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Gnade ist als wäre sie nicht

Wer sagt heute noch, dass Gnade vor Recht ergehen solle, vielleicht ist es noch üblich, von einem begnadeten Menschen zu sprechen, aber dann hört es umgangssprachlich mit dem Begriff auch schon auf.

Christen wären kompetent, auf dem Hintergrund eines sich in Christus offenbarenden Gottes, von Gnade zu sprechen. Aber dann müssten wir auch dazu stehen, dass Gnade eine Zugabe Gottes ist, eine individuelle Zuteilung, dass Gnade nicht demokratisch verteilt wird.

Mehr noch: Gnade ist nicht an menschliches Handeln gebunden, legt sich allerdings doch geschichtlich erschlossen an Hierarchien an, denn Bischof, Priester, besondere (Weihe-) Ämter sind „gnadenverdächtig“ so die Dogmatik unserer Kirche.

Allerdings hält Gnade sich nicht an Strukturen. Strahlt sie doch auf in historischen Persönlichkeiten wie dem Heiligen Franz, aber auch  in Menschen, deren Namen uns unbekannt, die aber alle ihr „Haben“ in andere Menschen investieren.

Gnade ist wissenschaftlich nicht analysierbar, sie lässt sich nicht binden an (Berufs-) Stände. Gnade ist nie Selbstzweck, sie ist keine Auszeichnung oder Belohnung. Gnade ist immer im Dienst und so auch nur zu haben. Gnade ist so wenig habbar, dass man meinen könnte, sie gäbe es nicht.

Aber Gnade hat Folgen: Versöhnung ermöglicht, Talent gefördert, die dritte Chance gegeben, am Neustart mitgebaut, Verständnis bewirk, Fähigkeiten zusammengeführt, Frieden gesät, Spielräume gestaltet, Gemeinschaft begründet, Hoffnung bestärkt…

So gesehen, sind Sie ein begnadeter Mensch?

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Bonifatiusbote (Fulda), Der Sonntag (Limburg), Glaube und Leben (Mainz), Kirchenbote (Osnabrück), Kirchenzeitung (Hildesheim), Neue Kirchenzeitung (Hamburg), Tag des Herrn (Dresden), Tag des Herrn (Erfurt), Tag des Herrn (Görlitz), Tag des Herrn (Magdeburg).
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