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Maria – Offenheit für die Fülle Gottes

Anna-Woche 2001 in Düren zum Thema
„Aus dem Innersten zum Äußersten – Heilige verrücken das Leben“

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

In der Hitliste der großen Persönlichkeiten des Christentum rangiert sie auf den ersten Plätzen. Sie wird verehrt und besungen, abgelehnt und geleugnet, sie ist Namensgeberin ungezählter Menschen, Vorbild und Ikone. Besondere Kräfte werden ihr auch heute noch nachgesagt und ganze Ortschaften verdienen an ihr gutes Geld. Sie ist öfters abgebildet als die verstorbene Lady Diana, populärer als der Papst und einige ihrer hartnäckigsten Fans behaupten, dass sie auch heute noch auf Erscheinungstournee ginge.

Wer ist dieser Mensch? Hier einige Daten:
Familienname: unbekannt
Vorname: Maria
Geburtsort: unbekannt
Geburtsdatum: irgendwann zwischen 20 und 14 Jahren vor Christus
Geschlecht: weiblich
Nationalität: Jüdin
Größe: unbekannt
Augenfarbe: unbekannt
Beruf: Hausfrau
Familienstand: verlobt
Kinder: ein Junge (soweit bekannt)
Besondere Merkmale: keine
Todestag: unbekannt

Soweit die uns bekannten Fakten!
Nun zu der Einschätzung dieser Persönlichkeit:
Heutzutage wird Maria allgemein als langweilig, uninteressant, gotteshörig und relativ dumm verschlissen. Zu sagen hatten die Frauen damals angeblich sowieso nichts, also muss auch Maria eine blasse Frau gewesen sein, ohne Format und Ausstrahlung. Auch wenn sie als Mutter Jesu eine hohe Bekanntheit genießt, so sagt das allerdings noch nichts über ihre Akzeptanz aus.

Viele ältere Menschen heute respektieren sie einfach als die Mutter des Sohnes Gottes. Jüngere Menschen haben zu ihr ein eher gestörtes Verhältnis, zumal junge Menschen oft mit den Bildern, den Darstellungsarten Mariens in der Kunst nur wenig anfangen können. Eine Frau die beispielsweise mit Krone, gekränzt von Sternen, in prunkvollem Gewande auf einem Halbmond stehend und von Lilien geziert dargestellt wird, entspricht heute weniger dem Geschmack des Zeitgeistes, und verhindert gerade bei jungen Menschen so oft den Zugang zu der Persönlichkeit dieser Frau.

Da hilft das wohl bekannteste Mariengebet – Gegrüßet seiest du Maria, voll der Gnade … du bist gebenedeit unter den Frauen … – auch nicht wirklich, Maria aus der Ecke der süßlich, dümmlich anmutenden Gottesgebärerin zu befreien. Wer an diesem Punkt in der Beurteilung dieser Frau allerdings stehen bleibt, der hat von dem Charakter dieser biblischen Prominenten nichts begriffen.

Was zeichnet Maria also wesentlich aus?
Maria ist eine gläubige und praktizierende Jüdin. Das bedeutet, dass Maria die Realitäten ihrer Zeit nicht nur nach deren Erklärbarkeit beurteilt, also nach dem, was das damalige Wissen für richtig und erkenntniswert hielt, beziehungsweise was die alles dominierende Männerwelt zur Wahrheit erhob. Maria erkannte hinter der sichtbaren und erklärbaren Welt ihrer Epoche, wie viele andere gläubige Juden auch, die Handschrift Gottes, dessen Namen sie nicht wagte in den Mund zu nehmen, um nicht den Anschein zu erwecken, Gott sei mit einer Namensgebung zu haben und somit zu begreifen.

Sicherlich unterschied sich Maria mit diesem Frömmigkeitsmerkmal nicht von ihrer Schwestern und Brüdern jüdischer Abstammung. Dass allerdings dieser Bundesgott der Urväter mit Maria eine ganz individuelle Geschichte schreiben wollte, die von einzigartiger Bedeutung für die ganze Welt werden sollte, traute man Gott kaum und Maria schon gar nicht zu.

Maria aber ließ sich nicht beirren und traute der göttlichen Stimme, auch wenn sie nicht begreifen, erklären und begründen konnte, warum ausgerechnet sie in den Augen Gottes eine besondere Rolle in der Geschichte zwischen Gott und der Menschheit spielen sollte. Das Entscheidende aber ist nun die Tatsache, dass Maria Gott etwas so großartiges zutraute, das jenseits aller menschlichen Erklärungsversuche geschehen würde, ungeachtet ob der Mensch das nun endgültig begreifen wird oder auch nicht.

Normalerweise wäre vielleicht zur damaligen Zeit eine gottesfürchtige Jüdin in Ohnmacht gefallen, während das Wort Gottes an sie erging, und nach dem ersten Schrecken hätte sie mit aller Ehrfurcht natürlich versucht, Gott abzuwimmeln so nach dem Motto: Bitte nicht mit mir, was sollen die Leute denn von mir denken, und überhaupt bin ich es nicht Wert, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs an mir handelt! Eine Frau von weniger Format als Maria hätte sich eher aus dem Staub gemacht, in der Hoffnung, der liebe Gott hat doch nur einen Scherz gemacht. Aber weit gefehlt, Maria ist selbstbewusst genug um zu akzeptieren, dass Gott immer wieder den Menschen um Mithilfe bittet, damit er seine Vorhaben auch erden kann und diese so erfahrbar für die Menschen werden.

Maria traut Gott mehr Handlungskompetenz zu, als das Wissen der Menschen damals wie heute verkraften kann. Sie glaubt, vertraut und liebt das lebensspendende Wort Gottes, wider alle Erkenntnis und rationaler Vernunft! Bei einem solchen Vertrauen spielt es auch keine Rolle, ob Maria nun ihr Kind mit Hilfe eines Mannes oder eben auch anders bekommt. Sie mäkelt nicht herum, versucht auch nicht mit Gott zu verhandeln, um vielleicht ja doch noch einen kleinen Vorteil für sich selbst rauszuschlagen. Nein, ihr reicht das göttliche Wort vollkommen aus und sie akzeptiert, dass Gott mit ihrer Hilfe in dieser Welt ankommen will, um so ein ganz neues Kapitel in der Biographie Gottes mit den Menschen aufzuschlagen.

„Maria – Offenheit für die Fülle Gottes“, das Thema dieses Gottesdienstes, ist nun handlungsorientiert auf diese Kurzformel zu bringen: Gott entfaltet sich in dem Vertrauen dieser Frau namens Maria!

Was aber ist dabei die außerordentliche Leistung dieser Maria?
Maria entscheidet sich freiwillig für das Handlungsprinzip Gottes, in dem sie dem Wunsch Gottes ihre eigene Zukunft anvertraut und diese ihm frei entschieden überlässt. Das bedeutet aber nicht, dass Maria willenlos wird, im Gegenteil, der Willen Gottes ist auch der Wille Marias, ohne allerdings genau zu wissen wie dieses Abenteuer mit Gott enden wird.

Lassen Sie mich das in einem Bild verdeutlichen: Es ist nun schon fast 10 Jahre her, dass ich mit unserem verstorbenen Bischof Klaus Hemmerle eine lebhafte Auseinandersetzung hatte, wie denn am besten Maria in einem Bild darzustellen wäre. Jede figürliche Darstellung schien mir die Persönlichkeit Marias einseitig zu gefährden. Die Darstellung einer Schutzmantelmadonna z.B. reduziert Maria auf die sorgende Mutter der Menschheit. Die Maria unter dem Kreuz oder als Pieta reduziert Maria auf die leidende Mutter. Maria als Königin auf dem Halbmond umkränzt von Sternen reduziert sie auf die unerreichbare Himmelskönigin. Maria nur mit dem Kind im Arm reduziert sie auf die Gebärende. Maria als opfernde im Tempel mit dem greisen Simeon reduziert sie auf die religiös Praktizierende. All diese Bilder sagen etwas richtiges aber sind weit davon entfernt das grundsätzliche über diese Heilige auszusagen. Da scheint mir auch heute noch ein anderes „Bild“ entsprechender zu sein. Ich sagte zu Bischof Klaus, wenn ich ein Bild von Maria malen würde, dann zeichnete ich nur einen großen Kreis ca. zwei Meter im Durchmesser, oder ein eben so großes Viereck, leicht eingefärbt, das nur eine Intention hat, ein Hintergrund zu sein.

Das allerdings wäre noch keine Abbildung von Maria, sondern eine abstrakte Vergegenwärtigung ihrer Haltung: Maria ist der Hintergrund für das handeln Gottes! Maria, die sich entschieden hat alles zu investieren, ist der Hintergrund für einen Ausschnitt göttlichen Wirkens in dieser Welt. Maria macht Gott auf dem Hintergrund Ihres Lebens zum Vordergrund der Heilsgeschichte zwischen Gott und den Menschen. Nur so kann und will sie offen sein für die Fülle Gottes!

Vor einem solchen „Bild“, oder besser vor diesem Hintergrund können wir auch zu Maria beten:

Gegrüßet bist du Frau,
gerufene Maria.
Gott bat dich um deine Liebe,
du schenktest ihm all dein Fühlen.
Obwohl sein Gesicht dir verborgen,
du ihm nahe,
unteilbarer Augenblick,
so verlassen.
Umgeben von unbekannter Wärme
– dir vertraut –
streicheltest du deinen Bauch,
spürtest Leben,
dir geliehen,
du geschenkt,
uns gezeigt!

Mutter,
gerufene Maria:
Hilf uns dieser Wärme trauen,
die wir selbst auf Kälte bauen,
verraten so wonach wir suchen.

Mutter,
gerufener Mensch:
Hilf uns deine Hoffnung hoffen,
um im Sterben loszulassen,
was Gott uns nur geliehen,
damit wir spüren
des Lebens Leben!
Amen

Dieses Gebet aber macht deutlich, dass das Ereignis zwischen Gotte und Maria noch nicht abgeschlossen ist. Historisch und heilsgeschichtlich betrachtet ist es abgeschlossen in dem Sinne: Es ist geschehen! Aber handlungsorientiert bleibt die Begebenheit zwischen Gott und Maria ein aktuelle Provokation an uns heute als Christinnen und Christen, die wir heute selbst weitergestalten sollen!

Ein kurze Szenenwechsel:
Immer wieder werden Fans von großen Radsportlern, Fußballern, Motorsportlern, Schlagerstars und auch bedeutenden Literaten in Interviews gefragt, warum sie ihre Helden verehren. Oft hört man dann eine sehr einfache Antwort: „Weil sie für etwas stehen!“ (Politiker werden eher selten mit solchem Lob bedacht.) Diese Aussage, Menschen haben Respekt verdient, weil sie für etwas stehen und dafür auch einstehen, macht deutlich, wie sehr sich Menschen heute nach Vorbildern, zumindest aber nach Orientierung sehnen, um in dem Dschungel der Werteangebote nicht hilflos unorientiert zu bleiben.

Gerade auf dem Hintergrund der Geschichte muss immer wieder genau hingeschaut werden, wofür Menschen stehen und einstehen. Ein wesentliches Kriterium, das eine Handlung zu einem Wert macht, beziehungsweise ob Handlungen werteorientiert sind, ist die Frage: Dient das, wofür ein Mensch einsteht, dem Leben der Menschen in einer ehrlichen und verantworteten Gemeinschaft?

Maria stand mit ihrem ganzen Leben für Gott ein, für ihn stand sie grade, glaubte, vertraute und liebte. Solche Menschen braucht unsere Gesellschaft heute genauso wie in allen anderen Epochen vor uns. Aber solche Menschen fallen nicht vom Himmel. Solche Menschen sind schon geboren und sie tragen unsere Namen. Wir sind diejenigen, die heute gerufen sind der Hintergrund für die Nähe Gottes in dieser Welt zu sein und so die Erfüllung des eigenen Lebens selbst in die Hand zu nehmen! Auf unseren Lebensalltag und die damit verbundenen Entscheidungssituationen bezogen, kann uns eine weitere konkrete Haltung Mariens Orientierung geben. Mit Blick auf ihren Sohn sagte Maria zu den Handelnden bei der Hochzeit zu Kanaan: „Tut was er sagt!“ Entscheidungshilfe für uns heute ist aktuell die Frage: Wie würde Jesus in unserer Situation handeln?

Bitten wir die Gottesmutter:

Mutter,
gerufene Maria:
Hilf uns dieser Wärme trauen,
die wir selbst auf Kälte bauen,
verraten so wonach wir suchen.
Amen

Diese Predigt wurde im Rahmen der Anna-Woche 2001 in St. Anna, Düren gehalten. „Gegrüßet bist du Frau, gerufene Maria“ aus: „Schatz Ansichten – Entfesselnde Wortschätze“, 2001.

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