Experiment: Kunst als Verkündigung
Diese Kunstaktion fand Fronleichnam, 30. Mai 1991 in Schleiden statt.
Am Anfang stand, das Interesse zu suchen, und zwar nach einem Weg, Kunst für Gemeindemitglieder interessanter zu machen. Warum eigentlich? Es ist eine gewohnte Erfahrung: Bilder und Skulpturen, die unsere Kirche zu schmücken versuchen; Orgelmusik, die den Kirchenraum durchflutet, – das gesprochene Wort in Hülle und Fülle. Doch oft werden Bilder zu leicht übersehbaren Einrichtungsgegenständen, die Orgelmusik verkümmert zum Hintergrundgeplätscher (sicherlich gibt es besonders hier auch andere Erfahrungen von Menschen, die im liturgischen Raum besonders gepflegte Orgeldarbietungen erleben dürfen), und das Wort, zu stark gewichtet, wird zur Qual.
1. Die Idee der Kunstaktion
Aus der Suche entpuppte sich eine Idee. Würde das Experiment Anklang finden, Bild, Orgelmusik und das gesprochene Wort zusammenklingen zu lassen? Diese drei „Elemente“ so zu gestalten, daß der Hörende und Sehende selbst zum Klangkörper wird und so über den Status als Besucher hinaus selber zum vierten „Element“ des Experimentes wird? Die Entscheidung war klar, das Experiment sollte angegangen werden, die erste Kunstaktion war geboren.
2. Das Experiment im Werden
Die anfangs Suchenden und späteren Akteure waren ein und dieselben: Dr. Rainer Budde (Leiter des Wallraf-Richartz-Museums, Köln), Josef Dederichs (Organist) und Christoph Stender (Priester). Tatort sollte die Schloßkirche in Schleiden/Eifel sein. Nun brodelten die Gedanken; hier ein Treffen – und wir fanden den Titel des Experimentes „Kunst als Verkündigung“; da ein Telefonat – und ein Bild war entdeckt; wieder ein gemeinsames Treffen, und das zu kleine Bild wurde verworfen …
Doch schon bald begleitete unseren Gestaltungsmut ein „Erzählbild“, welches auch später den Mittelpunkt der Aktion darstellen würde: Die „Verkündigung“ von Barthel Bruyn d. A. 1493-1555 (Leihgabe des Wallraf-Richartz-Museums). In den Köpfen der beiden Orgelspieler Budde und Dederichs bekamen die Orgelvariationen Gestalt, Namen wie Johann Pachelbel (1653-1706) und Johann Christian Leberecht Kittel (1732-1780) zeichneten sich ab. Die erste Kunstaktion nahm Klang, Farbe und Format an.
3. Das Bild, die Orgelstücke, treffende Worte und Menschen als Ganzes
Würde das Experiment gelingen?
Die Werbung war draußen, die Orgel gestimmt, das Bild von eigenen Fachleuten nach genauem Timing zur Schloßkirche befördert, letzte Absprachen der Ausführenden, eine gut gefüllte Kirche.
Der erste wesentliche Teil der Aktion, das Zurechtfinden im Bild: Maria, vornehm, aufgeschreckt vom Lesen, beim stilvollen Hereinplatzen des Verkündigungsengels. Die leichten Falten im Teppich sind Zeugen in dem sonst aufgeräumten Raum von der Heftigkeit des Ankommenden. Der Verkünder in liturgischen Gewändern, der Tragweite seines Auftrages durchaus bewußt und würdig. Maria, vornehm den Blick senkend, gekleidet in standesgemäßer Gewandung mit stilisierten Ähren bestickt (Hinweis auf den weiten Sinn der Eucharistie) und mit geöffneten Haaren (Hinweis der Jungfräulichkeit in damaliger Zeit).
Doch mehr noch: Bild- und Botschaft (Theologie)! Gott Vater, vor dem Fenster, sendet seinen Sohn „durch die unzerbrochene Scheibe“ kraft des Hl. Geistes. Das Kind, nackt mit Kreuz, ein Hinweis auf die Radikalität des Weges Jesu, des Erlösungswerkes.
Nun „spricht‘ die Orgel: „0 Haupt voll Blut und Wunden“ (Choral von Leberecht Kittel). Das Orgelwerk greift diese Verkündigung auf, verklingt das Erzählte, steigt ein in einen Passus des Bildes. Der Horizont wird geweitet, ein weiterer Teilaspekt.
Nun greift das Wort in die Geschichte unseres Glaubens. Gedanken wie die des jüdischen Bilderverbotes wurden erläutert. Die Verbindung von Bild und Verehrung kommt zu Wort; und überhaupt die tiefe Nähe von Kunst und dem Auftrag Gottes an uns Menschen, Mitschöpfer zu sein, wird in diesen Raum gestellt, eine göttliche Einladung, unserer eigenen Kreativität Raum zu lassen. Nun ist ein Blick in die Heilige Schrift angesagt.
Jesus spricht in Bildern, er nimmt seine Hörer in die Bilder hinein und läßt sie so Worte, Antworten finden. Wieder wird der Blickauf die Verkündigung“ gerichtet. Welchen Platz nehmen wir in diesem Bild ein? Sind wir heute nicht auch Verkündende, gerufen, wie der Engel gesandt, Kunde von Gott zu bringen? Ist dies zu anspruchsvoll, zu fromm oder weltfremd? Ist es gewagt zu fragen, ob wir nicht doch einen anderen Part in diesem Bild haben könnten, eine Maria zu sein, Christus in uns wachsen zu lassen, ihn heute in die Welt zu bringen, Mutter Jesu 1991 zu sein? Lassen wir es zu, in dieses Bild einzusteigen, auszusteigen aus der passiven Rolle des konsumierenden Adressaten in die lebendige Darstellung der Verkündigung, erzähltes Bild, gehörtes Bild, lebendes Bild?
Eine Orgelimprovisation greift die Gedanken auf, schlägt den Bogen von der Verkündigung bis zur Auferstehung, nutzt ungewohnte Verbindungen tiefer Tonlagen bis hin zu Klängen vertrauten Liedgutes.
Ein Experiment! Ist es gelungen? Die Orgel wird die Antwort nicht geben, auch das Bild wird in diesem Punkt schweigen; das Wort, vermag es auch nicht. Doch die Besucher werden es sagen können, ob sie mehr als nur Besucher waren.