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Kommt, und ihr werdet sehen

Vortrag anlässlich der Präsentation der Arbeitshilfe zur Heiligtumsfahrt 2007 mit dem Thema: „Kommt, und ihr werdet sehen“ im Katechetischen Institut des Bistums Aachen

„Kommt, und ihr werdet sehen“, das ist das biblische Motto, welches das einladende Domkapitel der diesjährigen Heiligtumsfahrt (Heifa) gegeben hat.

In seinem weiteren Sinn aber ist dieses nicht nur ein Motto, sondern es ist auch der Maßstab an dem Sie von jenen gemessen werden könnten, die Sie, in welcher Weise auch immer, mit dem Phänomen der Heiligtümer bzw. dem der Heifa konfrontieren.

Was gibt es da zu sehen? Diese Frage wird zwar das „noch real existierende katholische Bildungsbürgertum“ aus Pietät eher so nicht stellen. Darüber hinaus wird dieser „Stand“ diese Frage sowieso als irgendwie beantwortet betrachten auf dem Hintergrund ihrer Selbstannahme „ja schon zu wissen was es da zu sehen gibt“. Aber vielleicht würden sie ja doch gerne lauschen wollen, wenn irgendwelche Kiddies in der Schule ohne jede Scheu, eine Antwort auf diese Frage nicht nur erwarten sondern auch provozieren: „Und, was gibt es da nun zu sehen?“

Wer nun meint korrekt, weil aufgeklärt, antworten zu müssen „Stoffreste gäbe es da zu sehen“, der bedient die Frage photographisch hinreichend aber in der Sache nicht ausreichend. Auf der Seite des Fragenden muss allerdings die Bereitschaft bestehen nicht nur den eigenen Augen trauen zu wollen, sondern auch der eigenen Erinnerung, der eigenen Selbstwahrnehmung, den eigenen Gedanken, Emotionen und Gefühlen. Denn aus diesem Blickwinkel heraus gibt es mehr zu ent – decken als es zu sehen gibt.

Wer mit solcher „korrekten“ antwort nur die Augen der Hin – Gucker bedienen will, der beginnt schon -in die Geschichte zurückgeschaut- all die ungezählten Millionen Pilger Lügen zu strafen, die im Mittelalter begannen nach Aachen zu pilgern, sowie jene ca. 15ooo die im Heiligen Jahr 2000 zuletzt bei den Heiligtümern gewesen waren.

Sehen und Anschauen

Besonders der Mensch des Mittelalters beschäftigte sich alltäglich eher zwanghaft mit seinem Tod und dem Danach, und versprach sich von den mutmaßlich „echten“ Stoffen, also Heiligtümern, auch magische Wirkung im Sinne der Mehrung der persönlichen Gnadenfrüchte, die besonders im Jenseits eingelöst so etwas waren wie die „Lizenz doch nicht Tot sein zu müssen“. Trotzdem aber hatten die Menschen des Mittelalters, wenn sie die Heiligtümer betrachteten und vielleicht sogar von den Stoffen berührt wurden, meist ein ganz in die Tiefe ihrer selbst gehendes Gefühl, eben dem nahe zu sein, was Jesus, Maria und Johannes nahe waren, so ihr Glaube.

Wer diesen Heiligtümern wirklich nahe kommen will, der muss um zu verstehen, um wirklich zu „schauen“ was er sieht, erst einmal ganz bei sich sein können!

„Nackt sein, was für ein Gefühl?
Bekleidet sein, was für ein Gefühl?

Die Nacktheit des Anderen in seinem Bekleidet sein zu spüren, was für ein Gefühl?
Bekleidet die eigene Nacktheit zu spüren, was für ein Gefühl?

Die Nacktheit des Anderen zu bedecken, was für ein Gefühl?
Nackt bedeckt zu werden, was für ein Gefühl?

Nacktheit zu verletzen, was für ein Gefühl?
Nackt verletzt zu werden, was für ein Gefühl?

Die Nacktheit des Anderen zu berühren, was für ein Gefühl?
Nackt berührt zu werden, was für ein Gefühl?

Die Kleidung eines Anderen zu berühren, was für ein Gefühl.
An der Kleidung berührt zu werden, was für ein Gefühl?“

Kommt Ihnen in diesem Text vielleicht das Wort „nackt“ zu häufig vor? Oder ist Ihnen 12-mal der Begriff Gefühl zu viel Gefühl?

Wann haben Sie sich zuletzt nackt ganz im Spiegel gesehen? Der Begriff „sehen“ ist hier nicht zu verstehen als „ups und am Spiegel vorbei gehopst“ sondern als betrachten (nicht nazistisch), in aller Ruhe „für Wahr nehmen“.

Die Kernklarheit der Heiligtümer in einer Kurzformel

Mit den Heiligtümern schauen wir auf die nackte Haut von Jesus, Maria und Johannes! Und wir tun es glaubend, verehrend, betend und hoffend, weil „ihre Haut unsere Haut gerettet hat“.

Das ist der Kernsatz dessen, was wir erblicken, wenn wir die Heiligtümer betrachten.

Konkret:

  • Diese Haut, Marias Haut, die gestreichelt ein Kind barg und die an den Leiden ihres Sohnes immer dünner wurde.
  • Diese Haut, Jesu Haut, die blutig geprügelt am Kreuz verreckte, die verklärt von Thomas berührt werden durfte.
  • Diese Haut, Johannes des Täufers Haut, der mit seiner Haut Zeugnis gegeben hat und so bis aufs Blut uns von Gott in Jesus Christus erzählt hat.

Aber diese Heiligtümer streifen nicht nur die hingehaltene Haut der Verehrten (hingehalten für die Zukunft). Diese Heiligtümer lassen uns auch die eigene Haut spüren und wir berühren mit ihnen auch die Haut unserer Mitmenschen, aktuell und konkret.

Mit den Heiligtümern in Hautkontakt

Diese Heiligtümer führen also unsere Blicke auch über unsere leibliche Begrenztheit hinaus und stellen uns vor die Frage: „Was hat die Haut entfernter Menschen oder meines Nächsten mit mir zu tun?“

Dieser weitere wichtige Blickwinkel auf die Heiligtümer sei hier nur kurz bedacht. Wenn mich die hingehaltene Haut Jesu, Mariens und die des Johannes unberührt und so kalt lässt, dann werde ich wohl kaum auf die Frage kommen: Was habe ich mit der geschundenen Haut eines Menschen zu tun, der gestern in eine Diktatur hineingeboren wurde, seine Stimme zu erheben lernte und heute deswegen von den Machthaben seines Landes gefoltert wird?

Die Haut dieses Menschen ist mir solange egal, solange ich nicht wahr haben, nicht begreifen, besser mich nicht berühren lasse will davon, dass mit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus die Haut des Anderen auch zu „meiner Haut“ geworden ist. Diese „Haut des Anderen“, dieses Leben eines Menschen in der Entfernung ist mir nur „angelegt“ und ich kann das Leben anderer nicht verantworten, von struktureller Schuld einmal abgesehen auch nicht die Machenschaften der Machthaber. Aber die Haut des Anderen, und das führen die Aachener Heiligtümer vor Augen, darf mir zumindest in meinen Gebeten nicht egal sein, ihre Haut muss der meinen gleichgültig sein, auch wenn ich hilflos bleibe und die Haut dieses Menschen nicht retten kann.

Der Pilgerweg zu den Heiligtümern

Wenn Sie sich den Heiligtümern annähern wollen, dann müssen Sie sich dessen bewusst sein auch vor folgende Fragen gestellt zu sein:

  • Was ist Ihnen Ihre eigene Haut wert?
  • Erinnern Sie sich daran was Ihnen weh tut?
  • Für wen würden Sie ihre Haut hinhalten?
  • Wer darf Ihre Haut berühren?
  • Mögen Sie sich auch streicheln?

Wenn Sie Menschen zu diesen Heiligtümern begleiten oder führen, dann müssen Sie ihnen eine Chance geben, hinter dem, was es in den Vitrinen zu sehen gibt, das „eigentliche“, das Mysterium entdecken zu können: Bereiten Sie die „Pilgerrinnen und Pilger“ auf das Ziel ihres Pilgerweges oder ihrer Pilgerfahrt vor, denn: “ …dieses Mysterium besteht weder allein nur aus dem, was wir wissenschaftlich aus diesem Schrein herausnehmen können, noch aus dem, was wir gläubig hineinlegen wollen.“

Dazu gehören u. a. diese Fragen:

  • Was ist dir deine eigene Haut wert?
  • Erinnerst du dich noch daran was dir weh tut?
  • Für wen würdest du deine Haut hinhalten?
  • Wer darf deine Haut berühren?
  • Magst du dich auch streicheln?

Anders gesagt: Wer zu den Heiligtümern führt, sollte sich um die ihm anvertrauten oder der sich ihm anvertrauenden Menschen Willen der Herausforderung bewusst sein, dass es mit den Heiligtümern um eine existentielle Annäherung an das Leben geht, das nur mit dem „Ankommen – können“ im eigenen Leben einhergehen kann. Darum werden die Heiligtümer auch nicht besucht, sondern sie sind das Ziel einer Pilgerschaft.

Pädagogisch gewendet: Es geht um die kritische und produktive Wechselbeziehung zwischen Glaubensüberlieferung, hier die Heiligtümer und lebensnaher Erfahrung, hier der Pilger und Pilgerinnen (auch Korrelation genannt).

Rahmen vor und nach der Berührung

Bis hier hab ich in Fragmenten versucht den Kern der Verehrung unserer Heiligtümer darzustellen. Es gibt natürlich, und das ist sehr wichtig, ein „zum Kern hin“ und ein „vom Kern wieder zurück“, was nicht gleichbedeutend sein muss mit „vom Kern weg“.

Auf dem Weg „hin zum Kern“ gehören Themen angesprochen wie beispielsweise:

  • Was bedeutet einen Ort haben, ein zu Hause, eine Heimat?
  • Warum macht sich der Mensch auf den Weg, warum geht er weg, um dann doch wieder zu Hause anzukommen, aber vielleicht etwas verändert mit sich?
  • Die Geschichte (Kirchengeschichte) der Pilgerfahrten.
  • Die bedeutendsten Pilgerstätten der Religionen.
  • Was sind die Heiligtümer in meinem Zimmer?

Auf dem Weg „von Kern kommend“ sind diese Themen beispielsweise relevant:

  • Was geht mich die Haut des anderen Menschen an?
  • Hat mich was berührt und kann oder will ich darüber sprechen.
  • Welche Bilder gehen mir durch den Kopf.
  • Wie ertrage ich Nähe, auch körperliche.
  • Wenn das vielleicht doch nur Stoffreste zum hingucken geblieben sind was ist dann mit meinen Heiligtümern wie gepresste Rose, dieser eine Brief, der Ring. die Locke etc.?
  • Wie passen ein Verantworteter, also reflektierter Glaube und Gefühl zusammen?

Eine letzte Frage und eine letzte Provokation

Die letzte Frage:

Frage:
Könnte man da nicht dann irgendwelche Hosen oder Hemden in die Vitrinen hängen, so alle sieben Jahre, und mit ihnen dann die Leidenschaft von Maria Jesus und Johannes uns unter die Haut gehen lassen?

Antwort:
Warum sollten wir das tun, wir haben doch diese verweisenden Stoffe und die lassen das Ereingis Jesus, Maria und Johannes schon weit über 1000 Jahre unter die Haut gehen. Mehr Qualität kann diese Art von Nähe nicht haben. Es sei denn, Ihre Jacke würde eines Tages Menschen bewegen mit ihnen auf Tuchfühlung gehen zu wollen, glaubend, betend und verehrend.

Die Letzte Provokation:

Zurück-gelassen für die Zukunft

Reliquien tragen der Zukunft hinterher
was gestern auf das Schöne, Gute und Gläubige reduziert
vorgestern ein Mensch war
der zurück ließ
was Menschen heute
als Schatz in ihren Herzen bergen
um sich so zu verneigen
vor Überresten
die all das nicht mehr sind
was sie zu sein auch nie vorgaben

Reliquien aber machen nicht traurig

Die Visionslosigkeit der Menschen heute
Reliquien nicht mehr nötig zu haben
macht traurig
weil der Mensch vergessen hat:

Verehrung deutet Leben
das in der Verneigung die Gegenwart überdauert
und so des Menschen Blick weitet:
Selbst Reliquie für die Zukunft zu sein

Trauen Sie sich diese Reliquien zu nähern, muten Sie sich und Andere unsere Heiligtümer zu!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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