Von Christoph Stender und Anita Zucketto-Debour
Mentorate als Lern- und Erfahrungsort lebendiger Liturgie für angehender Religionslehrer und Religionslehrerinnen
Sie ist bekannt, die sogenannte Trias, bestehend aus Diakonia, Martyria und Liturgia. Und überall dort, wo Christinnen und Christen auf dem Weg sind, sollte diese Trias „Wegbeschreibung“ sein. Bezogen auf das christliche Individuum ist sie identitätsstiftend, somit wohl auch bezogen auf die meisten kirchlichen Strukturen, in denen Menschen zusammenkommen, wie z. B. in Gemeinden, Verbänden, Ordensgemeinschaften und Einrichtungen zur Ausbildung pastoralen Personals.
Bezogen auf die Präsenz der Trias in kirchlichen Strukturen gibt es aber auch Ausnahmen, und eine davon sind die Mentorate für Lehramtsstudierende mit dem Fach katholische Religion.
Auf den einzelnen Lehramtsstudierenden hin, der sich als Christ bezeichnet, gilt natürlich die Herausforderung der Trias, nicht aber auf das „Wesen“ der Institution Mentorat, welches die Aufgabe hat, die Studierenden neben der universitären Qualifizierung differenziert zu begleiten.
Mentorate sind keine Gemeinden
Die Mentorate für Lehramtsstudierende der katholischen Theologie sind keine Kategorialgemeinden. Sie sind bischöfliche Einrichtungen, die auf das Theologiestudium bezogen primär verpflichtende, aufs Referendariat zukünftiger Religionslehrer und Religionslehrerinnen hin fakultative Relevanz haben. Ihre Aufgabe ist es, angehende Religionslehrerinnen und Religionslehrer in ihrer persönlichen Kompetenz zu stärken, ihnen Lernfelder des Glaubens zu eröffnen, das Spektrum Kirche im Fragment zu vergegenwärtigen und Möglichkeiten aufzuschließen, diese Erlebnisfelder kompetent zu reflektieren.
Vom Kirchenverständnis her liegt die gemeindliche Verortung der Lehramtsstudierenden zzt. primär in den Pfarrgemeinden, in den katholischen Hochschulgemeinden oder in spirituellen Gemeinschaften, nicht aber in den Mentoraten. Das bedeutet selbstredend allerdings nicht, dass Mentorate auch Orte christlicher Kommunikation sein können und, soweit es das personelle Angebot ermöglicht, auch sein sollten.
Auf die Aufgaben der Mentorate in Deutschland bezogen benutzten wir ganz bewusst den Begriff der Eröffnung von „Lernfeldern des Glaubens“. Denn wenn auch die gemeindliche Feier der Liturgie (Sonntagsliturgie) nicht Aufgabenfeld der Mentorate sein kann, so doch deren schrittweisen „Erlernung“. Das klingt vordergründig widersprüchlich.
Das blanke Entsetzen ist keine Perspektive
Deshalb eine kurze Situationsanalyse der Lehramtsstudierenden mit Blick auf ihre liturgische Bildung und Erfahrung.
Noch ist es ein Erfahrungswert, aus über 100 entsprechenden Gesprächen in 2010 erhoben, der aber noch wissenschaftlich untermauert werden wird und der besagt, dass mindestens 60% derer, die beginnen das Fach Theologie zu studieren mit dem Ziel, Religionsunterricht erteilen zu wollen, keine liturgische Erfahrung, geschweige denn eine liturgische Bildung mitbringen. Bei den verbleibenden ca. 40% der Studierenden sind deren Erfahrungen eher rudimentär, abgesehen von denen, die liturgisch in der XXL Variante groß geworden sind und zwar mindestens 10 Jahre als Messdiener, inklusiv Gruppenleitung und als Oberministrant (in).
Nun kann man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und wehklagen: „Was sind das nur für junge Erwachsene, die die Katheder der Klassenzimmer erklimmen wollen?“ Die Antwort ist einfach: „Es sind die Kinder unserer Zeit.“
Diese „Erben“ und keine anderen haben wir, hervorgebracht von Gesellschaft und in ihr von der Kirche. Ihnen vorzuwerfen, dass sie so sind wie sie sind, ist eindeutig kontraproduktiv, zumal sie selbst für ihre Situation nicht einstehen können. Sie zu begleiten ist Aufgabe und Herausforderung der Mentorate und das bedeutet auch, ihnen Lernfelder zu eröffnen, in denen sie hineinwachsen können in eine aus den Quellen gespeiste, im Leben verortete und ästhetisch verantwortete Liturgie.
Im Fragment dem „Ganzen“ sich annähern
Um diese liturgischen (Nicht-) Sozialisationen wissend, können wir unmöglich hingehen und diese jungen Menschen blind absetzen in der Eucharistiefeier als „Quelle und Gipfel des Lebens und der Sendung der Kirche“, (Sacrosanctum Concilium. Konzilskonstitution über die Heilige Liturgie. 4. Dezember 1963), wie sie das Zweiten Vatikanischen Konzil versteht und formuliert. Wir müssen vielmehr mit den jungen Studierenden kleine Schritte wagen, Schritt für Schritt, auf dem Weg hin zu der Quelle und dem Gipfel christlicher Existenz, der Feier der Liturgie und im Besonderen der Eucharistie. Die angehenden Lehrerpersönlichkeiten einfach in einen Gemeindegottesdienst zu setzen oder ihnen ein Domhochamt zu empfehlen, so nach dem Motto: „Kann ja nicht schaden“, käme in unseren Augen einer Pflichtverletzung gleich.
Liturgie im Vollzug
Ganz nebenbei angemerkt ist vielen Studienanfängern überhaupt nicht bewusst, dass sie spätestens als aktiv im Beruf stehende Lehrerinnen und Lehrer von Seiten der Schule vor die Forderung gestellt sein werden, zu verschiedenen Anlässen unterschiedliche Gottesdienste vorbereiten und durchführen zu sollen. Selten ist ein Lehrerkollegium der Ansicht, dass Gottesdienste und deren Vorbereitung eine Angelegenheit der ganzen „Schulgemeinde“ ist und nicht allein das Vergnügen der Fachkonferenz Religion.
Hier sei auch nicht weiter ausgeführt, welche Bedeutung der persönliche Vollzug von gefeierter Liturgie bezogen auf das authentische Glaubensbekenntnis eines Religionslehrers oder einer Religionslehrerin hat. Nur so viel: Wer den christlichen Glauben als von der katholischen Kirche beauftragt zu vermitteln gesandt ist (missio canonica), der kann für sich die Teilnahme an Gottesdiensten oder auch Nichtteilname nicht zur privaten Nebensache erklären, wenn auch zugegebenermaßen die aktive Teilnahme an der Liturgie mancherorts einer Geduldsprobe und sogar einer Zerreisprobe gleichkommt. Allerding bleibt redlicherweise unbestreitbar, dass die christliche Identität sich speist aus der gelebten Martyria, Diakonia und Liturgia. Das gilt für alle Christinnen und Christen und nicht besonders für jene, die Religionsunterricht erteilen.
Gemäß der Aufgabe der Mentorate also, „Lernfelder des Glaubens“ zu eröffnen, müssen die in ihnen hauptamtlich Tätigen ihrem Auftrag entsprechend auch Mit-verantwortung übernehmen, angehenden Religionslehrerinnen und Religionslehrern Liturgie in Schritten näher zu bringen. Das kann auf die liturgische Praxis bezogen nicht Aufgebe der theologischen Institute und Lehrstühle an den Universitäten sein, an denen der zukünftige „Lehrkörper“ für katholische Religion qualifiziert wird, wohl aber deren theoretische Grundlegung.
Wer aufgrund dieser eindeutig liturgielastigen Bemerkung zur Trias folgert, die Mentorate seien hier aufgefordert, die Liturgie als das Eigentliche über die Martyria und Diakonia zu erheben, dem sei hier am Rande mitgegeben: Wer mit der Liturgie als junger Mensch nicht in Berührung gekommen ist, kann trotzdem in seiner bisherigen Biographie vom Glauben Zeugnis abgegeben haben und auch ein sozial eingestellter Mensch sein. Unser Beitrag ist deshalb, im Vergleich primär der liturgischen Erfahrung Raum zu geben.
Konzept der niederschwelligen Annäherung
Liturgie, Verdichtung der Kommunikation mit Gott und den Feiernden untereinander, ist der Vollzug eines Mysteriums in klaren und geordneten Kommunikationsfiguren.
Um die Dichte der Liturgie, besonders dann, wenn wir von der Eucharistiefeier sprechen, für den Ungeübten nachvollziehbar und dann auch erlebbar werden zu lassen, muss die Liturgie, in welcher Gottesdienstform sie auch immer daherkommt, „gestreckt“ werden. Die vielen oft schnell aufeinander folgenden Zeichen, Symbole, Riten, Haltungen, Bewegungen sowie Wort- Antwortkombinationen in den Liturgien müssen in deren Zeitlupe „atomisiert“ werden, um dann im Letzten aus sich heraus entfaltbar und so verstehbar zu sein.
Es gilt, die einzelnen Fragmente der Liturgie an sich zu entdecken und ihre Verbindungen untereinander aufzudecken, um in der Liturgie, dem „heiligem Spiel“, als Teilnehmende(r) seinen Platz finden zu können. Das bedeutet nicht, einfach die Elemente eines Gottesdienstablaufes zwischen Einzug und Auszug aufzulisten. Das bedeutet, jedem Fragment der Liturgie ihre Bodenhaftung und „Himmelhaftung“ abzuringen, um sie in die je verschiedenen Biographien junger Studierender fallen zu lassen, und so werden zu lassen, was sie zu bewirken in der Lage sind.
Das ist ein hoher Anspruch, aber darunter können wir nicht ansetzen, wenn Liturgie (auch) existentiell verstanden, nachempfunden und gefeiert werden soll.
Die Erfahrbarkeit als Basis
Die Basis unserer Konzeption ist die Erfahrbarkeit primär einzelner Fragmente der Liturgie, darüber hinaus aber auch die Kombination von liturgischen Fragmenten bis hin zur „kompletten“ Liturgie, also auch der Eucharistiefeier. Auf dieser Basis stellen wir jedes einzeln gefeierte Fragment auch immer wieder in den Horizont des Ganzen, auch wenn es in Gänze von den Teilnehmenden noch nicht erfasst werden kann.
Diese Konzeption darf nicht verstanden werden als Programm eines Kurses oder Seminares zum Thema Liturgie, in dem nach einem festen Kurrikulum die „Themen“ nacheinander abgearbeitet werden. Wir feiern die Liturgie im Fragment, wiederholen auch immer wieder schon einmal gefeierte Fragmente, betonen einzelne Fragmente in größeren Zusammenhängen und lassen uns auch immer wieder fallen in die einfache Feier der Eucharistie. Wir können schon aus dem Grunde kein vorgefertigtes Pensum absolvieren, weil wir, bezogen auf die Teilnehmenden und unsere Vorerfahrung, erfahrungs- und bedürfnisorientiert anzusetzen versuchen.
Kontinuität umgibt das liturgische Fragment
Der Ort ist immer der gleiche, die Kapelle des Klosters der „Armen Schwestern vom Kinde Jesu“, an der Jakobstrasse in Aachen, so auch Tag und Uhrzeit, jeden Donnerstag von 19.30 bis ca. 20.15 Uhr.
Alle Liturgien beginnen mit dem immer gleichen Ritual und enden mit dem immer selben Gebet. Diese Faktoren dienen, bei aller Verschiedenheit der liturgischen Fragmente, dem, was jede unserer Liturgien auch im Fragment beansprucht, ein Gottesdienst zu sein. Dazu gehören auch das uns von Christus anvertraute Gebet, das „Vater unser“, natürlich auch ein Text aus der Heiligen Schrift sowie in der Regel Fürbitten.
Liturgie konkret in Fragmenten
- Das Ritual am Anfang dient dem bewussten Ankommen. Die Teilnehmenden werden eingeladen, aufzustehen und sich konzentriert aufzurichten, sich wahrzunehmen als aufrechte, aufgerichtete Menschen vor Gott. Aus diesem Stand heraus folgen die Gottesdienstbesucher der Einladung, nun in die Haltung der Verneigung überzugehen, als Ausdruck unserer Verehrung dessen, der Gastgeber aller Gottesdienste ist, Gott selbst.
- Das gemeinsam gesprochene Gebet (Titel: „Beruhigt in Dir“) zum Ende einer jeden Liturgie lautet:
So suchen wir, so fragen wir,
bekennen uns und glauben,
wenn wir auch heute wieder hier
verneigen uns vor dir.
Mit Geist und Herz in deinem Wort
verstummt im Jetzt der Welt,
dein Atem lässt Gebete sein,
das uns in Atem hält.
So danken wir an diesem Ort,
du heiligst unsre Welt,
in die du uns gerufen hast,
zur Einheit sie bestellst.
Denn du bist unaussprechlich hier,
und lässt uns nicht verstummen,
die wir von dir getragen sind
uns Liebe hat errungen.
So suchen wir, so fragen wir,
so glauben wir an dich.
Beruhigt geht weiter unsere Zeit,
in deinem Angesicht: Des Vaters,
des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen.
- Der erste Gottesdienst des Mentorates mit dieser Konzeption war eine Schwellenliturgie. Sie fand statt auf der Türschwelle im Übergang von Straße und Kapelle, also von profanem Raum und sakralem. Hier ging es darum, einzutauchen mit dem Alltäglichen ins Sakrale, und wiederum um das „Abtauchen“ durch das Sakrale hindurch in den (so auch veränderten) Alltag.
- In einer anderen Liturgie war nur das Thema Haltungen angesagt: Stehen, Knien, Sitzen, Liegen und Hocken. Was bin ich in der Lage mit meinem Leib Gott gegenüber auszudrücken?
- Dieser Gedanke wurde fortgesetzt in einem Gottesdienst, in dem es nur um die Haltung der Hände ging: Geöffnete Hände, erhobene, verschlossene, verborgene, zum besonderen Gebet ausgerichtete und einfach hängen gelassene Hände. Kerngedanke: Handhaltungen in der Kommunikation mit Gott.
- Das Lied, das Geräusch, die Stimme, der Ton und das Instrument waren in anderen Liturgien Zentrum einer einfachen, aber deswegen nicht zu vernachlässigenden Form unserer Kommunikation mit dem Dreifaltigen Gott.
- Andere Liturgien hoben einzelne Teile der Eucharistiefeier gesondert hervor, den Einzug, die Evangelienprozession, die Gabenbereitung, die Kollekte, den Kommuniongang oder den Auszug. Kerngedanke ist hier die Bewegung im „heiligen Spiel“ als Komponente dessen, dass wir uns in der Liturgie auch immer wieder auf einem Weg befinden.
- Besonders viel Raum in diesen „Liturgien im Fragment“ nahmen die Themen ein: Hörer des Wortes Gottes, Verkündigung der Botschaft, Orte der Verkündigung und deren Gewandung, sowie das sprechen von Gott in Bild, Symbol, Zeichen und Skulptur.
- Die nun noch folgende Aufzählung schließt nicht ab, aber ergänzt hier abschließend die Palette der Fragmente unserer Liturgie: Da sind also auch Themen angesagt wie das Stundengebet unserer Kirche, körperliche Ausdrucksformen im Tanz, Düfte, Berührungen, das Predigtgespräch, die spontan formulierte Fürbitte, Bibelteilen und stille Anbetung.
Ein bewährtes Konzept?
Nein, noch nicht! Ehrlich gesagt müssen wir zugeben, dass die wenigen Teilnehmer und Teilnehmerinnen (im Schnitt bisher 10 Studierende) höheren Semestern angehören und zu dem kleinen Kreis derer gehören, die liturgisch XXL sozialisiert sind. Nur selten verläuft sich ein Studienanfänger in unsere Liturgien. Die XXL Sozialisierten finden diese Gottesdienste toll und ansprechend, weil sie die ihnen sonst als Gesamtwerk vertraute Liturgie so intensiv im Fragment erstmals erfahren.
Das Mentorat in Aachen ist erst seit dem WS 2009 relevant für die Studierenden der katholischen Theologie auf Lehramt. Wer also gerade einmal maximal eineinhalb Jahre mentoratsrelevant studiert und das mindestens mit noch einem weiteren Fach, und religiös eher nicht sozialisiert ist, der wird am Beginn seines Studiums nicht zuerst suchen, was er bisher nicht vermisst hat.
Wir betrachten unsere Liturgien als eine Bringschuld des Mentorates und bleiben präsent, eben um den zukünftigen Religionslehrenden einen Weg zu bereiten hin zu „Quelle und Gipfel des Lebens und der Sendung der Kirche“ (s.o.). Es geht uns einfach und wertschätzend darum, im Fragment dem „Ganzen“ sich anzunähern, der Verherrlichung Gottes „in allen Dingen“ (Ignatius v. L.). So verstanden wollen wir eine andauernde Einladung sein.
Erschienen in: Pastoralblatt Januar 01/2011