Zuhören ist die Methode, mit der ein Kleinkind, unabhängig in welcher Kultur beheimatet, lernt, verständlich zu sprechen. Der Spracherwerb der Mutter- und Vatersprache basiert auf der Verarbeitung des Gehörten. Einen Reifegrad erreicht Sprache, wenn sie die Identität, Bedürfnisse, Meinungen und Gefühle eines Menschen für andere verstehbar und authentisch zum Ausdruck bringt. Heranwachsenden aber kommt diese Methode des Lernens aus Kleinkindertagen zunehmend abhanden. Ehrlichen Worten anderer werden immer weniger „Ohren geliehen“.
Besonders Menschen, so scheint mir, die familiäre, finanzielle oder strukturelle Macht in Händen halten, haben diese Methode des Lernens ganz hinter sich gelassen. Sie hören die Worte ihres Gegenübers, wenn überhaupt, nur deswegen, um so schnell wie möglich diesem, mit eigenen angespitzten Worten, ins Wort zu fallen. Das ist in Disputationen oft der Fall, die von Konflikten, Wahrnehmungsdifferenzen oder divergierender Traditions- und Geschichtseinordnungen ausgehen. Der „Lernerfolg“, durch Zuhören überhaupt (besser) verstehen zu wollen, also dem Gehörten entsprechend sprachfähig zu werden, hat gelitten.
Klar, nicht alles, was in Worte gekleidet daherkommt, ist bedenkenswert. Der Respekt gegenüber dem Wortbetreibenden fordert jedoch nichts überhören zu wollen, um auch das geringste Bedenkenswerte herauszuhören. So war das auch, genau hingehört, mit Jesus Rede vom Unkraut und Weizen. (Mt 13,24–30)
In Systemen wie die Kirchen, in von Ideologie geprägten Strukturen oder akademischen Konstellationen neigt man dazu, die ihnen immanent als wertvoll erscheinenden Worte von den mutmaßlich unnützen Worten, dem Wortmüll zu trennen. Wissenschaftlich klingende, von Autorität umgebene oder immer schon als „wahr“ tradierte Worte werden entsprechend gewogen wie Geschmeide, daneben einfach verstehbare Worte nur als Modeschmuck abgewogen. Über die bekannte Gefahr, im gleichen Sprachraum Sprachen nicht hintergründig verstehen zu können, so aneinander vorbeizureden und folgend ein Dialog nicht gelingen kann, sollte im Vorhinein von den Beteiligten gesprochen werden. Aber jede in der Vergangenheit geführte Disputation produzierte, neben weiterführenden und erleuchtenden Worten, auch solche, die in ihrer Zeit als Wortabfall betrachtet wurden.
Dieser auf Wortmüllhalden verbrachte Wortabfall könnte heute, gleich dem Hausmüll, der in den 1950er und 1960er in der BRD auf Müllhalden gelagert wurde wie dem Hülser Berg (einer geschlossenen Müllkippe) bei Krefeld, „seltene Erden“ bergen.
Mit dieser neu gewonnenen Erkenntnis gilt es dem Wort andere Horizonte des aufeinander Hörens zu erschließen, um so eine zukünftig neue Qualität des miteinander Sprechens zu beflügeln.