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Eine „ganz normale“ Frau schaut hin

Clara Fey und ihre Gemeinschaft der „Schwestern vom armen Kind Jesus“

Sie war eine ganz normale junge Frau, die Fabrikantentochter aus dem Hause Fey. Die Tatsache, dass sie zur „besseren Gesellschaft“ zählte, in die sie am 11. April 1815 hineingeboren worden war, hat sie nicht gestört. Sie ist in dieser Welt, mit eigenem Herrenhaus in der Bendelstraße nahe dem Dom und auch der Pfarrgemeinde St. Paul, einfach groß geworden.

So ist sie sicher öfters in jugendlichen Jahren auch mal mit Freundinnen an einem Sonntagsnachmittag durch die Straßen Aachens geschlendert, mal schauen wen man so kennt, ein bisschen sehen und gesehen werden und bestimmt wird sie dann auch zu einem Gebet in den Dom gegangen sein.

Clara schaute mit Sicherheit aus der Perspektive einer bessergestellten Persönlichkeit in die „Welt“ ihrer Stadt Aachen, aber nicht weltfremd. Die Mutter Claras lehrte ihre Tochter schon in jungen Jahren hinzuschauen, was
um sie herum passierte, aber besonders die gesellschaftlichen Verhältnisse Aachens aufgrund der Industrialisierung im beginnenden 19. Jahrhunderts in den Blick zu nehmen.

An der Hand ihrer sozial sehr engagierten Mutter sah Clara nicht nur die Welt der Reichen sondern auch die Armenhäuser und Armenviertel ihrer Stadt, und so wurde ihr das Elend ihrer Zeitgenossen auch vor Augen geführt. Die Kindheit Claras war so eine „Sehschule“, eine Schulung in Sachen hinschauen, um für wahr zu halten was sie sah. Die behütet aufgewachsene Clara lernte so schon früh – aus der Distanz – das Unbehütete, das Hoffnungslose, das Schicksalsergebene kennen.

Konkret entdeckte sie dieses „unbehütet sein“ in den Augen armer Kinder ihrer Zeit. Augen, die einfach nur danach schrien, behütet sein zu dürfen, also einfach Kind sein zu dürfen und nicht „Maschinenfutter“ einer aufstrebenden Industriegesellschaft. Zu lernen, die ganze Realität der Gesellschaft einer Stadt in den Blick zu nehmen, hinterließ bei Clara eine Unruhe, die sie ihr ganzes Leben lang begleiten sollte: Diese Unruhe, nicht ruhig
werden zu wollen angesichts der Missstände in einer Gesellschaft, und dies konkret angesichts der sozialen Unausgewogenheit in ihrer Heimatstadt.

Der eigene Besitz war für Clara keine Belastung, vielleicht nahm sie ihr „Haben“ bewusst als ein Geschenk Gottes an. Doch Besitz bedeutete für Clara auch Verantwortung, das hatte sie von Mutter und Vater gelernt! So leiteten zwei Begrifflichkeiten – eigentlich zwei „Weisen hinzusehen“ – das Handeln Claras: Zum einen die „nackte Realität“ in den Blick zu nehmen und zum anderen sich davon „beunruhigen“ zu lassen.

Diese beiden „Weisen hinzusehen“ provozieren aus sich heraus das Motiv, handeln zu sollen. Doch Claras Motivation, Hand anzulegen, fußt nicht einzig in der Wahrnehmung von sozialer Unausgewogenheit aus der Sicht einer Bessergestellten. Ihr Handeln wird geleitet von ihrem christlichen Glauben, der sie in der katholischen Kirche Aachens zu Hause sein ließ.

Sie erlebte in ihrer Familie eine authentisch gelebte und gefeierte Glaubenstradition, die Grundlage ihrer persönlichen Gottesbeziehung wurde.

Sie entdeckte in den schreienden Augen der benachteiligten Kinder ihrer Zeit die Augen eines Kindes, das ihr von ihrem eigenen Herzen her sehr vertraut war. Es waren die Augen des armen Kindes Jesus, das in einem „Futtertrog“ zur Welt gekommen war. Am 8. Mai 1894 starb Clara, doch nicht die Augen, die  so hinschauen. Sie leben weiter in den Ordensfrauen der von Clara Fey gegründeten Gemeinschaft vom „Armen Kind Jesus“, die auch heute noch zum Stadtbild Burtscheids und Aachens gehören.

Erster Teil einer siebenteiligen Serie über die „Schwestern vom armen Kind Jesus“, anlässlich der Überführung der sterblichen Reste deren Gründerin Schwester Clara Fey im September 2012, von Simpelfeld (NL) in ihre Heimat nach Aachen.
Erschienen in:  Burtscheid aktuell, Ausgabe 10, August 2012
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