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Menschen mit Visionen gesucht

Faxbox-Predigt zum 27.5.2001

Papst Johannes Paul wird in die Weltgeschichte als ein Papst der besonderen Art eingehen, daran besteht kein Zweifel! Ob nun als das Oberhaupt der Katholischen Kirche, das die meisten Pastoralreisen in seinem Pontifikat absolviert hat, bisher sind es fast 100 Reisen quer durch die Welt gewesen, oder als der Papst, der äußerst erfolgreich dem Kommunismus die Stirn bot, oder aber als der Oberhirte aus Rom, der als Mittler zwischen den Weltreligionen unübersehbare Zeichen gesetzt hat. Möglich wäre auch noch, dass er als der Mann in die Weltgeschichte eingeht, der sich auch in führender Position nicht scheute, seine Krankheiten und Gebrechlichkeiten in der Öffentlichkeit nicht zu verbergen.

Nun, nach seinen unübersehbaren Impulsen für das gelingen der Weltengemeinschaft, die er im vergangenen Jahr, dem heiligen Jahr an der Jahrtausendschwelle setzte, gibt er nun wieder ein Signal mit Blick auf die Erneuerung der katholischen Kirche.

Wie die Medien berichteten, traf sich der Papst in der vergangenen Woche mit den wohl exklusivsten Herrenclub der Welt, dem Konsistorium der Kardinäle, genauer gesagt mit 152 purpurnen Würdenträgern. Zwei wesentliche Themen standen auf der Tagesordnung, die Zusammenarbeit der Bischöfe mit dem Papst und davon nicht abzukoppeln das Thema: Strategien der Kirche im 3. Jahrtausend. Gerade mit dieser Frage nach Strategien der Kirche für die Zukunft, verbindet der Papst ein Anliegen, so verlautete am vergangenen Sonntag, dass er sich eine Kirche vorstelle, in der niemand ein Fremder sei!

Mit diesem Wunsch steuert der Heilige Vater ein Ziel an, das ihm, würde er es erreichen, mit Sicherheit schon jetzt einen gesicherten Platz unter den großen Persönlichkeiten des 3. Jahrtausends garantieren würde. Welch eine Vision: Keiner möge sich in der katholischen Kirche fremd fühlen! Das hätte es in dieser Kirche wohl noch nie gegeben, jeder in ihr willkommengeheißen so wie Platz genommen! Ein wirklich faszinierender Gedanke!

Das könnte so aussehen:
Die sogenannten Konservativen in Einklang mit den sogenannten Progressiven, Kirche von unten im Schulterschluss mit der hierarchisch strukturierten Kirche von oben, die geouteten Schwulen und Lesben neben den Anhängern des Opus Dei in einer Fronleichnamsprozession, katholische und evangelische Christinnen und Christen beim gemeinsamen eucharistischen Mahl, also kuz gesagt, das Lamm, wer auch immer das sein mag, lagert beim Löwen, der ebenso hier für keine bestimmte der genannten Gruppierungen steht. Nur so ist letztlich der Wunsch des Papstes zu verstehen, niemand fühle sich in der Kirche als ein Fremder.

Dieser Wunsch, vom heiligen Vater ausgesprochen, hat allerdings eine ganz alte und gleichzeitig immer neue Wurzel, die in der Bitte Jesu gründet, so wie wir sie im heutigen Evangelium gehört haben: “ alle mögen eins sein.“ Jesus, der aus der Einheit mit dem Vater und dem Heiligen Geist, den Gott der Liebe der Welt geoffenbart hat, geht zum Vater zurück und hinterlässt uns den Geist der Einheit, der zusammenführen soll, was immer schon zusammengehörte, die Menschheit als die Kinder Gottes, bestimmt eine Weltenfamilie zu werden.

Sollte der Papst diesem Ziel nun näher gekommen sein als Jesus selbst, dessen Stellvertreter, so die katholische Lehre, der Bischof von Rom nun mal ist? Zu wünschen wäre es nicht nur Johannes Paul, sondern der Ganzen Menschheit, in aller Unterschiedlichkeit sich als eine Gemeinschaft zu verstehen, in der jeder so angenommen ist wie er am gemeinsamen Tisch Platz genommen hat. Doch wer die Realität der Zerrissenheit dieser Welt ernst nimmt, und diese ist auch unserem Papst nicht fremd, steht vor einem Berg von unbeantworteten Fragen, diese Vision der Einheit betreffend.

Was bedeutet, niemand fühle sich in der Kirche als ein Fremder? Ist das Fremde, das Ungewöhnliche, das Andere und noch unbekannte, so wie es ist willkommen wenn es das ihm selbst Fremde im anderen Menschen akzeptiert und bejaht? Oder muss der Fremde erst ein kompatibler Bekannter werden dergestalt, dass er so scheint zu sein wie diejenigen, die sich heute in der Kirche willkommen wissen?

Was bedeutet „alle mögen eins sein“? Reicht es für den Frieden dieser Welt aus, dass all jene die sich zu Christus bekennen „eins“ seien, was schon kompliziert genug wäre?
Oder umfasst der Wunsch nach Einheit nicht letztlich die Einheit in Verschiedenheit, die auch die anderen Weltreligionen beispielweise nicht außen vor lässt? Aber wie soll das gehen?
Welch Perspektive zielt der Papst an, wenn er neu über die Strukturen seiner Kirche der Zukunft nachdenkt?
Geht es hier eher um dienende Strukturen oder um reglementierende Strukturen, die ermöglichen, gleichzeitig aber auch verhindern?

Wir müssen nicht erst die Ergebnisse der Beratungen zwischen dem Papst und seinen Kardinälen abwarten, um zu wissen, dass die Vision einer Kirche, in der sich niemand fremd fühlt, also die Vision der Kirche als Einheit, ein frommer Wunsch ist. Das Grundproblem in der Erlangung einer Einheit liegt schon darin, das all jene, die zu dieser Einheit gehören sollen, an dieser Einheit mitbauen müssen, damit Einheit auch Konturen bekommen kann, und nicht nur eine blinde Umarmung all dessen ist, was wir in dieser Welt vorfinden. Aber wie steht es mit den Verantwortlichen der Weltreligionen und Glaubensgemeinschaften, wollen sie eine Einheit in Verschiedenheit? Geht das überhaupt? Wie eben schon gesagt, wer eine solche Vision hat steht vor einem Berg von Fragen, die heute kaum zu beantworten sind.

Bedeutet das aber, Jesus hätte sich seinen Wunsch nach Einheit besser sparen sollen und der Papst diese Vision, keine fühle sich in dieser Kirche fremd, ebenso? Unsere Kirche, die Welt braucht Visionäre und ihre Visionen, solange sie der Einheit der Menschen dienen, und so dem Wohlergehen eines jeden einzelnen Mensch in ihr. Wenn wir keine Visionen mehr haben, dann haben wir die Welt aufgegeben und somit auch uns selbst, ob nun als Kirche, als Gemeinschaft der Religionen oder als eine Menschheitsfamilie, die wir ja erst noch werden müssen, sowie den uns anvertrauten Planeten Erde.

Wer keine Visionen mehr hat, oder den Visionen andere Menschen nichts mehr zutraut, der findet sich mit einer Welt ab, in der das Motto immer mehr Platz greift, fressen und gefressen werden. Visionen können herausfordern, den Umständen zu trotzen, die Visionen anprangern!

Jesus prangert an, dass die Einheitsstiftende Kraft der Liebe Gottes immer mehr zu einem Privaterlebnis der Menschen oder einzelner Gruppierungen gemacht wird, das separiert und nicht zusammenführt in der Annahme des Lebens, so wie es ein jeder Mensch von Gott geschenkt, in sich spüren darf!
Jesus prangert an, dass die gestaltende Kraft der Einheit unter den Christen vergeudet wird durch oft nur machterhaltende Strukturen, und so immer mehr verloren geht was uns einen könnte, das Bekenntnis in der Eucharistie: seht Jesus Christus, den Sohn Gottes, unser aller Erlöser!
In Folge des Einheitswillen Jesu Christi, erhebt der Papst seine nun gebrechliche Stimme und prangert in der Vision einer Kirche, in der sich niemand als Fremder empfindet, die Tatsache an, dass bis heute ungezählte Menschen sagen: ich bin in dieser Kirch nur ein Fremder oder nun bin ich in dieser Kirche zu einem Fremden geworden!
Doch derjenige, der möchte, dass sich niemand in dieser Kirche als Fremder fühlt, der muss sich auch aufmachen und den Menschen draußen vor der Türe glaubhaft spüren lassen: Du bist in unserer Kirche so willkommen wie du Platz nehmen wirst!

Dass kann nicht nur ein Papst, das kann auch nicht eine Gruppe handverlesener Kardinäle, das können auch wir nicht allein als eine Kirchengemeinde. Diese Einheit bewerkstelligen, können vom Papst bis hin zu jedem anderen Menschen guten Willens nur jene Menschen unter diesen, die mehr erreichen wollen, als wir in Sachen Einheit momentan in unseren Händen halten, und so die Vision der Einheit mitträumen und mittragen!

Dies aber bedeutet Veränderung, bei allen, ob nun beim Heiligen Vater in Rom oder bei jedem anderen Menschen guten Willens. Veränderung kann aber auch zur Folge haben, liebgewonnene Gewohnheit, Rechte und Ansichten zu Gunsten einer ehrlichen Einheit aufgeben zu müssen, oder besser gesagt, um der Sache willen preis zu geben. Veränderung dient der Einheit aber auch nicht, wenn sie um jeden Preis geschieht. Bezogen auf unsere Kirche bedeutet das zum Beispiel: Unsere Kirche ist von ihrem Wesen her keine Demokratie, die über ihre grundlegenden Gesetzte letztlich abstimmen kann. Das Grundgesetz unsere Kirche ist das Wort Gottes, das uns in Jesus Christus geboffenbart ist und darüber können wir nicht einfach abstimmen. Sicherlich ist die Gemeinschaft der Glaubenden gerufen, aus dieser Botschaft Gottes heraus die Zeichen der Zeit zu erkennen, und diese, aus der Kraft des Heiligen Geistes, mit Blick auf das Leben der Menschen zu deuten.

Doch bleibt die Tatsache bestehen, das der Adressat der Botschaft sowie ihre Intention selbst, in beiden Fällen der Mensch selbst ist, und das ist nicht abstimmbar! Gottes Liebe ist in keiner Situation verhandelbar, und das darf auf dem Weg zur Einheit, zur Beheimatung des Menschen in der Kirche Gottes, auch nicht vergessen werden, da es Gott um das Gelingen des Lebens aller Menschen geht. Dies ist einzig der Kern einer ehrlichen Einheit, und nicht der billig oder teuer erkaufte Kompromiss, in dem auch nur ein einziger Mensch zum Verlierer wird! Dies allerdings scheint selbst schon wieder eine neue Vision zu sein , deren Erfüllung unendlich viele Fragen aufwirft. Aber auch diese Vision ist es Wert gedacht und gesagt zu werden, denn Visionen können Kraft geben, die Kraft zu Veränderung auf dem Weg zur Einheit in der Liebe Gottes.

Was bleibt uns nun?
Die Vision, an der Erlösung durch Jesus Christus, dem Sohn Gottes nicht vorbei kommen zu können. Aber gerade deswegen den Mut nicht aufzugeben, alle Wege gehen zu wollen, die dieser Erlösung selbst, in der Kraft des Heiligen Geistes, so nahe kommen wie es unser Mensch sein zulässt! Einheit bleibt letztlich aus Gott geschenkt. Warum wir sie heute noch nicht erleben dürfen, scheint nur Gott zu wissen. Doch am Jüngsten Tag hält Gott das Gericht der Liebe, und in diesem Gericht schenkt er uns die letzte Rechenschaft vor sich selbst.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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