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Liebe ist ein zu schwaches Wort

Mit einem unmissverständlichen Bild vermittelt der Evangelist Johannes im heutigen Evangelium die existenzielle Beziehung, die uns, den gläubigen Menschen, mit Christus verbindet. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“, so die Worte Jesu. Wir alle können uns einen Rebzweig vorstellen, der vom Weinstock abgerissen am Boden eines Weinberges liegt. Es dauert kaum einen Tag, und er ist ausgetrocknet, verdorrt, unfähig zu überleben und so modert er vor sich hin. Dieses Bild lässt keine Fragen offen: Getrennt von Christus sind wir tot, auch schon mitten im Leben, und mit dem Tod ist dann endgültig Dunkelheit angebrochen.

Gegen solche Gottverlassenheit und Perspektivlosigkeit zum Tod bäumen sich so manche Texte der Lieder auf, die wir im Gottesdienst teilweise seit Jahrhunderten oft mit großer Inbrunst singen, um eben nicht wie eine vom Weinstock getrennte Rebe am Boden individuellen Verrottens zu liegen.

So beteuert der Text eines Liedes zur Fastenzeit: „Dich liebt o Gott mein ganzes Herz, und dies ist mir der größte Schmerz, dass ich erzürnt dich, höchstes Gut; ach, wasch mein Herz in deinem Blut!“ (Gotteslob 852). Ein Zeugnis atemloser Gottgefälligkeit gibt folgendes Christuslied: „Ich will dich lieben, meine Stärke, ich will dich lieben, meine Zier, ich will dich lieben mit dem Werke und immerwährender Begier; ich will dich lieben schönstes Licht, bis mir das Herze bricht“ (GL 558).

Niemandem, der in diesen Texten seine Beziehung zu Gott und Christus widergespiegelt sieht, möchte ich auch nur ein Wort dieser Strophen madig machen. Trotzdem frage ich, ob all jene mit diesen Aussagen auch tatsächlich mithalten können oder wollen, die solche Lieder in unseren Gottesdiensten singen und hören. Können andere Menschen, die auf der Suche zu Gott sind, in solchen Worten eine geerdete und nachvollziehbare Perspektive ihres Lebens entdecken? Treffen die Worte „Wir lieben Gott, wir lieben Jesus“ unsere gläubigen Empfindungen wirklich? Würden Sie die Frage, ob Sie Gott lieben, mit Ja beantworten? Ist das zärtliche Bekenntnis „Ich liebe dich“ geliebter Menschen identisch mit den Worten „dich liebt o Gott mein ganzes Herz“?

Welche Qualität hat denn das Wort Liebe heute, das sich in unserer Umgangssprache auf so Unterschiedliches bezieht. Der eine liebt seinen Dackel, andere lieben gute Reisen, wieder andere lieben einen guten Wein, ein schnelles Auto, den Duft der Rosen, lange zu schlafen, fetzige Musik, die Ruhe der Bergwelt oder einfach nur ein Gänseblümchen. Wenn Sie Gott lieben, lieben Sie ihn dann so wie Ihren Hund, wie eine kulinarische Köstlichkeit, ein Hightech-Produkt der Autoindustrie, eine geniale Komposition oder einfach nur wie ein Gänseblümchen?

Gerade weil dieses Wort Liebe alles und nichts sagt, fragt der Geliebte den Liebenden: „Was verstehst du unter deinem Wort Liebe“? Und wenn sich dann der Blick ganz auf das Gegenüber konzentriert, werden Worte gestammelt: „Du bedeutest mir alles, ich vertraue dir ganz, du bist mein Leben, bei dir darf ich sein wie ich bin, deiner Verzeihung traue ich, mit dir tanze ich mein Leben, leg deinen Leib als Mantel mir um. Und jeder, der solche Worte seinem geliebten Menschen zugemutet hat weiß, dass er mehr sagen wollte, viel mehr als: „Dich liebt mein ganzes Herz“.

Ich möchte in meiner Beziehung zu Gott mehr sagen als: „Dich liebt o Gott mein ganzes Herz“. Mit diesen anderen Worten, die auf den Begriff Liebe verzichten, wäre ich näher an dem, was ich nur unvollständig stammeln kann – auch als Rebe am Weinstock Jesus.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 18.5.2003
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