Fast beiläufig wird im Evangelium erwähnt, dass Jesus während seines vierzigtägigen Aufenthaltes in der Wüste auch vom Satan in Versuchung geführt wurde. Der Satan ist der personifizierte Gegenpart Gottes, der sich seinen Weg bahnt in dem menschlichen Fehlverhalten, das einer selbstgewählten Gottlosigkeit entspringt und so versucht, das Liebeswerk Gottes zu vernichten. Der Satan, Urbild des Bösen, hinterlässt seine lebensfeindlichen Spuren da, wo Menschen ihresgleichen vernichten, unterdrücken, vergewaltigen, töten.
Wo Lügen das Verderben einkalkulieren, Täuschung Fehleinschätzung produziert, Habgier Leben degradiert, Liebe in Floskeln sich gewandet und Macht nur dem eigenen Erhalt dient, auch da hinterlässt das Böse seine Spuren. All diesen teuflischen Mächten ist Jesus in der Wüste ausgesetzt. Doch er widersteht, traut der Botschaft göttlicher Liebe, die er selbst ist, und hinterlässt Spuren der Vergebung, der Menschlichkeit, der Liebe, und des Heiles.
In luftiger Höhe nun schaut in Stein gemeißelt die „Personifizierung“ des Bösen vom Turm der Kathedrale zu Notre-Dame auf Paris. Gelangweilt seinen Kopf auf Hände und Ellenbogen gestützt streckt er der Welt die Zuge heraus und erweckt den Eindruck, vor der praktizierten Liebe der Menschheit nun endgültig kapituliert zu haben. Welch teuflischer Hohn! Denn wenn diese Interpretation des steinernen Teufels stimmt, dann kann er eigentlich nur eine Person wirklich vor Augen haben, die ihn zu solchem Pessimismus Veranlassung gibt, Jesus Christus, der die Liebe ist.
Oder aber sinnt das Böse nicht doch über seine Unausrottbarkeit nach, und streckt ausschließlich uns Menschen die Zunge heraus nach dem Motto: Egal wohin ihr flüchtet, ich bekomme euch doch! In meinen Augen ist es dem Bildhauer gelungen, der noch heute gültigen Wahrheit des Bösen ein typisches Gesicht, Züge seines Wesens zu geben: Vor der göttlichen Liebe muss das Böse kapitulieren. Den Menschen, die wirkliche Zeichen der Liebe gegen das Böse setzen, will der Teufel grundsätzlich nicht trauen. Gewiss aber in jenen findet das Böse immer wieder seine Chance, die Gott und so der Liebe nichts mehr zutrauen, die Gott instrumentalisieren für die eigene selbstherrliche Sache oder die aufgegeben haben „Gott in allen Dingen zu finden“ (l. von Loyola). Die Bilder, die das Böse, oder den Satan personifiziert“ darstellen, hinken der Wirklichkeit hinterher. Aber sie fuhren uns vor Augen, dass nicht zu leugnen ist, was Bilder nicht fassen können.
Menschen gestalten die Realitäten des Bösen, und keiner von uns kann seine Hände in Unschuld waschen. – Die Fastenzeit lädt uns ein, dies wieder neu in den Blick zu nehmen. Sie will Zeit des Erkennens und Lernens sein, den vielschichtigen Gesichtern des Bösen und seinen Versprechungen nicht zu trauen, auch wenn sie noch so sympathisch daherkommen.
Gott hat in seinem Sohn Jesus Christus dem Bösen die Kapitulation teuer abgetrotzt. So mündet unsere vorösterliche Besinnung, auch auf die individuelle Schuldfähigkeit bezogen, in den Ruf: „0 glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden“ (Exsultet). Diese Erlösung umgibt jene, die dem Wort Gottes trauen. Auf diese Menschen hofft Gott, dass wir der Versuchung des Bösen widerstehen. Das bedeutet aber, das Böse in seinen vielen Facetten auch ernst zu nehmen.
Nur aus der Verneigung vor Gott erwächst der selbstbewusst aufrechte Gang des Menschen, der die Geburtsstunde des Widerstandes gegen das Böse ist, gegen all das, was das Leben verachtet und unterdrückt