Begegnungssuche
Um sich wirklich auf eine Entdeckungsreise zu begeben, um Spiritualitäten einzelner Jugendlicher (im deutschsprachigen Raum) aufzuspüren, ist es nötig, herkömmliche Deutungsraster von Spiritualität getrost zu Hause zu lassen und dem Reisegepäck der Offenheit, des Wohlwollens, dem Wissen um die Geisterfülltheit junger Menschen sowie des einfühlenden Hörens und Schauens nur noch eine grobe Umschreibung der Zielgruppe beizulegen.
Die Gruppe der Jugendlichen, bei der ich auf Entdeckungsreise gehen möchte, habe ich umrissen als junge Menschen, die bewußt auf christlich kultiviertem Boden sich nicht selbstgenügend, individuell und entschieden die Nähe dessen suchen, den uns Jesus Christus als den einen Gott geoffenbart hat, der in allem mächtig ist.
Dieser Zielgruppe bin ich begegnet durch Gespräche, Anfragen ihrerseits, Beobachtungen und spontanen Befragungen (in der Schule).
Im weiteren Verlauf möchte ich das Wort Spiritualität vermeiden, da ich damit als Theologe genaugenommen schon vordeutend suche.
Statt dessen möchte ich den Begriff „Begegnungssuche“ einführen. Diese „Begegnungssuche“ stellt sich für mich wie folgt dar:
1. Das ganz oder teilweise Verlassen vorgegebener „Erlebnisfelder“
Dieser Auszug aus den kirchlicherseits vorgegebenen Räumen der Begegnung (oder eine starke Distanz dazu) zwischen Gott und der Gemeinschaft von Menschen, liegt in der Empfindung (nicht nur) junger Menschen, in eben diesen Räumen zu viel (teils unbewußter) Unehrlichkeit und zu wenig Wahrhaftigkeit zu finden. So sind Eucharistiefeiern, Andachten und andere althergebrachte Formen für die Bedürfnisdeckung der „Begegnungssuche“ junger Menschen nicht ausreichend. Ebenso decken sich Sprache, Zeichen und Bilder unserer christlichen Kultur (wie z.B. Gottesdienstformen, Weihwasserkessel, Heiligenfiguren) nicht mit dem, was junge Menschen in ihrer „Begegnungssuche“ empfinden und entdecken. Darüber hinaus wird das personale Angebot seitens der Kirche seiten als kompetente Begleitung bei der Begegnungssuche Jugendlicher empfunden.
2. Die Suche nach dem lebendigen Du
Aus dem Empfinden der mangelnden Ehrlichkeit und der fehlenden Wahrhaftigkeit findet die Begegnungssuche unserer Zielgruppe einen Ruheort dort, wo meist Gleichaltrige miteinander über ihr Suchen sprechen. Oft ist dieser Ruheort verbunden mit kameradschaftlichen Kontakten und freundschaftlichen Beziehungen.
3. Das Entdecken der Schöpfung als Geschenk
In diesen, den Austausch suchenden Beziehungen, die durch ihre Offenheit auch bereit sind, sich selbst verletzlich zu machen, wird das Bedürfnis schnell wach, gemeinsam den Blick über das Geschenk der Gemeinsamkeit und Gemeinschaft hinaus auf die Schöpfung zu richten, die oft bis in kleinere Elemente ihrer Ganzheit, als Gabe eines guten Gebers erkannt wird. Je mehr dies entdeckt wird, um so mehr steigt der Grad der „persönlichen Verletztheit“ an den Verletzungen der Schöpfung.
4. Im „Du und Ich“ als Geschwister der Schöpfung sind wir mehr als „Wir“
In der annehmenden Begegnung mit orientiert suchenden Menschen und in der gemeinsamen Verbundenheit im Datum der Schöpfung befreit sich das gemeinsame (oder auch „nur“ eigene) Wissen um einen Gott (einen Jesus) zur Erfahrung: „er ist da“, „er lebt“!
Diese Erfahrung und ihre Wiederholung ist das Ziel der Begegnungssuche junger Menschen.
5. Neue Erlebnisfelder der Begegnungssuche und deren Wiederholung
Ich möchte nicht ausschließen, daß Jugendliche in der Lage sind, die einmal gemachte, erfolgreiche Begegnungssuche auch in den herkömmlichen Räumen unserer tradierten Spiritualität und Gottesdienstformen „wiederbeleben“ zu können, doch zeigt die Beobachtung, daß neue Erlebnisfelder von jungen Menschen erschlossen werden.
- Am auffälligsten scheint die große Teilnehmerzahl junger Menschen an kirchlichen „Großveranstaltungen“ (z.B. Katholikentag, Kirchentag, Jugendkreuzweg), bei denen wohl das unsystematische Gewimmel teils unüberschaubarer Menschenmengen das Gefühl fördert. „Gott in allen Dingen entdecken zu können!“ (Ignatius von Loyola). Hier drängt sich der Eindruck auf, daß dieses ein solches neues Erlebnisfeld zu sein scheint. Ich möchte jedoch eher behaupten, es ist ein wiederentdecktes Erlebnisfeld, da solche Firmen des „Wirgefühls“ innerhalb der Jugendbewegung unseres Jahrhunderts häufiger ähnliche „Großveranstaltungen“ hervorbrachte oder mittrug.Es wäre falsch, nur dies als „neues Erlebnisfeld“ entdecken zu wollen.
- Frühschichten, Spätschichten, Wort des Lebens-Kreise, Jugendkreuzweg, Jugendmessen, Wallfahrten für Jugendliche und andere neue liturgische Formen sind ebenso Erlebnisfelder der Begegnungssuche oder deren Erneuerung.
- Darunter rechne ich auch den Wunsch vieler junger Menschen nach Augenblicken der Stille im eigenen Zimmer, in der Natur und auch in Gottesdiensträumen.
- Von durchgehender Wichtigkeit sind immer wiederkehrende Begegnungen von „Begegnungssuchenden“ im vertrauten, aber auch offenen Kreis.
- Ein weiteres wichtiges Erlebnisfeld ist die Musik. Nicht aggressive Musik, sondern Instrumentalstücke, die die „Begegnungssuche“ mittragen können, in denen sie wiederklingt oder Lieder, die thematisch die Situation der Jugendlichen aufnehmen, die von Hoffnung sprechen, die offen bleiben für einen „guten Geber“ und die den Dank nicht scheuen.
- In dieselbe Richtung geht das Bedürfnis nach Literatur (Gedichte, Kurzgeschichten, Novellen, Erzählungen etc.), in der von „begegnungssuchenden Menschen“ berichtet wird oder die selbst Ausdruck der Begegnungssuche ist.
- Eine Fülle äußerer Zeichen der erfüllten oder ersehnten Begegnungssuche finden wir bei jungen Menschen. Diese Zeichen (Symbole) haben oft horrenden persönlichen Wert und werden wie „Heiligtümer“ behandelt.
Hier gibt der Katalog „Das ist mir heilig“, Ausstellung Heiligtümer Jugendlicher anläßlich der Aachener Heiligtumsfahrt 1986, tieferen Einblick.
Einige Beispiele: Das Kreuz um den Hals Dankbare Erinnerung an Familienmitglieder
Geschenk eines MitsuchendenDie gepreßte Blume … gepflückt bei einem Spaziergang mit einer „Offenbarung“ Ein Rosenstachel Erinnerung an einen wiedergutzumachenden Fehler Ein Bild „das war unheimlich wichtig für mich“ Ein Stoffarmband von dem ich das habe,
der hat mir das gegebenEin selbsterstelltes Büchlein „das erzählt mir …“ Ein Zipfel Notenpapier …
Nach dieser unvollständigen Skizzierung der „Begegnungssuche“ junger Menschen – unvollständig, da es noch mehr zu entdecken gäbe, das hier aufgeführt werden könnte – nun die abschließende Deutung.
6. Deutung der hier genannten „Begegnungssuche“
Die hier aufgeführten Entdeckungen: Die Begegnungssuche in der Suche nach dem lebendigen Du, in der Entdeckung der Schöpfung als Geschenk, in der Erkenntnis „Du und Ich“ als Geschwister der Schöpfung sind mehr ein „Wir“, diese Begegnungssuche, die dann ihre entsprechenden Erlebnisfelder sucht, sind das wirklich so neue Entdeckungen?
Hat nicht Spiritualität im herkömmlichen Sinne auch etwas mit Begegnung von Mensch-Schöpfer-Gott zu tun?
Ist das Suchen, miteinander Sprechen nicht mindestens ein stammelndes Gebet? Ist das Staunen, die Ehrfurcht vor der Schöpfung nicht eine zaghafte Anbetung? Ist die über das Wissen hinaus gemachte Erfahrung „er ist da“ nicht ein lediglich das Versmaß missender Hymnus?
Sicherlich hat das mit der „geistlichen Verzückung“ unserer großen Heiligen nicht viel zu tun. Aber ist diese geistliche Verzückung kleiner Leute, jener die „Begegnung“ suchen (und das nicht nur mit Blick auf den Menschen), nicht ein Anfang und mehr? Gibt es da nicht vielleicht große Heilige, die ihre „Karriere“ ähnlich begonnen haben?
Bleibt Spiritualität nicht auch der Entwicklung, der „Reifung“ unterlegen? Ich bin der Überzeugung, wir würden unsere spirituelle Landschaft bereichern (ohne in Konkurrenz zu entgleisen), wenn wir das, was ich vorsichtig unter Begegnungssuche zu entdecken meine, mit dem Begriff Spiritualität bezeichnen.