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„Gehe ich meinen Weg, ecke ich an“

„Gehe ich meinen Weg, ecke ich an“

Ein Pfarrer denkt quer – Christoph Stender: „Die katholische Kirche braucht die Frauen“

Christoph Stenders Sicht auf die Kirche regt zu Diskussionen an. Er denkt eben gerne quer. Der Studentenpfarrer und Leiter der hiesigen Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) setzt auf Offenheit, Toleranz und hat keine Scheu, Tabus anzusprechen: Homosexualität und Kirche etwa oder Sakramentenempfang für wiederverheiratete Geschiedene. Mit ihm sprachen die AZ-Redakteure Rudi SchroederChristoph Pauli und Bernd Büttgens.

Pfarrer Fliege hat letzte Woche die evangelische Kirche mächtig angegriffen. Selbst für Austritte habe er größtes Verständnis. Fällt Ihr Urteil über die katholische Kirche ähnlich aus?

Stender: Die Empfehlung würde ich nicht geben, weil ich sie für sehr populistisch halte. Mit solchen Aufforderungen bekommt man Schlagzeilen und publicityfähigen Ärger. Ich sehe das anders, denn trotz aller Schwierigkeiten habe ich positive Erfahrungen gemacht. Ich sage den Leuten, die noch Interesse haben, gebt euer Gesicht dieser Kirche.

Muß unter dem Gesicht ein kirchliches Gewand sein oder kann es auch ein Laiengesicht sein?

Stender: Es sähe sehr traurig aus, wenn diese Kirche nur aus Klerikern bestehen würde, dann könnte man den Laden dichtmachen. Aber die Kirche lebt von den Frauen und Männern, die in ihr Farbe bekennen. Mit ihren Biographien, mit ihren Wünschen, mit ihren Sehnsüchten, mit ihren Erfahrungen.

Sieht nicht die Wirklichkeit so aus, daß gerade die Leute mit Ecken und Kanten besondere Probleme bekommen?

Stender: Das ist richtig, wobei ich differenzieren möchte. Die Kirche als solche gibt es nicht, die Kirche gibt es immer nur als lokales, partielles Ereignis von Menschen, die sich zu christlichem Glauben bekennen. Und da gibt es Orte wie die KHG, wo auch Querdenker erwünscht sind, wo Experimentierfelder bestehen, wo auch gefragt werden darf: Muß die Leitung von Klerikern übernommen werden, oder können Laien nicht mitunter kompetenter leiten? Wir können sagen, daß besonders Frauen mit ihren Fähigkeiten mit in die Leitung eingebunden werden sollen. Aber es gibt auch kirchliche Orte, wo dies schlicht verboten ist.

Wo findet solches Denken statt?

Stender: Ich halte es für ganz fatal, daß eine Kirche in Form des Papstes verbietet, weiter über die Frauenordination zu sprechen. Das Thema ist nicht ausdiskutiert, so lange noch Menschen etwas dazu sagen wollen.

Das hat doch etwas mit den vorhandenen Strukturen und dem Frauenbild der Kirche zu tun. Wie kann man solche Strukturen zum Beispiel in der KHG ein Stückchen verändern?

Stender: Erst einmal werden bei uns alle Leute mit ihren ganz unterschiedlichen Fähigkeiten in die gemeinschaftliche Verantwortung genommen. Wir schaffen Räume, die nicht von der Struktur bestimmt sind, sondern von dem, was die Leute mitbringen und brauchen. Das Leben muß so vorkommen, wie es die Leute heute und jetzt spüren. Und das kann von außen nicht reglementiert werden nach dem Motto, eine bestimmte Empfindung darf nicht vorkommen. Eine Frau leistet in der Kirche einen Beitrag, den ein Mann einfach nicht leisten kann. Einer Kirche, die in einer Männerhierarchie groß geworden ist, ist viel abhanden gekommen, weil Frauen sich nicht einbringen konnten.

Nachgehakt: Muß der Leiter der KHG ein Priester sein?

Stender: Wir überlegen, derzeit im Team der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir haben, einen Automatismus zu verhindern. Wir suchen nach neuen Modellen, so ist die Stellvertreterin des Leiters eine Frau und nicht der andere Hochschulpfarrer.

Kann man davon sprechen, daß Sie in der KHG quasi im einer Oase leben, weil Sie hier in der Lage sind, neue Entwicklungen zu schaffen?

Stender: Wenn solche Ideen verpönt sind, frage ich mich, was steckt dahinter? Sicherlich eine große Portion Angst, daß bestimmte Amtsinhaber Macht verlieren. Solange es in der Kirche darum geht, wer wo die Macht hat, beschäftigt sich die Kirche nicht mit dem Eigentlichen.
Kirche ist von ihrer Intention nicht demokratisch. Die Grundlage christlicher Kirche ist nicht veränderbar. Wir haben eine Botschaft, nämlich Gottes Botschaft, und die kann ich nicht mehr verhandeln. Was das für das Leben der Menschen bedeutet, muß ich allerdings mit ihnen konkret besprechen.

Sie waren vor Ihrer KHG-Zeit vorher Kaplan in Schleiden. Wo liegt der Unterschied zwischen beiden Tätigkeiten?

Stender: Die Struktur in ländlich geprägten Gemeinden ist natürlich stabiler und traditioneller. Viele Leute sehen es gerne, wenn der Pfarrer im Dorf auch ein wohlwollender Repräsentant ist, der auch die Geschicke einer Gemeinde lenkt. Traditionell wurde in der Hochschulgemeinde Kirche als Avantgarde betrachtet. Hier haben Studentinnen und Studenten schon immer versucht, andere Wege zu gehen, wo sich niemand hat mundtot machen lassen.

Welche Leute kommen zu Ihnen?

Stender: Es gibt ein breites Spektrum. Zum einen kommen die Leute, die die traditionelle Gemeinde suchen. Dann kommen viele Frauen, was ich schon für sehr mutig halte, weil sie in der Kirche sehr oft verletzt worden sind.

Sie gehen einen erkenntnisorientierten Weg. Wird es nicht bald so sein, daß die Amtskirche aus anderen Gründen reformbereiter sein muß – weil die Menschen einfach ausbleiben?

Stender: Die Kundenabhängigkeit interessiert mich persönlich relativ wenig. Ich habe für mich eine Entscheidung getroffen. Ich mache mit einer Botschaft, die für mich sehr wichtig ist, nämlich mit der Botschaft vom Leben, sehr ernst. Gott ist in erster Linie Anwalt des Lebens. Was Jesus Christus tut, ist nichts anderes, als sich um das Leben der Menschen zu kümmern.

Wollen Sie mit Ihrem Verhalten anecken, oder suchen Sie einen modernen Weg, ohne viele Schrammen zu sammeln?

Stender: Ich bin nicht der Typ, der jede Gelegenheit sucht, sich eine blutige Nase zu holen. Aber ich weiß, wenn ich meinen Weg gehe, werde ich anecken.

Wo sind Sie angeeckt?

Stender: Ich ecke bei Leuten an, wenn ich laut sage, daß schwule Männer und lesbische Frauen ihr Leben so leben dürfen und müssen, wie sie es in sich spüren. Und da gibt es Leute, die verstehen das überhaupt nicht. Ich muß sagen, innerkirchlich ecke ich da gar nicht an, es sind einige wenige Leute außerhalb. Dann habe ich auch schon mal böse Stimmen auf meinem Anrufbeantworter. Anonym natürlich.

Was freut Sie an Ihrer Kirche?

Stender: Ich bin froh, daß es viele Leute gibt, die mit diesem Gott oder meinetwegen auch mit dieser Göttin etwas anfangen können. Menschen tut die Erfahrung Gott gut, und sie erfahren eine Aufwertung ihres Lebens. Für diese Einschätzung lohnt sich der Einsatz.

Es gibt noch andere Priester, die ähnliche Ansätze wie Sie transportieren. Gibt es eine Fraktion?

Stender: Es gibt im Bistum Aachen eine Jungpriester-Initiative, die neben dem Austausch auch versucht, Situationen des Lebens zu thematisieren. Fragen wie: Wie gehen wir mit unserer Einsamkeit um? Wie gehen wir mit dem Zölibat um? Wie gehen wir mit unserer Überforderung um, weil wir zum Beispiel nicht nur Gottesdienste halten, sondern heute auch noch Manager sein müssen?

Und wie fällt die Antwort zum Zölibat aus?

Stender: Wir pendeln nicht ständig um diese Frage. In der Lebensgeschichte meiner Kollegen ist dieses Versprechen aber oft mit sehr schmerzlichen Erfahrungen verbunden. Die meisten plädieren für einen freiwilligen Zölibat.

Sie haben die Einsamkeit angesprochen. Wie kann man ihr begegnen?

Stender: Ich kann sie nicht nur dadurch kompensieren, daß ich in eine Wohngemeinschaft ziehe. Der Verlust wird auch empfunden, weil Nähe, weil Liebe fehlt, die ihren Ausdruck sucht.

Das führt oft zu einem Doppelleben. Wie kann ein Priester damit umgehen?

Stender: Es ist kein Geheimnis, daß es nicht nur zwei oder drei Priester gibt, die sich zu einem solchen Doppelleben gezwungen fühlen. Auf der einen Seite wollen sie ihren Beruf nicht aufgeben, auf der anderen Seite sind sie einem Menschen begegnet, den sie lieben. Diese Begegnung kann ein Leben massiv verändern, so daß alle vorher gefaßten Entscheidungen in Frage gestellt werden.
Das halte ich für legitim. Ich halte sehr viel von Werten wie Treue, Treue auch zu einer Intention. Ich möchte als Priester die Botschaft des Lebens und der Liebe Gottes zu uns Menschen in meiner Kirche leben. Ob ich dies aber ein Leben lang verkünden kann, weiß ich nicht. Ich möchte es ganz gerne. Aber trifft man einen Menschen in den man sich verliebt, ist das ein Orkan im Leben. Und dann kann die eigene Biographie neue Seiten bekommen.

Mit solchen Gedanken finden Sie offene Ohren unter jüngeren Kollegen. Wie die Reaktion denn auf Bistumsebene aus?

Stender: Bei uns im Bistum Aachen existiert eine Leitung, die sich den Fragen stellt, die junge Priester haben. Das ist eine Offenheit, die noch geprägt ist von Bischof Klaus Hemmerle, der auf Kommunikation setzte und der darauf baute, daß die Leute ihre eigene Lebenssituation in Gespräche einbringen. Auch der heutige Bischof ist nicht jemand, der beim Thema Zölibat weghört. Er kommt zweimal jährlich zu den Jungpriestern, um deren Anliegen mitzubekommen. Natürlich sagt er nicht: „Hurra, laßt, uns den Zölibat abschaffen“, aber es wäre falsch zu sagen, bei ihm oder dem Generalvikar sei dieses Thema tabu.

Wie führen Pfarrer wie Sie die Kirche ins nächste Jahrtausend?

Stender: Ich denke, daß wir inzwischen wegkommen von zwanghaften Verhaltensweisen, die dazu führen, zum Beispiel in die Kirche gehen zu müssen. Jesus macht Angebote, das können Sie in der Bibel nachvollziehen. Die Entscheidung, es anzunehmen, liegt bei den Menschen. Ich finde es wichtig für die Kirche, daß sie die Sensibilität gewinnt herauszufinden, was denn gerade bei den Menschen los ist, was sie angeht. Wir beschäftigen uns auch mit alleinerziehenden Männern oder Frauen. Kirche muß auch Lebenshilfe geben. Daß eben alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern auch ein angemessenes Leben führen können.

Sehen Sie dieses Thema auch außerhalb der KHG erfüllt?

Stender: Für Geschiedene ist Kirche immer eine Ausladung gewesen. Und, das halte ich für eine verachtende Haltung. Ich denke, daß Kirche gerade Menschen, die eine Scheidung, eine Trennung hinter sich haben, nicht noch neue Verletzungen hinzufügen darf. Wir müssen sagen, gut, das ist eure Situation – und gerade deshalb dürft ihr hier sein. Das denke ich, ist auch gerade, was den Sakramentenempfang angeht, wichtig. Diese Menschen dürfen wir nicht ausschließen, sondern wir müssen sie einschließen.

Wird dieses Denken auch Einzug in die Amtskirche halten?

Stender: Ich weiß, daß viele Menschen in der Kirche, egal ob Priester oder Laien, solche Gedanken teilen. Ich glaube, daß die Kirche auch in Zukunft so handeln wird. Aber warum sagen wir immer: die Kirche? Ich denke, es ist eine mutige Entscheidung vor Ort, wenn ein Pfarrer oder eine Kommunionhelferin einem bekannten wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion reichen und damit die Botschaft Gottes weitersagen: Du gehörst zu uns …

Quelle: Aachener Zeitung, 23.11.1996.
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