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Rede Christoph Stender

Schatzansichten

Rede Christoph Stender

Zur Eröffnung der Ausstellung am 29. April 2001

Zitiert: Gedicht zum Proserpinasarkophag:

Hinter uns dieser Augenblick vom Tod

Gier leerte seinen Blick
zerrte mit habsüchtigem Griff
schon fliehend an sich
was Ohmacht zerbrach in Ergebung
und kein Mund je flüstern wird

Wie kannst Du Liebe stehlen
an Dich reißen
gar erzwingen

Nur zu hoffen ist Dir geschenkt
ob Liebe träumen Dir sich zu flüstern mag

Diese steinernen Augen sind eben alt
ihre brutale Armut gleich alltäglich

Skandal des Lebens in den Tod
dich einzig
der Liebe Flüstern
wecken kann

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wer ein sehr guter Domkenner ist der weiß, wo dieser Text im Rahmen der heute zu eröffnenden Ausstellung einzig präsentiert werden kann. Er ist einer der ersten Texte der Ihnen beim Betreten der Domschatzkammer begegnen wird. Er ist aber auch der ersten Texte den ich überhaupt zum Domschatz vor knapp zwei Jahren geschrieben habe, und der Ihnen heute am Proserpinasarkophag, direkt hinter dem Eingang der Schatzkammer, begegnen wird.

„Nachtstück“ von Philipp Mainz

Zu Beginn dieser Eröffnung hörten Sie ein ungewöhnliches Klavierstück! Philipp Mainz, Komponist und Pianist, in Fachkreisen ein sehr geschätztes junges Talent mit einigen Musikpreisen ausgezeichnet, macht mit seinem Klavierstück deutlich, dass auch diese Sonderausstellung etwas ungewöhnlich hat.

Diese Darbietung mit dem Titel „Nachtstück“ basiert auf nur einem Ton, und um diesen Ton herum „arbeitet“ der Komponist im wahrsten Sinne des Wortes. Phillipp Mainz greift dazu sogar selbst in die Saiten seines Flügels.

Nachtstücke von Christoph Stender

Zwei Dinge sind mir dabei sehr lieb:
Einmal der Titel dieser Komposition „Nachtstück“, denn er erinnert mich daran, dass fast alle meine Texte in der Nacht entstanden sind, also Nachtstücke sind, die ich an dem Ort geschrieben habe, an dem ich mich zu Hause fühle und deshalb so verhalten kann, wie ich das möchte, auf und ab gehend.

Die Akzentuierung in dieser Komposition auf nur einen Ton ist ein wesentlicher „Grundton“ der Texte zu dieser Ausstellung. Der Grundton meiner Lyrik in diesem Kontext ist die Erfahrung lieben zu dürfen und geliebt zu werden.
Dieser Schatz, der Dom selbst, ist letzten Endes grundgelegt in der Liebe Gottes zu den Menschen, und der Liebe der Menschen untereinander und so auch zu Gott. Deswegen habe ich meine Ansprache mit einem Text begonnen, der nach der Liebe fragt, provoziert durch den antiken Mythos des Raubes der Proserpina durch Pluto, auf einem ca. eintausendachthundert Jahre alten Sarkophag verewigt, der ersten Grablege Kaiser Karls des Großen.

Darf an diesem Ort provoziert, herausgerufen werden?

Damit verbunden stellt sich die Grundfrage dieser Ausstellung:
Dürfen solche Gedanken, von einem in der Tat wenig maßgeblichen Menschen wie mir ins Wort gebracht werden, die in dieser würdigen Domschatzkammer dann eventuell zwei Monate lang Menschen irritieren, provozieren, herausrufen, ja vielleicht sogar ein wenig ärgern? Der Schatz ist in erster Linie ein Zeugnis gläubiger Vergangenheit, aber auch ein Ort der hoffenden Sehnsucht heutiger Menschen. Das kann diesem Schatz niemand absprechen. Wenn es ihm abgesprochen würde, wäre er schon zerstört!
Denn dieser Schatz ist das Denkmal der Geschichte jener Menschen vor uns, die geliebt haben, die gesucht haben, die gefeiert haben, die verehrt haben, die letzten Endes ausgegriffen haben auf den Gott, der nie habbar ist, sondern der sich immer nur preisgibt in der Selbstbezeichnung die das alten Testament hütet: „Ich bin der, ich bin da!“
Die Fragen der Menschen vor uns, die uns diesen Schatz hinterlassen haben, sind aber auch die Fragen unserer Zeit, die uns suchen, hoffen und glauben lassen. Auch unserer heutigen Sehnsucht möchte sich der selbe Gott offenbaren, der schon unsere Vorfahren suchte und der auch heute immer noch von sich sagt: „Ich bin der, ich bin da!“

Dieser Schatz ist historisch bestimmter Epochen zuzuordnen, aber deswegen nicht nur an die Vergangenheit gebunden wie meine Vorredner der Dompropst, Herr Dr. Hans Müllejans und der Leiter der Domschatzkammer, Herrn Dr. Minkenberg schon anmerkten:
Wer diesen Schatz mit dem ständigen Anspruch betrachtet, ein Stück der Vergangenheit für alle Ewigkeiten festhalten zu wollen, weil er ja so schön ist und so gut gefällt, und nicht mehr sein darf, als ein unbeweglicher historischer Zeuge, der wird diesem Schatz nicht gerecht.

Dieser Schatz ist nicht selbstgefällig

Wir dürfen nicht vergessen, dass diese uns anvertrauten Schätze nie selbstgefällig jenseits von Zeit und Raum existieren! Ihr Wert liegt in der Kommunikation zwischen Gott und den Menschen.
Wer aber den Schatz zu einen Selbstzweck degradiert, der missachtet den Menschen, der sich auch heute betrachtend, suchend, fragend und hoffend vor ihn stellt in der Erwartung, dieser Schatz habe mehr zu sagen als nur eine desinfiziertes Weltkulturerbe zu sein.
Nicht die kunsthistorische Bedeutsamkeit dieser Schätze ist einzige Legitimation ihrer Existenz, sondern der Grund ihrer Existenz ist die Tatsache: Dieser Schatz hat eine Botschaft.

Erinnerung an meine erste Begegnung mit dem Schatz

Als ich vor mittlerweile dreißig Jahren zum ersten Mal diesen Schatz bewusst wahrgenommen habe, begegnete ich im Rahmen einer Führung (in Aachen führen Gott sei Dank noch Menschen und nicht irgendwelchen Hörgeräten) dem damaligen Domkustos Herrn Dr. h.c. Erich Stephany. Erich Stephany war es, der diesen Schatz nach dem 2. Weltkrieg für die Aachener zu einem Signalschatz hat werden lassen. Er hat deutlich gemacht, dass die Aachener sich an diesem Schatz aufrichten dürfen, um neue Kräfte sammeln zu können für den Wiederaufbau ihrer Stadt.

Ich stand damals mit offenem Mund vor diesem wortgewaltigen Mann und war fasziniert wie er mir, einem 14 Jahre alten Jungen, diesen Dom und seinen Schatz erschließen konnte. Einfach naiv und ungeschützt, wie ich nun mal war, fragte ich ihn: „Entschuldigen Sie, darf ich noch mal wiederkommen?“ Erich Stephany hat in seiner einzigartigen Art auf meine Frage geantwortet. Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche, schrieb darauf „Oben und Chor“ und gab sie mir mit den Worten: „Mit dieser Karte lässt Dich die Domführung in das Chor und an den Thron.“

Ich hatte nun mit diesem kleinen Kärtchen einen „Schlüssel“ in der Hand, mit dem ich immer wieder zurückkommen durfte. Ich war willkommen! Stolz wie Oskar habe ich es natürlich wenige Tage später auch ausprobiert. Anfänglich etwas zögernd stellte ich mich vor die Domaufsicht und sagte: „Schauen Sie mal, ich habe eine Karte und damit darf ich durch diese Tür zum Thron, machen Sie mir bitte auf! “ Es funktionierte.

Heute, 30 Jahre später eröffne ich eine Ausstellung die mir die Chance bietet, sagen und zeigen zu dürfen, was in den vergangenen Jahre dieser Schatz in mir bewegt, wachgerufen und berührt hat.

Lyrik jenseits von richtig und falsch

Was ist das Maß einer solchen Lyrik, die ich Ihnen heute präsentieren darf? Das Maß, mit dem Lyrik zu messen ist, findet sich nicht in den Wertungen richtig oder falsch. Diese Kategorien richtig und falsch, die im sogenannten Divalenzprinzip sich beheimatet wissen, sind Kriterien der Wissenschaften.
Lyrik aber untersteht nicht diesem Divalenzprinzip. Lyrik bildet das Allgemeine im Besonderen ab. So kann man von der Lyrik höchstens sagen adäquat oder unadäquat.
Lyrik bringt eine subjektive Wahrnehmung zum Ausdruck, die andere Menschen teilen können oder auch nicht. Ich erhebe also nicht den Anspruch objektive Lyrik zu schreiben. Lyrik kann ein Gewinn an Erkenntnis sein, die in diesem Fall über die Beschreibung eines Gegenstandes hinaus gehen.
Das ist meine Intention. Ich versuche mit dieser Lyrik einfache, bescheidene und zerbrechliche Brücken zu bauen vom Betrachtenden zum Exponat.

Schatzansichten, ein Angebot zum Dialog

Der Betrachter ist eingeladen, auf dem Hintergrund seiner Biographie, seiner Erfahrung, seiner Hoffnungen und Träumen, sowie seiner Sehnsüchte und Enttäuschungen in einen Dialog mit diesem Schatz einzusteigen.
Ich möchte Sie bitten, über diese literarischen Brücken zu gehen, um mehr zu entdecken als Sie vordergründig sehen. Doch Sie können nur mehr entdecken als sie zu sehen in der Lage sind, wenn er sich auf die Kommunikation, auf die Interaktion mit diesen Kunstschätzen einlassen. Wir möchten den Besucher dieser Ausstellung nicht reduziert auf einen reinen Betrachter, sondern wir möchten Sie einladen sich in einen Dialog mit den Exponaten zu begeben. Ich erwarte nicht, dass derjenige, der diese kleinen zaghaften lyrischen Brücken betritt, Antwort auf all seine offenen Fragen findet.
Lyrik gibt nicht wesensbedingt Antworten. Sie will selber Anfragen, Provokationen im besten Sinne des lateinischen Begriffes sein, herausrufen! Herausrufen um mehr zu entdecken. Dieser Intention dient die Präsentation. Die Präsentation, es wurde schon angedeutet, ist vielleicht zu schön, ich finde sie ansprechend.
Die Präsentation will auf die Lyrik und seine Intention hinweisen, sie verstärkt präsentieren, damit „Museumsbesucher“ überhaupt hinschauen. Die Präsentation dient aber auch dem Versuch, die Sehgewohnheiten der Besucher zu verändern. Aber, In dieser Ausstellung ist nicht meine Lyrik der Mittelpunkt, sondern weiterhin der historische Schatz.

Ein alter Schatz und seine aktuellen Fragen

So tritt die Lyrik gewollt hinter die Schätze zurück, nicht zuletzt aus Respekt vor den Menschen, die diese Schätze mit ihrer Hände Arbeit haben entstehen lassen Mit dieser Sonderausstellung nun leihe ich tief verborgenen Schätzen meine Stimme, die ansprechen möchte was damals wie heute Thema der suchenden Menschen war und ist. Damit meine ich den Schatz hinter diesem Weltkulturerbe.
Dieser Schatz der von den Fragen kündet wie denen nach Tod und Leben, Leiblichkeit, Macht, Liebe und Zerstörung.

Das Ende einer Ausstellung

Diese Ausstellung wird in zwei Monaten zerbrochen werden. Ich sage bewusst zerbrochen, weil diese Ausstellung nicht das Recht hat, die Interpretation, die Stimme dieses Schatzes zu sein. Es müssen, wie früher, auch nach dieser Ausstellung andere kommen und diesem Schatz ihre Stimme leihen, so wie ich es mit meinen Möglichkeiten in dieser Ausstellung versucht habe. Aber in einem Punkt bin ich mir sicher, der Schatz (jeder historische Schatz) braucht immer wieder eine Stimme, die ihn erzählen lässt, dass er mehr zu sagen in der Lage ist als wir sehen.
Meine Stimme leihe ich ihm für zwei Monate, danach sind andere Stimmen gefragt.

Der Anfang allen Verstehens gründet in der Liebe

Ich möchte abschließen mit einem sehr einfachen Text aus dieser Ausstellung. Vielleicht der einfachste der hier präsentierten Lyrik. Aber der Text, der für mich zum Ausdruck bringt, was am Anfang des Verstehens steht. Wer diesen Schatz wirklich begreifen will, der muss erfahren haben, was es heißt zu lieben.

Höre meinen Gruß Mutter des Lebens

Gegrüßet seist Du Frau
gerufene Maria
Gott bat dich um deine Wärme
du schenkst ihm all deine Liebe

obwohl sein Gesicht dir verborgen
du ihm nahe
unteilbarer Augenblick
so verlassen
umgeben von ungreifbarer Zärtlichkeit
dir nun vertraut
streicheltest du deinen Bauch
spürtest Leben
dir geliehen
du geschenkt
uns gezeigt

Mutter
gerufene Maria
hilf uns deiner Liebe trauen
die wir selbst auf Kälte bauen
verraten so wonach wir suchen

Mutter
liebkoster Menschheit

hilf uns deine Liebe hoffen
um im Sterben loszulassen
was Gott uns nur geliehen
damit wir spüren
des Lebens Leben

Amen

Nun bleibt mir nur noch zu danken

Danken möchte ich dem Dompropst Herrn Dr. Hans Müllejans und dem Leiter der Domschatzkammer, Herrn Dr. Georg Minkenberg, die auch gegen anfängliche Widerstände diese Sonderausstellung ermöglicht haben.

Danken mochte ich dem Team von mecca neue medien, ohne die diese Qualität der Präsentation nicht möglich wäre.

Mit dem Photographen Herrn Pit Siebigs möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Doms danken, die einfach mitgetragen haben.

Walter Wiese und Lambert Schlun danke ich stellvertretend für alle Sponsoren, die die Finanzierung dieser Ausstellung sichergestellt haben.

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