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Stephanus ging an mir vorbei

Seine Eltern waren zurückhaltend katholisch. Über Freunde wurde er Ministrant und diente. Viel wichtiger aber war ihm die Clique, die Messdiener waren Freunde, andere hatte er nicht, wozu auch.

Sport war nicht sein Ding, Fete gerne in der Clique, Zeugnisnoten zwei und besser, ansonsten zurückhaltend bis nachdenklich, Gewicht keine 60 Kilo.

Einige in der Klasse nannten ihn Kirchenmaus, das war im egal, bis sie anfingen auf der Maus rumzutreten, ihn anzupöbeln: „Hast du immer noch keine Freundin, aber ist ja egal, du hast ja den Priester.“

Später,  in der Pause, nahmen sie ihn im Schutz der Schweiger, in die Zange und schlugen ihn immer wieder auf dieselbe Stelle, mit dem Kommentar: „Du brauchst ja keine Muskeln, du hast ja Gott.“

Das tat richtig weh, die Schläge meinte er, nicht aber der Kommentar, denn mit dem lieben Gott hatte er nicht wirklich einen Vertrag. „Der war ständig weg, wenn man ihn brauchte, auch als meine Eltern sich einvernehmlich trennten.“

Irgendwann schlug er zurück, nur einmal, voll auf die Nase, sagte er, dann war Ruhe, nur der Vertrauenslehrer bat um ein Gespräch.

Michael L. (heute 21)  erzählte seine Story aus Schulzeiten in einem Jugendgottesdienst, in dem er katechetisch gefragt wurde: „Was sagt dir die Steinigung des Hl. Stephanus.“  Er fand die Frage bescheuert, antwortete aber und ging. Das war sein letzter Gottesdienst, Freunde hat er andere, der liebe Gott ist weit weg. Eine Frage aber hat er: „Warum ist Stephanus nicht weggelaufen?“

 

(Zum 7. Sonntag der Fastenzeit)

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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! (Ausrufezeichen) nach dem Motto: Manete in me

Clara Fey und ihre Gemeinschaft der „Schwestern vom armen Kind Jesus“
7. und letzter Teil

Letzte Daten: Am 8. Mai 1894 starb Mutter Clara in Simpelfeld (NL). Lebensdauer 79 Jahre, davon verbrachte sie 50 Jahre in der von ihr gegründeten Kongregation und von diesen war sie 44 Jahre Generaloberin. Mit dem 1872 beginnenden Kulturkampf (Heft Nr. 13, 2012) beugte sich Clara 1878 ihrer Zwangsausweisung und ging endgültig vom Mutterhaus in der Jakobstraße weg über die Grenze nach Simpelveld. Hier agierte seit ihrer Ankunft die Zentrale der später auf drei Kontinenten präsenten Gemeinschaft. In der dortigen Klosterkirche ruhten auch bis in den Spätsommer des vergangenen Jahres ihre Gebeine.

Am 1. September 2012 morgens 9 Uhr bildeten über den Domhof in den Aachener Dom hinein nicht nur Schwestern vom armen Kind Jesus ein enges Spalier, um den sterblichen Überresten Claras die Ehre zu erweisen, die von Simpelveld weg nun in der Bischofsgruft im Aachener Dom eine provisorische Bleibe finden sollte.

Niederlassung in Kolumbien

Niederlassung in Kolumbien

Der Grund, warum „Mutter Clara“ nun wieder an den Ort der Gründung ihrer Kongregation zurückkehrt ist, war so einfach wie traurig. Schon seit vielen Jahren ist der Leitung der Gemeinschaft klar, dass auf dem Hintergrund ihrer Alterspyramide die Handlungsspielräume der Schwestern immer enger werden. Deshalb wurden schon in den letzten Jahrzehnten immer mehr Immobilien und damit verbunden Engagement aufgegeben. Auch musste Grund, wie die Neubauten im „Klostergarten“ parallel zur Friedrich-Ebert-Alle in Burtscheid bezeugen, verkauft werden, um u. a. die Pflege der vielen älter werdenden Schwestern zu finanzieren.

Deshalb wurde auch entschieden das Kloster in Simpelveld zu verkaufen. Wer nun meint, diese Entwicklung bedeute mittelfristig „die letzte macht das Licht aus“, irrt!

Niederlassung in Indonesien

Niederlassung in Indonesien

Anziehungskraft hat diese Gemeinschaft da, wo sie ihr Charisma, ihr Alleinstellungsmerkmal entfaltet und Licht auf die Menschen wirft, die sich als unterbelichtet erfahren oder in Lichtlosigkeit, also perspektivlos gehalten werden. Menschen „anstrahlen“, und so der Gründungsidee Claras folgend leben z. B. in Indonesien 192 Schwestern und in Kolumbien sind es 56. Ihr Einsatz findet in Schulen, Kinderheimen und beruflichen Ausbildungseinrichtungen statt.

Ihr Glaube und ihr Mut, aus dem Glauben heraus auch in gesellschaftlich kritischen Situationen zu handeln, verbinden die Schwestern untereinander, egal wo sie präsent sind.

Weltweit sind noch knapp 500 Schwestern unterwegs an der Seite der Kinder, die keine Lobby haben. Und da schließt sich der Kreis. Denn genau damit hat damals, in der Zeit der Industrialisierung in Aachen alles angefangen: Claras Sorge um die verwahrlosten Kinder.

Kreuzgang Kloster Burtscheid

Kreuzgang Kloster Burtscheid

Wie geht es in Aachen weiter? Zwei Frauen, zwischen 28 und 40 Jahren alt, bereiten sich in Burtscheid darauf vor, in diese Gemeinschaft eintreten zu wollen. Werden diese Frauen diese Gemeinschaft in Deutschland oder gar Europa retten?

Nein, diese zwei Frauen werden gar nichts retten. Aber wenn auch hier in Aachen weiter und neu ein Klima vorherrscht, in dem auch solche heute exotisch wirkenden Lebensformen einen Platz haben. Wenn eine Gesprächskultur den Vorzug hat, die interessiert Fragen stellt wie und warum gehst du diesen Weg, wie kannst du so leben und was lässt dich zufrieden sein?

Dann wäre der Mut in der Gesellschaft spürbar, nicht nur die durchschnittlich vorkommenden Lebensentwürfe als erstrebenswert zu erachten. Dann wären diese beiden Frauen ein Ausrufezeichen, nach dem Vorbild Mutter Claras, getreu dem Motto: Manete in me!

 

Von Christoph Stender. Siebter Teil einer siebenteiligen Serie über die „Schwestern vom armen Kind Jesus“, anlässlich der Überführung der sterblichen Reste deren Gründerin Schwester Clara Fey im September 2012, von Simpelfeld (NL) in ihre Heimat nach Aachen. Erschienen in:  Burtscheid aktuell, Ausgabe 16, Februar 2013. Fotos: Daniel Karmann, Archiv
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Das Recht, gehört zu werden

„Halt bitte endlich den Mund, schweig, sonst…!“

Wie eng muss es eigentlich werden, bis Sie so reagieren? Haben Sie schon einmal jemandem den Mund  verboten, vielleicht sogar mit diesem: „Wenn nicht … dann…!“ Wie weit würden Sie gehen um jemanden zum Schweigen zu bringen?

Falsche Frage? Für mich nicht, denn ich hätte so manchem Menschen gerne das Wort verboten, es ihm entzogen oder einfach „abgewürgt“. Und da bin ich nicht nur der Aktive, denn so manches Mal wollten Menschen auch mir das Wort verbieten und das auffallend oft im kirchlichen Kontext.

Zur Zeit Jesu gab es auch Menschen, Interessenvertretungen, die sich das Recht nahmen, anderen das Wort zu verbieten. Der Besatzungsmacht Rom wird da in Sachen Unterdrückung von Worten, wie wir es in der Apostelgeschichte nachlesen können, einiges zugeschrieben. Allerdings wird so, damals wie heute, ein Grundrecht des Menschen verletzt, das Recht, gehört zu werden. Der Mensch an sich hat das Recht, sich ins Wort zu bringen, und er hat ebenso das Recht, dem anderen zuzuhören oder auch wegzuhören.

Die Verkündiger in der Apostelgeschichte haben mit den Verkündigern heute, in unseren Breiten, etwas gemeinsam: Man will uns oft nicht hören, man kann uns nicht (mehr) hören, wir sind leicht zu überhören.

Unsere Worte des Glaubens verhallen vielleicht ungehört, weil sie zu wenig einladend, zu weltfremd, zu charakterlos sind. Vielleicht gründet das wiederum darin, dass uns selbst zu wenig webende Worte des Glaubens zugetragen werden.

Glaubensworte müssen nach ihrem Ursprung klingen, sonst kommen sie zu schnell abhanden, und so Herzensworte sein.

 

(Zum 3. Sonntag der Osterzeit, Text: Apg 5,27 ff.)

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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So werde ich zum Beteiligten

Das Volk ist interessiert an Jesus, Jesus ist interessiert am Volk. Eine einfache Situation, die Jesus nutzt. Er erzählt nicht nur einfach, Jesus nimmt die Hörer in seine Erzählung mit hinein, macht sie zu Betroffenen. Denn er führt in ihre Mitte eine konkrete Person, die Ehebrecherin, ertappt, klarer Fall, schuldig.

Dem Hörer reicht, zum Beteiligten geworden, der Hinweis auf Moses. Die Handlungsperspektive ist somit eindeutig: Steinigung.

Die Beteiligten lauschen nun:  Raschelte da etwa ein Gewand, bewegt sich ein Fuß, bückt sich jemand? Einem beliebig Beteiligten auf die Stirn geschaut, dort steht zu lesen: „Sollte ich nicht den Anfang machen, ein Stein würde Fakten schaffen.“ So denkt der eine, was die anderen auch denken: „Recht muss Recht bleiben, Ordnung muss herrschen, Strafe dem, der Strafe verdient.“

Gesetzestreu bemühen sich die Beteiligten aber auch um eigene Analyse: „Die Frau wird zu aufreizend gewesen sei. Ein schlechtes Elternhaus ist noch keine Entschuldigung. Güte würde hier nur der Gesetzlosigkeit Tor und Tür öffnen…“

Die Zuhörer Jesu, damals zu Akteuren geworden, stehen längst nicht mehr  alleine um die Sünderin herum. Jesus stellt uns Leser heute zu ihnen in ihren Kreis.

In unserer Mitte heute steht vielleicht nicht mehr nur eine Ehebrecherin. Aktuell ist es vielleicht der Nachbar, oder ein Familienmitglied, ehemalige Partnerinnen oder Partner, der Vorgesetzte oder der Untergebene …

Aber damals wie heute bleibt dieser Satz ein Knaller: „Wer ohne Sünde ist, der …“

 

(Zum 5. Fastensonntag)

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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Eröffnung der Ausstellung „Mimikry“

Eröffnung der Ausstellung „Mimikry“ von Ulrike Donié in der Aachener Domschatzkammer am 17. Februar 2013

„Mimikry“: Wenn durch tarnen, locken oder warnen Eigenschaften vorgetäuscht werden, die tatsächlich nicht vorhanden. Dies dient dem Kampf ums Überleben. 

Kunst in Bild und Skulptur ist weitestgehend auf eine Fähigkeit des Menschen angewiesen, nämlich die, sehen zu können. Kunst lebt nicht von der Erklärung, der Deutung oder anderer Wortprothesen, sondern sie lebt von der Selbstaussage. Kunst genügt sich selbst und will nichts anderes als Kunst sein, so wie es die Kunst des Künstlers ist, Kunst zu machen.

Das gilt auch für die Bilder und Skulpturen von Ulrike Donié, die hier in der Domschatzkammer für eine begrenzte Zeit zu sehen sind.

Vor einigen Tagen eilte ich in die Domschatzkammer mit dem Ziel, die Edelsteine auf dem Lotharkreuz zu zählen. Ich ging zügig, ließ den Proserpinasarkophag links liegen, ebenso die Karlsbüste und war nach einer scharfen Linkskurve am Ziel meiner Begierde angekommen, dem Lotharkreuz.

Im vorbeigehen sah ich vereinzelt bunte Tupfer an der Wand, registrierte  „Ach stimmt ja, wir kriegen ja eine neue zeitgenössische Kunstausstellung ins Haus“, nahm aber zu diesem Zeitpunkt nur den Eindruck mit: Was für eine hübsche bunte Tapete! Verzeihen Sie, aber ich wollte ja nur die Steine auf dem Lotharkreuz zählen.

Diese kurze Begebenheit auf den gemeinen Museumsbesucher übertragen lautet: Er kommt um alte Kunst zu sehen, und ist er besonders versiert so kann man ergänzen, er kommt um mittelalterliche Kunst zu sehen.  Ob nun besonders versiert, oder eher weniger, eines haben fast alle Besucher der Domschatzkammer gemeinsam, keine zeitgenössischen Kunst zu erwarten.

Was soll das, zeitgenössische Kunst an dem zu Ort präsentieren, an dem Weltkulturerbe sich museal keimfrei tummelt?

Diese Frage werden sich viele der Domschatzkammerbesucher in den nächsten Tagen wieder stellen, wenn sie denn die Bilder von Ulrike Donié nicht für Tapete halten. Allerdings ist bei sehr vielen der so fragenden Besucher die Frage eigentlich keine Frage, auf die Sie eine Antwort erhoffen, sondern eine Aussage: Was soll denn das hier!

Gott sei Dank war ich gelassener, als ich die Steine auf dem Lotharkreuz gezählt hatte und noch alle da waren, und ich nun mit gezügeltem Tempo mich der mutmaßlichen Tapete näherte, die sich mir sehr schnell als Kunstwerk vorstellte.

Meine erste Assoziation, also das, was das Bild in meinem Kopf mit einem anderen Sachverhalt verbunden hat, versetzte mich in meine Schulzeit. Da saß ich im Biologiesaal, noch nicht wissend, kein großer Biologe zu werden, vor dem Mikroskop und schaute in die Röhre. Kleine undefinierbare Tupfen gab das Präparat auf dem Objektträger her. Irgendetwas tummelte sich da unter dem Mikroskop betrachtet. Irgendetwas tummelt sich da die Bilder Ulrike Doniés betrachtend.

Was tummelt sich da? Sind das Bakterien, ist das Leich, ein Blick auf den Meeresgrund, in den Himmel oder doch eher in ein ungepflegtes Aquarium. Was tummelt sich da für Gewürm?

Und ungefragt schlich sich eine Melodie in meinem Kopf, das Rezitativ des sechsten Schöpfungstages in Haydns Schöpfung, the Creation.

„Gleich öffnet sich der Erde Schoss
und sie gebiert auf Gottes Wort
Geschöpfe jeder Art,
in vollem Wuchs und ohne Zahl.
Vor Freude brüllend steht der Löwe da.
Hier schießt der gelenkige Tiger empor.
Das zackige Haupt erhebt der schnelle Hirsch.
Mit fliegender Mähne springt und wieh’rt
voll Mut und Kraft das edle Ross.
Auf grünen Matten weidet schon
das Rind, in Herden abgeteilt.
Die Triften deckt, als wie gesät,
das wollenreiche, sanfte Schaf.
Wie Staub verbreitet sich
in Schwarm und Wirbel
das Heer der Insekten.
In langen Zügen kriecht
am Boden das Gewürm.“

Näher hingeschaut auf die Bilder ist nichts gleich, gleich ist alles anders. Fast mit der Nase auf der Leinwand eröffnen sich Details über Details. Wenige Schritte Abstand genommen eröffnet sich gerahmte Tiefe, oder rahmenlose tiefe Weite.

Manches wirkt putzig, anderes niedlich, wieder anderes futuristisch, ist es schön oder hässlich, liebreizend oder bedrohlich, oder ist es vielleicht doch nur ein verunglückter Smiley das kleine Ding da. Und wieder anderes lässt es an barocke Deckengemälde erinnern. Eben nur etwas anders.

Eben noch so, und gleich wieder anders. Unendliche Male aneinandergereihtes „Anders“ drängen eine Botschaft auf: Eben noch und gleich nicht mehr ist Vergänglichkeit.

Schwimmt das oder fliegt es, kriecht es oder wächst es, wo ist da eigentlich oben und wo unten. Die Tiefe ist nicht wirklich tief, dass vordergründige hintergründig, gedrehtes, verdrehtes oder auch mal

aufgewickelt, nichts bleibt und das wiederholt sich ständig. Da ist was, das es gleich nicht mehr ist, Eigenschaften werden hier vermutet, die beim nächsten Blick als vorgetäuscht erscheinen.

Alles fließt? Ist es etwa das „πάντα ῥεῖ“  des griechischen Philosophen Heraklit, „alles fließt“ und ergänzt „nur das fließen fließt nicht“!

So verstanden ist die Frage von so manchen Besucher richtig: Was soll das hier? Und wer dann noch Zeit hat für den zweiten, den dritten oder den Überblick, der kann folgende Antwort finden:

Vordergründig betrachtet haben die Bilder hier nichts zu suchen, denn sie stellen eine Bedrohung dar. Diese Bilder bedrohen schon bei oberflächlicher Anwendung, Natur bedroht hier Kultur, was sonst eigentlich genau umgekehrt ist. Kleines Getier, Schmier, Bakterien, Wassertropfen, undefinierbare Belage, kleinstes Gewürm, dies sind die Todfeinde des Schatzes. Zerstören sie doch Gemälde, greifen Metalle an, durchpflügen Holzkerne, zersetzen Stoffe, greifen Pergament an.

Aber Gott sei Dank haben wir Vitrinen, Abstandshalter, Videokameras und eine richtig fette Tresortüren, die primär allerdings gegen zweibeinigen Befall schützen soll.

Aber mehr noch. Sind die Schätze des Aachener Doms nicht genau der Beleg für das Gegenteil des ständigen Vergehens, weil Sie doch belegen dass eben nicht alles fließt. Die Schätze erzählen von ewig Bleibendem, von unbegrenzt Richtigem, von unanfechtbar Wahrem,  ja dieser Schatz hält sogar Bilder bereit, die aus der Bildlosigkeit stammen.

Der Schatz, kostbar gestaltete Reliquienbehälter zur Verehrung der Heiligen.

Der Schatz, sakrales Gerät, teils mit Diamanten geschmückt, zu der heiligen Liturgie.

Der Schatz, Bilder die vom Leben Jesu erzählen und Emotionen wecken.

Der Schatz, Stoffe die uns auf Tuchfühlung gehen lassen mit dem Heiligen.

Der Schatz, von Handwerkern geschaffen ging er zur Hand dem Heiligen, nun aber fast ganz aus dem Verkehr gezogen, um ihn vor seiner eigenen Vergänglichkeit zu schützen.

Und wieder erhebt sich hier Haydns Schöpfung mit Chor mit Soli:

Chor

Singt dem Herren alle Stimmen!
Dankt ihm alle seine Werke!
Lasst zu Ehren seines Namens
Lob im Wettgesang erschallen!
Des Herren Ruhm, er bleibt in Ewigkeit!

Chor, Soli

Amen!

Aber diese Botschaft des Schatzes erschließt sich nicht in der vordergründigen Ansicht ein Schatz zu sein. Man muss schon dahinter schauen, mehrere Blicke wagen, um dem Hintergründigen des Schatzes sich  zu nähern, also den eigentlichen Schatz des Schatzes zu bergen.

Die Bilder von Ulrike Donié begnügen sich nicht mit dem vordergründig Vergänglichen, sondern verweisen auf den Hintergrund des Vergänglichen.

So stellen diese Bilder den Vordergrund dieses historischen Schatzes von Gold, Edelsteinen und perfektem Handwerk in Frage, um im hinterfragen sich der Botschaft des Schatzes anzunähern. Diese Botschaft nimmt Gestalt an in Hoffnung, Liebe, Hingabe, Glauben, Vertrauen, Vergebung, eben der Sehnsucht des Menschen nicht zu vergehen, zertreten zu werden wie Gewürm.

Die Bilder von Ulrike Donié hier im Domschatz präsent, sind die Einladung sich unseren vermeintlichen Schätzen im Leben zu stellen, und so nach unseren Schätzen des Lebens zu fragen.

Denn eines ist bei aller Vergänglichkeit auch hier gewiss, also unvergänglich! Das fließen, das nicht fließt, betrifft in gleicher Weise alle in diesen Räumen vorhandenen Kunstwerke, sie werden vergehen, ob nun Weltkulturerbe oder einfach dazu gehängt.

Damit relativiert sich allerdings auch die Verweiskraft des Schatzes und der dazu gehängten mit ihm korrespondierenden Bilder von Ulrike Donié, denn auch diese sind somit vergänglich, und vielleicht so vergänglich, dass Sie die schon wieder vergessen haben in dem Augenblick, in dem diese Schätzekammer im Begriff sind zu verlassen.

Ich danke Ihnen.

 

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Nackt vor dem Spiegel

Vadim hat sein Maschinenbaustudium fast hinter sich. Ein Überflieger ist er nicht, Mathe liegt ihm nicht wirklich. Religiös ist er eher unmusikalisch. Aber er will Zusammenhänge verstehen.

Eher zufällig sind wir uns an der Uni begegnet. Die Chemie stimmte auf Anhieb und er fragte etwas frech: “Kann man dich eigentlich abonnieren?“ „Wie meinst du das?“, erwiderte ich. “Ich würde mir gerne einen Priester leisten, der mich fragen lässt.“  „Okay,“ sagte ich, „ab jetzt hast du einen!“

Vadim legte los: „Bin ich zufrieden?“ „Woher soll ich wissen ob du zufrieden bist,“ erwiderte ich. „Aber du musst doch wissen, was Zufriedenheit ist“ bohrte Vadim. Antwort: „Wenn dich nichts in Versuchung führen kann, dann bist du zufrieden!“ Kaum das Wort Versuchung ausgesprochen stockte ich, wieso jetzt dieser Begriff? Vadim platzte in meinen Gedanken: „Versuchung, von Versuchung habe ich keinen Plan.“

Ich war nun dran, also: „Wenn es dich reizt, einen Kumpel zu mobben, um selber besser zu wirken. Wenn es reizt, nur in besonderen Klamotten ein toller Kerl zu sein. Wenn es reizt, Geiz geil zu finden. Wenn es reizt, anzugeben, was du nicht bist. Wenn es reizt, Geld zu haben, um andere zu beherrschen…“ Vadim: „Versuchung heißt also, es reizt mich etwas.“ „Ja, alles, was dich reizt mehr darzustellen, als du nackt vor dem Spiegel bist, ist Versuchung. Und sie funktioniert dann, wenn du meinst, ohne all das, was dich reizt, wertlos zu sein.“

Vadim: „Wer sich vor dem Spiegel nackt aushält, dem kann Versuchung nichts anhaben.“

 

(Zum 1. Fastensonntag)

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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Frauen und Ökonomie

Clara Fey ist längst als Ordensgründerin eine anerkannte Persönlichkeit, über Aachen hinaus. Sie hat mit der von ihr, aus ihrem Glauben heraus gegründeten Gemeinschaft, ihre Idee verwirklicht, Kindern die am Rande der Gesellschaft leben eine Mitte zu geben. Aber eine Herausforderung kam und kommt bis heute immer neu auf die Gemeinschaft zu: Das wirtschaftliche Überleben. Das gerade die Ärmsten der Armen materiell nichts hatten, war ja auch ein Grund, warum Clara sich ihrer annahm. Mit Gründung der Gemeinschaft war die Ökonomie Dauerthema. Dankbar wurden Spenden aus der Bevölkerung angenommen. Aber es waren ja nicht nur die Kinder, die versorgt werden mussten, auch neue Unterkünfte sprich „Neubauten“ wollten finanziert werden. Nicht zuletzt mussten bei aller Bescheidenheit die Schwestern selbst ja auch von irgendetwas leben, denn von verschenkter Menschlichkeit wird man nicht wirklich satt.  Lesen Sie mehr »

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Aufgerichtet ohne Worte. Die ersten 25 Schritte in den Aachener Dom.

Impulsvortrag in der Ausbildung von Domführern am Dom zu Aachen, 2012

Schritte auf dem Domhof

Bevor sie den Dom betreten möchte ich Sie einladen, in Gedanken erst einmal einen Anlauf zu nehmen. Für die Wahrnehmung des Domes ist abträglich, wenn Sie so  einfach nur „hineinfallen“, oder hineingeschoben werden.

Der Innenhof, auch Atrium oder Paradies genannt, war dem offenen Westwerk der Marienkapelle (heutige Eingangsbereich des Domes) vorgelagert. Die schmalen Häuser, die heute den Domhof  begrenzen, stehen noch auf den Fundamenten des karolingischen Säulengangs, die mit Nischengewölben umschlossen waren und den 36 × 16 m großen Vorhofes um 800 bildeten.

Gehen Sie doch einfach mal in die Mitte des Domshofs. Zur Zeit Karls des Großen hat in der Mitte dieses Hofes ein Springbrunnen gestanden, der nicht nur Ausdruck von Lebensqualität war, sondern auch an die Quelle des Paradiesgartens erinnerte.

Richten Sie Ihren Blick nun auf den Eingangsbereich des Domes,  das Westwerk, in dem sich die große zweiflüglige Bronzetüre (um 800 in Aachen gegossen) befindet, von der jeder Flügel einzeln 2,5 Tonnen wiegt.

Übrigens: Nach der Dombausage befindet sich im rechten Löwenkopf der „Teufelsdaumen“. Doch die Realität ist unromantischer, denn es handelt sich hier lediglich um eine bronzene Stütze für einen heute nicht mehr auffindbaren bronzenen Türring.

Umgeben ist das Tor von einem Eingangsbereich, der in gräulich wirkenden Blaustein gearbeitet ist, und von dem aus rechts und links Holztüren in den Dom hinein führen.

Ich möchte Sie bitten Ihre Fantasie etwas spielen zu lassen, und diese Eingangskonstruktion aus Blaustein (Barock von 1788) sich einfach mal wegzudenken.

Diesen Eingangsbereich weggedacht, schauen Sie vom Innenhof des Domes in ein großes Tonnengewölbe (Konche), an deren Ende in einem gewaltigen Türsturz ursprünglich die zweiflüglige Bronzetüre eingelassen war, die Sie jetzt quasi vor der Nase haben.

Um ein wenig diesen Eindruck der Ursprünglichkeit des Eingangsbereiches zu empfinden, gehen Sie nun in den Dom hinein und bleiben unmittelbar an der Rückseite der Bronzetüre stehen, vor der normalerweise ein grüner Vorhang hängt.

Schritte im Tonnengewölbe

Nun stehen sie am Beginn des weiß getünchten Tonnengewölbes  und blicken an deren Ende durch den gewaltigen ursprünglichen Türsturz in den Dom.

Bevor sie aber nun in den Dom hineingehen möchte ich Sie einladen, sich noch den Augenblick zu gönnen, die beiden letzten Eindrücke miteinander zu verbinden. Den Eindruck den Sie jetzt gewonnen haben vom Tonnengewölbe verbinden mit dem Eindruck den sie im Domhof gewonnen haben, als sie in ihrer Fantasie sich den jetzigen Eingangsbereich weggedacht haben.

Nun können Sie Ihrer Fantasie bemühend den Blick rekonstruiert, den man ursprünglich also um 800 gehabt hatte, wenn man über den Domhof  kommend direkt durch das Tonnengewölbe hindurch bei geöffneter Bronzetüre das Sechzehneck des Domes betreten hatte.

Sie können sich so etwas besser vorstellen wie ursprünglich sehr viel mehr einladend der Dom im Eingangsbereich konzipiert war.

Der luftige Vorhof mit seinem sprudelnden Springbrunnen „erzählt“ schon von weitem von einer neuen Lebensqualität. Wer ihn dann einfach nur betritt, wird von dem offenen hellen Tonnengewölbe in das Innere des Domes “hineingezogen“ und dem sich dann, das Bronzetor geöffnet, ein wunderbarer Raum erschließt.

 Wenn Sie jetzt durch das Tonnengewölbe gehen, lassen Sie den Pinienzapfen links (um 1000) und die Wölfin die eigentlich eine Bärin ist (antiker Bronzeguss zwischen 3. Jh.  v. Chr. und 2.Jh. nach Chr.) rechts liegen.

Fühlen Sie sich begrüßt von der kleinen Skulptur “Mutter Gottes mit Kind“ (vor 1400), die in einer gotischen Nische (ausgestaltet mit angeblich mittelalterlichen Resten des Kuppelmosaik) links oben in der Portalwand  „residiert“.

Schritte in das Oktogon

Auf dem Türsturz ist eine lateinische Inschrift eingemeißelt, eine Einladung die übersetzt bedeutet: „Gedenke, dass Du das Heiligtum Mariens in Ehrfurcht betrittst“.

Betreten Sie nun durch den ursprünglichen Eingangstürsturz das Sechzehneck des Domes und gehen Sie noch wenige Schritte weiter in das Zentrum dieses Gotteshauses, dass Oktogon.

Hier wird mit Ihnen passieren was jedem Besucher Domes passiert:

Nochmals mit Anlauf: Eingeladen vom Atrium, durch das Tonnengewölbe angezogen, den Großen Torbogen durchschreitend, mit wenigen Schritten durch das Sechzehneck auf das Oktogon zu, zieht die Höhe des Zentralbaus (31,40 m)  ihre Blicke nach oben.

Durch Ihr unwillkürliches Hinaufschauen werden Sie im wahrsten Sinne des Wortes körperlich aufgerichtet. Das Hinaufschauen richtet Ihr Rückgrat auf, lässt Sie ein wenig größer werden.

Bevor auch nur ein Wort durch kundige Führung oder wen auch immer über den Dom gesagt worden ist, hält die Architektur des Domes eine Botschaft bereit. Für jeden der sein Zentrum betritt lautet diese Botschaft gleich: Mensch sei aufgerichtet, hier bist du willkommen so wie du bist, nichts brauchst du zu leisten und keine Legitimation vorzuweisen.

Sei aufgerichtet Mensch, dass du da bist ist ein Geschenk, und hier berühren sich Himmel und Erde.

 

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Trau dich, und dann traut einander zu!

Die zeitaufwendende Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe zwischen Zumutung und Herausforderung

Die Frage nach der Zukunft der Kirche in Deutschland und somit deren Konkretion bezogen auf die Lebensformen ihrer Gläubigen in Gemeinde (Gemeindeverbänden, Großgemeinden) und Kategorie (Studierendenseelsorge, Gefängnisseelsorge, Krankenhausseelsorge usw.) ist Thema!

Das wird deutlich im Austausch unter Gemeindemitgliedern, in der Fachliteratur, in regionalen Medien und immer auch bei denen, die sich – warum auch immer – gerne über die Kirche her machen wenn es um deren Zukunft geht, bzw. deren grundsätzliche Zukunftsfähigkeit.

Kerngeschäft Sakrament

Man muss auch kein Prophet sein, um heute erfahrungsbezogen feststellen zu können, dass Kirche in der Zukunft ihr Kern – geschäft vorhalten muss und sie darüber hinaus als personales Angebot daherkommen sollte, um nicht zu Sekten zu verfallen. Denn vereinfacht gesagt: Eine Bauchladenkirche, deren Angebote sich ausstrecken zwischen „was fändest du nett“ und „allem Möglichen“ wird noch mehr als Ganze uninteressant werden. Ebenso uninteressant ist die Darreichungsform einer Kirche, die aus der Nähe betrachtet gesichtslos bzw. blutleer ist.

Diese Konditionen Kerngeschäft und personales Angebot nicht vorhaltend, wird die Kirche auch weiter mit Sicherheit aus Unsicherheit heraus um ihre Existenz, und somit um ihr Selbstverständnis ringen. Denn Kernkompetenz und personale Präsenz sind Voraussetzungen dafür, dass sich in unserer Kirche zwischen Gott und den Mensch „Etwas“ ereignen, sich „Etwas“ bewegen kann, ohne dieses „Etwas“ hier festlegen zu wollen. Dieses „Etwas“, das sich ereignen kann, das bewegt und das hervor kommen lässt, ist wesentlicher Bestandteil von Kirche, weil es ihren „ungesicherten“ Lebensraum umrandet.

Kerngeschäft der Kirche sind auch und wesentlich die Sakramente, aber auch das personale Angebot, Menschen also, die sie „vorhalten“, denn ohne Mensch können die Sakramente nicht „funktionieren“. Diese Menschen müssen in ihren verschiedenen Ämtern, Funktionen und Aufgaben dieser sakramentalen Präsenz der Kirche ihr Gesicht geben. Sakrament ohne Gesichter sind keine Sakramente. Wagt man eine „Prognose“, die Feier der Sakramente betreffend und deren Empfänger, scheint es fast so weiter zu gehen wie bisher, zumindest ihre jeweilige „Bündelbarkeit“ betreffend:

Das Sakrament der Taufe wird durchaus auch zukünftig noch verstärkter in der Zusammenführung mehrerer Tauffamilien gespendet werden. Ebenso das Sakrament der Firmung und das der Erstkommunion. Das Weihesakrament unterliegt diesbezüglich weniger einer gemeindlichen Dynamik als mehr einer hierarchisch gesteuerten kirchenpolitischen. Das Sakrament der Krankensalbung ist auch weiterhin zentral auf die „Auge zu Auge“-Kommunikation angewiesen. Das Sakrament der Versöhnung (Beichte) wird in territorial ausgerichteten Gemeinden wie in der kategorialen Seelsorge auch weiterhin der Bedeutungslosigkeit anheimfallen, es sei denn, unsere Kirche würde wieder investieren (Menschen „investieren“) in die Beichte als Kernelement der Begleitung von Christinnen und Christen in deren Alltag. Das Sakrament der Trauung werden sich wohl auch absehbar  primär einzelne Paare spenden und weniger mehrere Paare in einem gemeinsamen Gottesdienst.

Dem Sakrament der Trauung, genauer deren Vorbereitung und Nachhaltigkeit gilt hier mein besonderes Interesse. Vorbereitung, eine Zeitinvestition An der Vorbereitung der Spendung des Sakramentes der Trauung und deren Feier selbst möchte ich verdeutlichen, wie we sentlich der Rückgriff auf die (religiöse) Biographie der primär Betroffenen sein kann, besser, wie wesentlich er sein sollte. Die Bedeutung der Biographie beziehe ich
nicht nur auf die aus der Vorbereitung heraus gestaltete Trauliturgie selbst, sondern schon in diesem Stadium der Beziehung auch auf das spätere gemeinsame eheliche und familiäre Miteinander.

Hinführend greife ich nun zurück auf einige der Vorbemerkungen (Praenotanda), die aufgeführt sind in der liturgischen Handreichung: Die Feier der Trauung in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebietes.[1]

Da ist nachzulesen: „Für eine angemessene Ehevorbereitung ist ausreichend Zeit erforderlich, über deren Notwendigkeit die Braut leute schon früh genug unterrichtet werden sollten“. Weiter wird ausgeführt: „Die Seelsorger sollen, von der Liebe Christi geleitet, die Brautleute empfangen und vor allem ihren Glauben fördern und nähren; denn das Sakrament der Ehe setzt den Glauben voraus und erforscht ihn.“ Weiter wird erwartet: „Bei der Vorbereitung sollen sich die Seelsorger bemühen, unter Berücksichtigung der Einstellung des Volkes bezüglich Ehe und Familie die gegenseitige und echte Liebe zwischen den Brautleuten im Licht des Glaubens dem Evangelium gemäß zu verkünden (…).“

Diese Anforderungen versuche ich auf das Brautpaar charakteristisch bezogen umzusetzen in einer besonderen (und auch zeitaufwändigeren) Vorbereitung einiger der für die Trauung signifikanten liturgischen
Elemente.

Doch zuvor ein Respekterweis an meine priesterlichen Kollegen in den Pfarrverbänden, die in der Regel mit wenig Vorbereitungszeit versuchen, weil mehr nicht geht, den Brautpaaren das Gefühl zu vermitteln, mit ihrem „einmaligen“ Anliegen der kirchlichen Trauung, „einmalig“ zu sein!

Ich habe in den letzten 16 Jahren als Hochschulpfarrer und den vergangenen drei Jahren als Mentor für Lehramtsstudierende der katholischen Theologie an der RWTH Aachen das Privileg gehabt, in die Vorbereitung der Feier des Ehesakramentes mit den jeweiligen Paaren gemeinsam besonders viel Zeit investieren zu können.

Schuldbekenntnis – bedingungslose Annahme

An den Anfang auch der Trauliturgie gehört nach Einführung und Begrüßung in der Liturgie das Schuldbekenntnis, das in das Kyrie hinein münden kann bzw. das Schuldbekenntnis, das in das Kyrie integriert ist.

Für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer, besonders jener, die Liturgie nur selten erleben, wirkt es bedrückend, wenn an diesem besonders frohen Fest der kirchlichen Eheschließung, der Gottesdienst schon zu Beginn mit dem Thema Schuld aufwartet.

Allerdings bedarf es meist nur weniger hinführender Worte zu Schuldbekenntnis und Kyrie, um die Relevanz dieses Abschnittes der Liturgie plausibel zu machen. Jeder der Anwesenden, nimmt er sich selber
ernst, weiß um die Tatsache, dass der Mensch begrenzt ist, Fehler machen kann und schuldig werden, ja sogar – theologisch formuliert – Sünde auf sich laden kann. Kein normal denkender Mensch wird in einem
solchen Gottesdienst von sich behaupten wollen, perfekt und fehlerlos da zu stehen.

Mit dieser Selbsterkenntnis ist es leichter nachvollziehbar, dass, wenn es im Sakrament der Trauung um die Existenz zweier Menschen geht, es notwendig auch um die Annahme des Starken und des Schwachen, Begrenztheit und Schuldfähigkeit gehen muss. Mit allen Fähigkeiten und Begrenztheiten im Gottesdienst vor Gott zu stehen bedeutet sich ganz ernst nehmen, verbunden mit der Bitte, dass Gott sich in diese Realität unseres Daseins hinein neigen möge, was ausgedrückt wird in dem liturgischen Ruf: „Kyrie eleison.“

Schuldbekenntnis – Biographie auch als Verletzungsgeschichte

Der Gedanke an die eigene persönliche Begrenztheit und Schuldfähigkeit wird in der Vorbereitung aufgegriffen durch das Brautpaar, in dem sie sich ihrer eigenen Verletzungsgeschichte vergewissern. Konkret wird das Paar motiviert, die Zeit ihres Zusammenseins unter der Perspektive Revue passieren zu lassen, wie sie auf dem Hintergrund subjektiver Wahrnehmung Verletzungen durch den jeweils anderen wahrgenommen haben. Das bedarf zuerst einer ganz persönlichen Reflexion, in der sie sich die Zeit gönnen, in die Biografie der bisherigen Gemeinsamkeiten zu schauen, um so Orte, Situationen und Ereignisse festzumachen, an denen die eigene Person durch den jeweils anderen verletzt, beleidigt oder/und gekränkt wurde.

Über diese jeweils subjektive Reflexion gilt es dann gemeinsam ins Gespräch zu kommen, um die Wahrnehmung auszutauschen und ggf. neu zu verorten. Es soll hier nicht primär um die Frage der Aufarbeitung gehen, sondern um Wahrnehmung und Annahme des anderen auch und gerade in seiner Verletzbarkeit.

Es versteht sich von selbst, dass ich als Priester, der die Trauung mit dem Brautpaar vorbereitet, in diesen Austausch nicht involviert bin, sondern lediglich dazu anrege und einlade und, wenn gewünscht, im Nachgang
Hilfen anbiete oder vermittle. Von vielen Brautpaaren habe ich die Rückmeldung erhalten, dass solch ein Austausch ein bisher erstmaliges Erlebnis war, da sie mitunter die geäußerte Verletzungsgeschichte des jeweils anderen
selbst sehr unterschiedlich wahrgenommen haben.

So wurde mir berichtet, ohne ins Detail zu gehen, dass der eine gemeint hatte, mit einem bestimmten Verhalten den anderen verletzt zu haben, dieser aber sich nicht einmal an das Ereignis als solches erinnern konnte.  Andererseits gab es die Erfahrung, dass Verletzungen von beiden sehr deutlich registriert wurden, allerdings damit auch das Gefühl, das die Aussprache über dieses Ereignis bisher noch nicht ausreichend geführt wurde, diese bisher allerdings auch von keinem der beiden Betroffenen eingefordert wurde.

Von fast allen Paaren wurde festgestellt, dass sie bisher so ausführlich über das Thema Verletzung in der Beziehung noch nie gesprochen hätten und diese Aussprache gerade mit Blick auf die anstehende Trauung für sie sehr klärend und stärkend gewesen sei.

Schuldbekenntnis – liturgische Konkretion

In diesem Schritt geht es nun darum, das Schuldbekenntnis, gegebenenfalls auch in unmittelbarer Verknüpfung mit dem Kyrie, auf dem Hintergrund des bisher Ausgetauschten zu gestalten. Selbstverständlich geht es nicht darum, im Gottesdienst an dieser Stelle die Gemeinde ausführlich und prägnant darüber zu informieren, wer wie viel Schuld wann und warum auf sich genommen hat. Es geht darum, diesen persönlichen Austausch in eine relativ neutrale Sprache zu übersetzen, die dann in der Liturgie z.B. mit dem Kyrie-Ruf verbunden werden kann.

Beispiel: Ein Paar brachte in ihrer konkreten Reflexion auf den Punkt, dass die Verletzungsgefahr bei ihnen immer dann besonders hoch war, wenn der Faktor Zeit in der Beziehung – aus welchen Gründen auch immer – vernachlässigt wurde, und somit eine gewisse Hektik und Unachtsamkeit entstanden war. Hektik und daraus resultierende Unachtsamkeit sind der Nährboden für Verletzungen. Übersetzt in liturgische Sprache kann das so lauten: „Du Gott des Lebens, du hast uns Lebenszeit anvertraut. Doch oft scheinen wir diese Lebenszeit gerade in unserer Beziehung, aber auch mit Blick auf die Menschen, die uns besonders am Herzen liegen, nicht in rechter Weise zu verteilen. Verzeih! Wir bitten dich, schenke uns liebendes Augenmaß für die geschenkte Zeit, dass wir uns vor Verletzungen schützen: Kyrie eleison.

So das Schuldbekenntnis im Gottesdienst wahrgenommen, lässt die Besucher erahnen, dass hier kein „Antragsformular“ vorgelesen wird, sondern der Text von einem persönlichen Akzent bestimmt ist. Auf der „anderen
Seite“ hört das Brautpaar hinter den so formulierten Worten den ganz persönlichen Austausch zu ihrer Verletzungsgeschichte mit.

Wortverkündigung – Glaubensnahrung

Im Wortgottesdienst der Trauliturgie wird der Hochzeitsgesellschaft der Tisch des Wortes Gottes bereitet. Das Brautpaar und die Ihren sind versammelt als eine hörende Gemeinschaft, die mit dem Brautpaar und auf das Paar hin hineinhorcht in die Offenbarung Gottes, präsent in den selbstredenden Schriften des Neuen und Alten Testamentes. So stellt sich besonders das Paar, bevor es sich das Ja-Wort gibt, in die Hörertradition der christlichen Gemeinschaft, um im Hören des Wortes Gottes, Gottes Wort im Menschenwort, sich von dieser Gegenwart Gottes berühren, aufrichten und ausrichten zu lassen.

Glauben in Beziehung

In der Vorbereitungsphase des Traugottesdienstes bitte ich das Brautpaar, bei der Auswahl der Lesungstexte und des Evangeliums nicht in erster Linie darauf zu achten, welche Texte vordergründig klassisch zum Anlass passen könnten, wie Perikopen die z. B. Themen wie Liebe, Gemeinschaft und Treue aufgreifen. Vielmehr bitte ich das Paar, erst einmal selber in den Austausch darüber zu gehen, was ihnen ihr Glaube bedeutet, welche Relevanz er für den je eigenen Alltag hat und in welcher Tradition dieser Glaube in der eigenen Biografie gewachsen oder vielleicht auch geschrumpft ist.

Diese Einladung, über den eigenen Glauben ins Gespräch zu kommen, klingt vordergründig banal, da man davon ausgeht, dass Paare, die die kirchliche Trauung anstreben, über genau diesen Punkt sich schon längst  ausgetauscht haben. Allerdings stimmt diese Annahme grundsätzlich nicht wirklich, denn es ist nicht selten der Fall, dass Paare oft unausgesprochen zu wissen meinen, was der jeweils andere Partner glaubt bzw. was dieser
Glaube ihm bedeutet. Ich beobachte bei fast allen Paaren, dass es ihnen schwer fällt, konkret über den eigenen Glauben zu sprechen, besonders auch über die eigene Glaubensbiografie, weil sie es ohnehin nicht nur nicht mit ihrem Partner, sondern auch mit anderen Menschen nicht gewohnt sind.

Glaube wird oft der Intimsphäre zugeordnet, den man deshalb so ohne Weiteres nicht öffentlich macht und somit sich auch schützt vor möglicher Sprachlosigkeit in der Rechtfertigung des eigenen Glaubens.

Wortstark

Auf dem Hintergrund dieses Austausches lade ich das Paar ein, anhand der Teilüberschriften in der Einheitsübersetzung der Bibel nachzuschauen, welcher Text Ausdruck des gemeinsamen Glaubens sein könnte, um diesem dann konkreter gemeinsam nachzugehen. Gemeinsamkeit dessen, was das Paar glaubt und in Texten zum Ausdruck bringt, bedeutet nicht automatisch, dass nur Glaubenssicherheiten angesprochen werden dürfen, sondern biblische Texte sprechen ja auch von Glaubensfragen, Glaubenszweifeln und von der Suche im Glauben.

Die auf diesem Hintergrund gefundenen Texte werden dann zur Lesung aus dem Alten und Neuen Testament bzw. zum Evangelium.

Fürbitten – die feiernde Gemeinde weitet den Blick

Die Fürbitten im Gottesdienst weiten den Blick der gemeinsam Feiernden über sich selbst hinaus und empfehlen Gott ihre persönlichen Anliegen und Hoffnungen. So dreht sich das Fürbittgebet nicht nur um die versammelte Gemeinde, sondern dieses Gebet richtet den Blick der Gemeinde auch auf die Sorgen und Nöte in dieser Welt, trägt sie vor Gott in der Hoffnung, dass die Gemeinde, gestärkt durch Gott, mit Gottes Hilfe auch dazu beiträgt,  Missstände auszumerzen.

Lebensentwurf und Visionen

Während der Text des Schuldbekenntnisses aufruhte auf dem sehr persönlichen Austausch des Paares über die gemeinsame Verletzungsgeschichte, und die Lesung und das Evangelium auf dem, was das Paar im Glauben verbindet, so geht es nun in den Fürbitten um den Lebensentwurf und die Vision des Paares.

Das Brautpaar ist hier eingeladen, nochmals, da sicherlich schon geschehen, sich über seine Zukunftsgestaltung auszutauschen, ja vielleicht sogar Visionen zuzulassen bezogen auf sein gemeinschaftliches und familiäres Leben, aber auch mit Blick auf die gesellschaftlichen Kontexte in denen es lebt. Gerade auf die Gesellschaft bezogen greifen hier Fragen wie: Was wollen wir verändern, was wollen wir bestärken, was wollen wir neu ermöglichen, wo wollen wir unterstützend tätig sein, wo wollen wir auch gegen den Strom der Zeit schwimmen und wo wollen wir vielleicht Protest einlegen?

Bitten, der andere Blickwinkel

Diese Überlegungen werden dann in die Form der Fürbitte gegossen. Manche Brautpaare fragen bezogen auf die gesamte Liturgie, ob man nicht auch persönliche Symbole und Zeichen einbringen könne. Gerade bei den Fürbitten bietet sich eine solche Verwendung von Zeichen und Symbolen an.

So wurden die Fürbitten in einem Traugottesdienst wie folgt gestaltet:

Verbunden mit dem Dank für den eigenen Arbeitsplatz (das Paar ist in der Computerbranche tätig) formulierten die beiden mit der Bitte ihre Sorge um die erwerbslosen Mitmenschen in unserer Gesellschaft und verband sie mit der Hoffnung, sie mögen eine wirkliche Perspektive erhalten. Diese Bitte ausgesprochen, legte das Paar dann eine Computermaus auf den Altar, um Dank und Bitte optisch zu verstärken. Verbunden mit dem Dank, bisher im Leben Gerechtigkeit erfahren zu haben, brachte die Fürbitte zum Ausdruck, mehr Gerechtigkeit in dieser Welt zu erbeten, besonders die Stärkung der Armen und Unterdrückten. Mit dieser Bitte verbunden legte das Paar eine Handwaage auf den Altar, die Brauteltern waren Juristen, um mit diesem Zeichen Dank und Bitte zu verstärken. Die folgende Bitte galt den Verstorbenen. Das Brautpaar dankte für das Geschenk ihres Lebens und gab der Hoffnung Ausdruck, dass die Verstorbenen nicht tiefer fallen mögen als in die Hand Gottes. Mit dieser Bitte verbunden brachte das Brautpaar einen Hut und legte ihn auf den Altar. Der Hut war das Markenzeichen des Brautvaters, der nur wenige Wochen zuvor an einer schweren Krankheit verstorben war. Eine weitere Bitte galt der Kirche, in besonderer Weise ihrer die Gemeinschaft stärkenden Struktur, die von dem Dank des Paares begleitet war, selbst zu dieser Kirche gehören zu dürfen. Mit dieser Bitte verbunden brachte das Brautpaar die Gaben Brot und Wein zum Altar. Darauf folgte die Einladung in der nun folgenden Kollekte eine Gabe für ein Kinderheim in der unmittelbaren Umgebung des Feierortes zu geben, das von der katholischen Kirche unterhalten in besonderer Weise sich um Kinder kümmert, die gesellschaftlich an den Rand gedrängt waren.

Sexuelle Kommunikation

In der Situation, in der die Trauung im Rahmen eines Gottesdienstes mit Eucharistiefeier stattfindet, rege ich noch eine weitergehende Frage an, deren Befassung allerdings in keinem Element der Liturgie einen expliziten Ausdruck findet.

Hintergrund der Frage: Die Eucharistiefeier ist die dichteste Form der Kommunikation zwischen Gott und den Menschen, sich offenbarend in der eucharistischen Gegenwart Jesu Christi kraft göttlichen Geistes. Die Kommunikation mit Gott kennt in der Glaubenspraxis unterschiedliche Verdichtungen. Kommunikation unterschiedlicher Dichte spielt ja in jeder Beziehung eine wichtige Rolle und so selbstverständlich auch in der Ehe.

Die Frage: „Was möchten Sie durch die Kommunikation ihrer gemeinsam gestalteten Sexualität einander sagen, was bedeutet Ihnen Sexualität und was wollen Sie in ihrer gemeinsamen Sexualität existentiell zum Ausdruck bringen?“

So manches Paar überraschte diese Frage. Doch im Nachhinein war jedes der Paare dankbar, genau in diesem Kontext sich unter vier Augen auch auf diese Fragestellung nach der eigenen und der gemeinschaftlich gestalteten und erlebten Sexualität eingelassen zu haben.

So begleiten auch aktuell die Paare, die ich auf das Sakrament ihrer Trauung vorbereiten darf diese konkreten Fragen: die nach der Verletzungsgeschichte, die nach dem Kern des eigenen und gemeinsamen Glaubens, die
nach der Vision für die Gesellschaft und die nach der Botschaft in einer gemeinsam gestalteten und erlebten Sexualität.

Trau dich, und dann traut einander zu

In dieser Art der Begleitung zukünftiger Ehepaare geht es also nicht nur um die Gestaltung des Traugottesdienstes auf dem Hintergrund der Reflexion der Kernpunkte partnerschaftlicher Beziehung. Es geht darüber hinaus auch um die Wahrnehmung der existentiellen Vernetzung von alltäglich gemeinschaftlich gelebten Leben, in das hinein der Glaube und seine Ausdrucksformen integral gehören.

Glaube ist und wird auch zukünftig im Ehealltag existentiell nicht einfach nur etwas sein können, das zum „normalen“ Leben wie ein Anhänger gehört, den man beliebig ein- und ausklinken kann.

Gerade in der ehelichen und später auch, wenn möglich, familiären Gemeinschaft, an deren Beginn die kirchlichen Trauung zum Ausdruck bringt, auf einem christlich-kirchlich orientierten Fundament stehen zu wollen, ist das Verwobensein von „aus dem Glauben leben“ und „auf den Glauben hin leben“ existentiell.

Somit sind das Element Reflexion und das Fragment der Vision praxisrelevant in der Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe.

 

Anmerkungen:
1 Die Feier der Trauung in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebietes. Heraus gegeben im Auftrag der Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sowie der Bischöfe von Bozen-Brixen. Freiburg i. Br. 1992, S. 14f.

Erschienen in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück. J.P. Bachem Verlag GmbH. 1/2013, S. 7ff.
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Gnade ist als wäre sie nicht

Wer sagt heute noch, dass Gnade vor Recht ergehen solle, vielleicht ist es noch üblich, von einem begnadeten Menschen zu sprechen, aber dann hört es umgangssprachlich mit dem Begriff auch schon auf.

Christen wären kompetent, auf dem Hintergrund eines sich in Christus offenbarenden Gottes, von Gnade zu sprechen. Aber dann müssten wir auch dazu stehen, dass Gnade eine Zugabe Gottes ist, eine individuelle Zuteilung, dass Gnade nicht demokratisch verteilt wird.

Mehr noch: Gnade ist nicht an menschliches Handeln gebunden, legt sich allerdings doch geschichtlich erschlossen an Hierarchien an, denn Bischof, Priester, besondere (Weihe-) Ämter sind „gnadenverdächtig“ so die Dogmatik unserer Kirche.

Allerdings hält Gnade sich nicht an Strukturen. Strahlt sie doch auf in historischen Persönlichkeiten wie dem Heiligen Franz, aber auch  in Menschen, deren Namen uns unbekannt, die aber alle ihr „Haben“ in andere Menschen investieren.

Gnade ist wissenschaftlich nicht analysierbar, sie lässt sich nicht binden an (Berufs-) Stände. Gnade ist nie Selbstzweck, sie ist keine Auszeichnung oder Belohnung. Gnade ist immer im Dienst und so auch nur zu haben. Gnade ist so wenig habbar, dass man meinen könnte, sie gäbe es nicht.

Aber Gnade hat Folgen: Versöhnung ermöglicht, Talent gefördert, die dritte Chance gegeben, am Neustart mitgebaut, Verständnis bewirk, Fähigkeiten zusammengeführt, Frieden gesät, Spielräume gestaltet, Gemeinschaft begründet, Hoffnung bestärkt…

So gesehen, sind Sie ein begnadeter Mensch?

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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