www.christoph-stender.de

In wandelnden Zeiten

„Seht das Zelt Gottes unter den Menschen“ –
Annaoktav 2006 in Düren

„In wandelnden Zeiten“

Zur Skulptur der „Annaselbdritt“
in der Pilgerkapelle von St. Anna, 6. August 2006
Evangelium: Mk 9,2-10

Starr ihr Blick, muskulös der Körper, scharf das Gebiss. Unerwartet schaut die berühmteste Schlange der Welt Eva ins Auge, und unsere Geschichte mit der Erbschuld nimmt ihren Lauf. Aber schauen wir zuerst einmal auf den Anfang dieses Dramas. Adam und Eva, Sinnbild für den Menschen in Diversität, haben das goldene Los gezogen. Ein ganzes Paradies ist ihnen anvertraut, also Genuss pur, Belastung gegen Null und fast grenzenlos ist ihr Handlungsspielraum, wäre da nicht dieser Baum.

Mitten im Paradies stand dieser Apfelbaum, der die Unantastbarkeit der Souveränität Gottes symbolisierte und beanspruchte. Dieser Baum war tabu, er sollte Adam und Eva nie gehören können. Dieser geheimnisvolle Baum allerdings weckte selbst im Paradies schon Begehrlichkeiten und warf die Frage auf: Verbirgt sich hinter der Unantastbarkeit dieses Baumes etwa unendliche Macht die man an sich reißen könnte?

Und so sind wir wieder angekommen bei dieser Schlange, die in Eva und mit ihr in Adam den Größenwahn weckte, der bis heute in den Köpfen der Menschen umhergeht, nämlich immer wieder Macht an sich zu reißen über Land und Menschen herrschen zu wollen. „Nimm den Apfel von diesem verbotenen Baum“ so die Versuchung „und du wirst wie Gott sein, allmächtig!“ Sprach die Schlange und verschwand und der Mensch fiel darauf rein, eitel wie er bis heute ist, nahm den Apfel.Damit trat der Mensch die Unantastbarkeit Gottes mit Füßen und verweigerte Gott seine Immunität. Der Mensch wollte alles haben, ein Gott sein, das Andere und den Anderen immer wieder besiegen, um Besitzer zu sein. Machtgeilheit führte zum Sturz in auch heute noch unbekannte Abgründe, das Paradies aufs Spiel gesetzt ging verloren, die Weite des irdischen Himmelsgarten wandelte sich für den Menschen in eine verzweifelte Angst um sich selbst. „Und der Mensch sah dass er nackt war!“ und er erschreckte bis ins Mark, nachhaltig bis heute spürbar.

Der Fall des Menschen in Adam und Eva gehört zu Ihrer, gehört zu unserer aller Geschichte, ob uns das passt oder nicht. Denn unsere Geschichte beginnt nicht irgendwie subjektiv vielleicht bei unseren Urgroßeltern oder ein paar Generationen davor, deren Namen wir meistens schon längst vergessen haben.

Nein, unsere Geschichte beginnt mit den ersten Gedanken der Menschheit und zu ihr gehören alle Geschichten um den Menschen seither.

Eine manchmal etwas kuriose Spezies unter den Menschen, der Adel, pflegt das Erbe seiner Herkunft, indem er auf Ahnentafeln seine Vorfahren zurückverfolgt bis er an einer besonders großen Persönlichkeit in der Geschichte anlangt, um dann besonders stolz mit diesem Familienangehörigen auf sich selbst zu sein. Mag ja stimmen, aber selbst seine Familienbande reichen weiter zurück als er historisch belegen kann, wie auch die unsrige die eben bis hinein in das verlorene Paradies reicht.

Wir sind alle die eine Schöpfung, weltweit, ob lebend oder schon verstorben. So wie alle Völker zu der einen Menschheitsfamilie gehören, so gehören auch alle ihre wohlwollenden wie auch ihre egoistischen und fatalen Taten zu unserer gemeinsamen Geschichte. Dieses Faktum begreifen wir beispielhaft wieder neu unter dem Begriff der Folgenabschätzung, greifbar in der globalen Umweltverschmutzung und des daraus entstehenden weltweiten Klimawandels. Die Handlungen des einzelnen Menschen haben letztlich Auswirkungen auf alle und sind so Bestandteil der Geschichte der einen Menschheit.

Ob Jude, Christ oder Muslim, uns gemeinsam sind z.B. die Väter und Mütter des „Alten Testamentes“. Mit der Taufe gehören die Christinnen und Christen zu der großen Familie die sich auf Christus beruft, in dem Gott alles geschaffen hat. Wir sind sein wanderndes Volk auf Erden, seine Gemeinde, verteilt über alle Kontinente, eine Kirche.

Unsere gemeinsame Geschichte, also die Sammlung der Biographien aller Menschen egal welcher Hautfarbe und Religion, nimmt ihren Anfang im verloren gegangenen Paradies. Konkret bedeutet das: Auch wir hier in diesem Gottesdienst sind miteinander verwandt, uns verbindet die eine Geschichte. Wie schrecklich mag so mancher nun denken, der sich hier jetzt eher zögerlich umschaut: „Das soll alles im weitesten Sinne meine Verwandtschaft sein?“ Und die ernüchternde Antwort: „Ja, ob gelegen oder ungelegen“, schauen Sie sich ruhig einmal um.

Diese Zusammengehörigkeit, die auch eine Abhängigkeit voneinander beinhaltet, kennt unterschiedliche Bewusstseinsformen in Vergangenheit und Gegenwart. So z. B. in der entfernteren Geschichte, als Königreiche um des Friedens willen miteinander verbunden wurden durch die Verheiratung ihrer Königskinder, keine Liebesheirat sondern Staatsräson.

Aktuell, heutig, ist dieses „Wir – Bewusstsein“ zwar etwas präsenter, jedoch wackelt dieses Zusammengehörigkeitsgefühl beträchtlich. Z. B. im „Generationen Vertrag“ auf die Renten bezogen, im Solidaritätspakt die Krankenversicherung betreffend oder in der besonders ökologisch akzentuierten Forderung: “ …so handeln, damit wir unseren Kindern und Kindeskindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen.“

Es ist alternativlos konsequent, dass wir stringenter realisieren nicht nur auf den Inseln zu leben, die da heißen: Familie, Düren, Dürener Land, NRW, Deutschlands und vielleicht noch Europas zu leben. Unser Lebensraum ist eine Realität des Ganzen , die Summe der Realitäten in dieser Welt, die alle unwiderruflich miteinander verknüpft sind. Diese unsere Realität und alle anderen Realitäten auf dieser Welt haben ihren gemeinsamen Anfang im verlorenen Paradies, aber genau das verbindet die Realität aller Generationen untereinander gestern, heute und zukünftig!

Dieses Ausrufezeichen (!) versinnbildlicht Annaselbdritt, Kategorie der figuralen Darstellung Annas, Marias und Jesu. Mutter Anna sitzend, ihrem Schoße nahe stehend ihre Tochter Maria, auf dem Arm Mariens ihr Sohn Jesus, der Christus. Heilsgeschichte der Welt aus christlicher Sicht, drei Biographien, drei Generationen, Wandel der Zeiten, eine Geschichte und nur so Realität. Welche Realität aber führt uns die Darstellung der Annaselbdritt vor Augen? Die Realität des Lebens und Überlebens in Generationen und gleichzeitig deren Strategie. Das klingt sehr minimalistisch und wenig romantisch. Doch wir müssen uns auch hier immer wieder darüber bewusst werden, das wir nackt sind, raus dem Paradies: Los Paradies, los.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
wir kommen nicht umhin festzustellen:

Jeder von uns ist mit seiner Geburt erst einmal Erbe, wir erben Welt und den Umgang mit ihr durch unsere Vorfahren, also erben wir auch Geschichte (Übrigens auch belastete Geschichte, angefangen mit dem Sündenfall, über die Kriege und Weltkriege, hin zum 11. September und aktuell der Krieg im Heiligen Land.) Wir erben Fertigkeiten wie wir Natur nutzbar machen oder bewältigen können und so schaffen wir Kultur. Wir erben und gleichzeitig vererben wir wieder, leben ist erben und gleichzeitig heißt leben vererben. Wir finden uns mit der Geburt in einer Generation vor und bilden eine neue Generation. Anders ist Welt nicht zu haben als in der Verwiesenheit der Generationen aufeinander. Besonders der neuzeitliche immer noch mal freiere Geist unserer Gesellschaft legt keinen gesteigerten Wert auf die Verwiesenheit der Generationen untereinander. Autonomie, Egozentrik, Selbstverwirklichung und individuelles Wohlbefinden werden weiterhin allen Ortes propagiert als die Erlösung vom Wir zum Ich. „Annaselbdritt“ ist der stille Protest gegen verlorene Generationen bzw. einen Generationenkrieg, der seine Sprengkraft aus dem reinen Ego, dem dominierenden Ich bezieht. „Annaselbdritt“ steht für das gestaltete Wir und Miteinander der Generationen. Sie ist Modell einer Generationengesellschaft, die gemeinsam zurück schaut, die hin schaut und die in die Zukunft schaut.

„Annaselbdritt“ ist eine Provokation weil sie den Respekt der Generationen untereinander bedingungslos fordert. Keine Generation wäre auch nur annähernd intelligent zu nennen, wenn sie sich über eine andere Generation lustig macht, oder sich ihr gegenüber erhabener fühlt. Sie missachtet so ihre eigene Geschichte und läuft Gefahr selbst einmal zu einer missachteten Generation zu gehören.

Mit Blick auf die Generation der älteren Menschen: 
Sie sind die reichste Generation. Reich an Erfahrung aber nicht bezogen auf die rein subjektiv gemachten Erfahrungen eines jeden einzelnen, sondern bezogen auf die vergleichbaren Erfahrungen, die nur in der gemeinsamen Rückschau als Reichtum und somit als Wert erkannt werden können. Sie, die älteren Menschen, Sie werden mir doch zustimmen wenn ich sage, dass Gemeinschaft, Verantwortung füreinander, Dankbarkeit, Rücksicht, Lebensliebe und Bescheidenheit letzten Endes am weitesten tragen und noch weiter, wenn dieser Reichtum eingebettet ist in Gottvertrauen und Respekt vor dem Schöpfer.

Mit Blick auf die junge Generation: 
Genieß dein jung sein mit Herz. Richtig cool drauf bist du aber erst dann, wenn du geschnallt hast: Erwachsen werden bedeutet, dass ausschließlich du selbst dir die Fertigkeiten erwerben musst die du brauchst, um deine Zukunft so zu gestalten das du eine Chance hast in ihr zufrieden sein zu können. Das bedeutet nicht schon jetzt den Weg in die eigene Zukunft ganz konkret kennen zu sollen, aber es bedeutet eine Vision von sich selbst zu haben, die mit dem eigenen Vornamen beginnt und nicht mit Superman oder so. Feeten, rummachen, und 24 Stunden abhängen kann mal ganz nett sein aber das sind Zeitfresser, bringen für die Zukunft nicht wirklich was und sind somit uncool.

Mit Blick auf die mittlere Generation: 
Akzeptieren Sie wofür Sie einst selbst gekämpft haben, damals, als Sie die junge Generation noch selbst gewesen waren, nämlich ernst genommen zu werden. Begleiten sie die junge Generation, auch wenn Sie selbst in bestimmten Situationen anders entscheiden würden. Ihre physische und geistige Präsenz ist entscheidend für die Entfaltung junger Menschen. Gängelung und ständige Bevormundung jedoch sind zerstörerisch. Halten Sie die Versprechen die Sie anderen Menschen gegeben haben, aber nehmen Sie sich selbst nicht immer so ernst und so unendlich wichtig. Und, was wäre eigentlich Ihr Wunsch woran sich Ihre Hinterbliebenen erinnern sollten, wenn sie abgetreten sind, hoffentlich auf den Weg in den Himmel.

Mit Blick auf alle Generationen:
Jede Generation darf sich beschenkt wissen durch den Reichtum den die jeweils anderen Generationen darstellen, ob nun in reiner Freude darüber das es die andere Generationen überhaupt gibt, ob dadurch das man von ihnen lernen kann, mit Respekt ihnen begegnet, oder einfach nur dankbar ihnen gegenüber zu sein. So müssen die unterschiedlichen Generationen untereinander Kommunikation betreiben, um sich selbst entfalten zu können, aber auch um den Reichtum ihrer selbst für die jeweils anderen Generationen gegenwärtig zu halten. Der Respekt vor den jeweils anderen Generationen aber hat noch einen viel tieferen Grund. Gott schlägt immer neu sein Zelt unter den Menschen auf, weil er von dem Wandel der Zeiten und mit ihr vom Wandel der Generationen weiß. In seiner Hand liegt unsere einmalige, unverwechselbare, und unwiederbringliche Zeit, die in allen Generationen ihre Bahn nimmt, und geronnen in Erinnerung die eine Geschichte der Generationen mit oder auch „ohne“ bekanntem Gott darstellt. Gott will nicht dass die Zeit festgehalten wird, eingesperrt in drei Hütten wie die Jünger es sich auf dem Berg Tabor gewünscht hatten. Nein, er will mit seinem wandernden Volk, unseren Generationen auf dem Weg von Leben zu Leben sein. (GL S. 639, 1. u. 5. Str.)

Diese Predigt wurde im Rahmen der Anna-Woche 2006 in St. Anna, Düren gehalten.

Dieser Beitrag wurde in Anna-Predigten, Predigten veröffentlicht und getaggt , , , , , , , . Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Kommentieren oder einen Trackback hinterlassen: Trackback-URL.

Einen Kommentar hinterlassen

Ihre E-Mail wird niemals veröffentlicht oder weitergegeben. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie können diese HTML-Tags und -Attribute verwenden <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

*
*

© Christoph Stender | Webdesign: XIQIT GmbH
Impressum

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen