Guten Morgen verehrte Hörerinnen und Hörer,
Nachrichten am laufenden Band, Informationen im Minutentakt rund um die Uhr, das ist Alltag. Und nicht nur hier im Radio gibt es jene, die immer neue Nachrichten zusammentragen und aufbereiten, sondern auch diejenigen, die diese empfangen, also die Nachrichten konsumieren.
Von Nachrichten leben viele Gespräche, in der Kneipe, daheim am Gartenzaun oder unter meinen Studierenden, an der Universität in Aachen, wo ich angehende Religionslehrer begleite.
Nachrichten haben besonders dann einen Wert, wenn eine Neuigkeit in ihnen steckt. Deshalb sind sie so begehrt.
Wer Neuigkeiten zu berichten weiß, der kann sich fast immer der Aufmerksamkeit seiner Gesprächspartner gewiss sein. Wer neue Informationen hat, ist interessant, zumindest für den Augenblick. Die immer neue Nachricht treibt die Nachrichtenmacher vor sich her. Immer wieder neu die Aufmerksamkeit zu wecken ist Stress, aber nichts ist älter als eine Nachricht von gestern. Da fühlen sich die Nachrichtenmacher oft genötigt von einem vermeintlichen Skandal zum nächsten zu galoppieren. Wer in der schnelllebigen Medienkultur gehört werden will, der muss
ständig Neues liefern: ’Hast Du schon gehört?’ Hören und erzählen, das ist unser Grundbedürfnis und daher gibt es sie, nicht nur in den Medien, die Neuigkeiten.
Von etwas noch nichts gehört zu haben, also nicht wissen, lässt einen schlecht dastehen. Nicht wissen ist oft identisch mit der Erkenntnis: ’Mir wurde davon ja nichts erzählt.’ Etwas nicht erfahren zu haben, Unwissen also kann zu Zerwürfnissen führen, zu Problemen in der Kommunikation, oder auch dazu, dass man einfach nichts mehr voneinander hört.
Die Quintessenz: Wissen kommt vom Hören, und wo es etwas zu hören gibt, da bedarf es unverzichtbar eines Erzählers, einer Erzählerin.
Hören und erzählen bedingen einander.
Musik I
Seit der Mensch die Sprache gelernt hat, gibt es das Miteinander von erzählen und zuhören. Die Rollen des Erzählers und des Hörers werden in der Regel wechselseitig wahrgenommen, wenn der Erzähler nämlich zum Hörer wird und umgekehrt. Ein uraltes Wechselspiel, das für uns schon so normal ist, dass wir es uns gar nicht mehr bewusst machen.
Aber gerade in Zeiten, als es noch kein Radio, kein Fernsehen und kein Internet gab – als die meisten Menschen noch nicht einmal schreiben konnten, war dieser Austausch – einer erzählt, einer oder viele hören zu – alltägliche Kommunikation. Ein guter Erzähler konnte so richtig in seinen Bann ziehen.
Und das Erfolgsgeheimnis dieses Jesus von Nazareth lag auch darin, dass er so ein guter hervorragender Erzähler war. Ja, der alte Orient ist ja bis heute für seine kraftvollen Erzählungen bekannt.
Jesus muss ein begnadeter Erzähler gewesen sein. Seine Gleichnisse begeisterten, die Bilder die er vor den Augen seiner Zuhörer mit Worten malte: die Geschichte von einem Schaf, das verloren ging, hat noch heute Strahlkraft, obwohl die meisten Menschen Schafe eher im Fernsehen als auf der Weide erleben. Oder nehmen sie die Geschichte vom Barmherzigen Vater – meisterhaft erzählt!
Jesu engagierte Rede berührte, sie konnte Jubel entfachen, Hoffnungen wecken, Taten provozieren. Jesu Worte aber waren auch wie ein scharfes Schwert, sie sezierten die Gesellschaft bedingungslos, deckten Missstände auf, sie waren analytisch, entlarvend und eindeutig. Jesu Worte hatten sogar die Kraft, Kräfte in Menschen zu wecken, so bei dem Gelähmten am Teich Betesda, der seine Bahre einfach wegwarf, an die er 38 Jahre lag gefesselt war.
Jesus ermöglichte den Menschen in seinen Erzählungen einen Zugang zu Gott. Für Gottesnähe waren die Menschen damals sehr empfängliche. Jesu Begleiterinnen und Begleiter sogen seine Worte auf wie ein Trockener Schwamm das Wasser. Sie hingen an den Lippen Jesu. Jedes seiner Worte war von Gewicht. Jesu Worte, wühlten auf, öffneten Augen, ließen eine neue Freiheit spüren und verbanden die Menschen untereinander. Jesu Worte wagten sogar den Blick in den Himmel. Und So brachte Jesus seine zentrale Nachricht zu den Menschen: ’Das Reich Gottes ist nahe’. Was für eine Nachricht!
Und diese Botschaft vom ’Gottesreich’ setzte viel in Bewegung. Jesu Worte ließen seine Zuhörer, die Apostel, die Jüngerinnen und Jünger nicht mehr nur in der Rolle der Zuhörer verharren.
Denn von Jesu Worten bewegt, wagten diese Menschen den Schritt vom Hörer zum Erzähler. Und Sie erzählten nicht einfach nur, was sie gehört hatten, im Sinne einer Weitergabe von Neuigkeiten. Mehr, die Menschen vertrauten auf die Worte Jesu, sie glaubten dem was er erzählte.
Die Hörer wurden zu Erzählern, oder anders formuliert zu Verkündern, weil die Botschaft, die Jesus von Gott vermittelt hat, ihr Leben veränderte.
Diesen Prozess, vom Hörer zum Verkünder des Glaubens werden, bringt der Apostel Paulus auf den Punkt, der sagt: ’Der Glaube kommt vom hören…’ (vgl. Röm 10.17).
Musik II
Der Glaube kommt vom Hören: Bis heute funktioniert die Weitergabe des Glaubens nach diesem Prinzip.
Ich möchte Sie etwas fragen verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer: Wenn Sie gläubig sind, wie sind Sie zu Ihrem Glauben gekommen, wo haben sie Ihren Glauben her?
Wir können zwar mit diesem Medium Radio die Antworten auf diese Frage nicht aktuell austauschen, aber ich bin mir sicher, dass all unsere Antworten eines gemeinsam haben:
Auch unsere Wurzeln des Glaubens werden im Hören liegen. Eltern, Großeltern, Lehrer, Priester, Freunde, von wem auch immer, es wurde Ihnen vom Glauben erzählt. Auch Ihr Glaube kommt vom Hören.
Es tut mir gut darüber nachzudenken, wer diese Menschen konkret gewesen sind, die mir vom Glauben erzählt haben. Eine Lehrerin in der Grundschule z.B., sie baute mit uns jedes Jahr im Mai Marienaltäre im Klassenzimmer, weil es für sie wichtig war, an uns die Ausdrucksformen des Glaubens weiter zu geben.. Gönnen Sie sich auch mal die Zeit, den Menschen in Gedanken nachzugehen, die Ihnen vom Glauben erzählt haben.
Aber zuvor möchte ich Ihnen von einer Begebenheit aus dem Kölner Dom erzählen, die zeigt, was das Erzählen vom Glauben bewirken kann:
Immer, wenn ich in Köln zu tun habe, schlendere ich durch den Dom. Vor dem Gnadenbild des Domes, einer kleiner Muttergottesfigur, bleibe ich stehen. Wie immer so auch an diesem Tag brannten vor dem Gnadenbild hunderte kleiner Kerzen. Doch etwas ganz anderes fiel mir besonders auf, diese zwei Jungs, die vor dem Gnadenbild in einer Bank saßen. Beide um die 18 Jahre alt: Der eine war blond, mit Jeans und Pulli eher unscheinbar gekleidet. Der andere aber fiel allein schon durch seine knatsch rot gefärbten Haare auf.
Gerade kniete ich hinter den beiden in der Bank, als der Junge mit den roten Haaren aufstand. Er ging zum Kerzenständer vor dem Gnadenbild, zündete zwei Kerzen an, bezahlte, verweilte einen Augenblick, kam dann wieder zurück und setzte sich neben seinen Kumpel. Darauf fragte dieser ihn: ’Warum hast du das gemacht?’ Antwort: ’Ich hab an jemanden gedacht, das hat meine Oma auch immer so gemacht, und die war eine tolle Frau.’
Die Oma von diesem Rotschopf hat ihrem Enkel nicht nur vom Glauben erzählt. Die Oma dieses jungen Mannes hat ihn miterleben lassen, wie sie ihren Glauben zum Ausdruck bringt. Weil diese Oma aber ganz nebenbei auch noch eine tolle, also eine authentische Frau war, hat der Rotschopf ihren Worten getraut. Und so zündete er im Dom eine Kerze an – ein Zeichen der Hoffnung.
Der junge Mann ist wohl mit Hoffnung zu diesem Gnadenbild gegangen. Hoffnung die ihm seine Oma anvertraut hat. Sie konnte ihm ein Ritual vermitteln, was stärken kann und Menschen untereinander verbindet. Er hat an jemanden gedacht, wie seine Oma auch immer. Er hat das gemacht, weil für ihn seine Oma im ganz normalen Leben ganz toll war. Diese Oma hat in ihrem Enkel etwas bewegen können, was ihn bis hier her in den Dom bewegt hat. Und der Rotschopf hat sich weder geschämt noch gescheut vor seinem Kumpel in einer Kirche so zu handeln.
Der Glaube kommt vom Hören. sagt der Apostel. Ich möchte ihn ergänzen:
’Der Glaube kommt vom Hören auf authentische Menschen’.
Musik III
Aktuell bedrängt viele Menschen die Sorge, wie es mit dem Glauben, wie es mit der Kirche weiter geht wird. Die Vorfälle rund um den Bischof von Limburg haben bei vielen den Eindruck hinterlassen: ’Sie predigen Wasser und trinken Wein’. Hier geht das Vertrauen in die Botschaft verloren, weil der Erzähler mit der Botschaft nicht zu identifizieren ist. Der Glaube kommt vom Hören auf authentische Menschen und deshalb brauchen wir Christen, die überzeugend erzählen, wie sie den Glauben ganz konkret leben, in Wort und Tat.
Entsprechend mache ich mir um den christlichen Glauben und deren Weitergabe keine allzu großen Sorgen, solange es diese Menschen gibt, wie die Oma oder der Rotschopf, die authentisch vom Glauben erzählen. Denn es ist wirklich eine aktuelle, eine neue Nachricht, wenn Menschen davon erzählen, wie diese über 2000Jahre alte Botschaft des Jesus von Nazareth konkret in die Mitte ihres Lebens gehört.
Ein altes Sprichwort sagt: ’ Wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund über.’
Wenn auch Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, die Botschaft Jesu aktuell bewegt, dann wünsche ich uns, dass wir nicht nur beim Hören bleiben, sondern anderen Menschen erzählen, Nachricht geben, von dem was das Herz bewegt.
Musik IV, darin:
Mögen Ihnen die kommenden Tage freundlich entgegenkommen, das wünscht Ihnen Pfarrer Christoph Stender aus Aachen.
Manuskript der Sendung „Das geistliche Wort“ auf WDR 5, 17.11.2013