Können Sie sich daran noch erinnern? Ich möchte Sie, die Leserinnen und Leser dieses Artikels, fragen, ob Sie sich noch erinnern können z. B. an den Tag ihrer Einschulung mit Schultüte, Klassenfoto usw. oder an einen tollen Urlaub auf einem wunderschönen Flecken Erde? Sicherlich schnell wird die Erinnerung wach an eine schwere Krankheit oder einen Schicksalsschlag, den Sie qualvoll durchlitten haben. Erinnern Sie sich noch an eine ganz eigenartige Begegnung der besonderen Art, Ihren ersten Arbeitstag, oder eventuell auch an die Geburt so eines Winzlings, der heute um die 1,80 Meter groß ist? Erinnern Sie sich noch? Welche Erinnerung ruft Ihre erste große Liebe in Ihnen wach? Werden mit diesen Fragen, während Sie diese Zeilen lesen, nicht Gesichter, Orte, Ereignisse, Stimmen, Gerüche und Empfindungen in Ihnen lebendig? Diese Fragmente sind die Puzzlesteine der Vergangenheit, die jetzt im Augenblick in Ihren Gedanken zu einem lebendigen Bild der Erinnerung werden. Legen Sie diesen Artikel getrost zur Seite, wenn Ihre Erinnerung jetzt etwas Zeit benötigt.
Wir brauchen das persönliche „ich erinnere mich“, ob angenehm oder unangenehm, das gemeinsame Gedenken und die Vergegenwärtigung unserer Geschichte, denn dieser Blick in den Rückspiegel des Lebens ist der Blick in jenen „Steinbruch“, in dem des Menschen Identität erstand und entsteht, auch die eines religiösen Menschen.
Erinnerung hat aber auch ein Synonym, den Begriff Tod. Erinnerung fängt an mit „es war einmal und ist nicht mehr“ oder „es war einmal ganz anders, jedenfalls egal, wie es war, es war jenseitig jetzt gelebter Zeit, eben nicht jetzt, nicht wirklich.
Die Adventszeit, vorweihnachtliche Fasten- und Wartezeit, ist in besonderer Weise hervorgehobene Zeit, weil wir mit ihr einstimmen in die Erinnerung unserer Vorfahren, deren alte Hoffnung auch unsere aktuelle Hoffnung ist. Diese Hoffnung der Menschen vor uns ist aber nicht nur auch unsere Hoffnung, sondern der Grund allen Hoffens überhaupt. „Erzählend auf sie zurückschauend“, das ist der Rhythmus gläubiger Erinnerung.
Erinnern Sie sich an das prophetische Wort von Jesaja „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen“? Erinnern Sie sich an die Provokation des Paulus in seinem Brief an die Römer „Bedenkt die gegenwärtige Zeit: Die Stunde ist gekommen aufzustehen vom Schlaf“? Erinnern Sie sich an die Worte Jesu, Gotteswort uns überliefert im Menschenwort des Evangelisten Matthäus „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“?
Konkret: Was ist der Kern unserer Erinnerung? Worin ist der Advent, verdichtete Zeit der Erwartung begründet? Was ist das für ein Fest, auf das wir zusteuern? Diese Fragen finden ihre Antwort in der Umkehrung dessen, was wir aus menschlicher Perspektive Erinnerung nennen. Diese Umkehrung des Wortes Erinnerung ist aber wieder mit dem Wort Erinnerung zu bezeichnen. Der wesentliche Unterschied jedoch ist, dass hier das verlässliche Wort des sich Erinnerns Gottes gemeint sind. Gott erinnert sich an uns. So gibt Gott unserer Erinnerung eine neue Richtung, sein Wort! In Gott hat unsere Erinnerung und in ihr die Erinnerung unserer Mütter und Väter eine neue Lebensqualität. So ist auch das Synonym Tod zu dem Begriff menschlicher Erinnerung von Gott gewandelt in das Synonym Leben.
Menschliche Erinnerung beginnt mit den Worten; „Es war einmal!“ Wenn Gott sich seines Menschen erinnert, beginnt Erinnerung in göttlicher Gewissheit: „Es wird einmal!“ Erinnerung aber, das ist ihr Wesen, möchte erzählt werden. Der Advent ist Erzählzeit, verdichtete Wartezeit.