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Gemeinde – Heimat des Priesters?

Viele Seelsorger geraten in eine berufliche und existentielle Krise, wenn sie sich in ihrer Gemeinde nicht beheimatet fühlen. Ein Motivationsloch tut sich auf, in dem Seelsorger zu versinken drohen. In einer persönlichen Reflexion geht Christoph Stender der Frage nach, was ihn zum priesterlichen Dienst motiviert und ihm dabei Heimat gibt.

Bis zu meiner Priesterweihe waren es nur noch ein paar Monate. Obwohl ich im Reglement des Priesterseminars meinen Weg gefunden hatte, kam nun kurz vor der Weihe eine Spannung in mir auf, die dieser Alltäglichkeit des Priesterseminars ein Gesicht voller Erwartung gab. In wenigen Tagen stand das Gespräch mit dem Regens und kurz darauf mein Scrutinium mit unserem Bischof ins Haus. In diesen beiden Gesprächen war eine Frage besonders interessant für mich: „Was wünschen sie sich für Ihre erste Kaplanstelle?“ Dabei ging es nicht darum eine konkrete Kaplanstelle zu benennen, eher um die Abwägung, ob ich mit einer Pfarrei auf dem Land liebäugele, eine Stelle mit oder ohne Religionsunterricht wünsche, ob in irgend einer Gemeinde noch eine alte Liebe von mir zündelt, was für meine Tätigkeit dort eher abträglich gewesen wäre , ob ich lieber in einer von Industrie geprägten Gemeinde anfangen möchte oder ob ich mich doch wohler fühlt in einer von Akademiker und Akademikerinnen getragenen pfarrlichen Struktur.

Mir war klar, dass keine Gemeinde einen bestimmten Menschenschlag in Reinkultur beherbergt, und so äußerte ich zwei eher allgemeine, aber ernst gemeinte Wünsche: „Ich möchte nicht aufs Land, und wenn möglich auch keinen Religionsunterricht erteilen.“ Soweit meine beiden bescheidenen Wünsche, deren Beachtung meine sowieso schon hohe Motivation noch ein wenig mehr hätte steigern können.

Kurz vor der Weihe erfuhr ich dann offiziell, dass meine erste Stelle mitten in der Eifel lag –und das ist Land pur! Kein halbes Jahr dauerte es, bis mich einer unserer Weihbischöfe in meiner „Eifelstadt“ besuchte und mir fast beiläufig die Frage stellte: „Finden Sie es gut, dass in zwei der umliegenden Schulen kein Priester mehr präsent ist?“ Und so kam es auch hier wieder einmal anders als ich dachte. Zum neuen Schuljahr, nur drei Monate später, unterrichtete der junge Herr Kaplan an einer katholischen Grundschule und am Bischöflichen Gymnasium vor Ort!

Unverhofft kommt oft

„Typisch“, wird nun so mancher sagen. „Das habe ich ähnlich erlebt.“ Doch ich muss gestehen, als mir diese zwei unverhofften Botschaften zugetragen wurden, war ich weder frustriert noch sauer noch von der Bistumsleitung enttäuscht. Ich packte die mir übertragenen Aufgaben einfach an und weder meine Tätigkeit in den ländlichen Pfarreien, noch der Religionsunterricht schmälerten mein Motivation. Ungeachtet der Erfahrungen aus zweiter Hand, das Land und die Schule seien für meine Fähigkeiten und Talente ein „pastoraler Sumpf“, in dem ich gnadenlos absaufen würde, setzte ein einfacher (priesterlicher) Instinkt bei mir ein: Keine Sorge. Dort, wo man dich hin schickt, werden auch Menschen existieren, die Sehnsucht nach ihrem Leben und nach Gott haben und das reicht mir vollkommen!

Nicht erst in der Rückschau darf ich sagen: Diese unerwünschten Umstände haben mich herausgefordert. Sie eröffneten meiner Kreativität unbekannte Spielräume und ließen mich sehr viel Anerkennung erfahren. Ich lernte wieder einmal mit einigen meiner Fehler leben zu müssen. Und darüber hinaus konnte ich in der Praxis anderer priesterlicher Kollegen erfahren, „wie man es besser nicht machen sollte!“

Schon während meiner damaligen Tätigkeit auf dem Land, in der Schule und später auch in der regionalen Jugendarbeit war mir bewusst, dass diese Zeit eine reiche Zeit sein würde. Sie war zwar nicht immer ganz einfach und es gab auch Augenblicke, in denen ich mich allein gelassen, ja sogar verletzt fühlte. Trotzdem: Diese Zeit tat mir gut und ich habe mich in „meinen“ Gemeinden und Dörfern beheimatet gefühlt!

Unverhofftes Geschenk

Auch wenn nicht jede Entscheidung meiner Vorgesetzten nach meinem Geschmack ist und ich auch heute noch immer den Protest nicht scheue, so konnte ich meinem damaligen Bischof für seine Entscheidung nur danken –und das habe ich auch getan. Meine Grundmotivation, vor knapp 15 Jahren Priester zu werden und es heute immer noch bleiben zu wollen, ist die Tatsache, dass es Menschen gibt (und ihre Zahl scheint zu steigen), die sich nicht scheuen ihrer Sehnsucht nach einer universalen Liebe zu trauen, mit der sie über sich selbst hinausgreifen und etwas berühren, das jenseits der eigenen Machbarkeit nur zu entdecken, nie aber zu haben ist. Eine Sehnsucht nach Liebe, die man nie besitzen kann.

Immer wieder lerne ich, ob nun auf dem „Land“ oder in der „Stadt“ solche mutige Menschen kennen, die mir durch ihre authentische und menschenfreundliche zeigen, was es bedeutet in unserer beschleunigten Zeit an einen Gott zu glauben, der sich durch nichts davon abbringen lässt fest an uns Menschen zu glauben, auch wenn viele andere unserer Zeitgenossen meinen Ihn schon längst überholt zu haben. Ich treffe immer wieder auf Menschen, die ihrer Sehnsucht trauen, einfach nur von Gott überzeugt sind oder sich ausstrecken nach dem, der im Alten Testament von sich selbst sagt: „Ich bin der Ich-bin-da!“

Menschen ein Stück auf ihrem Weg zu begleiten, auch wenn sie erst am Beginn ihrer Suche stehen, lohnt sich –an welchem Ort auch immer. Eine vielleicht nur kurze Zeit an der Seite dieser Menschen ermöglicht auch mir als Priester mich auch selbst einzubringen mit meinem Glauben, meinen Fähigkeiten und Talenten. In solcher Gemeinschaft erfahre ich nicht selten diesen Augenblick gemeinsam ein Haus der Sehnsucht nach Gott zu bewohnen. Das motiviert mich. Für diese Menschen bin ich ein Priester auf gemeinsamem Weg und sie lassen mich erfahren, was sie von mir als Priester erwarten: Priester mit einem eigenen Namen zu sein! Bei diesen Menschen fühle ich mich beheimatet, nie aber geborgen.

Nähe und Distanz

Immer wieder mache ich die Erfahrung nicht zu allen Menschen in einer Gemeinde in gleicher Weise Nähe und Distanz ausloten zu können. In einer überschaubaren Gemeinschaft von einer Hand voll Menschen, wie es in einem Priesterseminar oder einer Ordensgemeinschaft der Fall ist, würde ich alles daran setzen, dass keiner in einer solchen Gemeinschaft das Gefühl hätte von mir weniger Präsenz zu erfahren als die anderen. In meiner momentanen diözesanen Tätigkeit umfasst meine theoretische Zielgruppe jedoch ca. 35.000 Menschen. Für einen solchen Personenkreis kann ich nicht in gleicher Weise da sein. Das verlangt auch niemand von mir, Gott sei Dank! Aber in jeder Gemeinschaft bilden sich Gruppierungen heraus, die die Nähe zu den Ansprechpersonen ihrer Kirche suchen. Doch selbst dieser großen Zahl von „Interessierten“ kann ich nicht in gleicher Weise gerecht werden. Es gibt unter ihnen Menschen, die ich auch privat besuche und solche, bei denen ich das bewusst unterlassen. Es gibt „mir anvertraute Menschen“ zu denen ich einfach keinen besonderen Draht habe. Ich würde lügen, wenn ich bei dieser freundlichen Formulierung bliebe und muss exakter formulieren: Es gibt in „meiner Gemeinde“ Menschen, die ich einfach nicht mag. Das klingt hart, ist vielleicht auch so, aber es ist ehrlich! Sicher, auch ihnen muss ich gerecht werden. Mehr noch, für sie sollte ich einen besonderen Blick haben, um sie nicht aus dem Blick zu verlieren. Darüber hinaus will ich aber auch die Tatsache respektieren, dass in „meiner“ Gemeinde auch nicht alle zu ihr gehörenden Personen etwas mit mir zu tun haben wollen, da auch meine Nase einigen nicht gefällt, beziehungsweise ich nicht dem Priesterbild entspreche, das einige Gotteskinder gerne sähen.

Gemeinde – Heimat des Priesters?

Gemeinde als Heimat kann sich heute in den meisten Fällen überhaupt nur auf eine Gruppe von Menschen aus der Gemeinde beziehen, in der sich ein Priester auf Grund von zwischenmenschlichen Beziehungen beheimatet fühlt. Eine allgemeine Beheimatung in der Gemeinde kann höchstens so verstanden werden wie die Beheimatung eines Menschen in einer Volksgemeinschaft oder einem bestimmten Landstrich. Mit ihr ist jedoch kein konkretes Beziehungsgeflecht bezeichnet, sondern „nur“ die gewachsene Emotion: Hier ist mein zu Hause.

Doch kann diese Beschreibung auch der Gefühlslage älterer Mitbrüder gerecht werden? Öfters höre ich von älteren Priestern, die als Pfarrer einer Gemeinde über viele Jahre tätig sind: „Meine Gemeinde ist mein zu Hause, meine Familie, meine Heimat“. Doch diese Erfahrung, ob sie nun auch von den Gemeindemitgliedern so mitgetragen ist oder nicht, wurde bei manchem Priester herb enttäuscht, als er dann als Bewohner eines Altenheims oder einer ähnlichen Einrichtung spüren musste: „Meine“ Gemeinde gibt es zwar noch, aber sie ist nicht mehr für mich da.

Aus der Perspektive der Personalverantwortlichen und mit Blick auf die Gemeinde, sowie auf einen nachfolgenden Pastor kann es richtig sein einen pensionierten Pfarrer nicht am Ort seiner langjährigen und verdienten Tätigkeit zu belassen. Gleichzeitig kann das aber auch bedeuten, einen Priester im Ruhestand, der sich in seiner Gemeinde über Jahre hinweg zu Hause fühlte, seiner Heimat zu berauben. An diesem Punkt scheitert letztendlich die Vision mancher älterer Mitbrüder.

In Zukunft wird die Gemeinde als Heimat des Priesters immer mehr zur Utopie, je mehr zusätzliche Pfarrgemeinden einem einzelnen Priester übertragen werden. Schon durch die Zusammenlegung wird die Erfahrung, die ältere Priester gemacht und genossen haben, in Zukunft immer weniger erfahrbar sein. Doch auch wenn mehreren Gemeinden in der Ernennungsurkunde zum Pfarrer aufgeführt sind, erleben einige Priester ein solches wie auch immer bezeichnetes „Geschenk“ als ihre Heimat. Wenn es diesem Mitbrüdern dabei wirklich gut geht, kann ich mich darüber nur freuen, auch wenn ich für mich solche Heimatgefühle nicht nachvollziehen kann. Für mich bleibt bei diesen Überlegungen eine Frage: Wesentlich ist nicht, was meine Heimat als Priester ist, sondern wer mir eine Heimat als Priester sein kann.

Als Priester geborgen

In „meiner Gemeinde“ fühle ich mich zu Hause. Ich kann auch sagen, dort weiß ich mich beheimatet. Geborgen fühle ich mich dort allerdings nicht und möchte es dort auch nicht sein. Was bedeutet es für mich als Priester geborgen zu sein? Ohne hier einen Seelen-Striptease hinlegen zu wollen, kann ich zu solch einer sehr persönlichen Fragestellung sagen: Geborgen fühle ich mich bei den Menschen, denen ich mich so anvertrauen kann wie ich bin, mit all meinen Freuden, Ängsten, Sorgen, Unvollkommenheiten und Sehnsüchten. Menschen schenken mir Geborgenheit, wenn sie mein Fragen und Zweifeln mittragen, wenn sie mit mir gemeinsam aushalten können, dass auch ich nicht perfekt bin –auch wenn ich manches Mal nach außen hin vorgebe so zu sein. Und wenn Menschen in meiner tiefsten Einsamkeit einfach da sind ohne zu stören. Geborgenheit hat etwas zu tun mit fundamentalem Vertrauen, Sympathie im wahrsten Sinne des Wortes, verschenkender Nähe und der Bereitschaft zur Vergebung.

Was ich hier nur andeuten möchte, wirft die konkrete Frage auf: Wer sind diese Menschen, die solche Geborgenheit geben können? Ich habe Menschen auch in Gemeinden kennen lernen dürfen. Viele sind es nicht, die mir als Freude und Freundinnen diese Geborgenheit schenken und denen ich diese Geborgenheit umlegen darf. Diese Menschen geben mir die Kraft, die ich neben der Freude an meiner Tätigkeit als Priester brauche, um das Gottesgeschenk meines Lebens immer wieder neu in die Hand nehmen zu können, in der Hoffnung dieses von Gott mir zugemutete Leben möge Ihm auch gefallen. Diese wenigen, aber mir so wertvollen Menschen sind meine Heimat.

Heimat unter Priestern

Am Anfang meiner Tätigkeit als Kaplan hatte ich gehofft, solche Menschen gerade unter Priestern zu finden. Leider habe ich mit Blick auf einige meiner Mitbrüder die Erfahrung gemacht, dass oft der Neid um die Talente des Mitbruders, auch wenn sie keine besonderen sind, den Weg zu einer Geborgenheit von Anfang an verhindert. Gerade unter Priestern, die ein Segen sein sollten, habe ich es oft erlebt, dass sie den Segen, der ein Mitbruder sein kann, nicht aushalten können und in Neid erstarren. Das gilt sicher nicht für alle Priester, doch vielen stehen die Talente und Fähigkeiten der anderen Kollegen im Wege. Anstatt sich über die Talente der Anderen zu freuen, werden sie mit Argwohn beäugt. Diese Beobachtung macht mich traurig.

Es ist für den priesterlichen Dienst, die persönliche Motivation und die Lebenskultur eines jeden einzelnen förderlich in Konvenien oder ähnlichen Begegnungen neidlos einander die eigenen Lebenserfahrungen zuzumuten und Anteil am Leben der Mitbrüder zu nehmen. Hier sollten „Futterneid“ und Argwohn keinen Platz haben. Mir scheint, dass unter Priestern immer größere Sprachlosigkeit herrscht, wenn es um Fragen geht, die das Selbstverständnis des Priesters betreffen, die nach der Lebenskultur und den tragenden Beziehungsgeflechten fragen, sowie nach dem eigenen Glauben. Hier müssen wir Priester eine gemeinsame Kultur neu gestalte, damit wir in die Lage kommen, uns auch hintergründig besser „riechen“ zu können.

Heimat, in die niemand folgen kann

Ich habe versucht, der Frage nach der Beheimatung des Priesters unter Menschen, wenn auch nur im Fragment, nachzugehen. Einmal mehr bin ich gestolpert über die Erfahrung einiger älterer Priester, nicht mehr in ihrer Gemeinde verweilen zu können und die dadurch heimatlos geworden sind. Dieses Gefühl möchte ich mir ersparen, und das nicht erst im Alter.

Unter den drei Beziehungsgeflechten Gemeinde, Freundschaften und Mitbrüder ist für mich am tragfähigsten dieses eine, das mir Geborgenheit schenkt! Doch meine Freundinnen und Freunden will ich bitten: Haltet mich fest, doch haltet mich nicht! Wer mir wirklich nahe steht weiß am Besten, wer mich in meinem Herzen hält: Der, der mich sendet. Vielleicht auch dorthin, wo mir niemand folgen kann.

Erschienen in: Anzeiger für die Seelsorge – Zeitschrift für Pastoral und Gemeindepraxis 6/2001, S. 16-20.
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