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Kultürchen

Ecksteine und Stolpersteine einer christlichen und muslimischen Zukunft in Deutschland

Der Begriff Kultur wird wie „selbstverständlich“ in vieler Munde geführt, jedoch selten übereinstimmend. So kann Kultur z.B. gewichtet werden (Leitkultur); Kultur aber kann auch befremden (Fremdkultur), Kultur ist Tradition (Kulturgeschichte), sie suggeriert das Schöne (die Kultur schlechthin) und ist politisch in den Griff zu bekommen (Kulturpolitik).
Die Zukunft des Christlichen und des Muslimischen auf deutschem Territorium orientiert sich primär an der Beantwortung der Frage: Wie wird zukünftig Kultur gedeutet, gestaltet und von wem?

Voraussicht aus Einsichten der Geschichte

Die Frage unserer kulturellen Zukunft findet ihre gegenwärtige und zukünftige Antwort auch im Klima der Geschichte „des Fremden“ in unserem Land, Fragmente eines Rückblicks.

Abul Abbas, ein historischer Hoffnungsschimmer

Eine legendäre Reise, von Karl dem Großen angeordnet, führte die fränkischen Edelmänner Landfried und Sigismund sowie den jüdischen Kaufmann Isaak im Jahre 797 nach Bagdad. Knapp fünf Jahre später erreichte eine Karawane im Auftrag des Kalifen von Bagdad Harun al-Raschid Aachen. Das wohl auffälligste Geschenk für Karl und seine Residenz, das bei diesem Gegenbesuch mitgeführt wurde, war ein lebendiger (weißer) Elefant namens Abul Abbas, der die Aachener in ungläubiges Staunen versetzt haben muss.
Hier begegneten sich Menschen aus dem Land der aufgehenden Sonne und dem Abendland, Orient und Okzident „gaben einander die Hand“ unterschiedliche Religionen und fremde Kulturen berührten einander in Aachen und in Bagdad, ohne sich zu bekriegen, und hinterließen Spuren des Wohlwollens, der Bereitschaft voneinander zu lernen in gegenseitigem Respekt.

Quellen der Ängstlichkeit

Die Geschichte lehrt aber auch, dass es eine uralte europäische Ängst gab, die sich bis in das achte Jahrhundert hinein zurückverfolgen lässt. Gemeint sind u. a. die Eroberungszüge der „Sarazenen“, also der Araber, die als eine zentrale Bedrohung des gesamten christlichen Abendlandes eingestuft wurden, wie auch die Belagerungen Wiens durch die Tiirken in den Jahren 1523 und 1683.
Das christliche „Europa“ konnte aber im 17. und 18. Jahrhundert durch die Zurückdrängung des Osmanenreiches langsam wieder aufatmen. Mit der Verdrängung der Türken aus Ungarn durch Prinz Eugen im Jahre 1716 wussten sich die christlichen Völker wieder ein Stück sicherer. Endgültig befriedet, weil allein in den vier Wänden des damaligen Europahauses plus kolonialer Vorgärten, fühlten die Europäer sich mit der Eroberung Ägyptens durch Napoleon im Jahre 1798 und mit der nachtfolgenden Kolonialherrschaft über weite Gebiete des Vorderen Orients.
In solcher Sicherheit sich wiegend konnten die christlichen Völker es sich getrost leisten, das Fremde, den Islam, aus der gefestigten Burg Europas heraus in selbst dosierten „Portionen“ zu betrachten.

Islam zum Kuscheln

Mit der Aufklärung und der Romantik entstand ein neues Orient- und Islambild. 1772 und 1773 wurden in Frankfurt und Halle die ersten deutschen Ubersetzungen des Korans publiziert.
In unserer Phantasie nachhaltig – bis heute der Stoff aus dem phantastische und märchenhafte Bilder gewoben werden – sind die Erzählungen aus „Tausendundeine Nacht“. Mit diesen Geschichte verbinden sich nahezu alle westlich-romantischen Vorstellungen vom Zauber des Orients, wie er in Bagdad „sich verduftete zur Zeit des mächtigen und weisen Kalifen Harun al-Raschid. „Jedoch sind diese Erzählungen eine späte westliche Kompilation aus einem im 10. Jahrhundert entstandenen arabischen Textkorpus, die ihrerseits wiederum die Arabische Literatur beeinflusst.“1

Die Erzählungen aus „Tausendundeine Nacht“ sowie der 1819 von Goethe veröffentlichte „West-östliche Divan“ nahmen dem Orient nun fast ganz seine bedrohlichen Zuge, die in den Köpfen der abendländischen Menschen so viele hässliche Phantasien geweckt hatten. Der Orient wandelte sich nun, im Schutze einer wohltuenden örtlichen Distanz zum Islam, in ein exotisches Reich voller Zauber und verträglich prickelnder Geheimnisse. So verglich Heinrich Heine z. B. den Orient mit der Geliebten, einer wunderschönen Rose.2
Nun schien die westliche Welt selbstbewusst den Islam domestiziert zu haben und konnte sich sogar Orientalistik als wissenschaftliche Disziplin (Disziplinierung) leisten. So war man wohl in der Lage, „den Patienten gründlich [zu] sezieren, ohne befü#rchten zu müssen, dass er zuckt“.3 Eine herzlich anmutende Variante westlichen Kolonialismus.
Dieser Kolonialismus in damaliger Zeit schürte andererseits die reale Angst der Muslime vor der westlichen Welt und ihren angeblich so erhabenen Errungenschaften der Menschlichkeit. So lebten am Ende des 19. Jh. von ca. 300 Millionen Muslimen ca. 160 Millionen unter kolonialer Herrschaft, also nicht frei! Die Unterdrückung war ein Gewand des Westens, das sich hochherrschaftlich über das fremde Land legte.

Ein neues Kapitel: Islam in Deutschland

In den 6Oer/7Oer Jahren des 20. Jh. wandelten sich auf deutschem Boden Distanz und Nähe von Muslimen und Christen. Die anonyme orientalische Romantik bekam nun (neben Gastarbeitern aus anderen Ländern) in den Straßen und Fabriken deutscher Großstädte ein konkretes Gesicht und einen oft unaussprechlichen Namen.
Ausländische Arbeitskräfte wurden – da es in Deutschland zuviel Arbeit für die einheimische Bevölkerung gab – von der Wirtschaft gefordert und von der Politik als so genannte „Gastarbeiter“ präsentiert, die zuerst aus Spanien und Italien kamen, später dann auch aus der Türkei. Die Menschen aus diesen Ländern brachten aber nicht nur ihre Arbeitskraft mit, sondern auch ihre Kultur und – auf die Muslime bezogen – eine in Deutschland damals weitestgehend (noch/wieder) fremde Religion.
Eigentlich sollten diese „Gastarbeiter“ eine zeitlich beschränkte Leihgabe sein, und die von ihnen mitgebrachte – aber nicht erwartete – Kultur sollte im Verliälmis zur „deutschen“ Kultur, wenn überhaupt, dann nicht öffentlich vorkommen. Heute stehen in den größeren Städten unseres Landes neben Kirchen und Synagogen auch Moscheen. Der Einzelhandel wird interkulturell bestritten. Junge Männer und Frauen türkischer Abstammung haben einen deutschen Pass. Die Anzahl ausländischer Studierender an Universitäten und Fachhochschulen beträgt im Schnitt ca. 10%.
Die BRD wird numerisch immer mehr zu einem multikulturellen Faktum inmitten eines wachsenden Europas, was mit Interkulturalität aber nichts zu tun hat.
Die „Gastarbeiter“ vergangener Tage sind heute überwiegend Europäer, oder sie zählen zu den Aspiranten (z. B. Türkei), die auf eine Aufnahme in dieses Bündnis wartend in Verhandlungen stehen.

Kulturelle Konfrontation

Das Mit-, besser Nebeneinander von christlich geprägter deutscher „Ursprungskultur“ und islamisch geprägten Fragmenten „mitgebrachter Kultur“ war nicht als ein Prozess kulturellen Wachsens angelegt.
Viel zu unvorbereitet war die Begegnung der Kulturen jenseits aller Urlaubsnostalgie. So kamen die ersten Berührungen zwischen christlicher und muslimischer Kultur eher einer Verschiebung von kulturellen Kontinentalplatten gleich: Menschen unterschiedlicter Kulturen wuchsen nicht aufeinander zu, sondern sie sahen sich miteinander konfrontiert. So entstanden (und entstehen) Ängste vor dem Unbekannten und mit ihnen auch Vorurteile.
Folge: Sprachlosigkeit wuchs in der Sprachenvielfalt, sozialer und wirtschaftlicher Neid blühten auf Verlustbefüchtungen in unterschiedlichen Lebensbezügen und kulturelle Entwurzelung bei den ausländischen Mitbürgern einerseits sowie kulturelle Unklarheiten bei den deutschen Bürgerinnen und Bürgern andererseits wurden zur Alltagssorge.
Alle betreffend stieg das meist unausgesprochene Bewusstsein eines anhaltenden Mangels an bewusstem gemeinsamem Kulturschaffen.

Fakt aber bleibt: Ein nicht zu übersehender Anteil der Bevölkerung Deutschlands stammt aus anderen Kulturkreisen, und dieser Anteil wird sich zukünftig durch Zuwanderung und EU-Erweiterung eher noch erhöhen.

Die muslimische Kultur ist Realität in Deutschland und somit auch die Frage: Wie weit kann eine teils christlich und postchristlich geprägte Kultur der Deutschen kulturschaffend existieren und auch koexistieren mit den mitgebrachten Kulturelementen unserer muslimischen Mitbürger, die ihrerseits auch nicht homogen sind?
Ist es gewollt, dass diese einander fremden Kulturen gemeinsame „Schnittmengen“ hervorbringen, oder schließt beispielsweise der „Bekenntniskern“ der jeweiligen Religionen, der noch genauer bestimmt werden müsste, ein Zusammenwachsen der Kulturen, ja sogar eine die jeweiligen heiligen Schriften der Religionen akzeptierende Koexistenz aus?

Kultur heißt: Werden um zu sein

Kultur lebt von der Vergegenwärtigung ihrer selbst, im Kultursein, Kulturwerden und Kulturvergehen, und ist deshalb ihrer Zukunft nicht sicher, obwohl fast jedem „kulturellen Augenblick“ der Anspruch innewohnt, ewig, mindestens aber zukünftig sein zu wollen.
Kultur kennt nicht die Ewigkeit des Olymps, sondern „Kultur ist die Fähigkeit der Menschen, ihr gesellschaftliches Dasein in materialer, sozialer und ideeationaler [von der Idee geprägten] Hinsicht zu gestalten.4 Das setzt Interaktion (soziales Handeln) voraus, kreative Beteiligung (Teilhabe an der Gestaltung) und Bedeutungsfülle (Sinngebung und Lebenserhaltung).

Dem diametral gegenüber stehen die selbsternannten „Nachtwächter der Kulturgeschichte“, die ihre „Kultur des Gewohnten“ mit einem Hoheitsanspruch versehen haben, der ausschließlich nur das hinzuzählt, was sie selber kennen und schätzen.
Solche regulativen Eingriffe in das Werden von Kultur gilt es zu entlarven, da sonst die Gefahr besteht, dass ein kulturelles Verharren gegen ein kulturelles Werden durchgesetzt werden kann. Dieses Ansinnen des kulturellen Verharrens nenne ich „Kulturmobbing“.

Kulturmobbing ist die Folge subjektiver Erklärungen dessen, was Kultur ist bzw. zu sein hat, und diese Erklärungen sind gleichzeitig auch Kriterien für die Zukunft kulturellen Werdens. Etabliert werden diese Kriterien dann auch noch z. B. in politischem Gebaren, dem Bemühen um Paragraphen und/oder historischen Anleihen als Instrumenten der Kultursteuerung.

Dieses Kulturmobbing ist letztlich unangemessen und schlechterdings auch unausgewogen, es ist weit entfernt von einem gleichberechtigten Dialog aller Kulturschaffenden.
Kultur hat Vergangenheit, erkannte und verborgene! Menschen werden in Kulturen hineingeboren, sie finden Kultur vor, ob im Orient oder im Okzident, ob in einer selbsternannten „Ersten Welt“ oder einer so genannten „Dritten Welt“. Kultur entsteht, wo der Mensch Natur berührt. So ist Kultur unausweichlich vorhanden.
Die von Menschen geschaffenen Beiträge zu seiner Kultur oder bestimmte kulturelle Abschnitte sind in ihrer Nachhaltigkeit unterschiedlich und so differenziert zu gewichten. Während beispielsweise die Kultur der Griechen im Denken des 21. Jh. noch immer einen Platz hat und so Kultur bis heute beeinflusst, ist dem imperialen Kaisertum der antiken Römerzeit, zumindest im „old Europe“ – abgesehen davor, dass es ein Kapitel der Weltgeschichte ist – gegenwärtig keine aktive kulturelle Bedeutung zuzuordnen. Kultur wandelt sich auch aus Kultur zur Kultur und bedarf, um Gegenwart zu werden oder zu bleiben, immer wieder der Vergegenwärtigung ihrer selbst, also dessen was geworden ist.
Kultur ist immer aber auch Interpretationsangebot von Gegenwart mit dem Ziel der Orientierung in komplexen gesellschaftlichen Strukturen, die individuelle Entscheidungsmöglichkeiten ermöglicht.
Jürgen Habermas merkt an: „Kultur nenne ich den Wissensvorrat, aus dem sich Kommunikationsteilnehmer, indem sie sich über etwas in der Welt verständigen, mit Interpretationen versorgen.“ 5
Den Kulturbegriff nun ergänzt um eine sozialpsychologische Perspektive definiert Alexander Thomas so: „Kultur ist ein universelles für eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft […] tradiert“6
Kultur in Summe: Sie wird im menschlichen Handeln (Kommunikationsinteraktion) immer wieder aus ihrer Vergegenwärtigung heraus sie selbst. So wird sie geschichtlich übermittelt um aufgehoben, entfaltet oder abgebrochen, also gelebt oder nicht gelebt zu werden.

Wer gestaltet Kultur?

Ohne Natur keine Kultur! Ohne Zeit und Raum keine Kultur! Ohne Mensch keine Kultur! Der Mensch ist die „conditio sine qua non“ für das Vorhandensein von Kultur. Kultur ihrerseits kennt kein Kriterium, das einen Menschen an ihrer Teilhabe ausschließt. Der Mensch ist Kulturstifter, er ist kulturschaffend, da wo er lebt.
Ungeachtet der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung Europas bleibt festzuhalten: In Deutschland und in dem politisch definierten Europa leben in den christlich-abendländisch geprägten Gesellschaften und Kulturen neben Christinnen und Christen auch Muslime, Menschen anderer Bekenntnisse sowie Menschen ohne religiöses Bekenntnis.
Die Bedeutung des christlichen Glaubens ist teil der deutschen und europäischen Geschichtsschreibung. Diese Geschichtsschreibung berichtet über den kulturschaffenden Einfluss der christlichen Kirchen und würdigt ihn. Die Würdigung dieses Kulturgutes setzt sich fort im aktiven Zurückgreifen auf dieses Gut im Kulturschaffen der Gegenwart und der Zukunft.
Die diffuse Angst, das Christentum würde gegenwärtig in die Bedeutungslosigkeit abrutschen, ist unbegründet. (Dass sich die Rolle des Christentums in der europäischen Gesellschaft wandelt, steht außer Frage.) Denn nicht nur die Vergegenwärtigung der Geschichte des Christentums ist kulturrelevant, sondern das konkret gelebte Christentum schafft Kultur.
Wenn also Christinnen und Christen sich in der Defensive wiederzufinden meinen, dann kann diese Einschätzung nicht indirekt oder direkt den Muslimen zum Vorwurf machen. Denn ein ausgerollter Gebetsteppich in der Öffentlichkeit ist wohl kaum der Grund dafür, dass bei der Fronleichnamsprozession immer weniger Christen öffentlich Farbe bekennen.
Das Recht der Präsenz gelebten Glaubens in der Öffentlichkeit kommt aber allen Religionen zu, wenn akzeptiert wird, dass alle Menschen einer Gesellschaft Kulturstifter sind.
Dann prägen auch nichtchristliche Religionen die Kultur Deutschlands und Europas in der Weise wie sie konkret gelebt werden, Papst Johannes Paul II. forderte für das zusammenwachsende Europa eneut eine Rückbesinnung auf die moralischen und geistlichen Werte des Christentums. „[…] Die Einheit des Kontinents könne nicht auf Kosten oder gar gegen diese Werte hergestellt werden […].“7 Diese berechtigte Forderung bedarf eben nicht nur der theorethischen Erwähnung, sondern der Relevanz im Leben derer, die für diese Werte eintreten. Ohne aktuelles Bekenntnis geht es eben nun einmal nicht. Ist das, was uns die Muslime so fremd erscheinen lässt, ihr Bekenntnis?

Die Zukunft der Kulturen lernend leben

Weder die Ignoranz des Fremden, die begrenzte halbherzige Duldung alias Toleranz des Ausländers, die Überwindung jedweder Religiösität, das postchristliche Selbstverständnis des Europäers mit hegemonialem Anspruch,8 der Rückzug in Parallelgesellschaften9 noch brutalste Gewalt sind die Bausteine eines Miteinanders in Verschiedenheit.

„Clash of Civilizations“

Der unerhörte Massenmord vom 11. September 2001 wurde federführend von der Regierung der USA unter Präsident Bush jun. und dem Premierminister Großbritanniens Tony Blair zum Anlass genommen, einen Angriffskrieg zuerst gegen Afghanistan zu führen und dann, ohne Zustimmung des Weltsicherheitsrates, entgegen dem Völkerrecht und der Weltöffentlichkeit, den am Massaker des 11. September nicht beteiligten Irak anzugreifen. Weitere Kriege werden jene politischen Haltungen „legitimieren“ die sich (auch weiterhin) orientieren am „Clash of Civilizations“ (Samuel P. Huntington), also dem Zusammenprall der Zivilisationen, und so dem Krieg der Kulturen. Solche Politik besiegelt den Untergang von Kulturen, provoziert terroristische Gegengewalt und kann zum „Ende der Kultur“ schlecht hin führen!

„Dia-logos“

Der Weg in die Zukunft, jenseits der Gewalt, trägt im Sinne des „transparenten Wortes“ den Namen Dialog. Das klingt zum einen nicht sonderlich neu, aber im Sinne einer Forderung ist es das ja auch nicht. Zum anderen werden jene, die den Dialog befürworten, oft der Naivität bezichtigt.
Der notwendige Dialog darf weder der „verlogene Dialog“10 werden, noch ein Dialog nach dem Motto: „Heute schon toleriert?“11 Die Augenhöhe muss stimmen, denn es geht nicht um Kultur contra „Kultürchen“.

Konditionen des Dialogs:

„Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Friede unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagenforschung in den Religionen.“12 Diese von H. Küng angeführte Kurzformel der Grundlage eines Dialoges in der Welt halte auch ich – ergänzt um: Keine Grundlagenforschung der Religionen ohne Respekt vor den Kulturen – für die Denk- und Handlungsoption auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft der Kultur.

Ein solcher Dialog kann nicht ehrlich geführt werden, wenn er aus falsch verstandener Höflichkeit vor dem Gegenüber, heikle kulturund religionsbezogene Fragen nicht stellt oder unangenehme Fakten nicht zulässt 13. In diesem Sinne geht es um einen „unhöfische /unhöflichen“ Dialog.

In diesem Dialog darf es weder eine Tabusierung von Konfliktpotential geben, noch die „Verwischung der Grundsätze“ oder eine „synkretistische Vermischung“.14 Er muss offen und ehrlich sein. „was oft genug aufgrund von Vorurteilen und Zerrbildern des anderen ein Desiderat bleibt“ 15

In diesem Dialog geht es um eine redliche Annäherung und Verständigung, gründend in beiderseitigem Selbstbewusstsein, geführt in Sachlichkeit und Fairness und in dem Wissen um das Trennende wie um das Verbindende. 16 So müssen sich der Islam und das Christentum gegenseitig Rechenschaft darüber geben, wie z. B. der in den Religionen jeweils verankerte missionarische Charakter zu deuten ist.

Im Dialog die Zukunft der Kulturen lernen bedeutet, selbstbewusst Kultur zu schaffen, die aus der Verschiedenheit von Identitäten und der Identität des Gemeinsamen lebt 17 und im Erleben ihrer selbst immer neu zur Kultur wird. Dieses Kulturschaffen (zu dem der anhaltende Dialog gehört) ist ein komplexer Vorgang, in dem Elemente unterschiedlicher Identitätsstiftung ebenso einen Platz haben müssen wie verschiedene religiöse Rituale, uneinheitliche Kleidung mit unterschiedlichen nonverbalen Botschaften verschiedene Gemeinschaftsrituale und Essgewohnheiten.

Zu diesem Dialog gehört auch der Blick auf den unterschiedlichen Zeitgebrauch, „da die Zeit der Eckpfeiler des sozialen Lebens ist […][und die] Zeitvorstellungen eines Volkes einen wertvollen Zugang zur Psyche einer Kultur […][ermöglichen].18

Dieser Dialog bedarf konkreter Haltungen, Fertigkeiten und Motive. Zu ihnen gehören die Überprüfung des eigenen Selbstverständnisses, Grundlagenwissen zu Religionen und Kulturen sowie die Achtung vor der Verschiedenheit. Sprachkompetenz und die persönliche Begegnung zwischen den Menschen sind genauso Grundlage wie die richtige Selbsteinschätzung eigener Unzufriedenheiten und möglicher persönlich empfundener Benachteiligungen.

Der Dialog kann dazu dienen die potentiellen (geschichtlich und biographisch bedingten) Ängste vor dem Anderen zu relativiert oder sogar abzubauen. Es scheint mir unrealistisch zu fordern, irgendwie die Ängste „wegzulegen“ um dann angstfrei den Dialog zu beginnen.

Der Dialog muss weitergeführt werden, wie schon seit einigen Jahren üblich in den offiziellen Strukturen der betroffenen religiösen, politischen und gesellschaftlichen Organisation. Ganz entscheidend für das Zusammenleben aber ist der Dialog vor Ort, in Stadtteilen, Gemeinden, Vereinen und Verbänden, eben da, wo Muslime und Christen sich begegnen müssten.

Das Herz des Dialoges:
Aufrichtigkeit

Die genannten, den Dialog betreffenden Kriterien für den Weg, die „Zukunft der Kulturen lernend zu leben“, garantieren kein Gelingen, aber klären die gegenseitige Ansichtigkeit und „zwingen“ dazu, zumindest für eine Zeit, näher zusammenzurücken. Entscheidend bleibt die Haltung, die diesen Kriterien innewohnt und ihnen vorausgeht: Aufrichtigkeit.

Anmerkungen

1 Georg Minkenberg: Tausendundeine Nacht. In: Ex Oriente. lsaak und der weiße Elefant. Hg. W Dressen, G. Minkenberg A. C. Oellers. Mainz 2003, 134.

Udo Marquardt: Bedrohung Islam? Christen und Muslime in der Bundesrepublik Deutschland. In: Religionsfreiheit gestalten. Herbert Hoffmann (Hg.). Trier 2000, 23f.

3 AaO., 24.

4 Ina-Maria Greverus: Menschsein ist kulturelle Kompetenz. In: Thomas Schreijäck: Menschwerden im Kulturwandel. Luzern 1999, 43.

Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 2. Frankfurt/M 1981, 209.

Alexander Thomas: Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns. In: Ders: Kulturvergleichende Psychologie. Göttingen 1993, 380.

AaO

Vgl.: Britta Baas: Multikulti am Ende? In: Publik Forum Nn 23, 3.12.2004, 27. Die Hegemonie bezieht sich primär auf die Kultur als kulturelle Hegemonie (Gramsci).

Wie der Begriff der Parallelgesellschaft zu verstehen ist, bietet uns selbst der DUDEN keine Sprachanalyse. Suggestiv werden mit diesem Begriff Aus- und Abgrenzung verbunden sowie kaum externe Kommunikationsstrukturen, eigenes Zeichensystem und ergänzender Wertekanon.

10 Titel des „SPIEGEL“ 51/01

11 Titel der „pardon“ 2/05.

12 Hans Küng: Der Islam, München. 2004, 19.

13 Es darf z. B. auch nicht verschwiegen werden, dass es auch blutige Übergriffe von Muslimen auf Christen gibt. Bischof Reinhard Marx (Trier) stellte mit Blick auf die Unterdrückung von Christen in muslimischen Staaten auf dem sechsten deutschafrikanischen Bischofstreffen in Ghana fest, „dass das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Afrika seit den 80er Jahren insgesamt schwieriger geworden sei.“ (Michael Dorndorf, in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen 43/04. 5.)

14 Synkretismus ist unter anderem in der Religionswissenschaft die Bezeichnung für eine Mischung verschiedener Religionen, Philosophien, Weltanschauungen, Kulte, Stilrichtungen und Gedankensysteme, indem Elemente aus verschiedencn schon bestehenden Systemen zu einem neuen System verbunden werden. Das Wort stammt vom Namen der Insel Kreta ab. Plutarch bezeichnete so den Zusammenhalt der Kreter gegen äußere Feinde trotz ihrer sehr unterschiedlichen Kulte.

15 Georges Tammer: Warum der christlich-islamischen Dialog notwendig ist. In: Ursula Spuler Stegemann: Feindbild Christentum im Islam. Freiburg/ Basel/ Wien 2004; 71.

16 vgl. Hans Küng: Der Islam. München, 2004,21.

17 z. B. mit der deutschen Identität kann ich mich auch identisch als Europäer bezeichnen.

18 Robert Levine: Eine Landkarte der Zeit. München, 1998, 26.

Erschienen in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück. J.P. Bachem Verlag GmbH. Januar 2006
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