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Hildegard von Bingen

„Es ist nach zwölf, Gedanken zum Frieden“

Unter diesem Titel veranstaltete die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) in Aachen am Mittwoch den 4. Juni 2003 ihre 19. Friedenswache.

Begonnen hat die KHG diese Friedenswache, eine Idee von Studierenden, am 19. Januar 2003, und sie sollte jeweils mittwochs als ein kleines, aber deutliches Zeichen gegen den drohenden Irakkrieg fortgesetzt werden.

Die Besucherinnen und Besucher dieses „Augenblickes gegen Gewalt“ mussten, wie alle anderen Kriegsgegner auch, die Tatsache des Irakkriegs hinnehmen. Dieser Krieg ist (fast) vorbei, aktuelle Kriege und die Bedrohung durch neue Kriege aber bleibt bestehen. So bleiben diese „Gedanken zum Frieden“ mindestens bis zum Weltfriedenstreffen, das vom 7. September bis zum 9. September in Aachen stattfinden wird, ein nicht ganz stiller Protest für den Frieden in unserer Welt.

Offizielle Vertreter sowie Studierende der verschiedenen Weltreligionen, Künstler, Kulturschaffende und Verantwortungsträger der Gesellschaft haben aus ihrer Perspektive Gedanken zum Frieden mit den Anwesenden geteilt.

Der folgende Beitrag zu einem Lied der heiligen Hildegard von Bingen und deren Interpretation war Inhalt der 19. Veranstaltung in dieser Reihe:

Hildegard von Bingen

Über das für die damalige Zeit ungewöhnlich lange Leben der Ordensfrau und Mystikerin Hildegard von Bingen (1098 – 1179) gäbe es viel zu berichten. Eine ihrer herausregenden Talente war die Predigt, eine Reflexion der Heiligen Schrift auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen. Hildegard war keine Predigerin der fromme Sprüche, sondern sie widmete sich, wie man heute sagen würde, den tagespolitische Ereignisse, und schreckte in der damaligen Klarheit ihrer Worte nicht vor den Autoritäten aus Kirche und Gesellschaft zurück.

Fragment eines Liedes der heiligen Hildegard:

Dieser Gesang, der sechzigste in der Folge der Lieder, handelt von der Vorausschau Gottes, der „urewig jedes Geschöpf hat erschaut“. Dieses „Wissen im Herzen der Gottheit“ ist das Wunder vor der Schöpfung. Aus ihm entspringt auch der Mensch als Abbild der Schöpfung. Mit Hildegards Worten: „Denn Gott, da er blickte ins Antlitz des Menschen, den er gebildet, er sah all sein Werk insgesamt in dieser Menschengestalt.“ Dann greift der Text die Formulierung des Anfangs auf: „O quam mirabilis est praescientia“. (O, wie wunderbar ist der Hauch, der Geist, der so den Menschen erweckte.)

Auszug aus dem Originaltext, in lateinischer Sprache gesungen von H. R. Dageförde, Aachen.

„Wie wunderbar ist doch das Wissen im Herzen der Gottheit,
das urewig jedes Geschöpf hat erschaut!
Denn Gott, da er blickte ins Antlitz des Menschen,
den er gebildet,
er sah all sein Werk insgesamt
in dieser Menschengestalt.
Wie wunderbar ist dieser Hauch,
der also den Menschen erweckte.“

Interpretation:

„Wie wunderbar ist doch das Wissen im Herzen der Gottheit“.
Alles, was im Werden der Schöpfung geworden ist und wird ist das Wissen im Herzen Gottes allewig!
Alles, was dem Herzen der Gottheit entsprungen ist, ist das Sein des Existenten: Welt, Firmament, Gestirn, Milchstraße das All, unendliches Alles!

Im Menschen sah er sein Werk insgesamt. In seinem Antlitz spiegelt sich das unendliche Alles des göttlichen Herzens.

Der Mensch ist der liebevolle Gärtner, Abbild Gottes, der gerufen ist zu pflegen, zu ordnen, werden zu lassen was das Herz Gottes hervorgebracht, allewiglich. Im Herzen Gottes gibt es kein Unkraut, kein „das Fremde will ich nicht“, keine „höherstehende Kultur“, keine bedrohende und drohende Religion, kein „dein Gesicht du Mensch ist nicht geladen“, keinen Abfall.

Im Ausgebreiteten Herzen Gottes, dem „Alles Ist“, ist der Mensch der Entdecker, der „in Allem Ist“ die Spur des Herzens Gottes zu finden gerufen ist.

Warum aber lässt Gott den Menschen suchen? Warum sehnt sich der Mensch danach zu finden? Warum bleibt der Mensch nicht das Geschöpf des Anfangs? Weil der Mensch entschlossen hat sein Ich gegen das Andere zu entfalten, hinaus aus dem „insgesamt“, denn er hörte das „nur mein Herz“ immer kräftiger schlagen, und es schlug kräftiger, und schlug , und schlug, und erschlug das Andere, das nicht ich. Das Herz Gottes, das in Allem Ist, wurde zur Reminiszenz, beliebiger Zuschlag .

Der Mensch hörte seinen Herzschlag, seinen Herzschlag, seinen Herzschlag: Mein Land. Seinen Herzschlag. Mein Vieh. mein Wasser, mein Besitz. Einen Herzschlag. Meine Logik, mein Wissen, meine Stadt, meine Nation. Einen Herzschlag. Mein Himmel. Ein Weg zur himmlischen Ewigkeit, mein Weg. Mein Vorgarten: Platz für nur mein Auto.

Gottes Herzschlag begann vor so viel „mein“ zu verklingen, und stirbt ungezählte Tode im Herzen anderer Menschen, die schwächer wurden im Ausgrenzenden mein, mein, mein und noch mal mein. So war nicht ein Land, nein Länder wurden. So war nicht ein Volk, nein Nationen wurden. So war nicht ein Fluss, nein Flüsse wurden. So war nicht ein Bekenntnis, nein Religionen wurden.

So war nicht ein Gott, insgesamt!
Denn es entstanden Macht und Unterdrückung. Trennung, Zersplitterung, Vereinzelung, Habsucht. So wird und wurde ein nicht mehr „insgesamt“ geboren. Glücklich aber war der Mensch noch immer nicht.

Und Gott schenkte eine Schrift. Und eine zweite. Und eine dritte Schrift, damit die Menschen, aus der Trennung, hier im Jenseits des Insgesamt den richtigen Weg zurück zum „Allewigen“ finden.

Und damit jeder erkenne:
Gott ist der Weg zurück, zum Insgesamt, dem Herzen Gottes, der Friede ist, der Alles ist.

Alles Ist im Antlitz des Menschen:
„Wie wunderbar ist dieser Hauch,
der also den Menschen erweckte.“

Friede,
weil alle
insgesamt!

„Wie wunderbar ist dieser Hauch,
der also den Menschen erweckte.“

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