Aus der Chronik des Priesterseminars St. Georgen 1984
Am 13. und 15. Januar dieses Jahres (1984, Anm. d. Red.) erlebten insgesamt ca. 600 „Theaterbesucher“ Studenten und Gäste von St. Georgen, in unserer Hochschulaula das Finale gut siebenmonatiger Arbeit einer sechsundzwanzigköpfigen studentischen Laienspielgruppe unter der Leitung von Pater Franz-Josef Steinmetz SJ. Dieses Finale offenbarte nun in „vollem Glanz“, was in der Idee Ausgangspunkt der Bemühungen war und auf dem Weg der Entstehung den Akteuren viele Anstrenungen, aber um vieles mehr Freude bereitet hat. Es war die Inszenierung der fragmentarischen Komödie in drei Akten von Friedrich Dürrenmatt „Ein Engel kommt nach Babylon“.
Das Material, das Dürrenmatt in seinem Werk verarbeitet, reicht von einem munter zusammengewürfelten antiken Geschichtsgut und deren Machtstrukturen, über eine heute nicht mehr haltbare Gnadenlehre und einige durchaus auch in unserer Zeit noch interessanten theologischen und humanistischen Fragestellungen, bis hin zu einigen technischen Errungenschaften aus unserem Jahrhundert.
Babylon, auch bei Dürrenmatt am Euphrat gelegen, ist Ort des Geschehens. Ein Engel, natürlich noch anerkannt, bringt die im Mädchen Kurrubi personifizierte Gnade zu dem ärmsten Menschen. Dieser ist nach himmlischen Berechnungen ein Bettler namens Akki, der einzig noch lebende, da alle anderen Standesgenossen sich mehr oder weniger freiwillig. auf Geheiß des Königs von ihrem Bettlergewerbe getrennt haben und nun den Diensten des Königs frönen.
Wie es das „Pech“ aber nun so will, treffen die Himmelsboten auf zwei Bettler. Was sie ja nicht wissen konnten, ist dies: der andere Bettler ist kein Bettler; er ist nur der als Bettler verkleidete König, der gekommen ist, den einzig noch lebenden Bettler zu überzeugen, daß sie nicht mehr Bettler sein können. Da ein verbaler überzeugungsversuch scheitert, einigt man sich auf einen Bettelwettbewerb. Akki ist ein wahres Genie, was die Kunst des Bettelns angeht, und es gelingt ihm mühelos, den geistig leicht impotenten und stark dümmlichen, als Bettler verkleideten König zu besiegen. So hat der noch verborgene König einen Dienstmann verloren, aber die Gnade des Himmels gewonnen, er ist ja nun der „ärmste der Menschen“, da er der schlechteste Bettler ist,und überdies hat sich das Mädchen auch noch in den falschen Bettler unsterblich verliebt. Aber was will ein König mit,einem Mädchen, das einen Bettler liebt, den es nicht gibt, und so tauscht der „König“ das Mädchen gegen seinen Mit-Ex- und Gegenkönig ein, den Akki ganz nebenbei in dem Bettlerwettstreit gewonnen hat.
Im Mittelpunkt des zweiten Aktes stehen der Bettler Akki und seine neueste Errungenschaft, Kurrubi, die Gnade des Himmels. Wie schon angedeutet, ist Akki der Meister unter den nicht mehr vorhandenen Bettlern. Mit seiner Kunst zu betteln ist er nicht nur fähig, ungeheure materielle Schätze anzuhäufen (denen er aber wenig Bedeutung beimißt), mehrnoch, er erbettelt sich Liebschaften, Ämter und Ehren, ja, es gelingt ihm auch, dem unbestechlichen königlichen Henker sein Amt abzuknöpfen, was ihm später sein und das Leben Kurrubis rettet.
Kurribi bezaubert durch ihre Schönheit und ihre Herkunft ganz Babylon. Die Freier stehen Schlange vor dem Brückengemach des Bettlers Akki am Euphrat, in dem Kurrubi hausfraulichen Tätigkeiten nachgeht. Doch Kurribi liebt immer noch den Bettler, der keiner ist. Hier und da sorgt der Engel für Aufsehen dergestalt, daß er einige wissenschaftliche Exkursionen auf der Erde unternimmt, die die Bevölkerung sichtlich befremden. Auch sind seine Bemühungen um die ihm anvertraute Gnade als mäßig zu bezeichnen, da er der Erforschung roter Riesen mehr Bedeutung beimißt.
Das Zentrum des dritten Aktes bildet das Thronduo, die beiden Könige Nimrod und Nebukadnezar. Sie stehen einander in Schönheit, Jugendhaftigkeit, in Machtstreben, Besitzstreben, Dummheit, Brutalität und Naivität nichts nach. Eine ihrer liebsten Beschäftigungen ist es, sich gegenseitig den Thron streitig zu machen, wobei aufgrund der politischen Lage Nimrod momentan den Kürzeren zieht. Um diesen lebhaften Thron herum wird Politik gemacht. Erzminister und Theologe tun ihr Bestes, dem eigenen Ansehn den nötigen Glanz zu verleihen, und dementsprechend wird das Fähnchen politischen Interesses stets in den Wind persönlicher Belange gehängt. Das Politikum des Tages, die Gnade Kurrubi, macht den königlichen Behörden doch einiges zu schaffen, will sie doch nicht das Gespinst des Bettlers aufgeben und den König lieben, der für sie aus Liebe fast —: aber nur fast —: alles tun würde. Jedes Werben. ist sinnlos, auch kein anderer will alles geben, um sich in den Bettler zu verwandeln, den es nicht mehr gibt,und so scheint nur noch ein alles regelnder Schritt der leidlichen Situation‘ ein Ende zu bereiten. Mit einem wieder einmal treuen Heer im Rücken bricht in Nebukadnezar der ganze Haß über die unglückliche königliche Liebe zu Kurrubi auf. Er schickt die Gnade in die Wüste, wo der Henker (der in Wirklichkeit der Bettler Akki ist, was der König aber nicht ahnt) sie töten soll. Anschließend läßt er den Theologen und den Minister töten, da sie, von egoistischen Motiven geleitet,ihm wenig dienstbar waren. Zum Schluß m uß auch noch das Volk daran glauben und ihre babylonische Freiheit gegen die Enge des neuen babylonischen Turmes eintauschen. Zurück bleiben zwei unverstandene Könige und zwei einer neuen Verheißung Entgegen- gehende: Akki und Kurrubi.
Soweit ein kurzer, etwas aufgelockerter überblick zum Stück. Wer mehr wissen möchte, muß sich entweder die Videoaufzeichnung ansehen oder sich am Urtext orientieren (Diogenes Verlag AG Zürich, 1980, ISBN 3 257 208 340).
Die Inszenierung war nicht ganz einfach, wie man aus dem bisher Gesagten entnehmen kann, aber Pater Steinmetz und seine Assistenten (H. Fell, Th. Kellner, M. Köhler, R. Jungnitsch) meisterten jedes Problem mit einer eigentümlichen Geschicklichkeit. Die sehr ansprechende Kulisse fertigte Hajo Fell und seine Helfer, Kostüme wurden selber gemacht oder aus dem Theaterfundus entliehen.
So war es nun soweit und im Glanze der strahlenden Augen aller Beteiligten und im Licht der neuen Scheinwerfer wurde begeistert gesehen und überliefert, wie es dann später hieß: „Am 13. und 15. Januar dieses Jahres erlebten insgesamt ca. 600 „Theaterbesucher, Studenten und Gäste