig lautet also: Bist du Ihn satt, oder verhungerst du gerade ohne Ihn? – Bist du hungrig?

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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Die Kleinigkeiten der Kleinen

Im Kleinen nahm er seinen Hut und sagte: Ich bleibe bei der Wahrheit.

Im Kleinen war ihm die Mehrheit egal und er vermutete nicht, der Ausländer sei schuld.

Im Kleinen ist die Sorge der Kollegen um ihren Arbeitsplatz auch seine Sorge.

Im Kleinen nervte ihn nicht die Bitte des Obdachlosen um eine kleine Unterstützung.

Im Kleinen sagte er laut, dass die Zulagen der Spitzenverdiener Schweinerei sind.

Im Kleinen spendete er, auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

Im Kleinen lebte er seinen Glauben öffentlich, auch wenn andere das uncool finden.

Im Kleinen fühlte er sich mitverantwortlich und warf seinen Müll nicht in die Botanik.

Im Kleinen nahm er sich selbst nicht ganz so ernst und lachte auch mal über sich selbst.

Im Kleinen folgte er nicht den Kumpels und schlug nicht auch noch drauf.

Im Kleinen urteilte er: Unrecht bleibt Unrecht, egal welche Nationalität es betreibt.

Im Kleinen ist er ganz normal freundlich und hält für andere die Türe auf.

Er oder sie, die Kleinen sind eben nur die Kleinen. Aber viele Kleinigkeiten der Kleinen zeugen von Größe – im Kleinen …!

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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Schandfleck „gute Stube“?

So häufig wie in den letzen Monaten bin ich noch nie durch die „gute Stube“ Aachens gegangen. Eigentlich bin ich in der kleinen Grünanlage mitten im Aachener Zentrum auch mehr stehen geblieben als gegangen.

Aber nicht nur bei mir „genießt“ das, was vom Elisengarten momentan noch übrig ist, besonderes Interesse. Auch Einzelpersonen und kleinere Gruppen, die aufgrund der Digitalkameras – die sie unablässig vor dem Auge tragen – als Touristen auszumachen sind, verlangsamen ihren Gang in Höhe Elisengarten. Schaut man ihnen dann ein wenig „auf’s Maul“, bekommt selbst ein Wahlaachener, wie ich es einer bin, einen nach innen gewandt roten Kopf.

Denn da wird gesagt, wie auch gestern zu hören: „Die pflegen ihre Stadt aber nicht schön, da liegt ja überall nur Schutt und Müll herum“. Sprachfetzen verschiedener Herkunft und Idiome, gepaart mit verdrehten Blicken und nach unten gezogenen Lippen machen unmissverständlich deutlich: „So etwas ist eine Zumutung! Einige Kiddies nehmen es da eher sportlich und bekundenden lauthals: „In diesem Festzelt zappelt aber auch keiner mehr ab.“ Recht haben sie, zumindest, was die Funde angeht! Allerdings auf den Punkt gebracht meinen nicht nur Touries: Aachens „gute Stube“ ist ein Schandfleck. Sicherlich ist der Elisengarten und der unmittelbar umbaute Raum drumherum keine optische Augenweide. Bauten werden saniert und umgebaut, Kabel verlegt, Gehwege aufgerissen und mitten drin wird gebuddelt. Aber was die einen voreilig, oft nur auf Grund äußerer Anschauung als Schandfleck bezeichnen, nennen anderen eine Fundstelle, ein Fenster in die Geschichte unserer Stadt, einen kleinen Querschnitt in die Urbanisierung Aachens.

Ich würde gerne noch einen draufsetzen. Im Elisengarten wird die (historische) Identität unserer Stadt und ihrer Bewohner „gestreichelt“. In die Vergangenheit hinein zu graben, etwas erfahren zu wollen, Vergangenes zu deuten, das Leben gestern heute begreifen zu wollen bedeutet das Fundament unserer lokalen Kultur zu wertschätzen. Solche Wertschätzung stiftet Identität und baut mit an einer Kultur des heutigen Umgangs miteinander, fußend auf dem Umgang mit unserer lokalen Vergangenheit.

Anerkennung ist denen zu zollen, die Mut zu diesem „Schandfleck“ haben, die offen legen was unter weißen Planen „gehoben“ wird, die einladen den Fund des Monats zu besichtigen, die dokumentieren und erläutern und die versuchen zu vermitteln, das „nicht immer schön“ auch mal Sinn macht. Der Elisengarten heute steht unserer Stadt gut zu Gesicht! Gerne schau ich immer mal wieder vorbei, was es Neues zu sehen gibt. Ich freue mich aber auch schon auf den Frühling.

Quelle: Aachener Zeitung, 1. Oktober 2008
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Ich will leben

„Ich will leben“ klingt in allen Menschen, von allen Orten, wird zum Chor der Kontinente. Kaum ein Lied dieser Welt ist nicht getragen von dieser einen Melodie: „Ich will leben!“ Leben hat nur eine einzige wirkliche Hausmacht, den Frieden. Dieser Gewissheit entspringt auch die Kraft die unsere Bewegung in Bewegung hält. Denn ohne die schützende Kraft des Friedens ist die Sehnsucht der Lebenden, leben zu wollen, nur ein Abgesang. So muss weiter um den Frieden gerungen werden. Da ist Pax Christi ein Weg.

Im Menschen steigt immer wieder dieses „Ich“ auf, das Angst hat um sich selbst. Vielfältige menschenverachtende Antworten haben Menschen aus dieser Angst heraus in die Welt gesetzt wie: Den Anderen nicht zu zulassen, ihn zu meiden, ihm die Teilhabe zu verweigern, ihn auszugrenzen, zu verurteilen, ihn zu verfolgen, ihn wegzusperren, zu verbieten, Bildung zu enteignen, zu verhindern, wegzumobben, abzuschneiden. Diese dunkle Welt-Erfahrung wird errichtet von Menschen, die sich ihren dunklen Gedanken überlassen, die in Machtphantasien sich selbst zu den Mächtigen machen, die einem Wahn gewollt sich ergeben.

Das Streben nach einem angstfreien Leben

In diese Welt hinein gab sich Gott in Jesus Christus ein Menschengesicht, um sich neu denen zu offenbaren, die er nach seinem Ebenbilde schuf. Mit Christus rief Gott den Menschen heraus aus seiner Angst um sich selbst. Doch der Mensch krönte Christus, das Bild Gottes, mit den Dornen seiner Angst, tötete den Anderen und sagte dabei zu sich: Ich, ich bin mächtig. Und trotzdem beschlich ihn wieder diese eine Angst.

Der Mensch hätte begreifen können, wie sehr die Worte des Friedens auf seinen eigenen Lippen ausgetrocknet sind. Und bis heute bleibt im Angesicht Jesu Christi jede unserer Friedeiisanstrengungen nur eine Annäherung an das Wort des „Friedens“ aus Jesu Mund. Der Friede, den wir zu ermöglichen versuchen, ist ein dahin gehauchter Frieden, bedroht von Verflüchtigung, Unterwerfung, aber auch von Hoffnungslosigkeit. Trotzdem und gerade deswegen sind wir als Christinnen und Christen, wie alle Menschen guten Willens auch, herausgerufen, Frieden in unsere Welt hinein hauchen zu wollen. Denn Gott setzt weiter seine Hoffnung in unsere menschliche Kraft, dem Frieden immer wieder eine Gestalt zu geben, mit unsren Händen, auf unsren Gesichtern. Dies gilt auch für unsere Bewegung Pax Christi. Ihre Strukturen und Gewohnheiten bedürfen vor diesem Hintergrund der Überprüfung. In die Zukunft geschaut fragen sich viele Pax Christi-Mitglieder sorgenvoll: Wie lautet zukünftig unsere Botschaft, gerichtet an die junge Generation, also an die Menschen, die Pax Christi auch weiter bewegen sollen? Diese Botschaft in die Zukunft hinein sollte ein Lebensgefühl sein, der Angst um sich selbst nicht mehr erliegen zu müssen, vorgelebt und vermittelt in Räumen, in denen junge Menschen leben und sich selber erleben können.

Eine neue globale „Marke“

Mit einer gemeinsamen Melodie sind wir, der fremde aber auch der scheinbar vertraute Mensch, keine Bedrohung mehr. Der große Chor der Kontinente und die Melodie leben zu wollen, hält das Ziel jeder Friedensarbeit konkret vor Augen. Dieses Ziel ist eine Vision, die immer entscheidender in die Hand der jüngeren Generation gelegt ist. Von dieser Vision darf Generationen übergreifend geträumt werden.

Dies ist ein Weg, auf dem junge Menschen eigenverantwortlich erleben können, überkommene Werte selber zu relativieren. Vielleicht könnte dann in einem solchen Kontext folgender Dialog zwischen zwei Jugendlichen entstehen: „Wie, ist eine neue Marke, aber Klamotten sind nicht gemeint?“ Antwort: „Ja, denn es gibt auch etwas für drunter, Friedenssehnsucht, Angstfreiheit und Freude am Anderen. Ein neues Label eben und eines mit Zukunft!“

Von einem Tisch geträumt:
Einen Tisch träume ich
unendlich in allen Dimensionen
ungezählten Menschen bietet er Platz
an dem Hände sich berühren
Blicke sich begegnen
Worte Wiederklang finden
Einen Tisch träume ich
der aller Gastgeber ist
jeder – so gewollt – wie Platz genommen
einfach willkommen
Einen Tisch träume ich
an dem kein Mund leer
kein Herz trocken bleibt
Worte werden gereicht
die nach Dank schmecken
Lieder gesungen
einfach zum Geschenk
Ein Stück Brot und ein Schluck Wein sättigen
auch für diesen Morgen
jenseits von Raum und Zeit
mit Dir
Ich träume ein Mahl das die Menschen vereint
von allen Gesichtern dieser Welt lebt
ein Krümel die Welt sättigt
und ein Schluck spüren lässt:
„Du bist aller Gastgeber,
Gott“

 

Christoph Stender ist Geistlicher Beirat von pax christi Aachen und Hochschulpfarrer in Aachen. Der Text ist gekürzt aus seiner Predigt beim Festgottesdienst zum 60. Jubiläum in Kevelaer am 3. April 2008.
Erschienen in: pax zeit: Zeitschrift der deutschen Sektion der internationalen katholischen Friedensbewegung pax christi, September 2008, S. 9
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Zu spät? Das hat was …

„Wer zu spät kommt, den straft das Leben“ (zugeschrieben Michail Gorbatschow)! Ist das eine sachliche Feststellung, eine theoretische Erkenntnis, ein Wunsch, eine Hypothese, Aufforderung, dummes Geschwätz, Binsenweisheit oder lustvolle Prophetie im alltäglichen Miteinander unter uns Menschenkindern, nach dem Motto: „Zu spät!

Pech gehabt und tschüss“?

Was es auch immer sein mag, diese Behauptung stimmt nicht unbedingt. Zu spät ist nicht immer zu spät. Wer also dieses „Zu spät“ festlegen und definieren will, der sollte wissen, dass subjektives Maß nicht allgemeine Maßgabe sein wird. Grund dafür sind Gleichnisse wie das von den „ungleichen Söhnen“. Denn hier bedeutet zu spät zwar spät, aber noch zeitig genug! Christus hat einen Wandel der Vorzeichen von Zeit initiiert. Aus dem allgemein gültigen „Zu spät und tschüss“ ist ein „Spät, aber doch noch früh genug – zum Neuanfang“ geworden.

Es scheint vor Gott kein „Zu spät“ zu geben, zumindest nicht in dieser absoluten Art, wie wir es meinen, denken zu müssen. Konkret: Wer meint, zu spät zu kommen, oder wem aufgebürdet wird, durch Mehrheitsbeschluss zu spät zu sein, für den ist, nach neuer Lesart, Leben dennoch reserviert. Denn hinter jedem „Zu spät“ wartet doch noch „Jemand“.

Der pünktliche, „gut glaubende“ Mensch bekommt davon nichts mit, er ist ja da, eben pünktlich, nicht zu spät, und er wird bekommen, was ihm zugestanden ist. Und während dem Pünktlichen von allen anderen Pünktlichen Ehrerbietung zugetragen wird, ist Gott damit beschäftigt, offenbar zu schauen, ob nicht doch noch einer „zu“ spät kommt.

Wer zu spät kommt, den belohnt Gott nicht, aber er hat noch etwas für ihn übrig, eine Hand voll Leben. So gesehen ist das Modell „Zuspätkommer“ der ungeahnte Hit unter Gottes Himmel, ein Lied vom Leben. Aus christlicher Perspektive betrachtet, irrt dann wohl Herr Gorbatschow mit seiner Erkenntnis: „Wer zu spät kommt …“. Und nicht nur der!

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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