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Gott suchen – den Vater entdecken

Anna-Woche 1998 in Düren

Herzlich willkommen liebe Gottesdienstbesucherinnen und -besucher!

Ich freue mich, dass Sie sich von Ihrer Zeit nehmen um sie hier im Gottesdienst, der auch Menschendienst ist, zu investieren. Es ist schön, dass Sie hier sind und von dieser Zeit auch etwas für meine Worte mitbringen. Danke!

Als ich diesen Titel hörte: „Gott suchen – den Vater entdecken“ dachte ich zuerst, diese Überschrift hat eher den Charme eines Viersternekühlschrankes, als dass er auch nur irgendjemanden vom Hocker reißen könnte. Doch da bin ich mittlerweile einer anderen Auffassung! Respekt meine Damen und Herren, die sie sich in der Vorbereitungsgruppe der Liturgie zur diesjährigen Annawoche für diesen Titel entschieden haben. Sie bewiesen großen Mut und theologische Kompetenz.

Zwei Tätigkeiten werden in diesem Leitgedanken angesprochen, „suchen und entdecken“. Was die Tätigkeit „suchen“ angeht, gibt es zum einen die eher langweilige Variante, etwas zu suchen, was ich kenne, dummerweise aber verloren habe. Der Erfolg lautet, altbekanntes, vertrautes und immer schon gewusstes wieder in meinen Händen zu halten, also suchen um altes wiederzufinden. Die zweite wesentlich aufregendere Variante der Tätigkeit „suchen“ lautet: Etwas zu suchen, was ich nicht kenne in der Hoffnung es zu finden! Also suchen, um unbekanntes und neues erstmalig zu finden, um es dann in meinen Händen zu halten.

Mich interessiert heute nur diese zweite Variante: Suchen, um unbekanntes neu und somit erstmalig zu finden! Wenn auch Sie daran Interesse haben etwas neues in der Gottessuche zu finden, dann bleiben Sie in Ihren Gedanken hier, ansonsten lassen Sie Ihre Gedanken ruhig auswandern.

Auf unser heutiges Thema bezogen bedeutet diese Art des Suchens: Gott suchen, um etwas von ihm zu finden, was ich noch nicht kenne oder was ich von ihm bisher nicht kennen wollte. An dieser Stelle mache ich den Mut fest, den ich eben der Vorbereitungsgruppe gezollt habe, die nämlich schon in diesem Titel andeuten „ich suche nach Gott, entdecke aber etwas anderes, nämlich den Vater“. Einige von Ihnen werden an dieser Stelle meine Begeisterung ob diesen Mutes wohl eher nicht teilen. Was soll denn daran mutig sein, Gott zu suchen und den Vater zu entdecken? Gott ist doch Vater! Die Bilder sind bekannt und werden auch immer wieder in unseren Händen gehalten: Gott Vater, alter weiser Mann, langer Bart, Patriarch, gütiger Beschützer usw.

Nein, stopp! Die erste Variante der Bedeutung von „Suche“ hatte ich kaltgestellt. „Suchen“ im Sinne von Neues finden wollen, ist angesagt! Wenn ich jetzt sage, das Neue lautet Gott ist nicht nur Vater sondern auch Mutter, dann werden die meisten von Ihnen sagen, das ist auch schon längst bekannt, es hat sich zwar noch nicht bei allen rumgesprochen aber die „Mutter Gott“ ist schon längst gefunden!

Ich hoffe, ich enttäusche Sie nicht zu sehr, wenn ich sage, bei der Gottessuche den Vater oder die Mutter zu entdecken kann, auf unsere je persönliche Bildvorstellung von Vater und Mutter bezogen, auch Gotteslästerung sein und nicht Gotteserkenntnis. Kennen wir nicht auch, aus eigenem Erleben oder vertrautem Erzählen, den schlagenden, nicht nur körperlich vergewaltigenden, abwesenden, unterdrückenden, schreienden, trinkenden, missachtenden und hassenden Vater sowie die ebenso handelnde Mutter? Es ist uns doch auch nicht unbekannt, wie viele Gebete un-er-hört geblieben sind an Gott-Vater und Gott-Mutter! Die Bitte: Kriege zu verhindern, Familiendramen zum Guten zu wenden, Einsamkeit zu nehmen, Hunger zu beenden, Katastrophen abzuwenden und jeder Form von Leid ein Ende zu setzen. Ist unsere Welt nicht oft eine Welt leer von dem guten Gott-Vater, leer von der guten Gott-Mutter, eine Welt, in der Gott nicht zu finden ist? Und was heißt guter Vater, gute Mutter? Gut, im Sinne von auf den Tisch hauen, alles durchgehen lassen, nur für mich da, Sicherheit vor Veränderung, Garant für ein erlebnisorientiertes Leben, gesicherte Zukunft, die Macht den Mächtigen, Beschützer derer, die sich zwei mal in der Woche so richtig in der Pommesbude besaufen können, Argumentationshilfe meines Willens, Prügelknabe der Weltgeschichte, etc.

Was für den einen gut sein heißt, kann für den anderen schlecht sein.

Eines müssen wir akzeptieren: Wir können über die Eigenschaft Gottes, der weder in den Worten guter Vater noch gute Mutter aufgeht, einfach nicht mehr sagen als Jesus Christus uns gesagt hat. Von ihm überliefert sind die Worte: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“

Wie meinte Jesus dieses „den Vater sehen“? Meinte Jesus das Bild seines Vaters Josef? Gott im Bild des Zimmermanns, des angesehenen Handwerkers, unverheiratet und schwankend in der Beziehung zu Maria? War für Jesus Gottes Vatersein greifbar im Bild des Josefs, von dem wir fast nichts wissen, seinem biographischen Vater?

Das Bekenntnis Jesu zur Bedeutung von „Vaterschaft“ lautet anders: Wer mich sieht, sieht den Vater! Und das heißt nichts anderes als: „Wer mich auf der Seite der von euch vergessenen und verleugneten Menschen sieht, sieht Gott (meinen Vater) auf der Seite der vergessenen und verleugneten Menschen!

Hier bekommt diese Aussage: „Gott suchen und den Vater entdecken“ den Rang einer beginnenden Entdeckungsreise der bisher unbekannten Art. Gott suchen und etwas anderes entdecken, nämlich nur den Vater oder die Mutter greift viel zu kurz und ist nur der Anfang! Gottessuche heißt: „den im Bild nicht greifbaren zu entdecken“. Wer Jesus sieht, hat nicht einen Vater gesehen! Wer Jesus sieht, hat gesehen auf welcher Seite Gott steht und so hat er gesehen, wer er für die Menschen sein will.

Für den, der eine Mutter oder einen Vater sucht um sein Leben zu entfalten, für diesen Menschen ist er Vater und Mutter.
Dem, der nach Sinn und Wahrheit sucht, ist Gott weiser Ratgeber.
Dem Kranken ist er Freund und Freundin.
Dem Sterbenden ist er „Pförtner“ zur Ewigkeit.
Den Menschen, deren Leben auf unterschiedliche Weise bedroht ist, ist er Anwalt der Gewaltlosigkeit.
Für die Hungernden ist er Prophet der gerechten Verteilung der Güter dieser Welt.
Den Schwulen und Lesben will er der Schöpfer sein, der zu seiner Schöpfung steht.
Er ist der, der einfach von sich sagt: „Ich bin, ich bin da!“ – wo es um das Leben geht!

Dies aber sind unzählige „Bilder Gottes“, so unzählig wie die Bedrohungen des Lebens!

Doch ein Bild Gottes darf auch nicht verschwiegen werden! Die Menschen, die Gott auf der Seite vergessener, verfolgter und verleugneter Menschen nicht sehen wollen, die Menschen, die anderen Menschen Leben vorenthalten, die nur für sich einen kuscheligen Gott festhalten wollen und die vielen „Bilder Gottes“ nicht zu entdecken bereit sind, die Menschen Leben geben, diesen Menschen bleibt nur ein Bild übrig, ein sehr klassisches, Gott im Bild des Richters. Möge er, der Richter besonders mit Blick auf die, die nicht mehr bereit sind zu entdecken, mehr Menschliches zulassen als wir bereit sind Göttliches zuzulassen.

Diese Predigt wurde im Rahmen der Anna-Woche 1998 in St. Anna, Düren gehalten.

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