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Ihr seid doof, und jetzt erlöse ich euch

Wie die Kirchensprache heute ankommt
Impulsreferat zu einer Podiumsdskussion beim
Katholikentag in Hamburg, 1. Juni 2000

In einem der vier Vorbereitungsgespräche anlässlich einer bevorstehenden Trauung – Intention dieser Gespräche ist es, der Liturgie die Handschrift der Eheleute zu geben – lenkte das Paar unser Gespräch sehr zielstrebig in Richtung Kirche und Sexualität, was dann in die Frage mündete: „Was hat Gott eigentlich mit unserem mit-einander-schlafen zu tun?“

Klare Frage, dachte ich mir, also auch klare Antwort erbeten!

Foto: Norbert Staudt, VKRG

„In einem partnerschaftlich und genussfähig gestalteten Geschlechtsakt, der immer auch zweckfreies Spiel aus Liebe sein möchte, verdichtet sich die Lust Gottes am Leben der Menschen in einer kaum überbietbaren Gotteserfahrung, in der Gott sich berührbar macht zwischen Sehnsucht, Schweiß, Liebe, Haut, Ergebenheit und Loslassen zweier Menschen.“

Schweigen im Raum! Ich schaute die beiden an und fragte mich: „War das jetzt daneben, was für eine Antwort wolltet ihr eigentlich hören?“

Mir geht es heute nicht um die Frage, ob meine Antwort von Ihnen allen mitgetragen werden kann oder nicht! Mir geht es um die Tatsache, dass Sprache abhängig ist von der Erwartung der Zuhörenden. Aber zurück zu dem Traugespräch. Die Braut schaute mich lächelnd an und fragte: „Darf ich in unserem Gottesdienst eine Fürbitte ungefähr so formulieren, möge jeder Mensch den Leib eines anderen Menschen streicheln können mit der Gewissheit bei ihm zu Hause sein zu dürfen?“

Nach dem Traugottesdienst sprach mich ein älterer Herr an und bedankte sich für diesen Gottesdienst und ganz besonders für diese eine Fürbitte mit dem „Streicheln“, das hätte er in der Kirche noch nie gehört und heute tat ihm das so gut!

Es gibt keinen Traugottesdienst, nach dem ich nicht von einer ganzen Reihe von Mitfeiernden angesprochen werde nach dem Motto: „Dieser Gottesdienst hat uns sehr gut getan!“ Meine Frage lautet dann immer: „Was hat Ihnen gut getan?“

Und schon sind wir mitten im Gespräch, das dann oft auch mittelfristige Folgen hat: Ich werde mit Trauanfragen einfach nur zugeworfen!

Verstehen sie mich jetzt bitte nicht falsch. Mein Anliegen ist nicht Ihnen klar zu machen, was für ein toller liturgischer Hecht ich bin. Mein Anliegen ist es deutlich zu machen, dass ich Menschen, wie an diesem Beispiel einer Trauung verdeutlicht, sehr ernst nehme, ja, sogar von ihnen erwarte, dass die eigene Trauung auch die eigene „Handschrift“ tragen muss, damit sie selber auch vorkommen, wie sie sind, dann trifft „liturgische Sprache“ die Lebenssituation von Menschen so, dass sie sich aufgehoben fühlen.

Ich darf aber auch nicht verschweigen, dass es bei solchen und anderen Liturgien auch Menschen geben wird, die sich nicht aufgehoben fühlen, weil sie „etwas“ anderes erwartet haben, Gewohntes nicht wiederfanden oder es einfach unangemessen finden ohne Weihrauch in Stimme und Wort in der Liturgie zu sprechen. Leider hat mich von so empfindenden Menschen noch keiner angesprochen.

Foto: Norbert Staudt, VKRG

Eng verbunden mit der Erwartungshaltung die Liturgie betreffend ist auch das Grundverständnis und das Grundgefühl von liturgischem Feiern. Wird Gottesdienst in all seinen Ausformungen letztendlich als ein Fest unseres Glaubens gesehen, in der Glaube nicht abgekoppelt werden kann von Lebensgefühl? Oder wird Gottesdienst verstanden als die standardisierte Wiederholung des vergangenen Ereignisses im Abendmahlssaal, das in einer späteren Festlegung in Rubriken und einer entsprechenden Wortwahl aus Ehrfurcht zu erstarren hat? In solch einer Spanne der möglichen Erwartungen allen Gottesdienstteilnehmern als Liturgie, egal in welcher Funktion, gerecht zu werden, ist in der Tat ein Spagat, der irgendwann einfach nur weh tut und zwar allen Beteiligten!

Trotz alledem muss Sprache in der Liturgie (sowie in ihren oft „sprachlosen“ Symbolen und Riten) und auch in der religiösen Literatur die Chance haben die Inhalte unseres Glaubens zu entfalten und zu verdichten auf dem Hintergrund der (alltäglichen) Erfahrung der Menschen.

Allerdings darf Sprache nicht zur billigen Anbiederung werden nach der Devise: Wir sprechen auch so, wie man heute halt so spricht! Da tritt dann eine eher defizitäre Sprache zu Tage wie: „Also gestern habe ich da so ein du ey boh mega geiles bo ey du ah gesehen, oder ein watte hatte du denn da.“ Also, das kann es ja auch nicht sein.

Sprache in der Liturgie und der Literatur lebt von der Authentizität des Sprechenden. Er und sie gibt vom eigenen Fühlen, Denken, Wahrnehmen und Erleben etwas preis ohne sich allerdings in einen Seelenstriptease zu ergehen. Das macht verletzlich und genau das ist auch der Grund, warum viele Liturgien sich auf formale Sprache zurückziehen im Sinne eines Selbstschutzes.

Nachtgebet des Kräftigen

Du gabst mir einen liebenswerten Körper
Aber keinen muskulösen Body.
Meine Hände können schaffen
Aber kräftig sind sie nicht.

Mein Kopf ist voller lebendiger Ideen
Aber sehr empfindlich.

Meine Schenkel sind empfindsam
Aber nicht sehnig.

Meine Füße können tanzen
Aber haben noch nie ein Tor geschossen.

Danke für die Liebenswürdigkeit meines Leibes:
Die Kraft seiner schaffenden Hände
Die Kraft seiner lebendigen Ideen
Die Kraft seiner empfindsamen Schenkel
Die Kraft seiner tanzenden Füße

Danke für deine Kraft in mir,
die mehr als Muskeln ist.

Wer aber Liturgie versteht als die Feier unseres Glaubens mitten in unserem Leben, der muss die Deckung der Floskel verlassen und gleichzeitig sich immer vor Augen halten, dass nicht die momentane Lebenssituation des Sprechenden Mittelpunkt einer Feier ist, sondern die lebendige Vergegenwärtigung des Lebens, Sterbens und der Auferstehung Jesu Christi in der Mitte unseres eigenen Lebens. Das muss sehr feinfühlig geschehen und darf nicht nach plumper Vereinnahmung riechen. Darüber hinaus ist die Feier unseres gemeinsamen Glaubens auch immer ein Bekenntnis jedes einzelnen an dem „Punkt“ des Glaubens zu stehen, an dem er nun einmal momentan steht. Diese Standpunkte auf dem persönlichen Glaubensweg sind selten mit den Glaubenssituationen anderer in dieser feiernden Glaubensgemeinschaft identisch.

Fragment eines Gebetes:

Ich habe Interesse.
Du interessierst mich, Jesus!
Nicht weil du den Menschen Brot gegeben hast, sondern weil sie mehr in ihren Händen hielten;
Nicht weil du den, den du liebtest, im Arm gehalten hast, sondern weil er mehr spürte;
Nicht weil du den Verrat anderer geduldet hast, sonder weil ihr Verrat verratene Liebe war;
Nicht weil du Menschen zusammenführst, sondern weil sie aneinander mehr als nur sie selbst waren;
Nicht weil du einsam warst, sondern weil du aufgestanden bist;
Nicht weil du geschlagen wurdest, sondern weil du über dich hinaus etwas gesehen hast.

Du interessierst mich, Jesus!
Weil auch ich mehr in meinen Händen halten möchte;
Weil auch ich mehr spüren möchte;
Weil auch ich, ich selbst und mehr sein möchte;
Weil auch ich aufstehen möchte;
Weil auch ich etwas über mich hinaus sehen will.

Stopp:
Ich habe wohl vergessen, das mit der verratenen Liebe.
Aber ich bin davor, Liebe verraten zu können.
Ich bin noch davor zu lieben.
Ich wollte ja nur sagen, ich habe Interesse!

Ebenfalls einer angemessenen Akzeptanz von Sprache abträglich sind ständige verbale Verordnungen wie: „Wir wollen jetzt aufstehen“ oder „wir gehen jetzt in uns und werden stille!“

Wenn nicht das Wort selbst zur inneren Sammlung einlädt oder der Charakter der Botschaft zum Aufstehen motiviert, scheint die verbale Aufforderung eher als Bevormundung denn als die Artikulation eines gemeinsamen Bedürfnisses.

Ebenso ist es mit der ständigen Anhäufung von Texten in der Liturgie nach der Devise: Was, da ist noch eine Pause im Ablauf, das ist nicht wirklich wahr, da muss noch ein erläuternder Text her. Diese Vorgehensweise führt zu dem sogenannten „Wortdurchfall“.

Eines denke ich ist deutlich geworden: Sprache muss entschieden sein für die Menschen, die sie ansprechen will. Sie darf aber gleichzeitig den Anspruch von Liturgie ihrem Wesen nach nicht vernachlässigen, gemeinschaftsbildend sein zu sollen, also nicht exklusiv und somit ausgrenzend. Das bleibt eine nicht leicht zu bewältigende Forderung. Zur nicht zu bewältigenden Anforderung wird sie aber dann, wenn der Liturge oder die Liturgin auf Nummer Sicher gehen und nur das Römische Missale als einzigen Fundus liturgischer Sprache versteht!

Abschließend ein Segenswunsch:

Mein Wunsch für dich

Ich bitte nicht, du mögest niemals so einen Schmerz in deinem Leib zwischen Herz, Fleisch und Muskeln spüren, der dir Angst einflößt, unwissend, ob er vergeht oder Anfang deines Endes ist?

Ich bitte nicht, dir möge die Frage erspart bleiben, geht das mit dem Geldverdienen weiter, werde ich in Zukunft meine Fähigkeiten einbringen können, finde ich morgen noch Bestätigung?

Ich bitte nicht, der Zweifel möge niemals an dir nagen: Was bin ich noch wert, werde ich nicht doch eines Tages weggeworfen, liebt mich überhaupt noch ein Mensch, bin ich nicht einfach nur ein überflüssiges Auslaufmodell?

Ich bitte nicht, dir möge dieses große schwarze Loch ohne jeden Halt erspart bleiben, in das du einfach nur hineinstolperst!

Ich wünsche dir nicht, dass all das nicht geschehen möge, was geschehen wird.

Mein Wunsch für dich:

Haut, die dich streichelt und hofft aus Liebe gestreichelt zu werden.

Hände, die dich schützen und die du zu halten dich sehnst.

Augen, die dir nachgehen und die du entdeckst.

Ein Wort, das dich trägt, fremd der Lüge und ein Mund, der es nie vergisst.

Ich wünsche dir ein du und diesem du dich bis dorthin, wo uns nichts mehr halten kann!

 

„Nachtgebet des Kräftigen“ aus: „Für mich ist was drin“, Bergmoser + Höller Verlag, 1998.
„Ich habe Interesse“ aus: „Ich will mein Leben“, Bergmoser + Höller Verlag, 1997.
„Mein Wunsch für dich“ aus: „Dank dir auf den Leib geschrieben“, Bergmoser + Höller Verlag, 1999.

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