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Original oder Fälschung

Faxbox-Predigt zum Neujahr 1996

Manchen der über 100.000 bisherigen Pilgerinnen und Pilger mag dieser Gedanke durch den Kopf gegangen sein, als sie in der vergangenen Woche im Trierer Dom vor dem „heiligen Rock“ standen. Zum 3. Mal in diesem Jahrhundert wird den Augen der Öffentlichkeit dieser heilige Rock gezeigt, der nach der Überlieferung das Untergewand Jesu sein soll und von dem der Evangelist Johannes berichtet: die Soldaten haben nach der Kreuzigung Jesu über dieses Gewand die Würfel geworfen, weil es an einem Stück gewebt war und ihnen zu schade erschien, es in mehrere Stücke zu zerreißen, um es unter sich aufzuteilen. Bei einem solchen Jahrhundertereignis drängt sich auch uns die Frage auf: Ist es ein Original oder doch nur eine Fälschung.

Auch im heutigen Evangelium geht es um die Frage, wer ist das Original und wer ist die Fälschung? Der Evangelist Johannes berichtet in dem eben gehörten Evangelium von einer Verunsicherung, die die Gedanken der damaligen Zuhörer Jesu offenbar sehr stark zu beschäftigen schien. Es ging um die Frage, ist Jesus der originale Prophet oder ein falscher? Jesus war in seiner Zeit nicht der einzige Prophet. Einige Zeitgenossen Jesu gaben sich ebenfalls als Propheten aus und schmückten sich mit dem Titel Messias. Sie deuteten die Zeichen am Himmel und malten die Zukunft der Menschheit in meist sehr düsteren Farben aus. Ihre Predigt lautete: Wenn ihr dem Unheil dieser Welt entrinnen wollt, dann müsst ihr auf uns hören. Das Geschäft mit der Angst lief auch damals schon recht gut, so dass der Job eines Propheten, von eigener Gnade ernannt, eine recht lukrative Tätigkeit war. Mit Geld meinte man auch schon damals sich ein Plätzchen im Reich Gottes sichern zu können bzw. dem Unheil zu entgehen. Da war man gerne bereit, diesen selbsternannten Propheten ein Scherflein zu geben in dem Bewusstsein, dass sie einen besonderen Draht zu ihrem Gott hätten. Dankbar wurden solche Gaben und Zuwendungen von diesen Heilsverdrehern der damaligen Zeit angenommen, konnte doch letzten Endes keiner kontrollieren, was wirklich geschehen würde, ob sie recht behielten oder auch nicht. Jesus enttarnt diese falschen Propheten und macht in der Deutung seines Bildes vom Hirten und den Schafen klar, wer das Original, der richtige Prophet, der wirkliche Messias, der einzige Sohn Gottes ist. Seine Botschaft lautet, er allein ist die einzige Tür, die in die Rettung führt. Durch ihn finden die Menschen wirkliches Leben. Die Weide, auf die Jesus diejenigen begleitet, die seinem Wort wirklich trauen, heißt Leben in Fülle. Als Fälschung identifiziert Jesus diese selbsternannten Propheten und Heilsverdreher, die sich beschenken lassen und so zu Dieben werden; diese Heilsverkäufer, die mit der Angst der anderen Menschen ihre Geschäfte machten und nicht davor zurückschreckten, jeden bis aufs Blut auszusaugen, zu schlachten und so der Vernichtung zu überlassen. Doch reicht diese Vorgehensweise Jesu?

Reicht es, dass Jesus diese Betrüger, Diebe und Räuber, die sich selbst zu Propheten erheben, als solche benennt, um von sich selbst zu behaupten, die Wahrheit zu sein, der wirkliche, das Original aller wirklichen Propheten? Ist Jesus überzeugend, wenn er behauptet, diese Wahrheit selbst zu sein, der die Türe zu unserer Rettung ist, der der Weg zu einem vollen, erfüllten, satten Leben ist, der die Befreiung ist von unserer Angst um uns selbst und das schon jetzt, hier und heute? Das sind doch auch nur Worte!

Gehen wir noch einmal zurück in unseren Gedanken nach Trier zum heiligen Rock. Was erzählt uns dieses Leibtuch Jesu? Ist es das Original oder ist es eine Fälschung? Es ist ein Original, wenn es uns Menschen Jesus näher bringt, der keine frommen Sprüche geklopft hat, sondern hinter jedem einzelnen seiner Worte mit Haut und Haaren selber steht. Dieses Untergewand Jesu erzählt uns Menschen von Gott, der in Jesus Christus die Botschaft der Befreiung auch gelebt hat, der berührbar wurde und auch auf Tuchfühlung zu uns Menschen ging. Dieser heilige Rock vergegenwärtigt diesen Jesus, der in einem einfachen Gewand über die Felder zog und die friedfertigen Menschen selig pries. Der am Ufer des Sees Gennesaret Männer und Frauen in seine Nachfolge rief, der in Emmaus den Jüngern das Brot brach und der immer wieder auf der Seite der Kleinen und Unterdrückten stand und sie Vergebung, Freiheit und Würde spüren ließ.

Doch dieser heilige Rock ist auch in Gefahr eine Fälschung zu sein, nämlich dann, wenn Menschen ihn für ihre eigenen Ziele benutzen, die nicht mit der Botschaft Jesu übereinstimmen. Er ist eine Fälschung, wenn er als Abziehbildchen auf Gläsern und Tassen vermarktet wird, wenn ihm magische Kräfte angedichtet werden oder wenn durch ihn der Ablasshandel des Mittelalters zu neuem Leben erwacht.

Nun bleibt aber noch die Frage am Schluss, sind die Fasern dieses Rockes wirklich fast 2000 Jahre alt? Eine klare Antwort wird es darauf nie geben. Eines jedoch ist definitiv, das Gewand Jesu bekleidet ganz aktuell Menschen, die als evangelische und katholische Christen noch näher zusammenrücken. Es bekleidet Menschen, die sich gegenseitig in ihren unterschiedlichen Religionen wertschätzen und respektieren. Es bekleidet Menschen, die füreinander einstehen, miteinander Probleme anpacken und sich voneinander begeistern lassen. Jesus selbst ist das Original Gottes, die einzigartige Botschaft von Gott, in der Wort und Tat identisch sind.

Der heilige Rock von Trier ist ein Original, wenn wir und mit ihm bekleiden als Frauen und Männer, die die Einzigartigkeit Jesu annehmen und immer neu versuchen, sein Wort und das eigene Leben miteinander in Einklang zu bringen. So ist jeder von uns ein Original, in dem Gott auf Tuchfühlung zu den Menschen geht.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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